Index
24/01 Strafgesetzbuch;Norm
StGB §3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 9. September 2004, Zl. UVS- 02/11/1451/2004/64, betreffend § 67a Abs. 1 Z 2 AVG (mitbeteiligte Partei: R J in W, vertreten durch Dr. Ingo Riß, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Seidengasse 28), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die mitbeteiligte Partei hat den Verfahrensaufwand vor dem Verwaltungsgerichtshof selbst zu tragen.
Begründung
Der Ehemann der Mitbeteiligten, N V J (im Folgenden kurz: N.J.), wurde am 11. Jänner 2004 im Zuge eines Polizeieinsatzes in der Wiener Innenstadt von einem Polizeibeamten erschossen.
Wegen dieses Vorfalles erhob die Mitbeteiligte mit Schriftsatz vom 19. Februar 2004 eine Maßnahmenbeschwerde an die belangte Behörde, die mit dem angefochtenen Bescheid den bekämpften Verwaltungsakt, "nämlich die Erschießung des Ehegatten der ... (Mitbeteiligten) durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien am 11.1.2004 für rechtswidrig" erklärte und der Mitbeteiligten Kostenersatz zusprach.
Dieser Entscheidung legte sie folgenden Sachverhalt zu Grunde (die im Folgenden in (...) zum besseren Verständnis vorgenommenen Korrekturen finden sich im Original nicht):
"Der Bf (hier und im Folgenden jeweils gemeint: N.J.) hatte unmittelbar vor dem beschwerdegegenständlichen Tatzeitpunkt mehrere Verkehrsunfälle gesetzt, wobei Sachschaden entstanden war. Dabei war (er) von dem Taxilenker K(...) mit einem Messer in der Hand wahrgenommen und der Polizei gemeldet worden. Auch (gemeint: Auf) seiner Flucht (Fahrerflucht gemäß § 4 StVO 1960) war er gegen die Einbahn der Augustinerstraße von der Oper kommend bis in Höhe Dorotheergasse gefahren u(nd) hatte das Fzg (Fahrzeug) verlassen. Dort war er, an die Mauer gepreßt, in einer Nische des Seiteneinganges der Augustinerkirche (jene mit gotischem Portal) von zwei Polizeikräften der Einheit WEGA (als Erstintervenienten) angetroffen worden. Einer der Beamten hatte ein Plexiglasschild zur Sicherung in der Hand. Der Bf hatte das Messer vor der Brust mit beiden Händen gehalten, jedoch weder Stichbewegungen noch einen Angriff gegen die Polizeibeamten gesetzt. Auch (gemeint: Auf) die wiederholten Zurufe die Waffe fallen zu lassen hatte er nicht reagiert. Nach einiger Zeit war er zurück in den in einiger Entfernung stehenden LKW eingestiegen, ohne von Polizeikräften daran gehindert worden zu sein. Nach einem kurzen Fahrmanöver, welches durch abgestellte Polizeifahrzeuge behindert war, endete der Fahrversuch des Bf. Die Polizeikräfte schlugen mit einem Einsatzstab gegen die Windschutzscheibe, wodurch diese auf der Beifahrerseite zerbarst und konnten schließlich mehrere Dosen Pfefferspray in das Wageninnere einbringen. Dies bedingte (oder mitbedingte zumindest) das Verlassen des LKW durch den Bf und seinen Fluchtversuch in die Passage der Augustinerkirche. Der Einsatz des Pfeffersprays wurde von der Polizei auch in diesem Verfahren als unwirksam dargestellt. Dort traf er zunächst auf den WEGA-Beamten KA, welcher angesichts des Zulaufens des Bf auf ihn einen Warnschuss (bzw. Schreckschuss) abgab. Eine unmittelbar(e) Attacke des Bf auf Insp. KA ist nicht erwiesen. Beim Zurücklaufen in die Passage Richtung Josefsplatz soll der Bf auf Insp. KÜ gestoßen sein. Hiefür gibt es keine gesicherten Beweise; geschweige denn für die behauptete Messerattacke gg. (gegen) Insp. KÜ. Faktum ist, dass der Bf beim Verlassen der Passage, josefsplatzseitig von (BzI) G durch einen Schuss aus der Dienstwaffe tödlich getroffen wurde. Der gesamte Einsatz dauerte laut Funkprotokoll von 22.43 Uhr, Alarmierung der Einsatzkräfte bis 22.51 Uhr, Verständigung des Rettungsdienstes."
Beweiswürdigend hielt die belangte Behörde dazu Folgendes fest:
"Vorauszuschicken ist, dass die Darstellung der belangten Behörde sowohl in der von ihr vorgelegten Gegenschrift ... als auch in der von ihr verfassten Anzeige an die Staatsanwaltschaft Wien auf Basis der Meldung des Polizeischützen erstattet wurde und durch die vorliegenden Beweise keine Unterstützung erhalten konnte; besonders durch die Aussagen der privaten Personen, welche vom gegenüberliegenden Wohnhaus den Polizeieinsatz mitverfolgt hatten, wird die von den Polizeikräften versuchte Darstellung der Messerattacken widerlegt. Von den Polizeikräften erachtet die erkennende Behörde lediglich die Aussagen der Einsatzkräfte der Spezialeinheit WEGA für glaubwürdig. Diese legten vor der erkennenden Behörde ein offenkundig auf fundierter Schulung beruhendes taktisches Einschreiten gegenüber dem Bf glaubwürdig und schlüssig dar. Diesen Beamten war es auch gelungen, durch eine gewisse Abgrenzung des Bf in einer Eingangsnische an der Seite der Augustinerkirche den Bf längere Zeit ruhig zu halten und somit den Versuch zu unternehmen, die Situation zu deeskalieren. Zweifelhaft bleibt lediglich, weshalb die mittlerweilen verstärkten Einsatzkräfte den Bf nicht bereits am Wiederbesteigen seines Fahrzeuges hinderten, oder wenigstens einen geeigneten Versuch dazu unternommen hatten. Dies ist als taktischer Fehler anzumerken. Zumal es als erwiesen anzusehen ist, dass er weder innerhalb der Nische, noch bei seinem Zurückrennen zum Auto eine aggressive Handlung gegen die Polizeikräfte setzte, wäre der Einsatz von weniger gefährlichen Waffen, insbesondere in Anwendung des Schutzschildes durchaus indiziert gewesen. Als zu dieser Beweis- und Sachlage völlig konträr und widersprüchlich ist die Aussage des vermeintlich bedrohten (RvI) KÜ zu sehen im Verbund der vor Gericht getätigten Aussage des Polizeischützen, wonach der Bf bereits in der Nische mit dem Messer aggressiv gestikuliert haben soll.
Auf Basis der Aussagen der beobachtenden Privatpersonen gelangte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien zu obiger Feststellung, dass sich der Bf in der Passage ruhig, teilnahmslos und ängstlich verhielt; hingegen wirkte das Einschreiten der Organe unstrukturiert. Maßgeblich ist im Zusammenhang der Beurteilung der Aggressivität des Bf auch die Tatsache, dass der WEGA-Beamte KA offenkundig mit der Abgabe eines Warnschusses das Auslangen fand, wobei Sekunden später der Polizeischütze den lebensgefährdenden Waffengebrauch als einziges Mittel der Nothilfe plausibel machen wollte. Die Nothilfesituation, das ist die Verfolgung des Insp. KÜ durch den Bf in der Passage, ist durch keine Zeugenaussage und keine Beweise unterlegt. Obwohl Insp. KA eine nicht unerheblichen Einblick in die Passage hatte, konnte dieser die lediglich von Insp. KÜ geschilderten Verfolgungshandlungen (in der Form der Messerattacke des Bf gegen Insp. KÜ) vor der erkennenden Behörde nicht bezeugen. Ebenso wenig hatten einige Beamten trotz ihres Standortes und Aufenthaltes im Bereich des Josefsplatzes von der vermeintlichen Verfolgung des Insp. KÜ durch den Bf keine Wahrnehmung gehabt. Die geschilderte Nothilfesituation ist somit für die erkennende Behörde weder nachvollziehbar und schlicht unglaubwürdig. Auch das Sachverständigengutachten konnte diese im Dunkeln gelegene Frage nicht erhellen, da sie lediglich die Schussabgabe in Bezug auf den Bf, nicht jedoch dessen vermeintlichen Angriff auf KÜ beleuchtet.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat bereits im Fall des zu Tode gekommenen Cheibani Wague am 29.1.2004 ... die Feststellung getroffen, dass bei Beschwerden, welche nach Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG untersucht werden, das Nichtmitwirken der Organe der belangten Behörde bzw. die Verweigerung der ihnen angelegenen Zeugenaussage als Eingeständnis eines Fehlverhaltens und somit zum Nachteil der Behörde zu würdigen sei.
Zur Schussabgabe selbst ist auf die Ausführungen des Schußsachverständigen zu verweisen, wonach eine Trefferstreuung in Bezug auf Fehlerquellen der Waffe und Munition und respektive des Schützen gegeben ist. In bezug auf den Polizeischützen liegen jedoch keinerlei Informationen seines Schieß- und Ausbildungs- und Schulungsstandes vor. Darauf hatte der Sachverständige ausdrücklich hingewiesen. Der Umstand der subjektiven Tatumstände des Polizeischützen ist vom Gericht im Rahmen des dort anhängigen Strafverfahrens gegen den Polizeischützen zu beurteilen. Unter Einbeziehung der sachkundig erläuternden Trefferstreuung ist die von (gemeint offenbar: vor) der belangten Behörde dargelegte Version des Schusses auf den Bf, welcher in äußerst geringem Abstand Insp. KÜ verfolgt haben soll, widerlegt, als diesfalls - die Messerattacke des Bf zu Grunde legend - die Gefahr eines Treffers bei einem Unbeteiligten, ja sogar des Polizeikollegen viel zu hoch gewesen wäre und der selbst in Bewegung, somit dynamischem Ablauf, befindliche Polizeischütze ein derartiges unabschätzbares Risiko keinesfalls auf sich genommen hätte."
Rechtlich würdigte die belangte Behörde den festgestellten Sachverhalt nach Anführung der einschlägigen Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes (WaffGG), der §§ 29 und 33 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) sowie des Art. 2 EMRK dahingehend, dass sie die Verhältnismäßigkeit des gesetzten "lebensgefährdeten" (gemeint: lebensgefährdenden) Waffengebrauches nicht als gegeben erachte. "In Ansehung der getroffenen Sachverhaltsfeststellung, dass kein gefährlicher Angriff, und schon gar nicht die behaupteten Stichbewegungen vom Bf ausgingen", gelangte die belangte Behörde zu der Auffassung, dass auf Basis des § 4 WaffGG ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen, "etwa in Anwendung von Körperkraft unter Einbeziehung des Schutzschildes oder sonstiges Habhaftwerden des Bf, etwa beim Verharren in der Nische oder beim Versuch, das Fahrzeug zu besteigen, oder daraus wieder zu entkommen, durchaus indiziert gewesen" wären. Es sei nicht eingewandt worden, dass etwa die Verfügbarkeit mindergefährlicher Waffen nicht gegeben gewesen wäre; das Beweisverfahren habe vielmehr ergeben, "dass Einsatzstab, Pfefferspray (wenn gleich wiederum nicht effektiv einsetzbar), Plexiglasschild vorhanden waren. Auch Schutzkleidung gegen allfällige Messerattacken" sei mitgeführt worden. Die Abgabe des Warnschusses durch den Beamten KA belege aus Sicht der belangten Behörde den Umstand, "dass ungeachtet der Bewaffnung des Bf keine unmittelbare Aggressivität von diesem ausgegangen war, weshalb dem (gemeint: für den) Einsatz mindergefährl(licher) Waffe(n) ausreichend Raum verblieben wäre. Bei Verneinung der Aggressivität und somit eines Angriffes durch den Bf" seien jedoch "die Parameter für die Setzung eines lebensgefährdenden Waffengebrauches nach § 7 (WaffGG) nicht als erfüllt anzusehen. Das Vorliegen einer Notwehr- oder Nothilfesituation sei nicht erwiesen worden. Es könne somit weder von einem gerechtfertigten, noch verhältnismäßigen Waffengebrauch ausgegangen werden.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Amtsbeschwerde, zu der die Mitbeteiligte eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 2 WaffGG 1969, BGBl. Nr. 149, idF des Strafrechtsanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 422/1974, dürfen Organe der Bundespolizei, der Bundesgendarmerie und der Gemeindewachkörper in Ausübung des Dienstes nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes von Dienstwaffen Gebrauch machen, und zwar u.a. gemäß Z 1 leg. cit. im Falle gerechter Notwehr. § 7 Z 1 WaffGG legt fest, dass der mit Lebensgefährdung verbundene Gebrauch einer Waffe gegen Menschen im Falle gerechter Notwehr zur Verteidigung eines Menschen zulässig ist. Unter "Notwehr" im Sinne dieser Gesetzesstelle ist nach der insoweit maßgeblichen Legaldefinition des § 3 StGB (vgl. dazu OGH vom 16. Oktober 1986, SSt 57/78 = EvBl 1987/114) auch die Nothilfe, also die Abwehr eines gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriffes auf einen Dritten, zu verstehen.
Im vorliegenden Fall berief sich die vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat belangte Bundespolizeidirektion Wien auf ein Nothilferecht des Schützen des tödlichen Schusses (BzI H G), weil - so die sinngemäße Zusammenfassung ihres Standpunktes in der Gegenschrift an die belangte Behörde - N.J. einen Sicherheitswachebeamten in kurzer Distanz verfolgt und mit seinem Messer zuzustechen gedroht hatte. Diese behauptete Nothilfesituation wurde von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid verneint. Zu Recht macht die Amtsbeschwerde geltend, dass die in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen eine abschließende Beurteilung dieser Frage nicht zulassen und die zu Grunde liegende Beweiswürdigung einer Schlüssigkeitsprüfung nicht Stand hält.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Feststellungen der belangten Behörde zur Vorgeschichte des Waffengebrauches in ihrer Kürze und Formulierung nicht geeignet sind, die Gefährlichkeit von N.J. in der damaligen Situation beurteilen zu können. Sie beschränken sich darauf, dass N.J. schon anlässlich des vorangegangenen Verkehrsunfalles mit einem Messer in der Hand wahrgenommen worden und dann bis in Höhe Dorotheerstraße gefahren sei, dort das Fahrzeug "verlassen" habe und anschließend "an die Mauer gepresst in einer Nische des Seiteneinganges der Augustinerkirche ... von zwei Polizeikräften der Einheit WEGA ... angetroffen wurde", wo er zwar das Messer "vor der Brust in beiden Händen gehalten", jedoch "weder Stichbewegungen noch einen Angriff gegen die Polizeibeamten gesetzt" hätte. Keine Erwähnung findet, in welcher psychischen Verfassung sich N.J. zum damaligen Zeitpunkt befand, und dass es - folgt man den Aussagen der beiden einschreitenden WEGA-Polizeibeamten - schon vor dem Zusammentreffen im Bereich einer Nische der Augustinerkirche beim Verlassen des Fahrzeuges durch N.J. zu einem ersten Kontakt mit den Polizeibeamten gekommen war, bei dem nach den übereinstimmenden Angaben der WEGA-Beamten von N.J. bereits eine Messerattacke gegen einen von ihnen, nämlich RvI KA, gesetzt worden sein soll. Dass die belangte Behörde diesen Aussagen keinen Glauben schenken wollte, ist ihrer Beweiswürdigung nicht (schlüssig) zu entnehmen, hielt sie doch fest, dass "von den Polizeikräften ... lediglich die Aussagen der Einsatzkräfte der Spezialkräfte WEGA für glaubwürdig" erachtet wurden, weil diese "vor der ... Behörde ein offenkundig auf fundierter Schulung beruhendes taktisches Einschreiten gegenüber dem Bf glaubwürdig und schlüssig" dargelegt hätten. Damit (scheinbar) im Widerspruch steht allerdings die vorangehende Erwägung der belangten Behörde, die "Aussagen der privaten Personen, welche vom gegenüberliegenden Wohnhaus den Polizeieinsatz mitverfolgt hatten", würden "die von den Polizeikräften versuchte Darstellung der Messerattacken" widerlegen. Ob die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auch den oben erwähnten von den WEGA-Beamten angegebenen ersten Angriff von N.J. gegen RvI KA beim Verlassen des Fahrzeuges gemeint hatte, lässt sich der Begründung des Bescheides nicht zweifelsfrei entnehmen. Sollte die belangte Behörde auch diese angebliche Attacke durch die Aussagen "unbeteiligter Privatpersonen" als widerlegt angesehen haben, wäre diese Beweiswürdigung - abgesehen vom zuvor aufgezeigten Widerspruch, wonach die WEGA-Beamten als glaubwürdig eingeschätzt wurden - auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil sich die Angaben dieser Privatpersonen primär auf das Geschehen während des Aufenthaltes von N.J. in der Nische im Bereich der Augustinerkirche bezogen und die vorangegangenen Ereignisse - wie von den WEGA-Beamten ausgesagt - dadurch nicht ohne Weiteres widerlegt wurden. Dass N.J. - wie die unbeteiligten Zeugen unter anderem vor der belangten Behörde zu Protokoll gaben - während seines Aufenthaltes in dieser Nische keine Messerattacken vornahm, wurde im Übrigen von den WEGA-Beamten bestätigt und könnte daher nicht als Grund dafür herangezogen werden, deren Glaubwürdigkeit (hinsichtlich der behaupteten Messerattacken bei anderer Gelegenheit) in Zweifel zu ziehen.
Aus den selben Gründen erweist sich auch die (negative) Feststellung der belangten Behörde, "eine unmittelbar(e) Attacke des Bf auf Insp. KA" sei im weiteren Verlauf des Vorfalles (vor Abgabe des Warnschusses) "nicht erwiesen", als unschlüssig begründet. So hatte RvI KA vor der belangten Behörde (im Wesentlichen gleichlautend mit früheren Aussagen) wörtlich angegeben:
"Der Bf (N.J.) blieb in der Passage und versuchte ich wiederum mittels Täteransprache ihn zum Aufgeben zu bewegen. Er lief jedoch plötzlich mit erhobenem Messer auf mich zu. Das war eine sehr gefährliche Situation. Er lief direkt auf mich zu. Er hielt dabei das Messer in Kopfhöhe ... in dieser Situation entschloss ich mich zur Abgabe eines Warnschusses."
Dieser Aussage eines von der belangten Behörde - wie bereits mehrfach erwähnt - ausdrücklich als glaubwürdig bezeichneten Zeugen standen keine Beweisergebnisse entgegen, die eine Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache indiziert hätten. Insbesondere hatten die von der belangten Behörde angeführten "Privatpersonen" N.J. während seines Aufenthaltes in der Passage - also auch während des von RvI KA geschilderten Angriffes gegen seine Person - ihren Angaben zufolge nicht wahrnehmen können. Die belangte Behörde bleibt daher eine nachvollziehbare Erklärung dafür schuldig, warum sie die Messerattacke von N.J. gegen RvI KA - entgegen seiner Aussage - als nicht erwiesen ansah.
Zur behaupteten Nothilfe traf die belangte Behörde lediglich die Feststellung, N.J. solle "beim Zurücklaufen in die Passage Richtung Josefsplatz ... auf Insp. KÜ gestoßen sein". Hiefür gebe es - so die belangte Behörde weiter - "keine gesicherten Beweise; geschweige denn für die behauptete Messerattacke gg. Insp. KÜ", die nach Angabe des Schützen Ursache für den tödlichen Schuss auf N.J. gewesen sein soll. Beweiswürdigend hielt die belangte Behörde dazu unter anderem fest, die Nothilfesituation, also die Verfolgung des RvI KÜ durch N.J., sei durch "keine Zeugenaussagen und Beweise unterlegt". Dem ist entgegen zu halten, dass etwa RvI KÜ von einer Verfolgung seiner Person durch N.J. (mit gezogenem Messer) gesprochen und diese Situation als ausgesprochen bedrohlich geschildert hatte (vgl. seine Aussage vor der belangten Behörde wörtlich: "Der Bf (N.J.) drehte sich ... blitzartig um und stand nur in kurzer Entfernung vor mir. Ich dachte mir, das ist eine blöde Situation, weil ich aus der Polizeischule wusste, dass man bei einer Entfernung unter zwölf Meter gegen ein Messer keine Chance hat. ... Deshalb lief ich weg. Ich bekam mit, dass mich der Bf verfolgte. Ich kann jedoch nicht sagen wie knapp. Ich hatte das Gefühl, dass er näher kam. Als ich das Gangende erreichte, machte ich sofort eine Richtungsänderung nach links. Auch dorthin lief mir der Bf noch nach.") Dass der belangten Behörde daher - wie sie ausführte - keine Beweise für das Vorliegen einer Nothilfesituation vorgelegen hätten, trifft nicht zu und wird von ihr selbst in den folgenden Sätzen der Beweiswürdigung (arg.:
..."die lediglich von Inspektor KÜ geschilderten Verfolgungshandlung") zumindest teilweise auch zugestanden. Bei dieser Beweislage hätte es einer eingehenderen Auseinandersetzung mit der Aussage von RvI KÜ bedurft, die dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen ist. Auch konnte die Beweiswürdigung zum Nachteil der vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat belangten Behörde nicht mit dem in dieser Form jedenfalls unhaltbaren Argument erfolgen, die Entschlagung von der Zeugenaussage durch BzI G wegen des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens sei "als Eingeständnis eines Fehlverhaltens" zu werten.
Gegen die Glaubwürdigkeit einer Nothilfesituation führte die belangte Behörde auch mehrfach die Zeugenaussage von RvI KA an. Zunächst verwies sie darauf, dass dieser "offenkundig mit der Abgabe eines Warnschusses das Auslangen" gefunden habe, während "Sekunden später der Polizeischütze den lebensgefährdenden Waffengebrauch als einziges Mittel der Nothilfe plausibel machen" habe wollen. Dieses Argument ist schon deshalb nicht überzeugend, weil der WEGA-Beamte KA auf einen gezielten Schuss gegen N.J. nach eigenen Angaben nur deshalb verzichtet hatte, da letzterer nach dem Warnschuss abrupt stehen geblieben war, sich umgedreht hatte und in die Passage zurückgelaufen war (vgl. die Aussage von RvI KA wörtlich: "Wenn ich noch Zeit gehabt hätte und der Bf (N.J.) weiter in meine Richtung mit dem Messer gelaufen wäre, hätte ich scharf geschossen"). Da RvI KA die (strittige) Verfolgung von RvI KÜ durch N.J. seiner Aussage zufolge nicht wahrgenommen hatte, lag aus seiner Sicht auch kein Grund mehr vor, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Daraus lässt sich aber beweiswürdigend nicht der Schluss ziehen, dass sich für den - am anderen Ende der Passage befindlichen - Schützen BzI G die Situation gleichartig dargestellt hat.
Dass RvI KA die Verfolgung von RvI KÜ durch N.J. - wie zuvor erwähnt - trotz eines "nicht unerheblichen Einblickes in die Passage" nicht wahrgenommen hatte, könnte - wie der belangten Behörde zuzugeben ist - im Rahmen der Beweiswürdigung gegen das Vorliegen der Nothilfesituation sprechen. Allerdings hat sich die belangte Behörde, worauf die Beschwerde zutreffend verweist, mit den Ausführungen des Zeugen RvI KA in diesem Zusammenhang nur teilweise auseinandergesetzt und (zumindest in ihren wiedergegebenen Überlegungen) Umstände außer Acht gelassen, die allenfalls erklären könnten, warum der Zeuge diese Beobachtung nicht machen konnte, obwohl die Verfolgung tatsächlich stattgefunden hatte (vgl. dazu etwa die beim gerichtlichen Lokalaugenschein über die Sichtweite relativierende Aussage von RvI KA: "Ich sah ihn aber nur noch wenige Meter, die Passage ist gekrümmt"; "Es ist denkbar, ... dass ich auch einen Schritt daneben stand." "Auf Grund des Mauervorsprunges ... (war) der rechte Bereich des Durchganges aus meinem Sichtfeld ausgeschlossen.")
Unklar bleibt, welche weiteren Polizeibeamten die belangte Behörde im Auge hatte, wenn sie darauf hinwies, diese hätten "trotz ihres Standortes und Aufenthaltes im Bereich des Josefsplatzes von der vermeintlichen Verfolgung des Insp. KÜ durch den Bf keine Wahrnehmung gehabt." Nach den Beweisergebnissen käme dafür der Zeuge RvI GO in Betracht, der jedoch - wie die Beschwerde richtig releviert - auf das Geschehen erst wieder durch den Schuss aufmerksam geworden war und seine Konzentration im Folgenden nach eigenen Angaben auf den tödlich getroffenen N.J. (nicht aber auf RvI KÜ) gerichtet hatte.
Dass die Schussabgabe durch BzI G - wie die belangte Behörde abschließend vermeint - "unter Einbeziehung der sachkundig erläuterten Trefferstreuung" ein "unabschätzbares Risiko" dargestellt hätte, und zwar insbesondere auch für den verfolgten RvI KÜ, mag zwar zutreffen, ist aber - die Richtigkeit der behaupteten Nothilfesituation unterstellt - für sich betrachtet nicht geeignet, die Beweiswürdigung der belangten Behörde zu Lasten der Bundespolizeidirektion Wien zu tragen.
Zusammenfassend vermochte die belangte Behörde somit in der Begründung ihres Bescheides nicht nachvollziehbar darzulegen, aus welchen Gründen sie die zur Rechtfertigung des lebensgefährdenden Waffengebrauches behauptete Nothilfesituation als nicht bewiesen ansah.
Der angefochtene Bescheid enthält jedoch - ungeachtet der zuvor behandelten Frage des Vorliegens einer Nothilfesituation - auch Kritik an der Abwicklung des Polizeieinsatzes als solchem. So bezeichnete es die belangte Behörde als "taktischen Fehler" der Polizeikräfte, wenn die Einsatzkräfte N.J. nicht "bereits am Wiederbesteigen seines Fahrzeuges" gehindert oder wenigstens einen geeigneten Versuch dazu unternommen hätten. Weiters verwies sie darauf, dass N.J. weder in der Nische noch beim Zurückrennen zum Auto eine aggressive Handlung gegen die Polizeikräfte gesetzt hätte, weshalb der Einsatz weniger gefährlicher Waffen, insbesondere die Anwendung des Schutzschildes, durchaus möglich gewesen wäre. Demnach wären nach Auffassung der belangten Behörde "ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen, etwa in Anwendung von Körperkraft unter Einbeziehung des Schutzschildes oder sonstiges Habhaftwerden des Bf, etwa beim Verharren in der Nische oder beim Versuch, das Fahrzeug zu besteigen oder daraus wiederum zu entkommen" indiziert gewesen. Ob diese von der belangten Behörde angenommenen Fehler der Polizeikräfte - etwa unter dem Gesichtspunkt einer ihnen (mit-)anzulastenden Eskalation der Geschehnisse - dazu führen könnten, dass die Tötung des N.J. selbst dann rechtswidrig gewesen wäre, wenn der Polizeischütze den tödlichen Schuss in Nothilfe abgegeben hätte, braucht derzeit nicht beurteilt zu werden. Zunächst darf nicht übersehen werden, dass es erforderlich ist, die Zweck- und Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen im Zuge des gegenständlichen Polizeieinsatzes aus der Sicht der damals damit befassten Polizeiorgane einzuschätzen. Das vorausgeschickt hat es die belangte Behörde unterlassen, sich bei ihrer Kritik an der Polizeiaktion mit jenen Erklärungen auseinander zu setzen, die beispielweise der Zeuge RvI KA für die gewählte Vorgangsweise gegeben hat (vgl. etwa seine Aussage zur Vorgangsweise zu jener Zeit, als sich N.J. noch in der Nische aufhielt: "Für mich in Erinnerung ist, dass sich der Bf (N.J.) in der Nische ruhig verhielt und mit gesenkten Händen dastand. Daher unternahm ich nochmals den Versuch der Täteransprache, dieses Mal wollte ich beruhigend auf ihn einwirken. Ich dachte schon, der Bf gibt jetzt auf, leistet meinen beruhigenden Anweisungen Folge und dass wir die Situation im Griff hätten. Der Bf lief jedoch plötzlich zurück zum LKW und kletterte bei der Fahrertür hinein. Es ging so schnell, es war keine Möglichkeit das zu verhindern. ... Befragt, ob wir ... (die) Möglichkeit nicht einkalkulieren mussten, dass der Bf in den LKW springt und wegfahren möchte, gebe ich an: Die Situation zuvor in der Nische war so beruhigt. Damit haben wir nicht gerechnet. ... Befragt, zum probaten Mittel gegen einen Angreifer mit Messer: Ich lernte in meiner Ausbildung, dass unter einer Distanz von 12 Metern die Pistole gegen ein Messer ungeeignet ist. Der Messerattentäter ist von der Reaktionszeit schneller und somit überlegen. Befragt, ob der Plexiglasschild gegen das Messer als probates Mittel anzusehen ist, so verneine ich das. Dabei ist eine Hand gebunden, ein Stechen an dem Schutzschild vorbei, sei es seitlich oder oben, ist leicht möglich."). Demnach erweist sich die (unausgesprochene) Annahme der belangten Behörde, die Polizeikräfte hätten im Vorfeld des tödlichen Schusses Maßnahmen unterlassen, die eine Beendigung des Einsatzes ohne Tötung des N.J. ermöglicht hätten, als unzureichend begründet und hält einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht Stand.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz des Mitbeteiligten gründet auf § 58 Abs. 1 VwGG.
Wien, am 14. November 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2004010472.X00Im RIS seit
29.12.2006