TE Vwgh Erkenntnis 2006/10/25 2005/08/0206

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Veröffentlicht am 25.10.2006
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1 Z1 idF 2004/I/077;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde der R in L, vertreten durch Mag. German Storch, Mag. Rainer Storch, 4020 Linz, Bürgerstraße 62, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 18. Oktober 2005, Zl. LGSOÖ/Abt.4/05660624/2005-13, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde in Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides für die Zeit vom 16. Juni bis zum 27. Juli 2005 den Verlust des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf Notstandshilfe ausgesprochen.

In der Begründung stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführerin sei am 10. Juni 2005 vom Arbeitsmarktservice eine Beschäftigung bei FAB Proba in Linz mit Arbeitsantritt am 16. Juni 2005 bei einer Bruttoentlohung von EUR 1.030,-- verbindlich angeboten worden. Die Beschwerdeführerin hätte zwischen einer 20-, 30- oder 40-Stunden-Woche wählen können. Der Tätigkeitsbereich bei FAB Proba sei äußerst vielschichtig. Er umfasse die Bereiche Renovierungen, Sanierungen, Gartenarbeiten, Reinigung, Übersiedlungen, Büroservice (Werbeassistenz, Lettershop) sowie den Kantinenbereich (Jausendienst und Catering). Auf Grund ihrer gesundheitlichen und der zeitlichen Einschränkungen wegen der Kinderbetreuung wäre die Beschwerdeführerin in Bereichen eingesetzt worden, "die sie auch tatsächlich hätte verrichten können", etwa leichte Tätigkeiten im Reinigungs- oder Gartenbereich, ein Einsatz in der Werbeassistenz (das Erstellen von Plakaten und Foldern), ein fallweiser Einsatz im Kantinenbereich. Dies sei beim Bewerbungsgespräch besprochen worden.

Am 24. Juni 2005 habe die Beschwerdeführerin niederschriftlich erklärt, sie lehne die Annahme des Dienstverhältnisses wegen gesundheitlicher Einschränkungen ab.

Dazu habe FAB Proba erklärt, die Beschwerdeführerin habe das Dienstverhältnis mit der Erklärung nicht angenommen, sie wolle auch an den Nachmittagen ihre Kinder nicht alleine lassen.

Ergänzend habe die Beschwerdeführerin schriftlich mitgeteilt, sie hätte das Dienstverhältnis im Bereich Baustellen, Gartengestaltung, Malerarbeiten und Boden legen aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt. Als Buffetkraft hätte sie nicht eingesetzt werden können, weil sie über keinen Führerschein besitze. Die Tätigkeit in der Werbeassistenz sei zum Bewerbungszeitpunkt besetzt gewesen.

In der Berufung habe die Beschwerdeführerin als gesundheitliche Einschränkungen einen Bandscheibenvorfall und Schuppenflechte an den Händen genannt. Eine Ärztin habe ihr gesagt, sie könne nur im Büro tätig sein. Zudem handle es sich um eine Maßnahme, die in einem Beschäftigungsverhältnis versteckt sei; auch sei die Bezahlung zu gering.

Ein der belangten Behörde vorliegendes arbeitsmedizinisches Gutachten über den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin enthalte folgende Passagen:

"Schwere und mittelschwere körperliche Tätigkeiten sind nicht mehr zumutbar. Die Belastbarkeit der Körperhaltung im Sitzen ist uneingeschränkt, im Gehen und Stehen oft möglich.

Keine Arbeiten in höhenexponierten Stellen, mit Nässe- und Kälteeinwirkung, mit Schmutzeinwirkung auf die Haut, Nachtarbeit.

Arbeiten mit verdrehter Körperhaltung, Überkopfarbeiten, mit länger nach vorne gebeugter Haltung, im Hocken und Knien nur mehr selten möglich. Arbeiten mit Hitzeeinwirkung nur mehr eingeschränkt möglich. Leichte körperliche Tätigkeiten sind machbar.

Auf Grund ihrer Ausbildung und ihren körperlichen Einschränkungen kommen für (die Beschwerdeführerin) Tätigkeiten im Bürobereich in Betracht, wobei schweres Heben und Tragen, sowie bestimmte Bewegungen die das Knie belasten, zu vermeiden sind."

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, das Arbeitsmarktservice habe der Beschwerdeführerin am 10. Juni 2005 ein befristetes Dienstverhältnis bei FAB Proba verbindlich angeboten. Dort sollte die Beschwerdeführerin lediglich in Tätigkeitsbereichen eingesetzt werden, die sie nach ihrer Einschätzung auch hätte verrichten können. Trotz Zugeständnissen in zeitlicher und gesundheitlicher Hinsicht habe die Beschwerdeführerin eine Beschäftigung mit der Begründung abgelehnt, sie wolle ihre Kinder auch an den anderen Tagen, außer dem zugesicherten freien Dienstagnachmittag, nicht alleine lassen. Es handle sich bei der Tätigkeit bei FAB Proba nicht um eine Maßnahme, sondern um ein Beschäftigungsverhältnis. Die Tätigkeit sei angemessen entlohnt; für Transitarbeitskräfte bestehe derzeit kein unmittelbar anwendbarer Kollektivvertrag, daher werde der Kollektivvertrag der Berufsvereinigung privater Bildungseinrichtungen herangezogen. Zwar werde im arbeitsmedizinischen Gutachten für die Beschwerdeführerin Büroarbeit empfohlen; als Notstandshilfeempfängerin sei es jedoch notwendig und legitim, auch leichte Tätigkeiten in andere Bereichen auszuüben. Da die Beschwerdeführerin eine Beschäftigung mit angemessener Entlohnung abgelehnt habe, sei sie arbeitsunwillig, weshalb im Ausschlusszeitraum kein Leistungsanspruch bestehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Eine Voraussetzung des Anspruches auf Arbeitslosengeld ist gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 AlVG, dass der Arbeitslose arbeitswillig ist.

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist unter anderem arbeitswillig, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen.

Nach § 9 Abs. 2 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 77/2004 ist eine Beschäftigung unter anderem dann zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet und angemessen entlohnt ist. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung.

Nach § 10 Abs. 1 Z. 1 AlVG in der eben genannten Fassung verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auch auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Zunächst behauptet die Beschwerdeführerin die Unzumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung, weil sie ihren körperlichen Fähigkeiten nicht angemessen sei.

Nach der Rechtsprechung hängt die Beantwortung der Frage nach der körperlichen Zumutbarkeit einer Beschäftigung nicht von der Zusicherung des potenziellen Dienstgebers im Bewerbungsgespräch, auf eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitslosen Bedacht nehmen zu wollen, ab. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob der Arbeitslose eine Beschäftigung allenfalls mit Nachsicht des Dienstgebers verrichten könnte, sondern nur darauf, ob ihm die im Falle des Zustandekommens des Beschäftigungsverhältnisses arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten gesundheitlich zumutbar gewesen wären (vgl. das Erkenntnis vom 20. April 2005, Zl. 2004/08/0252).

Kann nach einem ärztlichen Gutachten der Arbeitslose auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen nur zu bestimmten Tätigkeiten herangezogen werden, ist es Aufgabe des Arbeitsmarktservice, die körperlichen Anforderungen der zugewiesenen Beschäftigung mit den (verbliebenen) körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen zu vergleichen und danach zu beurteilen, ob dem Arbeitslosen die zugewiesene Beschäftigung gesundheitlich zugemutet werden kann. Eine allgemeine Zusicherung, dass im Rahmen der zugewiesenen Beschäftigung auf gesundheitliche Einschränkungen Bedacht genommen werde, geht an dieser Anforderung vorbei (vgl. das Erkenntnis vom 5. Juni 2002, Zl. 2002/08/0067).

Der belangten Behörde lag ein medizinisches Gutachten über die eingeschränkten Einsatzmöglichkeiten der Beschwerdeführerin vor. Die belangte Behörde vertritt ohne nähere Begründung die Ansicht, es sei trotz der arbeitsmedizinischen Empfehlung von Büroarbeit "notwendig und legitim auch leichte Tätigkeiten in anderen Bereichen zu bewerben". Dadurch wurde der der Behörde zukommenden Beurteilung, ob dem Arbeitslosen die zugewiesene Beschäftigung gesundheitlich zugemutet werden kann, nicht Genüge getan. Vielmehr hat nach den Feststellungen nicht das Arbeitsmarktservice, sondern die für die Einstellung zuständige Mitarbeiterin von FAB Proba die auf Grund des körperlichen Zustandes der Beschwerdeführerin möglichen Tätigkeiten "angedacht" und "leichte Tätigkeiten" in Aussicht gestellt, ohne dass festgestellt worden ist, welche Tätigkeit die Beschwerdeführerin arbeitsvertraglich überhaupt schulden würde bzw. für welchen Tätigkeitsbereich sie konkret hätte angestellt werden sollen. Es kann demnach nicht beurteilt werden, ob die zugewiesene Beschäftigung im Hinblick auf ihre körperlichen Fähigkeiten der Beschwerdeführerin zumutbar ist. Schon deshalb erweist sich der angefochtenen Bescheide vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung als rechtswidrig.

Die Beschwerdeführerin hat auch vorgebracht, es handle sich bei der zugewiesenen Beschäftigung um eine Maßnahme.

Tatsächlich hätte die belangte Behörde angesichts der Ungewöhnlichkeit der angebotenen Arbeitsbedingungen (etwa freie Wahl der Arbeitszeit, "vielschichtiger" Tätigkeitsbereich) auch Feststellungen dazu zu treffen gehabt, ob es bei der in Aussicht genommenen Beschäftigung überhaupt um eine am allgemeinen Arbeitsmarkt angebotene versicherungspflichtige Beschäftigung oder um eine Maßnahme (zum Beispiel einen bloßen Transitarbeitsplatz) handelte, was der Sache nach nicht nur die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung behauptet hat, sondern wofür es auch entsprechende Hinweise im angefochtenen Bescheid gibt, wonach die Beschäftigung der Beschwerdeführerin ein auf ein Jahr befristeter Transitarbeitsplatz sein soll. Die Zuweisung eines Transitarbeitsplatzes unter Entfall der Geldleistungen nach dem AlVG ist jedoch unzulässig (vgl. das ebenfalls eine Zuweisung zu "Proba" betreffende Erkenntnis vom 21. April 2004, Zl. 2002/08/0262 und das Erkenntnis vom 21. Dezember 2005, Zl. 2004/08/0053).

Da die Vermittlung eines bloßen Transitarbeitsplatzes nicht zu den im § 9 Abs. 1 AlVG genannten Maßnahmen gehört, steht die Weigerung der Beschwerdeführerin, dieser Zuweisung nachzukommen, nicht unter der Sanktion des § 10 AlVG.

Insgesamt erweist sich der angefochtene Bescheid sowohl inhaltlich als auch Verfahrensfragen betreffend als rechtswidrig. Wegen des Vorranges der Wahrnehmung inhaltlicher Rechtswidrigkeit war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 25. Oktober 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005080206.X00

Im RIS seit

16.01.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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