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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §42 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Leiter, über die Beschwerde der M in S, vertreten durch Dr. Max Urbanek, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 7. Oktober 2005, Senat-AB-05-0104, betreffend Zurückweisung der Berufung gegen die Genehmigung einer Betriebsanlagenänderung (mitbeteiligte Partei: H Handelsgesellschaft mbH in S, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner, Rechtsanwälte in 4014 Linz, Kroatengasse 7), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 7. Oktober 2005 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Magistrats der Landeshauptstadt St. Pölten vom 18. März 2005, mit dem der Mitbeteiligten die gewerbebehördliche Genehmigung für die Abänderung der Kälteanlage sowie des Aufstellungsortes der Kälteanlage in einer bestimmt bezeichneten Betriebsanlage erteilt worden war, zurückgewiesen.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde - soweit für das verwaltungsgerichtliche Verfahren wesentlich - aus, dass der Mitbeteiligten mit Bescheid des Magistrats der Landeshauptstadt St. Pölten vom 16. Juli 2002 die gewerbebehördliche Genehmigung für ein Handelsgeschäft samt technischen Einrichtungen an einem Standort in St. Pölten erteilt worden sei. Diese Genehmigung habe auch eine Heizungsanlage sowie eine Lüftungs- und Klimaanlage (im Folgenden: Lüftungsanlage) umfasst. Hinsichtlich der Lüftungsanlage seien als Betriebszeiten Montag bis Freitag von 7.30 Uhr bis 18.30 Uhr und Samstag von 7.30 Uhr bis 17.30 Uhr (inklusive der erforderlichen Vor- und Nachlaufzeiten von maximal 30 Minuten) festgelegt worden. Weiters habe die Behörde u.a. folgende Auflage vorgeschrieben:
"1. Die im Projekt vorgesehenen Schallemissionswerte der Zu- und Abluftöffnungen sind nach Fertigstellung messtechnisch zu überprüfen und ist ein Nachweis der Einhaltung in der Betriebsanlage aufzulegen.
Schalldruckpegel in 1 m Entfernung von der Zuluftöffnung in der Südostecke des Flachdachbereiches 35 dB(A), Schalldruckpegel in 1 m Entfernung von der Zuluft- und Abluftöffnung der Lüftungsanlage im Dachbodenbereich maximal 30 dB(A)"
Mit Schreiben vom 28. Juli 2003 habe die Mitbeteiligte um Genehmigung der Abänderung der Lüftungsanlage sowie der Schallemissionswerte unter Vorlage von Projektunterlagen angesucht.
Die Behörde erster Instanz habe daraufhin für den 3. September 2003 eine mündliche Verhandlung anberaumt, zu der u. a. die Beschwerdeführerin mit dem Zusatz geladen worden sei, dass Nachbarn die Parteistellung verlieren, wenn sie nicht schriftlich bis zum Tag der Verhandlung oder mündlich bei der Augenscheinsverhandlung Einwendungen gegen die Anlage erheben.
Am 1. September 2003 habe die lärmtechnische Amtssachverständige eine Stellungnahme abgegeben, die im Wesentlichen zum Ergebnis gehabt habe, dass das eingereichte Projekt in näher angeführter Hinsicht schalltechnisch zu überarbeiten sei.
Mit Schreiben vom 1. September 2003, das mit "Einwendungen und Anträge" überschrieben sei, habe die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vorgebracht, dass die Lüftungsanlage derzeit über die genehmigten Betriebszeiten hinaus betrieben würde. Ab 18.30 Uhr würde in der Fußgängerzone in St. Pölten völlige Ruhe herrschen. Ab diesem Zeitpunkt wären die Betriebsgeräusche unzumutbar. Dazu habe die Beschwerdeführerin den Antrag auf Vorlage der Aufzeichnungen über den ordnungsgemäßen zeitlichen Betrieb gestellt. Weiters habe die Beschwerdeführerin die messtechnische Überprüfung der Schallemissionswerte gemäß Auflage 1 des Genehmigungsbescheides beantragt. Auch bei geänderter Ausführung der Lüftungsanlage wäre es technisch möglich, die Auflagen dieses Bescheides einzuhalten. Dazu habe die Beschwerdeführerin ein Sachverständigengutachten beantragt und ausgeführt, wie der Beurteilungspegel zu ermitteln sei. Sie habe ausgeführt, dass es auf Grund des geringen Abstandes ihres zweistöckigen Hauses zum ebenfalls zweistöckigen projektgegenständlichen Haus zu Schallreflexionen kommen würde. Sie spräche sich ausdrücklich gegen jede Neuverhandlung der Auflagen, insbesondere der Grenzwerte, aus.
Bei der mündlichen Verhandlung vom 3. September 2003 habe der rechtsfreundliche Vertreter der Beschwerdeführerin die im Schreiben der Beschwerdeführerin vom 1. September 2003 enthaltenen Einwendungen vorgebracht.
Mit Schreiben vom 10. Mai 2004 habe die Mitbeteiligte ein Ergänzungsprojekt vorgelegt, das im Wesentlichen aus einer Lärmmessung und einem schalltechnischen Bericht bestehe; die Überarbeitung sei auf Grund der Stellungnahme der lärmtechnischen Amtssachverständigen vom 1. September 2003 erfolgt.
Am 8. Juni 2004 habe die lärmtechnische Amtssachverständige ein weiteres Gutachten erstattet, in dem sie zusammenfassend ausgeführt habe, dass die Schallemissionen in der nächsten Nachbarschaft idealerweise 6 bis 8 dB unter dem vorherrschenden Grundgeräuschpegel liegen sollten, um diesen nicht weiter anzuheben. Diese Forderung würde laut den vorliegenden Messergebnissen in der Sgasse weitgehend erfüllt, bei einem - nicht zum Haus der Klägerin gehörenden - Fenster im Innenhof jedoch nicht erfüllt. Die zu erwartenden Schallemissionen (Umgebungslärm und kontinuierliche Geräusche der Betriebsanlage zusammen) würden einen Basispegel von 42 dB(A) aufweisen und noch unter dem Richtwert für den Grundgeräuschpegel in städtischem Wohngebiet bei Tag liegen.
Am 30. Juli 2004 sei das von der Mitbeteiligten vorgelegte Gutachten sowie das lärmtechnische Gutachten der Amtssachverständigen der Beschwerdeführerin übermittelt worden. In ihrer Stellungnahme vom 17. September 2004 habe die Beschwerdeführerin im Wesentlichen das Gutachten der Amtssachverständigen kritisiert und ausgeführt, dass für die Beurteilung auch die spezifische Art und Frequenz der Lärmemission sowie der konkrete Umgebungslärm zu berücksichtigen wäre.
Mit Bescheid der Behörde erster Instanz vom 18. März 2005 sei die beantragte Betriebsanlagenänderung genehmigt worden. Die Abänderungen gegenüber dem bereits genehmigten Projekt seien im Spruch wie folgt beschrieben worden:
"... Diese Anlage (Lüftungsanlage) wurde insbesondere dadurch abgeändert, dass die Aufstellung der luftgekühlten Kondensatoren und Kältemaschinen im Dachgeschoss und die erforderliche Lüftung des Dachbodens abgeändert wurden. Der Aufstellungsraum wurde Richtung Norden vergrößert, sodass die Zuluftöffnung ebenfalls im Aufstellungsraum zum Liegen kommt. Die erforderliche Kühlluft (20.300 m3 pro Stunde) wird über eine Schleppgaupe im Dach aus dem Freien (östlicher Innenhof) angesaugt. Die Ausblasung erfolgt wie genehmigt vertikal über Dach. Lediglich der Abluftventilator, welcher die genehmigte Luftleistung von 20.400 m3 pro Stunde besitzt, wurde am Dachboden Richtung Westen verlegt.
Die neu errichtete Trennwand, welche nördlich des zweiten Dachfensters situiert wurde, wurde als Gipskartonständerwand ausgeführt. Als Zugangstüre wurde eine brandhemmende Türe (T30) eingebaut.
Die im Plan (Schnitt A) dargestellte abriebfeste Verkleidung wird nur im Bereich über den Kältemaschinen eingebaut.
..."
Im Spruch dieses Bescheides finde sich der Hinweis, dass durch diese Genehmigung die Auflage 1 des Betriebsanlagengenehmigungsbescheides vom 16. Juli 2002 gegenstandslos werde, die Auflage 2 hingegen weiter aufrecht bleibe.
Im Spruchteil II dieses Bescheides seien die Einwendungen der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen worden.
Eine Einwendung im Sinn des § 42 Abs. 1 AVG liege vor, - so die belangte Behörde in der rechtlichen Beurteilung - wenn der Nachbar die Verletzung eines subjektiven Rechts geltend mache. Die Beschwerdeführerin, die Nachbarin im Sinn des § 75 Abs. 2 GewO sei, hätte vorzubringen gehabt, welche Gefährdungen, Beeinträchtigungen oder Belästigungen sie durch die beantragte Betriebsanlagenänderung befürchte. Auf Grund der Projektsergänzung während des Verfahrens hätte die Beschwerdeführerin bis zum Ablauf der Frist zur Stellungnahme zu den diese Projektsergänzung enthaltenden Gutachten Gelegenheit gehabt, Einwendungen zu erheben.
Die Beschwerdeführerin habe jedoch nur ausgeführt, dass der Betrieb außerhalb der Betriebszeiten zu Lärmbelästigungen führe. Der Umstand, dass sich der Konsenswerber nicht an die projektgemäßen Betriebszeiten halte, könne jedoch nicht zur Versagung der beantragten Betriebsanlagengenehmigung führen. Weiters habe die Beschwerdeführerin Anträge auf Einholung von Sachverständigengutachten gestellt und die Kriterien, die die Sachverständigen zu berücksichtigen hätten, dargelegt. Auch dabei handle es sich nicht um rechtserhebliche Einwendungen. Die Beschwerdeführerin habe sich auch gegen die Neuverhandlung der Grenzwerte und gegen die Änderung der Auflagen des Genehmigungsbescheides gewendet, jedoch kein konkretes Vorbringen erstattet, auf Grund der Änderung der Betriebsanlage eine unzumutbare Lärmbelästigung zu befürchten.
Die Beschwerdeführerin habe daher mangels Erhebung von Einwendungen ihre Parteistellung verloren, weshalb die Berufung zurückzuweisen gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei erstatteten je eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin bringt u.a. vor, in der Stellungnahme vom 1. September 2003 ausreichend konkret die befürchtete Lärmbelästigung durch die begehrte Betriebsanlagenänderung eingewendet zu haben.
Gemäß § 42 Abs. 1 erster Satz AVG hat die ordnungsgemäße Kundmachung einer mündlichen Verhandlung zur Folge, dass eine Person ihre Stellung als Partei verliert, wenn sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt.
Nach der hg. Judikatur zu dieser Bestimmung (und zur Vorgängerbestimmung des § 356 Abs. 3 GewO idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 88/2000) liegt eine Einwendung im Rechtssinn nur vor, wenn der Nachbar die Verletzung eines subjektiven Rechts geltend macht, wobei die Erklärungen nicht nur ihrem Wortlaut nach, sondern auch nach ihrem Sinn zu beurteilen sind. An die Behörde gerichtete Erinnerungen bzw. Aufforderungen, ihrer amtswegigen Prüfungspflicht nachzukommen, Befürchtungen bzw. Vermutungen, der Genehmigungswerber werde in Überschreitung des Konsens weitere Tätigkeiten entfalten bzw. sich nicht an die Vereinbarungen halten, sind ebenso wie bloße Hinweise auf die von der Behörde bei Genehmigung zu beachtenden Punkte nicht als geeignete Einwendungen zu werten (vgl. die Zusammenstellung bei Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur Gewerbeordnung2, S 1186 ff, Rz 9 zu § 356).
Im rechtskräftigen Bescheid betreffend die Genehmigung der gegenständlichen Betriebsanlage ist u.a. die Auflage enthalten, dass die Schallemissionswerte der Zu- und Abluftöffnungen der Lüftungsanlage messtechnisch zu überprüfen seien und der Schalldruckpegel in 1 m Entfernung von der Zuluftöffnung 35 dB(A) und in 1 m Entfernung von der Zuluft- und Abluftöffnung 30 db(A) nicht überschreiten dürfe. Der bei den Verwaltungsakten erliegende gegenständliche Antrag auf Änderung der Betriebsanlage vom 28. Juli 2003 bezieht sich nach seiner Überschrift auf die "Abänderung der Kühlanlage sowie der Schallemissionswerte". In der mündlichen Verhandlung vom 3. September 2003 wurden vom Verhandlungsleiter die beantragten Änderungsmaßnahmen (auszugsweise) wie folgt dargestellt:
"...
3) Die im ursprünglichen Projekt vorgegebenen Lärmemissionswerte der Lüftungsanlage des Maschinenraumes werden nicht eingehalten und sollen erhöht werden. Weiters wurde die schalltechnische Einhausung des Aggregateraumes nicht ausgeführt."
Verfahrensgegenstand war somit die Änderung der Lüftungsanlage in einer Weise, dass es zu einer Erhöhung der Lärmemissionen gegenüber den rechtskräftig festgesetzten Maximalwerten des genehmigten Projektes kommt.
Die Beschwerdeführerin hat im Schriftsatz vom 1. September 2003 vor allem vorgebracht, dass die Betriebszeiten der Lüftungsanlage laut Genehmigungsbescheid nicht eingehalten würden und die Behörde auf die einzuhaltende Vorgangsweise hingewiesen. Dabei handelt es sich nach der oben zitierten hg. Judikatur nicht um Einwendungen im Rechtssinn.
Die Beschwerdeführerin hat sich in diesem Schriftsatz aber auch gegen das Abgehen von den rechtskräftig festgesetzten maximalen Schallemissionswerten der Lüftungsanlage ausgesprochen und dazu ausgeführt, dass auch bei einer Änderung der Lüftungsanlage die Einhaltung dieser Grenzwerte möglich sei. Sie hat auf die Lage in der - sowohl tagsüber als auch nachts - besonders ruhigen Fußgängerzone in St. Pölten hingewiesen und ausgeführt, es komme dazu, "dass zwischen dem Haus H und meinem Haus auf Grund des geringen Abstandes von rund 4 m und einer Ausführung über 2 Stockwerke (bei größeren Geschosshöhen) Echo-Effekte bzw. Schall-Reflexeffekte eintreten, welche die Auswirkungen auf die Anrainer verstärken". Bei Würdigung dieses Vorbringens nach seinem Sinn hat die Beschwerdeführerin (gerade noch deutlich genug) eine Verletzung ihrer subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte durch die mit der verfahrensgegenständlichen Betriebsanlagenänderung einher gehende Erhöhung der auf ihr Haus einwirkenden Lärmemissionen geltend gemacht und damit eine Einwendung im Sinn des § 42 Abs. 1 AVG erhoben.
Da die belangte Behörde dies verkannt und daher die Berufung zurückgewiesen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil im pauschalierten Ersatz für den Schriftsatzaufwand die Umsatzsteuer bereits enthalten ist.
Wien, am 18. Oktober 2006
Schlagworte
Rechtskraft Besondere Rechtsgebiete GewerberechtBesondere RechtsgebieteGewerberechtIndividuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005040283.X00Im RIS seit
15.11.2006Zuletzt aktualisiert am
06.12.2016