TE Vwgh Beschluss 2006/11/14 2006/03/0149

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Veröffentlicht am 14.11.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
91/01 Fernmeldewesen;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
TKG 2003 §37 Abs2;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Handstanger und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über den Antrag der T GmbH in W, vertreten durch Droda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 10, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde gegen den Bescheid der Telekom-Control-Kommission vom 21. August 2006, Zl M 8/05-31, betreffend Feststellung beträchtlicher Marktmacht und Auferlegung spezifischer Verpflichtungen nach dem TKG 2003, den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

Begründung

Mit dem der Beschwerdeführerin am 22. August 2006 zugestellten Bescheid vom 21. August 2006 hat die Telekom-Control-Kommission gemäß § 37 Abs 2 TKG 2003 festgestellt, dass die Beschwerdeführerin auf dem Vorleistungsmarkt "Terminierung in das feste öffentliche Telefonnetz der T GmbH" gemäß § 1 Z 8 TKMVO 2003 über beträchtliche Marktmacht verfüge, und der Beschwerdeführerin eine näher dargestellte spezifische Verpflichtung gemäß § 42 Abs 1 TKG 2003 auferlegt.

Mit dem vorliegenden, am 11. Oktober 2006 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragt die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den genannten Bescheid.

Begründet wird dieser Antrag im Wesentlichen wie folgt:

In der Kanzlei der Beschwerdevertreterin würden sämtliche Gerichts- und Behördentermine sowie -fristen von einer speziell dafür instruierten Kanzleikraft in einem "Fristenbuch" vermerkt; auf dem Schriftstück würde ein entsprechender Vermerk angebracht und dieses in der Folge dem zuständigen Rechtsanwalt vorgelegt. Dieser überprüfe den Fristeneintrag, vermerke die Frist in seinem persönlichen Kalender und leite das Schriftstück dann, sofern er es nicht selbst bearbeite, an den Zuständigen weiter. Rechtsanwaltsanwärter hätten die strikte Weisung, fristgebundene Schriftsätze ehest möglich auszuarbeiten und dem zuständigen Rechtsanwalt spätestens zwei Tage vor Fristablauf zur Unterschrift vorzulegen. Nach Vorlage des Schriftsatzes werde dieser regelmäßig vom zuständigen Rechtsanwalt auf inhaltliche Richtigkeit hin kontrolliert, allenfalls überarbeitet, korrigiert sowie unterfertigt und an das zuständige Sekretariat zur Abfertigung gegeben. Die Sekretärin des Rechtsanwaltes fertige vom unterschriebenen Schriftstück eine Kopie für den Akt an und kuvertiere und frankiere das Original samt Beilagen. Ein eingeschrieben zu versendendes Poststück werde von der Sekretärin in weiterer Folge in das Postbuch eingetragen. Daraufhin lege die Sekretärin das Kuvert in die dafür vorgesehenen Ausgangspostfächer. Eine Kontrolle der Abfertigung erfolge so lange, bis die Kanzleimitarbeiter ihre Zuverlässigkeit durch fehlerlose Arbeit bewiesen hätten. Bei erfahrenen und stets zuverlässigen Mitarbeitern erfolge dann eine Nachkontrolle der Vorgänge der Kuvertierung und Absendung immer noch stichprobenartig. Die Ausgangspost werde von bei der Beschwerdevertreterin beschäftigten Studenten täglich um etwa

18.30 Uhr zur Post gebracht. Falls ein an einem bestimmten Tag fristgebundenes Schriftstück nicht so rechtzeitig fertiggestellt werden könne, dass es der zuständige Student beim abendlichen Postgang mitnehmen könne, sei es Aufgabe des den Akt betreuenden Rechtsanwaltes bzw auf dessen ausdrückliche Weisung hin eines Rechtsanwaltsanwärters oder einer Abendsekretärin, das Schriftstück persönlich zur Post zu bringen, damit die Frist gewahrt werde. Werde ein Rechtsanwaltsanwärter bzw eine Abendsekretärin in diesem Sinne beauftragt, habe der Betreffende den Rechtsanwalt zu verständigen, wenn er die Kanzlei mit dem Schriftstück zwecks Aufgabe bei der Post verlasse. Erst nach dieser Bestätigung trage der Rechtsanwalt den entsprechenden Fristvermerk im Fristenbuch aus. Auch Rechtsanwaltsanwärter und Abendsekretärinnen würden anlässlich ihrer Einstellung speziell in der Abfertigung und Postaufgabe von fristgebundenen Schriftstücken geschult und solange kontrolliert, bis sie ihre Zuverlässigkeit durch fehlerlose Arbeit bewiesen hätten. Einschreiben, die in dieser Form zur Post gebracht würden, würden nicht in das - für den betreffenden Tag schon abgestempelte - Postbuch eingetragen, vielmehr würde von der zuständigen Abendsekretärin auf Anweisung des zuständigen Rechtsanwalts für jedes abzufertigende Schriftstück ein eigener Aufgabeschein ausgefüllt, der anlässlich der Postaufgabe von der Post abgestempelt werde. Der abgestempelte Aufgabeschein werde am nächsten Tag der Sekretärin des zuständigen Rechtsanwaltes übergeben, die ihn im jeweiligen Akt zum Nachweis der fristgerechten Aufgabe des Schriftstückes ablege.

Trotz der Einhaltung dieses Postaufgabesystems, das bis zum 3. Oktober 2006 zu keinem Fehlverhalten geführt habe, sei es im Beschwerdefall dazu gekommen, dass die Beschwerde nicht zeit- und fristgerecht aufgegeben worden sei:

Nachdem der zuständige Rechtsanwalt Dr. P den von einem Rechtsanwaltsanwärter vorbereiteten, ihm am 28. September 2006 (drei Werktage vor Fristablauf) übergebenen Beschwerdeentwurf überarbeitet und ergänzt habe, sei die Beschwerde - wegen starken Arbeitsanfalls - erst um ca 19.30 Uhr des letzten Tages der Beschwerdefrist (3. Oktober 2006) fertiggestellt worden. Dr. P habe deshalb den ordnungsgemäß unterfertigten Schriftsatz in der erforderlichen Anzahl und samt Anlagen der zuständigen Abendsekretärin K zur Abfertigung bzw Kuvertierung übergeben und sie ausdrücklich angewiesen, den Schriftsatz zur Abfertigung vorzubereiten und noch vor 22 Uhr desselben Tages bei der Postfiliale Fleischmarkt eingeschrieben aufzugeben. Er habe sie weiters ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei der Beschwerde um eine Fristsache handle, die jedenfalls noch am selben Tag aufzugeben sei. Diesem Auftrag sei Frau K auch insoferne nachgekommen, als sie eine Kopie für den Kanzleiakt angefertigt, das Original der Beschwerde kuvertiert, frankiert und einen Aufgabeschein ausgefüllt habe. Daraufhin habe sie den Schriftsatz samt Aufgabeschein in ihrer Tasche, in der sie bereits mehrere (private) Skripten und Bücher aufbewahrt habe, verstaut. Während einer Arbeitspause ca zwischen 20.15 Uhr und 20.45 Uhr habe Frau K unter Zuhilfenahme dieser Unterlagen für eine am 9. Oktober 2006 anstehende große Prüfung, die sie in ihrem parallel zu ihrer beruflichen Tätigkeit betriebenen Physikstudium zu absolvieren gehabt habe, gelernt. Als sie diese Unterlagen nach der Pause wieder in ihrer Tasche verstaut habe, habe sie sie irrtümlich in das selbe Fach gesteckt, in dem sich bereits die Bescheidbeschwerde befunden habe, obwohl sie normalerweise die für die Postaufgabe bestimmten Schriftstücke penibel von den in ihrer Tasche verstauten privaten Dingen trenne. Am selben Abend seien ihr noch von anderen Rechtsanwälten bereits abgefertigte Schriftstücke übergeben worden, die ebenfalls noch vor 22 Uhr beim Postamt aufgegeben werden sollten. Frau K habe diese Schriftstücke in einem anderen Fach ihrer Tasche deponiert, sei um ca 21.15 Uhr - nachdem sie zuvor Rechtsanwalt Dr. P von ihrem Aufbruch zum Postamt zwecks Aufgabe des Beschwerdeschriftsatzes in Kenntnis gesetzt habe - zur Postfiliale aufgebrochen, habe dort aber nur die sonstigen zu versendenden Poststücke ihrer Tasche entnommen und dem Postbediensteten übergeben. Da sich die Bescheidbeschwerde nicht im gleichen Fach, in dem auch die anderen Poststücke untergebracht gewesen seien, befunden habe, sondern im anderen Fach von den Studienunterlagen verdeckt gewesen sei, habe Frau K diese übersehen und sie nicht zusammen mit der anderen Post aufgegeben. Dieses Missgeschick sei erst am nächsten Tag beim Auspacken der Tasche entdeckt worden. Daraufhin habe Frau K unverzüglich Rechtsanwalt Dr. P von diesem Versehen verständigt, der daraufhin den Wiedereinsetzungsantrag verfasst habe.

Dieses Vorbringen wurde durch die Vorlage zweier eidesstättiger Erklärungen von Dr. P und Frau K bescheinigt.

Gemäß § 46 Abs 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Dabei stellt ein einem Rechtsanwalt widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein bevollmächtigter Vertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass auch die richtige Vormerkung und Wahrnehmung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen, etwa die fristgerechte Einbringung von Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, nach menschlichem Ermessen gesichert ist. So gehört es etwa zu den Organisationserfordernissen, dass in der Kanzlei des Parteienvertreters eine Kontrolle der Terminwahrnehmung stattfindet, die gewährleistet, dass fristgebundene Schriftsätze tatsächlich erstattet und abgefertigt werden (vgl den hg Beschluss vom 28. Februar 2006, Zl 2006/03/0016). Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist letzterem (und damit auch der Partei) nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle über den Angestellten unterlassen hat. Unterläuft einem sonst immer zuverlässig arbeitenden Angestellten erst im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Die Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt aber nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Ein Rechtsanwalt kann vielmehr rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen (vgl den hg Beschluss vom 15. März 2006, Zl 2006/18/0045).

Vor diesem Hintergrund erweist sich das bescheinigte Vorbringen der Beschwerdeführerin als zielführend: Zur Versäumung der Beschwerdefrist ist es nur wegen eines Fehlers der Kanzleiangestellten bei der Abfertigung gekommen (versehentliche Einreihung privater Unterlagen zu dem abfertigungsbereiten Beschwerdeschriftsatz, der in der Folge bei Abgabe der übrigen Schriftstücke auf der Post übersehen wurde). Eine Verletzung der Organisations- oder Überwachungspflichten fällt den Organen der Beschwerdevertreterin nicht zur Last.

Im Hinblick darauf war dem Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 46 Abs 1 und 4 VwGG stattzugeben.

Wien, am 14. November 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006030149.X00

Im RIS seit

23.01.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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