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41/02 Staatsbürgerschaft;Norm
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde 1. des H,
2. der N, 3. des P und 4. des A, alle in F und vertreten durch Mag. Hermann Gaar und Mag. Claus Schützenhöfer, Rechtsanwälte in 8230 Hartberg, Baumschulgasse 5, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 19. September 2005, Zl. FA7C - 11-20/2004-59, betreffend Widerruf der Zusicherung der Staatsbürgerschaftsverleihung und Abweisung eines Antrages auf Verleihung bzw. Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 19. September 2005 wurde der Bescheid der belangten Behörde vom 19. November 2004, mit welchem den Beschwerdeführern die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft (bzw. deren Erstreckung) zugesichert worden war, gemäß § 20 Abs. 2 iVm §§ 16, 17 und 18 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) widerrufen (Spruchpunkt I.).
Weiters wurde der Antrag des Erstbeschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vom 8. Jänner 2004 und das Ansuchen der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer um Erstreckung der Verleihung gemäß den §§ 10 Abs. 1 Z 2, 10 Abs. 1 Z 4 und 10 Abs. 1 Z 6 iVm §§ 16, 17 und 18 StbG abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Erstbeschwerdeführer habe nach Zusicherung der österreichischen Staatsbürgerschaft am 7. Juli 2005 für sich und seine Familie Genehmigungen zum Ausscheiden aus der türkischen Staatsangehörigkeit vorgelegt. Dadurch habe der Erstbeschwerdeführer die türkische Staatsangehörigkeit noch nicht verloren und sei somit nicht staatenlos.
Im Zuge einer Nacherhebung sei ein neuerlicher Strafregisterauszug (vom 19. Juli 2005) angefordert worden, in welchem folgende inländische Verurteilungen des Erstbeschwerdeführers aufschienen:
"1.) LG Eisenstadt (...) vom 11.04.2000 RK 15.04.2000 Par 146, 147/2 StGB, Freiheitsstrafe 6 Monate, Bedingt, Probezeit 3 Jahre Vollzugsdatum 15.04. 2000
zu LG Eisenstadt (...) RK 15.04.2000 (Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig, Vollzugsdatum 15.04.2000 LG Eisenstadt (...) vom 20.01.2004,
Aus dem Urteil geht folgendes hervor:
Er hat in O. (die) G.P. mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen, nämlich Begebung folgendes Privatdarlehen, verleitet, die diese in einem ATS 25.000,-- übersteigenden Gesamtausmaß von ATS 280.000,-- am Vermögen schädigte, indem er unter Vorgabe seiner Rückzahlungswilligkeit und -fähigkeit behauptete dieses Geld prompt zu retournieren, im April 1998 ATS 250.000,-- auch unter Vorgabe diese für die Gründung eines Gasthauses in G. zu benötigen. Er hat hiedurch das Vergehen des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB begangen.
2.) LG f. Strafsachen Graz (...) vom 25.03.2004 RK 30.03.2004 Par 146, 147/2 StGB, Freiheitsstrafe 5 Monate, Bedingt, Probezeit 3 Jahre
Aus dem Urteil geht hervor:
Er hat gemeinsam mit Herrn M.Y. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Juni 2003 in M. als Mittäter und zwar als Geschäftsführer der Firma S. mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Berechtigten sich bzw. die Firma S. unrechtmäßig zu bereichern, Berechtigte der Firma Sch. durch Täuschung über Tatsachen, und zwar durch Vortäuschen der Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit des von ihm repräsentierten Unternehmens zu einer Handlung und zwar zur Lieferung von Waren, insbesondere Getränke im Wert von EUR 17,899,-- verleitet, wodurch, da lediglich Teilzahlungen geleistet wurden, die Firma Sch. im Betrag von restlich EUR 13.205,-- am Vermögen geschädigt wurde. Er hat hiedurch das Vergehen des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB begangen.
3.) LG f. Strafsachen Graz (...) vom 04.05.2005 RK 10.05.2005 Par 15, 269/1 (1.Fall) StGB, Geldstrafe von 180 Tags. zu je 5,00 EUR (900,00 EUR) Im NEF 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe Aus dem Urteil geht hervor:
Er hat am 08.03.2004 in F. versucht, einen Beamten durch gefährliche Drohung an einer Amtshandlung zu hindern, indem er zu Dr. K.H., Juristin der Bezirkshauptmannschaft F., die ihm mitteilte, dass sie das fremdenpolizeiliche Verfahren zur Verhängung einer Ausweisung gegen seinen Bruder E.P. einleiten müsse, sagte: 'Wenn sie so hart gegen meinen Bruder vorgehen, werden wir genau so hart gegen sie vorgehen.'
Er hat hiedurch das Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 1. Deliktsfall StGB begangen."
Die rechtskräftigen Verurteilungen "vom 30. 03. 2004" und "vom 10. 05. 2005" (gemeint vom 25. März 2004 und vom 4. Mai 2005) seien der belangten Behörde zum Zeitpunkt der Zusicherung nicht bekannt gewesen und vom Erstbeschwerdeführer im Zusicherungsverfahren auch nicht bekannt gegeben worden, obwohl dieser bereits von der Verurteilung vom 25. März 2004 gewusst haben musste. Durch diese Verurteilungen scheine auch die erste Verurteilung des Antragstellers "vom 15. 04. 2000" (gemeint vom 11. April 2000), welche der belangten Behörde im Zusicherungsverfahren bekannt gewesen sei, wieder im Strafregister auf, sei somit nicht getilgt und entspreche die vom Erstbeschwerdeführer im Zusicherungsverfahren ins Treffen geführte Einmaligkeit nicht den Tatsachen.
Sowohl die Verurteilung aus dem Jahr 2000 als auch aus dem Jahr 2004 (Verurteilung zu sechs Monaten bzw. fünf Monaten Freiheitsstrafe) stellten Einbürgerungshindernisse im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 2 StbG dar.
Im Zusammenhang mit der rechtskräftigen Verurteilung vom 10. Mai 2005 stellten diese Verurteilungen darüber hinaus das Einbürgerungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG dar und könne die belangte Behörde insbesondere auf Grund der Art, der Schwere und der Häufigkeit der dargestellten Taten nicht davon ausgehen, dass der Einbürgerungswerber eine bejahende Einstellung zur Republik Österreich aufweise und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit darstelle. So sei der Erstbeschwerdeführer in den letzten fünf Jahren dreimal strafgerichtlich verurteilt worden, wobei zwei Verurteilungen unter § 10 Abs. 1 Z 2 StbG zu subsumieren seien. Die letzte Verurteilung liege nicht einmal ein halbes Jahr zurück, sodass davon auszugehen sei, dass sich das Verhalten des Einbürgerungswerbers gegen Ende seines Aufenthaltes in Österreich zum Schlechteren entwickelt habe. Ein Wohlverhalten von einem halben Jahr sei jedenfalls zu wenig, um daraus eine positive Zukunftsprognose im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG abzuleiten.
Darüber hinaus sei der Erstbeschwerdeführer am 15. August 2005 wegen des Verdachtes der gefährlichen Drohung (§ 107 Abs. 2 StGB) und des Verdachtes des Betruges (§ 146 StGB) angezeigt worden. Gegen den Erstbeschwerdeführer sei bereits ein Strafantrag eingebracht worden, die Verhandlung sei für den 16. September 2005 angesetzt. Da somit derzeit gegen den Erstbeschwerdeführer wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat ein Strafverfahren anhängig sei, sei darüber hinaus auch das Einbürgerungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 4 StbG erfüllt.
Da der Erstbeschwerdeführer somit weder die Voraussetzungen der §§ 10 Abs. 1 Z 2, 10 Abs. 1 Z 4 und 10 Abs. 1 Z 6 StbG und auch keinen anderen Einbürgerungstatbestand erfülle, sei die Zusicherung gemäß § 20 Abs. 2 StbG zu widerrufen und der Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft abzuweisen gewesen. Die Anträge um Erstreckung der Verleihung seien gemäß § 18 StbG ebenfalls abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 in der Fassung vor der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006 (StbG), lauten auszugsweise wie folgt:
§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn
...
2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist,
... ;
...
4. gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;
...
6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;
...
§ 20. ...
(2) Die Zusicherung ist zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt."
2. Die belangte Behörde hat den Widerruf der Zusicherung und die Abweisung des Antrages auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft im angefochtenen Bescheid darauf gestützt, dass durch die angeführten Verurteilungen bzw. das anhängige Strafverfahren des Erstbeschwerdeführers die Einbürgerungshindernisse des § 10 Abs. 1 Z 2, Z 4 und Z 6 StbG erfüllt seien.
3. Ein Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft kommt nur in Frage, wenn eine gesetzliche Verleihungsvoraussetzung, die zur Zeit der Zusicherung erfüllt war, nachträglich weggefallen ist. Das Fehlen einer Verleihungsvoraussetzung, die auch im Zeitpunkt der Zusicherung nicht gegeben war, stellt hingegen keinen Widerrufsgrund dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. August 2005, Zl. 2004/01/0444, mit Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 13. Jänner 1999, Zl. 98/01/0011).
Im vorliegenden Fall erfüllen nur die Verurteilungen des Erstbeschwerdeführers vom 11. April 2000 und vom 25. März 2004 den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z 2 StbG. Beide Verurteilungen sind aber bereits vor Erlassung des Zusicherungsbescheides vom 19. November 2004 vorgelegen, sodass diese die belangte Behörde nicht zum Widerruf der Zusicherung gemäß § 20 Abs. 2 StbG berechtigten.
Ein Widerruf der Zusicherung war im Beschwerdefall aber auch im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht berechtigt: Richtig ist zwar, dass die dritte von der belangten Behörde angeführte gerichtliche Verurteilung des Erstbeschwerdeführers vom 4. Mai 2005 erst nach Erlassung des Zusicherungsbescheides erfolgte. Jedoch knüpft der Hinderungsgrund des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht an die gerichtliche Verurteilung, sondern an das Verhalten des Einbürgerungswerbers an (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 30. August 2005; aus jüngster Zeit das hg. Erkenntnis vom 22. August 2006, Zl. 2005/01/0026, mwN). § 20 Abs. 2 StbG bietet daher keine Grundlage für den Widerruf der Zusicherung und die gleichzeitige Abweisung des Verleihungsantrages nach § 10 Abs. 1 Z 6 leg. cit., wenn das maßgebliche Fehlverhalten im Zeitpunkt der Erlassung des Zusicherungsbescheides bereits vorgelegen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2006, Zl. 2005/01/0316, mit Verweis auf das zitierte hg. Erkenntnis vom 30. August 2005). Im vorliegenden Fall datiert das von der belangten Behörde zur Begründung eines Verleihungshindernisses nach § 10 Abs.1 Z 6 StbG herangezogene Fehlverhalten des Erstbeschwerdeführers vom 8. März 2004 und ist daher im Zeitpunkt der Erlassung des Zusicherungsbescheides bereits vorgelegen.
Die belangte Behörde hat daher den angefochtenen Bescheid insoweit mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
4. Die belangte Behörde hat darüber hinaus angenommen, dass ein gegen den Erstbeschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides anhängiges Strafverfahren wegen des Verdachtes der gefährlichen Drohung (§ 107 Abs. 2 StGB) und des Betruges (§ 146 StGB) auf Grund der tatbestandsmäßigen Androhung einer Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren bzw. 6 Monaten das (zwingende) Verleihungshindernis des § ?0 Abs. 1 Z 4 StbG erfüllte.
Dagegen bringt die Beschwerde vor, dass dieses Strafverfahren mit einem Freispruch des Beschwerdeführers geendet habe.
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass gegen den Erstbeschwerdeführer laut Auskunft der Staatsanwaltschaft Graz ein Strafantrag eingebracht worden sei und die Verhandlung für den 16. September 2005 anberaumt worden sei. Davon ausgehend hätte es näherer Feststellungen bedurft, ob dieses Strafverfahren zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides überhaupt noch anhängig war. Mit ihrem Vorbringen zeigt die Beschwerde die Relevanz dieses Verfahrensfehlers auf, da im Falle eines rechtkräftigen Freispruches des Erstbeschwerdeführers in der Hauptverhandlung am 16. September 2005 kein Strafverfahren iS des § 10 Abs. 1 Z 4 StbG anhängig gewesen wäre.
Daher hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid insoweit mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
5. Der angefochtene Bescheid war somit wegen seiner - vorrangig aufzugreifenden - Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 14. November 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005010665.X00Im RIS seit
12.12.2006