TE Vwgh Beschluss 2006/11/17 AW 2006/10/0041

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Veröffentlicht am 17.11.2006
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Index

L55008 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Vorarlberg;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
NatSchG Vlbg 1997 §50 Abs1 idF 2002/038;
NatSchG Vlbg 1997;
VwGG §30 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der Naturschutzanwältin für Vorarlberg in Dornbirn, vertreten durch Dr. J und Mag. M, Rechtsanwälte, der gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 30. August 2006, UVS-327-003/E10-2006, betreffend Zurückweisung einer Berufung (mitbeteiligte Parteien: 1. D GmbH & Co KG, und

2. B GmbH & Co KG, beide vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt), erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 24. Februar 2006 wurde den mitbeteiligten Parteien die Bewilligung für die Errichtung der 8er-Kabinenbahn "F-Bahn", der 6er-Sesselbahn "H", der 6er-Sesselbahn "E" und der 6er-Sesselbahn "R" samt den vorgesehenen Pisten in den Gemeindegebieten von D und M unter verschiedenen Auflagen und Bedingungen erteilt.

Dagegen erhob die beschwerdeführende Partei Berufung.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung mangels Parteistellung der Beschwerdeführerin als unzulässig zurück. In der zu Zl. 2006/10/0206 protokollierten Verwaltungsgerichtshofbeschwerde beantragte die beschwerdeführende Partei die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mit der Begründung, öffentliche Interessen, die eine sofortige Umsetzung des angefochtenen Bescheides gebieten würden, stünden diesem Antrag nicht entgegen. Die Versagung der aufschiebenden Wirkung und damit die Ausübung der Rechte aus dem angefochtenen Bescheid durch die mitbeteiligten Parteien würde einen unverhältnismäßigen Nachteil für die von der Beschwerdeführerin zu vertretenden öffentlichen Interessen bzw. Rechtsgüter darstellen und jeglichen Erfolg der Beschwerde a priori zunichte machen. Dies würde schon deswegen besonders schwer wiegen, weil im ökologisch besonders sensiblen Hochgebirge schon geringe Eingriffe schwer rückgängig zu machen seien und die gegenständlichen Eingriffe und Veränderungen praktisch irreversibel wären. Tiefgreifende Schäden an Natur und Landschaft, seien durch die diversen Amtssachverständigen bestätigt worden und damit aktenkundig. Hervorgehoben sei aus dem Gutachten des Amtssachverständigen für Natur und Landschaftsschutz die Ausführungen, wonach die "F-Bahn" einen landschaftsbildlichen Störfaktor darstelle, diverse Maßnahmen zur Herstellung der Abfahrt aus der Umgebung gesehen katastrophale Auswirkungen hätten und sich die gesamte Anlage für den Naturhaushalt und die Rückzugsmöglichkeiten der Tierwelt als extrem nachteilig darstelle. Die Sesselbahn "H" sei landschaftsbildlich störend und gravierend nachteilig für den Naturhaushalt, massive Störungen für die Wildtiere seien zu erwarten. Die Sesselbahn "E" bringe ebenfalls einen gravierenden landschaftsbildlichen Schaden, der Naturhaushalt werde gestört durch die Verbauung eines naturbelassenen Baches und die Zerstörung eines Flachmoores. Die Sesselbahn "R" werde landschaftsbildlich ebenfalls sehr störend eingestuft. Auch für den Naturhaushalt ergäben sich durch die Nutzung als Schifläche gravierende Nachteile. Insgesamt habe der Amtssachverständige für Naturschutz den Schluss gezogen, das Projekt sei klar negativ zu bewerten, seine Nachteile würden so schwer wiegen, dass sie mit den Interessen von Naturschutz nicht vereinbar seien und auch durch Auflagen und Bedingungen nicht vermindert werden könnten. In der mündlichen Verhandlung habe dieser Gutachter zur " F-Bahn " ausgeführt, dass derart massive und von der landschaftsbildlichen Störwirkung so weithin auffallende Beeinträchtigungen und derart massive Zerstörungen von Lebensräumen, wie sie mit der Errichtung der " F-Bahn " samt Abfahrten verbunden wären, seiner Kenntnis nach in Vorarlberg im Alpinbereich zumindest in den letzten 20 Jahren nicht mehr möglich gewesen sein.

Der wildbiologische Amtssachverständige habe u.a. im erstinstanzlichen Bescheid ausgeführt, das Projekt habe einen intensiv negativen Einfluss auf den Wildlebensraum, der Verlust des natürlichen Lebensraumes führe zu vermehrten Verbissschäden, insgesamt werde es zu einer massiven Verschlechterung des Lebensraums für Wildtiere kommen, wobei die Auswirkungen auf die umliegenden Gebiete mindestens gleich, wenn nicht erheblicher einzustufen seien und eine existenzgefährdende Reduktion der Populationsdichten diverser Arten zu besorgen sei.

Der forsttechnische Amtssachverständige habe ausgeführt, in dieser Hochlage sei jedweder Eingriff in gewachsene Waldstrukturen eine langanhaltende Störung, die Eingriffe seien über Jahrzehnte sichtbar.

Die Sensibilität des Gebietes sei unlängst dramatisch dadurch unter Beweis gestellt worden, dass Mitte September 2006 ein stärkerer Regen, der jedoch nicht mit den extremen Niederschlägen des Jahrhundertereignisses 1999 (bzw. 2005) verglichen werden könne, im Bereich der projektierten Sesselbahn "H" zu großflächigen Geländerutschungen geführt habe.

Das Projekt erfasse eine vom Fremdenverkehr praktisch unberührte Gegend, die nach dem gültigen Tourismuskonzept des Landes Vorarlberg dem Fremdenverkehr eigentlich gar nicht zugänglich gemacht werden sollte. Dort heiße es im Übrigen:

"Vorarlberg besitzt eine so hohe Dichte an Aufstiegshilfen, dass sich die Vorarlberger Landesregierung dezidiert gegen jede Neuerschließung von Schigebieten bzw. Ausweitung in neue Landschaftskammern ausgesprochen hat."

Die im Bewilligungsbescheid beschriebenen baulichen Maßnahmen, Rodungen, großflächige Geländeveränderungen etc. stellten somit sowohl für den Naturhaushalt wie auch für das Landschaftsbild nachhaltig negative Folgen dar.

Die Bewilligung durch die erste Instanz sei das Produkt einer verfehlten Interessenabwägung bzw. mangelnden Alternativenprüfung. Folge man der rechtlichen Auffassung der Bezirkshauptmannschaft Bregenz, würden wirtschaftliche Interessen jene des Naturschutzes immer prävalieren. Dies sei mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen. Ein unverhältnismäßiger Nachteil liege nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. AW 2003/10/0014 zum Salzburger NatSchG) vor, wenn zumindest die Möglichkeit nachteiliger Wirkungen durch den Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts, welche die Schwelle der Unverhältnismäßigkeit erreichten, bestehe. Die Überschreitung dieser Erheblichkeitsschwelle sei durch das Vorhaben der mitbeteiligten Parteien unzweifelhaft gegeben.

Die belangte Behörde erstattete keine Stellungnahme, sondern wies in ihrer Gegenschrift darauf hin, dass sie über den erstinstanzlichen Bescheid nicht meritorisch entschieden und die durch das beantragte Vorhaben berührten öffentlichen Interessen nicht geprüft habe. Hinsichtlich der für und gegen das Vorhaben sprechenden öffentlichen Interessen werde daher auf den erstinstanzlichen Bescheid verwiesen.

Die mitbeteiligten Parteien sprachen sich gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung aus. Das erste Projekt für eine Verbindung der Gebiete D und M datiere aus dem Jahr 1981. Schon wegen der langen und intensiven Vorarbeiten würde jede weitere Verzögerung abgelehnt.

Im vorliegenden Verfahren gehe es ausschließlich um die Frage der Rechtsmittellegitimation der beschwerdeführenden Partei. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 50 Abs. 4 lit. a des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftsentwicklung sei die Beschwerdeführerin nicht rechtsmittellegitimiert.

Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin hätten die Bäche in D im September 2006 nach den Aufzeichnungen der Gemeinde 30 % mehr Wasser als 1999 und 2005 geführt. Die geologische Situation sei ihm Rahmen des Verfahrens sowohl vom Amtssachverständigen als auch von drei weiteren Fachleuten untersucht worden. Die nun im September 2006 aufgetretenen, oberflächlichen Rutschungen seien in den Gutachten bereits berücksichtigt worden.

Der Zuerkennung aufschiebender Wirkung stünden zwingende öffentliche Interessen entgegen. Mit der Frage dieser öffentlichen Interessen und ihrer Abwägung gegen Aspekte des Natur- und Landschaftsschutzes hätten sich die Behörden des Verwaltungsverfahrens in erster und zweiter Instanz sehr eingehend beschäftigt. Dem beim Akt erliegenden Gutachten sei mit ausführlicher Begründung zu entnehmen, welche ernorme Bedeutung die geplante Verbindung der Schigebiete für die Region habe, insbesondere auch für die betroffenen Gemeinden. In diesen und in der umliegenden Region, besonders aber in M seien die Nächtigungszahlen und der Fremdenverkehr seit längerem rückläufig und der Impuls durch den Ausbau des Schigebietes dringend geboten. Die wirtschaftliche Existenz vieler Betriebe in der Region und der Gemeinden selbst hingen an diesem Projekt. Seine unverzügliche Umsetzung sichere hunderte Arbeitsplätze und lasse neue entstehen. In der Region W lebten ca. 30.000 Menschen, von denen schon jetzt 9.000 zur Arbeitsstelle pendeln müssten.

Mit der Ausübung der sich aus dem Bescheid ergebenden Berechtigung wäre kein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden. Durch die erteilte Bewilligung sei keineswegs der Weg frei für den tatsächlichen Baubeginn. Neben diesem Verfahren müssten ein Rodungsverfahren nach dem Forstgesetz und ein Deponiegenehmigungsverfahren nach dem Abfallwirtschaftsgesetz durchgeführt werden, außerdem würde eine Konzession, eine Baugenehmigung und letztlich eine Betriebsbewilligung nach den Bestimmungen des Seilbahngesetzes benötigt, wobei Konzessionserteilung und Baugenehmigung dem Bundesminister VIT oblägen, eine Erteilung der Betriebsbewilligung dem Landeshauptmann. Die genannten Verfahren seien noch nicht einmal eingeleitet worden. Es müsse damit gerechnet werden, dass das Verfahren nach dem Seilbahngesetz behindert bzw. erheblich verzögert würde, wenn die aufschiebende Wirkung zuerkannt werden würde. Es bestehe ein dringendes Interesse daran, die noch anstehenden Verfahren umgehend in Angriff nehmen zu können. Ihre Abwicklung und die im Falle positiver Bescheide erforderlichen weiteren Vorhaben im Zusammenhang mit Detailplanung, Finanzierungsgesprächen, etc. würden ohnedies einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, währenddessen mit den Bauarbeiten nicht begonnen werden könnte.

Das Ökologieinstitut habe im Vorfeld eine umfangreiche Öko-Studie erarbeitet, die eine naturschutzfachliche Bestandaufnahme und Bewertung der Gegebenheiten beinhalte, deren Ausmaß und Tiefe in Vorarlberg, wenn nicht auch in Österreich, einzigartig sei. Die Ergebnisse seien in die Planung eingeflossen, sodass Interessen des Naturschutzes soweit als irgend möglich berücksichtigt worden seien. Entgegen den Behauptungen der Naturschutzanwaltschaft seien Alternativen mit aller Sorgfalt und Umsicht geprüft worden. Gerade deswegen sei es immer wieder zu Umplanungen gekommen (z.B. Trasse der F-Bahn).

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag der Beschwerde die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Voraussetzung für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist die Zulässigkeit der Beschwerde, die von den mitbeteiligten Parteien in Frage gestellt wird. Dem ist zu erwidern, dass in einem Verfahren betreffend den Streit über die Parteistellung Beschwerdelegitimation besteht, was vom Verwaltungsgerichtshof bereits im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich Beschwerden der Vorarlberger Naturschutzanwältin mit Beschlüssen vom 25. Februar 2000, Zl. AW 2000/10/0002, und vom 15. November 2006, Zl. AW 2006/10/0038, ausgesprochen wurde.

Es ist daher in die Interessenabweisung einzutreten. Für das beabsichtigte Projekt mögen gewichtige öffentliche Interessen sprechen, diese sind jedoch keine zwingenden öffentlichen Interessen. Darunter sind besonders qualifizierte öffentliche Interessen zu verstehen, die den sofortigen Vollzug des angefochtenen Bescheides zwingend gebieten. Dies ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere dann der Fall, wenn mit dem Aufschub eine konkrete drohende Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen bzw. deren Eigentum verbunden wäre (vgl. z.B. hg. Beschluss vom 29. August 2003, Zl. AW 2003/10/0012). Dass zwingende öffentliche Interessen für die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keinen Aufschub duldeten, ist nicht ersichtlich und wurde von den mitbeteiligten Parteien auch nicht konkret dargelegt.

Gemäß § 50 Abs. 1 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftsentwicklung, LGBl. Nr. 22/1997, 58/2001, 38/2002, hat der Naturschutzanwalt die Interessen von Natur und Landschaft in Verfahren nach diesem Gesetz wahrzunehmen und die Gemeinden und Bürger in Fragen des Naturschutzes zu beraten. Unter den für die Naturschutzanwältin verbundenen Nachteile im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG ist daher ein Nachteil für die von ihr wahrzunehmenden öffentlichen Interessen des Naturschutzes und der Landschaftsentwicklung zu verstehen (vgl. hg. Beschluss vom 10. Juni 2003, Zl. AW 2003/10/0014, betreffen die Landesumweltanwaltschaft in Salzburg oder vom 21. Mai 2001, Zl. AW 2001/10/0030, betreffend den Umweltanwalt des Landes Steiermark). In Ansehung der durch die Gutachten der Amtssachverständigen belegten, von den Mitbeteiligten und der belangten Behörde nicht bestrittenen Auswirkungen der erteilten Bewilligung auf Natur und Landschaft ist im vorliegenden Fall ein unverhältnismäßiger Nachteil im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG dargetan worden.

Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung war daher stattzugeben.

Wien, am 17. November 2006

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Naturschutz und Landschaftsschutz Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Unverhältnismäßiger Nachteil Verfahrensrecht Zwingende öffentliche Interessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:AW2006100041.A00

Im RIS seit

25.01.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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