TE OGH 1999/2/18 Bsw33158/96

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Veröffentlicht am 18.02.1999
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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Große Kammer, Beschwerdesache Laino gegen Italien, Urteil vom 18.02.1999, Bsw. 33158/96.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 8 EMRK - Recht auf angemessene Verfahrensdauer in einem Scheidungsverfahren.Artikel 6, Absatz eins, EMRK, Artikel 8, EMRK - Recht auf angemessene Verfahrensdauer in einem Scheidungsverfahren.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK (einstimmig).

Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRKKeine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Artikel 8, EMRK

(15:2 Stimmen).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: ITL 25.000.000,- für immateriellen Schaden (16:1 Stimmen); ITL 16.305.440,- für Kosten und Auslagen (einstimmig).Entschädigung nach Artikel 41, EMRK: ITL 25.000.000,- für immateriellen Schaden (16:1 Stimmen); ITL 16.305.440,- für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

1990 stellte der Bf. beim Bezirksgericht Neapel einen Antrag auf Scheidung seiner Ehe. Ferner ersuchte er das Gericht, über die Benützung der Ehewohnung und über das Sorgerecht für die Kinder abzusprechen. Da zwischen den Eheleuten bei der ersten Tagsatzung keine Einigung über diese Fragen zustande kam, wurde vorläufig der Gattin des Bf. das Sorgerecht für die Kinder und das Recht auf Benützung der Ehewohnung zugesprochen. Das Gericht verpflichtete den Bf. außerdem zur Leistung von Unterhalt an seine Frau und räumte ihm das Recht ein, seine Kinder zweimal in der Woche zu besuchen. Ende 1994 - nach insg. sechs Tagsatzungen, von denen drei auf Antrag des Bf. zum Zwecke einer außergerichtlichen Einigung vertagt worden waren - ordnete der für die Streitsache zuständige Richter die Übersendung des Aktes an das nunmehr örtlich zuständige Bezirksgericht Nola, Provinz Neapel, an. Dieses beraumte die nächste Tagsatzung für den Mai 1997 an, vertagte die Verhandlung aber - wegen Abwesenheit des Richters - auf den Juli 1997. In seinem Urteil vom Mai 1998 sprach das Gericht die Scheidung der Ehe aus und bestätigte die vorläufige Entscheidung des Bezirksgericht Neapel hinsichtlich des Zuspruchs des Sorgerechts und der Benützung der Ehewohnung; außerdem hob es die Höhe der Unterhaltsleistung an. Gegen das Urteil erhob keine der Parteien ein Rechtsmittel.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet, die Dauer des Scheidungsverfahrens habe Art. 6 (1) EMRK (Recht auf angemessene Verfahrensdauer) verletzt. In diesem Zusammenhang behauptet er auch eine Verletzung von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Familienlebens).Der Bf. behauptet, die Dauer des Scheidungsverfahrens habe Artikel 6, (1) EMRK (Recht auf angemessene Verfahrensdauer) verletzt. In diesem Zusammenhang behauptet er auch eine Verletzung von Artikel 8, EMRK (hier: Recht auf Achtung des Familienlebens).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 (1) EMRK:Zur behaupteten Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK:

Der für die Beurteilung der Angemessenheit relevante Zeitraum ist ab dem Zeitpunkt der Einbringung des Antrags auf Scheidung der Ehe zu rechnen, das ist der 15.3.1990. Das Verfahren endete mit dem Urteil des Bezirksgerichts Nola am 27.5.1998; es dauerte somit mehr als acht Jahre und zwei Monate. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist anhand der Umstände des Einzelfalles zu prüfen: Die Komplexität des Falls, das Verhalten des Bf. und das der Behörden sind hierbei von besonderer Relevanz. In Fällen, die die Ehe betreffen, ist von einer besonderen Sorgfaltspflicht der Behörden auszugehen; va. angesichts der nachteiligen Auswirkungen, die eine übermäßige Dauer des Verfahrens auf das Familienleben nach sich ziehen kann. Der Fall war an sich nicht besonders komplex. Für die durch die Vertagungsanträge des Bf. verursachten Verzögerungen ist dieser selbst verantwortlich. Was das Verhalten der Behörden anbelangt, sind zwei Verfahrensabschnitte zu beachten, in denen sie säumig bzw. untätig waren: Zum einen derjenige vom 25.11.1993 - 15.12.1994 (Vertagung einer im November anberaumten Tagsatzung auf den Dezember nächsten Jahres), zum anderen derjenige vom 15.12.1994 - 10.7.1997 (Verweisung der Streitsache an das nunmehr örtlich zuständige Bezirksgericht Nola). Im Hinblick auf die für den Bf. auf dem Spiel stehenden maßgeblichen Interessen (Scheidung der Ehe, Zuweisung des Sorgerechts sowie Einräumung des Besuchsrechts für die Kinder) handelten die Behörden nicht mit jener besonderen Sorgfalt, wie sie Art. 6 (1) EMRK in solchen Fällen verlangt. Die Verfahrensdauer war daher nicht mehr angemessen. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (einstimmig). Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK (15:2 Stimmen, Sondervoten der Richter Tulkens und Casadevall).Der für die Beurteilung der Angemessenheit relevante Zeitraum ist ab dem Zeitpunkt der Einbringung des Antrags auf Scheidung der Ehe zu rechnen, das ist der 15.3.1990. Das Verfahren endete mit dem Urteil des Bezirksgerichts Nola am 27.5.1998; es dauerte somit mehr als acht Jahre und zwei Monate. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist anhand der Umstände des Einzelfalles zu prüfen: Die Komplexität des Falls, das Verhalten des Bf. und das der Behörden sind hierbei von besonderer Relevanz. In Fällen, die die Ehe betreffen, ist von einer besonderen Sorgfaltspflicht der Behörden auszugehen; va. angesichts der nachteiligen Auswirkungen, die eine übermäßige Dauer des Verfahrens auf das Familienleben nach sich ziehen kann. Der Fall war an sich nicht besonders komplex. Für die durch die Vertagungsanträge des Bf. verursachten Verzögerungen ist dieser selbst verantwortlich. Was das Verhalten der Behörden anbelangt, sind zwei Verfahrensabschnitte zu beachten, in denen sie säumig bzw. untätig waren: Zum einen derjenige vom 25.11.1993 - 15.12.1994 (Vertagung einer im November anberaumten Tagsatzung auf den Dezember nächsten Jahres), zum anderen derjenige vom 15.12.1994 - 10.7.1997 (Verweisung der Streitsache an das nunmehr örtlich zuständige Bezirksgericht Nola). Im Hinblick auf die für den Bf. auf dem Spiel stehenden maßgeblichen Interessen (Scheidung der Ehe, Zuweisung des Sorgerechts sowie Einräumung des Besuchsrechts für die Kinder) handelten die Behörden nicht mit jener besonderen Sorgfalt, wie sie Artikel 6, (1) EMRK in solchen Fällen verlangt. Die Verfahrensdauer war daher nicht mehr angemessen. Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (einstimmig). Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Artikel 8, EMRK (15:2 Stimmen, Sondervoten der Richter Tulkens und Casadevall).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: ITL 25.000.000,-- für immateriellen Schaden (16:1 Stimmen, Sondervotum von Richter Ferrari Bravo). ITL 16.305.440,-- für Kosten und Auslagen (einstimmig).Entschädigung nach Artikel 41, EMRK: ITL 25.000.000,-- für immateriellen Schaden (16:1 Stimmen, Sondervotum von Richter Ferrari Bravo). ITL 16.305.440,-- für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Vom GH zitierten Judikatur:

Maciariello/I, Urteil v. 27.2.1992, A/230-A.

Paulsen-Medalen & Svensson/S, Urteil v. 19.2.1998.

Anm.: Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 16.9.1997 eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK festgestellt; keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).Anmerkung, Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 16.9.1997 eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK festgestellt; keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Artikel 8, EMRK (einstimmig).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 18.2.1999, Bsw. 33158/96, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1999, 54) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/99_2/Laino.pdf

Das Original der Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Anmerkung

EGM00234 Bsw33158.96-U

Dokumentnummer

JJT_19990218_AUSL000_000BSW33158_9600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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