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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallSpruch
1. Die Erstbeschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Niederösterreich ist schuldig, der Erstbeschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 2.143,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
2. Die Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers wird zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Die Erstbeschwerdeführerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft im Gebiet der Gemeinde Heiligenkreuz. Mit Bescheid vom 4. Mai 2000 trug ihr der Bürgermeister den Anschluß dieser Liegenschaft an den Schmutzwasserkanal auf.
Die Beschwerdeführer sind gemeinsam Eigentümer einer weiteren Liegenschaft im Gebiet der Gemeinde Heiligenkreuz. Mit Bescheid vom 8. Mai 2000 trug ihnen der Bürgermeister den Anschluß auch dieser Liegenschaft an den neugelegten Schmutzwasserkanal auf.
Mit Bescheiden vom 14. Juni 2000 wies der Gemeindevorstand gegen diese Bescheide gerichtete Berufungen der Beschwerdeführer ab.
1.2. Dagegen erhob die Erstbeschwerdeführerin eine Vorstellung an die Niederösterreichische Landesregierung, die mit Bescheid vom 2. Oktober 2000 abgewiesen wurde. Begründend berief sich die Landesregierung auf §62 Abs2 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde beider Beschwerdeführer, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und die Verletzung in Rechten durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie für die Abweisung der Beschwerde eintritt.
Auch die Gemeinde Heiligenkreuz hat eine Äußerung erstattet, in der sie sich für die Abweisung der Beschwerde ausspricht.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Zweitbeschwerdeführer hat zwar den (auch) an ihn gerichteten Bescheid des Bürgermeisters vom 8. Mai 2000 mit Berufung bekämpft, gegen den abweisenden Berufungsbescheid jedoch keine Vorstellung erhoben. Es kommt ihm daher keine Legitimation zu, den Vorstellungsbescheid, der nur an die Erstbeschwerdeführerin gerichtet war, mit Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof zu bekämpfen (vgl. VfSlg. 13685/1994). Seine Beschwerde war daher zurückzuweisen.
2. Die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin ist dagegen zulässig.
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12. Juni 2002, G 322,360,361/01, §62 Abs2 erster und zweiter Satz der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 idF der 1. Novelle als verfassungswidrig aufgehoben.
2.2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).
2.3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 5. März 2002. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 17. November 2000 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig. Der Fall ist somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wandte bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-
sowie der Ersatz der entrichteten Gebühr gemäß §17a VfGG von € 181,68 enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite und Abs4 Z3 VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B2112.2000Dokumentnummer
JFT_09979374_00B02112_2_00