TE Vfgh Beschluss 2002/6/19 G95/02

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Veröffentlicht am 19.06.2002
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/02 Kraftfahrgesetz 1967, Führerscheingesetz

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
FührerscheinG §39 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des FührerscheinG betreffend die vorläufige Abnahme des Führerscheins bei mit technischen Hilfsmitteln festgestellten Geschwindigkeitsübertretungen; Möglichkeit einer Beschwerde gegen die als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzusehende vorläufige Führerscheinabnahme an den UVS

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Mit seinem auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, den gesamten zweiten Satz des §39 Abs1 Führerscheingesetz, BGBl. I Nr. 120/1997 (im folgenden: FSG), als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2. Die Antragslegitimation begründet er wie folgt:

Am 1. März 2002 sei ihm wegen "drastischer Geschwindigkeitsüberschreitung (197 km/h auf einer Freilandstraße)" von einem Gendarmeriebeamten des GP Palting der Führerschein abgenommen und ihm eine Bescheinigung im Sinne des §76 Abs1 KFG (§39 Abs1 dritter Satz FSG) ausgestellt worden. In einer Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn werde ihm nun zur Last gelegt, am 1. März 2002 gegen 16.50 Uhr sein Motorrad im Gemeindegebiet von Kirchberg auf der Siegertshafter Landesstraße bei Kilometer 3,23 in Richtung Pfaffstätt mit einer Geschwindigkeit von 197 km/h gelenkt zu haben, unter Abzug der 3%-igen Eichfehlergrenze im Sinne der behördlichen Zulassung dieses Meßgerätes und der Verwendungsbestimmungen habe er eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Ausmaß von 91 km/h zu verantworten (191 statt 100 km/h im Freilandgebiet). Zustellungen der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde, der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn, in einem Verwaltungsstraf- bzw. einem Lenkberechtigungsentziehungsverfahren habe er bislang nicht erhalten. Die in Rede stehende Bestimmung des FSG sei im Verwaltungsstraf- bzw. Lenkberechtigungsentziehungsverfahren nicht präjudiziell, weshalb er deren Verfassungswidrigkeit in einer Bescheidbeschwerde nach Art144 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof nicht geltend machen könne.

Die antragsgegenständliche Bestimmung greife unmittelbar in seine geschützte Rechtssphäre ein, welche darin zu erblicken sei, daß ihm der Führerschein nicht aufgrund einer verfassungswidrigen, nämlich gleichheitswidrigen Bestimmung abgenommen werde. Der Eingriff sei auch unmittelbar, zumal das Gesetz nach Art und Ausmaß des Eingriffes eindeutig bestimmt sei und keiner weiteren Konkretisierung bedürfe. Es werde konkret und aktuell in sein Recht, von dem ihm auf Grundlage eines rechtskräftigen Bescheides von der Kraftfahrbehörde erteilten Führerschein Gebrauch zu machen, eingegriffen. Die Führerscheinabnahme durch das Exekutivorgan sei ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde erfolgt. Die Wiederausfolgung des Führerscheins sei ihm von der Kraftfahrbehörde bislang verweigert worden.

1.3. In der Sache macht der Antragsteller mit näherer Begründung geltend, die angefochtene Bestimmung widerspreche dem Legalitätsprinzip, weil sie nicht einmal andeute, unter welchen Umständen der Führerschein abgenommen werden könne. Sie sei auch unsachlich und somit gleichheitswidrig, weil es vom Zufall abhänge, ob ein Fahrzeuglenker nach einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung angehalten werde oder nicht. Die Führerscheinabnahme sei darüber hinaus in einem derartigen Fall zum Schutz der Verkehrssicherheit nicht notwendig.

Geschwindigkeitsüberschreitungen könnten nicht mit den übrigen in §39 Abs1 FSG genannten Umständen gleichgesetzt werden.

2. §39 Abs1 FSG hat folgenden Wortlaut (der angefochtene 2. Satz ist durch Unterstreichung hervorgehoben):

"Vorläufige Abnahme des Führerscheines

§39. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Straßenaufsicht haben einem Kraftfahrzeuglenker, aus dessen Verhalten deutlich zu erkennen ist, daß er insbesondere infolge Alkohol- oder Suchtmittelgenusses, Einnahme von Medikamenten oder eines außergewöhnlichen Erregungs- oder Ermüdungszustandes nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt oder bei dem ein Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder mehr oder ein Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder mehr festgestellt wurde oder der eine Übertretung gemäß §99 Abs1 litb oder c StVO 1960 begangen hat, den Führerschein vorläufig abzunehmen, wenn er ein Kraftfahrzeug gelenkt hat, in Betrieb genommen hat oder es in Betrieb zu nehmen versucht. Ebenso können diese Organe bei mit technischen Hilfsmitteln festgestellten Geschwindigkeitsübertretungen, die mit einer Entziehung geahndet werden, den Führerschein vorläufig abnehmen. Bei der vorläufigen Abnahme ist eine Bescheinigung auszustellen, in der die Gründe für die Abnahme und eine Belehrung über die zur Wiedererlangung des Führerscheines erforderlichen Schritte enthalten sind."

3. Der Antrag ist unzulässig.

3.1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die "Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist; ...".

3.2. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die als verfassungswidrig angefochtene Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation bildet dabei der Umstand, daß das angefochtene Gesetz die Rechtssphäre des Antragstellers berührt und diese - im Falle der Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Aber nicht jedem Normadressaten kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß unmittelbar durch das Gesetz selbst - tatsächlich - in die Rechtssphäre des Antragstellers eingegriffen wird. Ein solcher Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich gestützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteter Weise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11726/1988, 13765/1994, 14339/1995).

3.3. Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt im Zusammenhang mit §76 Abs1 KFG ausgesprochen, daß es sich bei der vorläufigen Abnahme des Führerscheines iSd. der genannten Bestimmung um eine in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vorgenommene Amtshandlung handelt (vgl. VfSlg. 8671/1979, 8818/1980, 9931/1984, 11923/1988). An dieser Auffassung hat auch die Neuregelung der vorläufigen Führerscheinabnahme durch §39 FSG nichts geändert, nach der nunmehr der Führerschein nicht nur bei Vorliegen die Fahrtüchtigkeit eines Kraftfahrzeuglenkers beeinträchtigender Umstände vorläufig abgenommen werden muß, sondern auch - wie im vorliegenden Verfahren - nach einer mit einem technischen Hilfsmittel festgestellten Geschwindigkeitsübertretung, die mit einer Entziehung geahndet würde, vorläufig abgenommen werden kann. Daraus ergibt sich aber, daß dem Antragsteller gegen die als eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzusehende vorläufige Abnahme seines Führerscheines die Möglichkeit einer Beschwerde gemäß Art129a Abs1 Z2 B-VG an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich offenstand (vgl. dazu auch VwGH 17.6.1992, 91/02/0052; 18.5.1993, 93/11/0013). Es fehlt ihm daher die für die Antragstellung notwendige Legitimation, weshalb der Antrag zurückzuweisen war.

4. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Kraftfahrrecht, Lenkerberechtigung, Straßenpolizei, Geschwindigkeitsüberschreitung, VfGH / Individualantrag, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Lenkberechtigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G95.2002

Dokumentnummer

JFT_09979381_02G00095_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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