TE Vwgh Erkenntnis 2006/10/19 2006/19/0372

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Veröffentlicht am 19.10.2006
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. Theresa Bogensberger, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Kärntner Ring 12, gegen den ersten Spruchpunkt des am 29. November 2001 verkündeten und am 25. März 2003 schriftlich ausgefertigten Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 222.972/0-II/06/01, betreffend § 7 AsylG 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Spruchpunkt wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte am 15. April 2001 in das Bundesgebiet und beantragte am 17. April 2001 Asyl. Bei seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 2. Mai 2001 und am 28. Mai 2001 gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und schiitischen Glaubens zu sein. Er sei von der Hezb-e Wahdat zur Rückeroberung der Stadt Bamiyan zwangsrekrutiert worden. Es sei auch gelungen, diese Stadt für 24 Stunden unter Kontrolle der Hezbe Wahdat zu bekommen. Die Taliban hätten jedoch danach Bamiyan wieder zurück erobert, worauf der Beschwerdeführer geflohen sei. Inzwischen hätten die Taliban seinen Vater festgenommen. Die Taliban hätten damit erreichen wollen, dass er sich ihnen stelle. Sein Onkel habe indessen seine Flucht aus Afghanistan organisiert.

Mit Spruchpunkt I. des Bescheides vom 18. Juni 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab. Mit Spruchpunkt II. erklärte es die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für zulässig. In der Begründung seines Bescheides schenkte das Bundesasylamt dem Vorbringen des Beschwerdeführers keinen Glauben.

Über die Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid verhandelte die belangte Behörde - unter Beiziehung des Sachverständigen Dr. Sarajuddin Rasuly - am 29. November 2001. In dieser Verhandlung bestätigte der Beschwerdeführer seine Angaben vor dem Bundesasylamt und äußerte ergänzend die Vermutung, dass sein Vater von den Taliban getötet worden sei. Außerdem hätten die Taliban die landwirtschaftlichen Grundstücke seines Vaters konfisziert.

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers erstattete der Sachverständige in der Verhandlung folgendes Gutachten (BW steht im Folgenden für Berufungswerber):

"Die Angaben des BW betreffend seiner Herkunftsregion sind zutreffend, da er Shikh Ali entsprechend der afghanischen Landkarte beschrieben hat. Auch sein Familienname entspricht seiner Herkunft, weil in der Gegend von Sorkhparsa diese Familie bekannt ist.

Die Angaben des BW, betreffend des Verbleibs seines Vaters, ist nicht fern der Realität, nachdem im Frühjahr dieses Jahres Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und der Hezb-e Wahdat in der Gegend von Yakaolang gegeben hat. Die Hezb-e Wahdat hat stets seine Kämpfer aus der Reihe der Bevölkerung rekrutiert, teilweise wurden diese zwangsrekrutiert oder sie müssen wegen ethnischer Solidarität 'freiwillig an die Front'. Es ist zwar die Überprüfung des Schicksals der Einzelperson nicht überprüfbar, aber es ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Vater des BW, von den Taliban, wie viele andere Hazaras, wegen der Teilnahme seines Sohnes an den Kämpfen gegen die Taliban festgenommen oder getötet worden ist. Vor allem die Hazara-Kämpfer wurden von den Taliban schwerst verfolgt, wenn diese nicht aufgegriffen werden konnten, wurden zum Teil die Familienmitglieder bestraft.

Seit spätestens dem 13. November 2001 ("Timeline: Terror and its aftermath (part 1-3), aus dem Internet entnommen, Guardian Unlimited/Special repo ... terror and its aftermath) sind die Taliban aus den meisten Teilen Afghanistans, vor allem aus den von den Hazara bewohnten Gebieten vertrieben worden und sie sind als politisches System bzw. Ordnungsmacht in den von der Nordallianz beherrschten Gebieten nicht mehr präsent. Nunmehr beherrscht die Hezb-e Wahdat das Kerngebiet der Hazaras, den Hazarajat, dazu gehören auch die Hazarawohnsiedlungen in der Provinz Parwan. Die Hezb-e Wahdat zählt zu der neuen Staatsmacht und ist in den Friedensverhandlungen in Bonn, die am Dienstag begonnen hat, beteiligt ('Hazaras demand to be heard', South Asia BBC News/SOUTH ASIA/Hazaras demand to be heard aus dem Internet, Seite 2, vom 21.11.2001). Derzeit kann man von einer Verfolgungsgefahr für die nichtpaschtunischen Ethnien in den von der Nordallianz befreiten Gebieten nicht ausgehen.

..."

Mit dem ersten Spruchpunkt  ihres am 29. November 2001 verkündeten Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 AsylG ab. Mit den weiteren Spruchpunkten erklärte sie die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan für nicht zulässig und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

Gegen den ersten Spruchpunkt richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

In der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides begründete die belangte Behörde die Abweisung des Asylantrages damit, dass die Angaben des Beschwerdeführers zum Entscheidungszeitpunkt in Verbindung mit den "individuellen Aussagen des Sachverständigen" zum gegenständlichen Vorbringen "auf Grund der geänderten Verhältnisse als nicht überwiegend glaubhaft anzusehen" gewesen wären. Auf Grund der "klar geänderten Verhältnisse in Afghanistan" sei dem Beschwerdeführer eine "Glaubhaftmachung seines asylrelevanten Vorbringens" nicht gelungen. Der Beschwerdeführer hätte dem "aktuellen Gutachten" des Sachverständigen nichts entgegen zu setzen gehabt.

Mit diesen Ausführungen hat die belangte Behörde nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Annahme einer grundlegenden politischen Veränderung im Herkunftsstaat, aus der sich der Verlust einer zunächst aus den vom Beschwerdeführer behaupteten Gründen gegebenen und von der belangten Behörde offenbar zugestandenen Flüchtlingseigenschaft ergeben sollte, eine gewisse Konsolidierung der Verhältnisse voraussetzt, für deren Beurteilung es in der Regel eines längeren Beobachtungszeitraumes bedarf, der im maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheidverkündung am 29. November 2001 angesichts des Abzuges der Taliban nur wenige Tage davor (13. November 2001) jedenfalls noch nicht vorlag (vgl. zuletzt etwa die hg. Erkenntnisse vom 16. Februar 2006, Zl. 2006/19/0030 und Zl. 2006/19/0032, und vom 27. April 2006, Zl. 2002/20/0170).

Der angefochtene Spruchpunkt war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 19. Oktober 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006190372.X00

Im RIS seit

22.01.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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