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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der Jarolim Specht Rechtsanwälte GmbH in 1020 Wien, Obere Donaustraße 63, gegen den Bescheid der Berufungskommission beim Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom 28. Oktober 2004, Zl. 44.140/48-7/04, betreffend Aussetzung des Verfahrens iA Zustimmung zur Kündigung (Mitbeteiligte Partei: D in W, vertreten durch Freimüller/Noll/Obereder/Pilz & Partner, Rechtsanwälte GmbH in 1080 Wien, Alserstraße 21), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Partei ist schuldig, dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Unbestritten ist die beschwerdeführende Partei Dienstgeber der Mitbeteiligten, die seit 1. September 2000 bei RA Dr. S. beschäftigt war, welcher mit Schriftsatz vom 3. September 2002 den gegenständlichen Antrag auf Zustimmung zur (auszusprechenden) Kündigung der Mitbeteiligten stellte. Dr. S. brachte sein Unternehmen in eine Gesellschaft mbH. ein, die nunmehr den Firmenwortlaut der beschwerdeführenden Partei trägt.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde das beim Behindertenausschuss für Wien beim Bundessozialamt, Landesstelle Wien, anhängige Verfahren betreffend Zustimmung zur Kündigung der Mitbeteiligten bis zur rechtskräftigen Entscheidung im zu 28 Cga 30/04t des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien - über die Vorfrage, ob die durch den Dienstgeber gegenüber der Dienstnehmerin ausgesprochene Entlassung vom 6. Februar 2004 (rechtskräftig) das bestehende Dienstverhältnis beendet habe, - anhängigen Rechtsstreit ausgesetzt.
In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Mitbeteiligte sei seit 1. September 2000 bei der beschwerdeführenden Partei als Dienstgeber, vormals Rechtsanwalt Dr. S., als Sekretärin beschäftigt. Sie gehöre auf Grund des Bescheides des Bundessozialamtes Wien Niederösterreich Burgenland vom 9. November 2000 ab 2. Juni 2000 dem Personenkreis der begünstigten Behinderten an, der Grad der Behinderung betrage 50 vH. Mit Schreiben vom 3. September 2000 (richtig: 2002) sei seitens des Dienstgebers die Zustimmung zur Kündigung beantragt worden. Dies sei damit begründet worden, die Mitbeteiligte hätte nach Ablauf der gesetzlichen Mutterschutzfrist am 1. April 2002 ihren Dienst wieder antreten sollen. Noch vor Ablauf dieser Frist habe sie um Gewährung eines zweijährigen Karenzurlaubes und um das Einverständnis, in Teilzeit in einer anderen Rechtsanwaltskanzlei arbeiten zu können, ersucht. Die beschwerdeführende Partei habe diesem Ersuchen entsprochen. Fünf Tage vor Ablauf der Mutterschutzfrist habe die Mitbeteiligte für die beschwerdeführende Partei überraschend und der getroffenen Vereinbarung widersprechend ihre Arbeitsbereitschaft erklärt. Die beschwerdeführende Partei habe mit dem Hinweis auf die bestehende Karenzurlaubsvereinbarung die Bereitschaft der Mitbeteiligten zum Dienstantritt zurückgewiesen. Ein beim Arbeits- und Sozialgericht von der beschwerdeführenden Partei auf Feststellung des Bestandes einer rechtsgültigen Karenzurlaubsvereinbarung zwischen den Parteien geführtes Verfahren sei durch rechtskräftige Abweisung der Klage beendet worden. Die beschwerdeführende Partei habe ferner ergänzend vorgebracht, es liege mangelnde Arbeitsdisziplin sowie ungenügende Anpassung der Mitbeteiligten an die vorhandenen Arbeitsbedingungen vor. Zudem sei die Mitbeteiligte weitgehend dienstunfähig. Die Mitbeteiligte befinde sich seit Erteilung einer Verwarnung durch die beschwerdeführende Partei am 24. Juli 2003 im Krankenstand. Inzwischen sei ein weiterer Kanzleipartner aus der Kanzleigemeinschaft der beschwerdeführenden Partei ausgeschieden, weshalb für die Mitbeteiligte keine Beschäftigungsmöglichkeit bei der beschwerdeführenden Partei mehr bestehe. Die beschwerdeführende Partei habe weiters mitgeteilt, dass das Dienstverhältnis mit der Mitbeteiligten durch eine am 6. Februar 2004 ausgesprochene Entlassung beendet worden sei. Die Entlassung sei aus disziplinären Gründen und wegen einer weitgehenden Dienstunfähigkeit der Mitbeteiligten erfolgt. Die Mitbeteiligte habe daraufhin die Aussetzung des Verfahrens wegen der offenen Vorfrage des aufrechten Bestandes des Dienstverhältnisses beantragt. Derzeit werde in einem anhängigen Verfahren beim Arbeits- und Sozialgericht diese Vorfrage geprüft.
In rechtlicher Hinsicht führte die Behörde aus, unter einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG sei eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden sei. Präjudiziell - und somit Vorfragenentscheidung in verfahrensrechtlich relevantem Sinn - sei nur eine Entscheidung, die eine Rechtsfrage betreffe, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar - d.h. eine notwendige Grundlage - sei, und die diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regle. Für dieses Verfahren sei präjudiziell, ob das Dienstverhältnis zwischen den Parteien überhaupt noch aufrecht bestehe, also ob die Entlassung vom 6. Februar 2004 gerechtfertigt gewesen und somit das Dienstverhältnis mit diesem Tage beendet sei oder nicht. Sollte das Dienstverhältnis durch rechtskräftige Klagestattgebung im Gerichtsverfahren ab 6. Februar 2004 bereits beendet sein, wäre bei der beschwerdeführenden Partei die Antragslegitimation in diesem Verfahren weggefallen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die Mitbeteiligte erstattete ebenfalls eine Gegenschrift und beantragt, der Beschwerde kostenpflichtig keine Folge zu geben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 38 AVG ist die Behörde berechtigt, sofern die Gesetze nichts anderes bestimmen, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zu Grunde zu legen. Die Behörde kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
Die beschwerdeführende Partei bringt in ihrer Beschwerde vor, der Ausgang des Verfahrens zur Frage der Feststellung eines aufrechten Dienstverhältnisses stelle keine Vorfrage für die Entscheidung über die von ihr beantragte Zustimmung zur Kündigung dar, weil deren Beantwortung für diese Entscheidung keine notwendige Grundlage bilde.
Dieses Vorbringen ist nicht zielführend.
Das Bestehen bzw. das Nichtbestehen eines Dienstverhältnisses ist für die Behörde bei der Entscheidung darüber, ob die Zustimmung zur Kündigung nach § 8 BEinstG erteilt wird oder nicht, eine Vorfrage im Sinne des im Verfahren nach dem BEinstG anwendbaren § 38 AVG, weil eine Kündigung eines Dienstverhältnisses das Bestehen eines solchen voraussetzt (vgl. etwa das zum Invalideneinstellungsgesetz ergangene hg. Erkenntnis vom 25. September 1985, Zl. 84/09/0039). Die Frage, ob die Entlassung der Mitbeteiligten gerechtfertigt war und das Dienstverhältnis damit beendet wurde, ist daher für das ausgesetzte Verfahren präjudiziell. Ergibt sich im Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien, dass die Entlassung vom 6. Februar 2004 rechtens war und das in Rede stehende Dienstverhältnis damit beendet wurde, wäre keine Grundlage mehr für die beantragte Zustimmung zur auszusprechenden Kündigung mehr gegeben. Gegenteiliges zeigt auch die beschwerdeführende Partei in der Beschwerde nicht auf.
Die beschwerdeführende Partei bringt weiters vor, das Verfahren sei nunmehr bereits seit Anfang Oktober 2002 anhängig, ohne dass eine inhaltliche Befassung mit dem von der beschwerdeführende Partei erstatteten Vorbringen stattgefunden habe. Die Mitbeteiligte sei auf Grund psychologisch-pathologischer Gründe seit Mai 2002 nicht in der Lage, den Beruf einer Rechtsanwaltssekretärin auszuüben; ein entsprechendes medizinisch psychiatrisches Sachverständigengutachten liege im Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien bereits vor. Hinzu komme, dass die belangte Behörde bzw. die erstinstanzliche Behörde bereits über ausführliches Vorbringen der beschwerdeführenden Partei verfüge, welches zur Erteilung der Zustimmung zur Kündigung hinreichen müsste. Das Interesse der beschwerdeführenden Partei an einer Entscheidung lasse daher die Aspekte der Verfahrensökonomie in den Hintergrund treten.
Auch dieses Argument ist nicht zielführend.
Die beschwerdeführende Partei ist zunächst im Recht, wenn sie die Auffassung vertritt, dass der - für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 38 zweiter Satz AVG vorrangige - Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie dann von geringem Gewicht ist, wenn die Behörde nach dem Stand ihres Verfahrens, insbesondere auf Grund der ihr vorliegenden Ermittlungsergebnisse ohne Weiteres zur selbständigen Beurteilung der Vorfragen in der Lage ist (siehe beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 3. Juni 1997, Zl. 97/08/0137, und vom 7. April 1992, Zl. 91/11/0155, mit weiteren Hinweisen). Der Verwaltungsgerichtshof vermag jedoch vor dem Hintergrund des Beschwerdevorbringens nicht zu erkennen, dass die belangte Behörde von ihrem Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hätte.
Wie die beschwerdeführende Partei in der Beschwerde selbst bemerkt und wie auch aus den Verwaltungsakten hervorgeht, hat es bei der Behörde noch keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gründen, die zu der vom Dienstgeber ausgesprochenen Entlassung geführt haben, gegeben. Auf Grund der Komplexität der im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren zu beantwortenden Fragen, die eine umfangreiche Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts und - fallbezogen im Hinblick auf die von der beschwerdeführenden Partei behaupteten psychischen Probleme bei der Mitbeteiligten - die Einholung von Gutachten erforderlich macht, erweist sich die Aussetzung des Verfahrens als nicht rechtswidrig, zumal die belangte Behörde beim vorliegenden Verfahrensstand noch nicht in der Lage war, diese Vorfrage selbständig zu beurteilen. Die Behörde konnte bei ihrer Entscheidung hinsichtlich der Zustimmung zur Kündigung auch nicht ausschließlich auf die von der beschwerdeführenden Partei aufgestellten Behauptungen abstellen.
Dass mittlerweile - wie nunmehr in der Beschwerde behauptet wird - ein psychologisches Sachverständigengutachten im Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht vorliegt, ändert nichts an der Rechtmäßigkeit des Aussetzungsbescheides.
Es bestehen somit keine Bedenken dagegen, dass aus Gründen der Verfahrensökonomie von der Möglichkeit, das Verfahren auszusetzen, - trotz des erheblichen Interesses der beschwerdeführenden Partei an einer raschen Beendigung des Verfahrens - Gebrauch gemacht worden ist.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 21. November 2006
Schlagworte
Sachverhalt VorfrageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005110062.X00Im RIS seit
22.12.2006