TE OGH 1999/10/13 7Ob165/99m

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Veröffentlicht am 13.10.1999
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich, Dr. Tittel, Hon-Prof. Dr. Danzl und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna-Maria G*****, vertreten durch Dr. Reinhard Kloiber und Dr. Ivo Burianek, Rechtsanwälte in Mödling, gegen die beklagte Partei Dr. Roland R*****, vertreten durch Dr. Herwig Kubac und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen S 151.135 und Feststellung (Streitwert S 72.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 26. Jänner 1999, GZ 12 R 128/98a-38, womit der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 25. Mai 1998, GZ 14 Cg 103/96m-30, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S

10.665 (darin S 1.777,50 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin beauftragte den Beklagten mit der Neuanfertigung einer Zahnbrücke im Oberkiefer, die nicht nur einen, sondern zwei Pfeiler aufwies.

Zur Festigung der neuen Brücke verwendete der Beklagte beim Einsetzen des Pfeilers am Zahn Nr. 16 ein Goldstiftimplantat, das die Zahnwurzel nicht durchbohrte, sohin transdental verlief und in den Knochen ragte. Diese Methode benutzte der Beklagte zur besseren Verankerung des Stiftes und folglich zur Erzielung eines höheren Festigkeitsgrades der Brücke. Bei üblicher Fixierung eines Zahnes im Knochen mittels eines Stiftes wird der Stift durch den Wurzelkanal transradikulär gesetzt. Die transdentale Fixierung kann zwar zu Schmerzen führen, muß dies aber nicht. Der Beklagte informierte die Klägerin nicht über diese spezielle Fixierungsmethode und die damit verbundenen Risken. Ob die Klägerin bei ausreichender Aufklärung durch den Beklagten der Behandlung zugestimmt hätte, konnte nicht festgestellt werden. Nach Einsetzen der Brücke suchte die Klägerin den Beklagten wieder im Februar 1990 wegen einer Füllung im Frontzahnbereich auf. Beim nächsten Besuch am 21. August 1990 klagte die Klägerin über Schmerzen im Brückenbereich. Das daraufhin angefertigte Röntgenbild des Brückenbereiches ließ keinen kariösen Befall des Zahnes Nr. 17 erkennen. Der Beklagte kürzte lediglich eine Zahnfleischtasche im Bereich des Zahnes Nr. 16. Ob die Schmerzen der Klägerin danach blieben, konnte nicht festgestellt werden. Nicht feststellbar war, daß der Beklagte bei den Folgebehandlungen am 4. 5. 1991 und im Feber 1992, bei denen andere Bereiche behandelt wurden, eine sachlich gebotene weitere Untersuchung des Brückenbereiches unterließ. Im März/April 1992 wechselte die Klägerin den Zahnarzt. Als sie ihre neue Zahnärztin im Juli 1995 wegen akuter Schmerzen im Brückenbereich aufsuchte, stellte diese die besondere Art der Stiftfixierung bei Zahn Nr. 16 sowie bei Zahn Nr. 17 eine Taschenbildung und tiefgehenden Karies fest und zog diese beiden Zähne.

Es konnte nicht festgestellt werden, daß die Schmerzen der Klägerin tatsächlich aus der besonderen Fixierung des Stiftes bei Zahn Nr. 16 resultierten; der kariöse Zahn Nr. 17 war an den Schmerzen zumindest mitbeteiligt.

Für die ihr entstandenen Schmerzen sowie für die Anschaffung eines neuen Implantates begehrte die Klägerin S 151.135 sowie die Feststellung, daß ihr der Beklagte aufgrund der Behandlung vom September 1989 für alle zukünftig auftretenden Schäden hafte. Ihre Begehren stützte sie einerseits auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers durch den Beklagten, anderseits auf die Unterlassung der gebotenen Aufklärung über die spezielle Fixierungsmethode.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Die von ihm angewendete Art der Stiftfixierung sowie die Nachbehandlungen seien sachgerecht gewesen.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab.

Da nicht feststehe, daß die vom Beklagten vorgenommene Stiftfixierung der Klägerin tatsächlich Schmerzen verursacht habe, mangle es am erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der Behandlung durch den Beklagten und den Schmerzen. Selbst die Erleichterung des Kausalitätsbeweises bei mit Behandlungsfehlern zusammenhängenden Gesundheitschäden bzw die Umkehr der Beweislast käme der Klägerin nicht zugute, weil keine Behandlungsfehler des Beklagten vorlägen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, bewertete den Entscheidungsgegenstand als S 260.000 nicht übersteigend und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Der Arzt hafte für die ohne Einwilligung oder ohne ausreichende Aufklärung des Patienten vorgenommene Heilbehandlung auch dann, wenn ihm kein Kunstfehler bei der Behandlung unterlaufen sei. Entgegen der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes und der Auffassung Dullingers (JBl 1998, 2 ff) folgend, treffe den Patienten nicht nur die Behauptungs- und Beweislast für die Kausalität des schädigenden Verhaltens in bezug auf den eingetretenen Schaden, sondern auch dafür, daß der Patient bei ausreichender Aufklärung durch den Arzt der Behandlung nicht zugestimmt hätte. Sohin gehe die hier sowohl hinsichtlich der Kausalität als auch hinsichtlich des Umstandes, ob die Klägerin bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung erteilt hätte, bestehende "non-liquet-Situation" zu Lasten der Klägerin.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist nicht zulässig und daher zurückzuweisen.

Zur Problematik der Beweislast für das "rechtmäßige Alternativverhalten" im Falle unterlassener Aufklärung über mögliche Behandlungsrisken ist der Oberste Gerichtshof in seinen neueren Entscheidungen unter Berufung auf die herrschende Lehre (Karollus und Koziol) der Lehrmeinung Dullingers (JBl 1998, 2 ff) nicht gefolgt (vgl 4 Ob 335/98; 6 Ob 126/98; 3 Ob 314/97). Dem Arzt verbleibt daher, entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Einwilligung zur beabsichtigten Heilbehandlung erteilt hätte. Die Revisionswerberin wird im übrigen auf die Begründung in den zitierten Entscheidungen verwiesen, denen sich der erkennende Senat anschließt. Im vorliegenden Fall kommt es auf die von Dullinger vertretene Lehrmeinung nicht an. Durch die Aufklärungsverpflichtung des Arztes soll der Patient vor den mit der Behandlung verbundenen Risken gewarnt werden, um beurteilen zu können, ob er sich behandeln lassen will. Wenn sich dieses Risiko dann verwirklicht, obwohl bei der Behandlung kein Fehler unterlaufen ist, haftet der Arzt nicht. Soweit der Beklagte seiner Aufklärungsverpflichtung über die transdentale Einsetzung des Goldstiftes in den Kieferknochen der Klägerin dieser gegenüber nicht nachgekommen ist, kommt diesem Umstand deshalb keine Bedeutung zu, weil sich kein mit dieser Verankerung verbundenes Risiko verwirklicht hat. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß dem Arzt ein Kunstfehler (Behandlungsfehler) unterlaufen ist, trägt grundsätzlich der Patient. Da ein exakter (Zweifel ausschließender) Kausalitätsbeweis bei ärztlichen Kunstfehlern sehr schwer zu erbringen ist, hat die Rechtsprechung die Anforderungen bezüglich dieser Beweisführung reduziert. Für den Nachweis des Kausalzusammenhanges genügt die Wahrscheinlichkeit oder ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit (vgl Harrer in Schwimann, ABGB2 § 1300 Rz 51 und 53 sowie Holzer/Posch/Schick, Arzt- und Arzneimittelhaftung in Österreich, 22; Juen, Arzthaftungsrecht, 118 ff). Die vorliegende Feststellung, daß der Zahn 17 "an den Schmerzen der Klägerin mitbeteiligt war", ist im Zusammenhalt mit den anderen Feststellungen zu sehen, nach denen nicht festgestellt werden konnte, daß die Schmerzen der Klägerin tatsächlich aus der besonderen Fixierung des Stiftes bei Zahn 16 resultierten. Da das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung davon ausging, daß kein Kausalzusammenhang zwischen der transdentalen Einsetzung eines Goldstiftes in den Kieferknochen und den Schmerzen der Klägerin bestehe, ist diese trotz der erleichterten Beweisführungsanforderungen den Nachweis eines Kausalzusammenhanges zwischen einem Behandlungsfehler des Beklagten und den daraus resultierenden Folgen schuldig geblieben. Die vorliegenden Feststellungen lassen weder eine Wahrscheinlichkeit oder einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit erkennen, daß die Behandlungsmethode des Beklagten die Schmerzen der Klägerin verursacht haben. Die ganz abstrakt bestehende Möglichkeit, daß die an der Klägerin vom Beklagten durchaus lege artis vorgenommene Behandlungsmethode zu Komplikationen führen kann, reicht für den trotz Beweiserleichterung zu führenden Wahrscheinlichkeitsbeweis nicht hin. Die Auffassung, daß jeder ärztliche Eingriff, der die körperliche Integrität beeinträchtige, bereits eine Körperverletzung darstelle, wird zu Recht von der Lehre (vgl Harrer aaO Rz 43 mwN) relativiert. Bei einer Zahnbehandlung die geringfügige Mitbehandlung des unmittelbar daran anschließenden Kieferknochens als Körperverletzung zu bezeichnen, ist lebensfremd. Da sowohl zur Problematik des Kausalitätsbeweises im Arzthaftungsprozeß als auch zur Frage der Beweislastverteilung bei "rechtmäßigem Alternativverhalten" im Falle unterlassener Aufklärung über mögliche Behandlungsfehler eine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt, kommt der Lösung der vorliegenden Frage keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.Zur Problematik der Beweislast für das "rechtmäßige Alternativverhalten" im Falle unterlassener Aufklärung über mögliche Behandlungsrisken ist der Oberste Gerichtshof in seinen neueren Entscheidungen unter Berufung auf die herrschende Lehre (Karollus und Koziol) der Lehrmeinung Dullingers (JBl 1998, 2 ff) nicht gefolgt vergleiche 4 Ob 335/98; 6 Ob 126/98; 3 Ob 314/97). Dem Arzt verbleibt daher, entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Einwilligung zur beabsichtigten Heilbehandlung erteilt hätte. Die Revisionswerberin wird im übrigen auf die Begründung in den zitierten Entscheidungen verwiesen, denen sich der erkennende Senat anschließt. Im vorliegenden Fall kommt es auf die von Dullinger vertretene Lehrmeinung nicht an. Durch die Aufklärungsverpflichtung des Arztes soll der Patient vor den mit der Behandlung verbundenen Risken gewarnt werden, um beurteilen zu können, ob er sich behandeln lassen will. Wenn sich dieses Risiko dann verwirklicht, obwohl bei der Behandlung kein Fehler unterlaufen ist, haftet der Arzt nicht. Soweit der Beklagte seiner Aufklärungsverpflichtung über die transdentale Einsetzung des Goldstiftes in den Kieferknochen der Klägerin dieser gegenüber nicht nachgekommen ist, kommt diesem Umstand deshalb keine Bedeutung zu, weil sich kein mit dieser Verankerung verbundenes Risiko verwirklicht hat. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß dem Arzt ein Kunstfehler (Behandlungsfehler) unterlaufen ist, trägt grundsätzlich der Patient. Da ein exakter (Zweifel ausschließender) Kausalitätsbeweis bei ärztlichen Kunstfehlern sehr schwer zu erbringen ist, hat die Rechtsprechung die Anforderungen bezüglich dieser Beweisführung reduziert. Für den Nachweis des Kausalzusammenhanges genügt die Wahrscheinlichkeit oder ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vergleiche Harrer in Schwimann, ABGB2 Paragraph 1300, Rz 51 und 53 sowie Holzer/Posch/Schick, Arzt- und Arzneimittelhaftung in Österreich, 22; Juen, Arzthaftungsrecht, 118 ff). Die vorliegende Feststellung, daß der Zahn 17 "an den Schmerzen der Klägerin mitbeteiligt war", ist im Zusammenhalt mit den anderen Feststellungen zu sehen, nach denen nicht festgestellt werden konnte, daß die Schmerzen der Klägerin tatsächlich aus der besonderen Fixierung des Stiftes bei Zahn 16 resultierten. Da das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung davon ausging, daß kein Kausalzusammenhang zwischen der transdentalen Einsetzung eines Goldstiftes in den Kieferknochen und den Schmerzen der Klägerin bestehe, ist diese trotz der erleichterten Beweisführungsanforderungen den Nachweis eines Kausalzusammenhanges zwischen einem Behandlungsfehler des Beklagten und den daraus resultierenden Folgen schuldig geblieben. Die vorliegenden Feststellungen lassen weder eine Wahrscheinlichkeit oder einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit erkennen, daß die Behandlungsmethode des Beklagten die Schmerzen der Klägerin verursacht haben. Die ganz abstrakt bestehende Möglichkeit, daß die an der Klägerin vom Beklagten durchaus lege artis vorgenommene Behandlungsmethode zu Komplikationen führen kann, reicht für den trotz Beweiserleichterung zu führenden Wahrscheinlichkeitsbeweis nicht hin. Die Auffassung, daß jeder ärztliche Eingriff, der die körperliche Integrität beeinträchtige, bereits eine Körperverletzung darstelle, wird zu Recht von der Lehre vergleiche Harrer aaO Rz 43 mwN) relativiert. Bei einer Zahnbehandlung die geringfügige Mitbehandlung des unmittelbar daran anschließenden Kieferknochens als Körperverletzung zu bezeichnen, ist lebensfremd. Da sowohl zur Problematik des Kausalitätsbeweises im Arzthaftungsprozeß als auch zur Frage der Beweislastverteilung bei "rechtmäßigem Alternativverhalten" im Falle unterlassener Aufklärung über mögliche Behandlungsfehler eine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt, kommt der Lösung der vorliegenden Frage keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Paragraphen 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E55669 07A01659

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1999:0070OB00165.99M.1013.000

Dokumentnummer

JJT_19991013_OGH0002_0070OB00165_99M0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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