TE OGH 1999/10/20 7Ob146/99t

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Veröffentlicht am 20.10.1999
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kreditverein *****, vertreten durch Dr. Herbert Laimböck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Theresia N*****, vertreten durch Dr. Eduard Wegrostek, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 385.726,92 sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 22. März 1999, GZ 14 R 205/98i-19, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 7. August 1998, GZ 8 Cg 249/97i-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Urteil lautet.

" Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 385.726,92 samt 16,5 % Zinsen seit dem 22. 3. 1997 zu bezahlen."

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die in allen Instanzen mit insgesamt S 140.877,20 (darin enthalten S 18.356,20 USt und S 30.740,-- Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei gewährte dem Sohn der Beklagten, zum Aufbau eines Tischlereibetriebes am 3. 5. 1994 einen (revolvierend ausnützbaren) Kredit zur Anschaffung von Betriebsmittel über S 250.000,-- mit einer Laufzeit bis 30. 3. 1999. Die Beklagte, die mit ihrem Sohn im gemeinsamen Haushalt wohnt, ist als Pflegehelferin der Stadt Wien beschäftigt und verdiente damals monatlich S 16.500,-- netto, unterfertigte den Kreditvertrag als Mitschuldnerin zur ungeteilten Hand. Sie hatte ihrem Sohn zuvor für einen Kredit über S 600.000,-- zur Finanzierung des Zubaus eines Reihenhauses gebürgt, der 1994 noch mit S 470.000,-- unberichtigt aushaftete. Im Zuge der Betriebsgründung hatte der Sohn ohne ihr Wissen weitere Kredite von insgesamt S 670.000,-- aufgenommen. Im Dezember 1994 gestattete die klagende Partei dem Sohn eine Überziehung des Kreditrahmens bis S 500.000,--. Wegen weiterer Verluste überzog der Sohn den Kreditrahmen mit Duldung der klagenden Partei weiter bis S 980.000,-- im September 1995. Er hatte damals gegen einen Kunden eine Forderung von S 480.000,-- und verfügte über einen Rahmenauftrag von 1,5 Mio S. Am 15. 9. 1995 vereinbarte er mit der klagenden Partei eine Erhöhung des Kreditvolumes auf S 500.000,--. Von der Beklagten wurde auch dieser Kreditvertrag als solidarische Mitschuldnerin unterfertigt. Mit Schreiben vom 14. 2. 1997 kündigte die klagende Partei dem Sohn der Beklagten den inzwischen mit S 677.073,-- unberichtigt aushaftenden Kredit auf. Mit Schreiben vom 24. 3. 1997 kündigte sie der Beklagten ihre Inanspruchnahme für den nach Zahlungen des Sohnes inzwischen noch mit S 385.726,92 aushaftenden Kreditrest für den Fall an, daß keine weiteren Rückzahlungen durch den Sohn erfolgen sollten. Am 2. 9. 1997 wurde über das Vermögen des Sohnes das Konkursverfahren eröffnet.

Mit der daraufhin eingebrachten Klage begehrte die klagende Partei den Zuspruch des der Höhe nach unstrittigen Kreditsaldos.

Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Neben anderen, schließlich nicht weiter verfolgten Einwänden machte sie geltend, die klagende Partei habe sie weder beim Abschluß des ersten noch bei der Unterfertigung des zweiten Kreditvertrages über den wahren Schuldenstand ihres Sohnes informiert und sie nicht darüber aufgeklärt, daß ihre Bürgschaft im Hinblick auf die angespannte wirtschaftliche Situation schlagend werden würde. Die klagende Partei habe ihr im Gegenteil die Bürgschaft dadurch als risikolos hingestellt, daß sie auf den Abschluß einer Risikoversicherung durch den Beklagten sowie darauf hingewiesen habe, daß die Kreditaufstockung lediglich der Vorfinanzierung von Aufträgen diene. Auch stehe ihr Einkommen in einem groben Mißverhältnis zur eingegangenen Verpflichtung. Sie habe kein Eigeninteresse an der Kreditgewährung gehabt. Die Haftungsübernahme sei daher sittenwidrig.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Über den bereits eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Sachverhalt hinaus traf es noch folgende Feststellungen:

Der (für die gegenständliche Kreditgewährung zuständige) Filialleiter der klagenden Partei Josef D***** sah die Beklagte lediglich anläßlich der Unterschriftsleistung. Über die ihm bekannten weiteren Kreditverbindlichkeiten ihres Sohnes klärte D***** die Beklagte nicht auf. Deren Bonität wurde anhand eines Kontoauszuges, aus dem sich ihr monatliches Nettoeinkommen ergab, überprüft. Auswirkungen und Bedeutung ihrer Unterschrift wurden von Josef D***** mit ihr nicht erörtert. Sie hatte sich dazu bereit erklärt, für ihren Sohn eine Bürgschaft zu übernehmen. Ihr war bewußt, daß sie eine Haftungserklärung unterfertigte. Wäre ihr der wahre Schuldenstand ihres Sohnes bekannt gewesen, hätte sie keine Haftungserklärung gegenüber der klagenden Partei abgegeben. Die Beklagte ist am Unternehmen ihres Sohnes nicht beteiligt. Bei der Unterfertigung des zweiten Kreditvertrages wurde sie weder von Josef D***** noch von ihrem Sohn über dessen angespannte wirtschaftliche Lage informiert. Vielmehr erklärte ihr D*****, daß aufgrund der Forderungen ihres Sohnes gegen die Firma O***** die Möglichkeit bestehe, daß die bestehenden Zahlungsengpässe gemeistert würden. Bei einem Telefonat am 23. 5. 1997 wurde von der Beklagten mit Josef D***** besprochen, daß eine Stundung möglich sei, wenn sie monatlich S 5.000,-- zahle. Eine Ratenvereinbarung kam zwischen den Streitteilen aber nicht zustande.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, der Schuldbeitritt der Beklagten stelle sich im Rahmen der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes als sittenwidrig dar. Es bestehe ein grobes Mißverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit der Beklagten und der von ihr übernommenen Haftung. Darüber hinaus habe der Hauptschuldner bei Abgabe beider Schuldbeitrittserklärungen weit über die Haftungssummen der Beklagten hinausgehende Schulden gehabt. Da man die Beklagte darüber nicht informiert habe, sei ihr das Haftungsrisiko nicht bewußt geworden. Mit dem zweiten Schuldbeitritt habe die klagende Partei die Überwälzung des wirtschaftlichen Risikos für bereits aufgelaufene Kreditschulden auf die Beklagte beabsichtigt. Diese habe im Hinblick auf ihren beruflichen Horizont das Haftungsrisiko nicht richtig einschätzen können. Es mangle ihr auch an einem wirtschaftlichen oder rechtlichen Eigentinteresse am Zustandekommen des Kreditvertrages, weil sie am Betrieb ihres Sohnes nicht beteiligt gewesen sei. Für die Beklagte habe eine moralische Verpflichtung bestanden, ihrem Sohn durch den Schuldbeitritt zu helfen. Unter diesen Umständen seien die Haftungserklärungen der Beklagten sittenwidrig im Sinn des § 879 ABGB und die Kreditverträge daher nichtig.In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, der Schuldbeitritt der Beklagten stelle sich im Rahmen der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes als sittenwidrig dar. Es bestehe ein grobes Mißverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit der Beklagten und der von ihr übernommenen Haftung. Darüber hinaus habe der Hauptschuldner bei Abgabe beider Schuldbeitrittserklärungen weit über die Haftungssummen der Beklagten hinausgehende Schulden gehabt. Da man die Beklagte darüber nicht informiert habe, sei ihr das Haftungsrisiko nicht bewußt geworden. Mit dem zweiten Schuldbeitritt habe die klagende Partei die Überwälzung des wirtschaftlichen Risikos für bereits aufgelaufene Kreditschulden auf die Beklagte beabsichtigt. Diese habe im Hinblick auf ihren beruflichen Horizont das Haftungsrisiko nicht richtig einschätzen können. Es mangle ihr auch an einem wirtschaftlichen oder rechtlichen Eigentinteresse am Zustandekommen des Kreditvertrages, weil sie am Betrieb ihres Sohnes nicht beteiligt gewesen sei. Für die Beklagte habe eine moralische Verpflichtung bestanden, ihrem Sohn durch den Schuldbeitritt zu helfen. Unter diesen Umständen seien die Haftungserklärungen der Beklagten sittenwidrig im Sinn des Paragraph 879, ABGB und die Kreditverträge daher nichtig.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision "im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung" nicht zulässig sei. Ausgehend von den von ihm als unbedenklich übernommenen Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichts, billigte es auch dessen Rechtsansichten.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Das Berufungsgericht hat die vom Obersten Gerichtshof in seiner

Entscheidung 1 Ob 544/95 (= SZ 68/64 = EvBl 1995/156 = JBl 1995, 651

[Mader] = ÖBA 1995, 804 [Graf, Verbesserter Schutz vor riskanten

Bürgschaften, ÖBA 1995, 776]) und in folgenden Entscheidungen (vgl RIS-Justiz RS0048309), insbesondere 2 Ob 156/97y (= JBl 1998, 36) und 1 Ob 87/98w (= JBl 1998, 778) weiter entwickelten Grundsätze zur Frage der Sittenwidrigkeit der sog. Angehörigenbürgschaften (die auch auf Fälle der solidarischen Mithaftung naher Angehöriger anwendbar sind) richtig wiedergegeben. Danach sind die von der deutschen Rechtsprechung entwickelten Wertungen bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit rechtsgeschäftlicher Haftungserklärungen volljähriger Familienangehöriger "ohne jedes oder jedenfalls ohne zulängliches Einkommen und Vermögen" auch für den österreichischen Rechtsbereich von Bedeutung, weil das Prinzip der Privatautonomie, das jedermann auch risikoreiche, nur unter besonders günstigen Bedingungen erfüllbare Geschäfte erlaubt, nur durch die Bestimmung des § 879 ABGB begrenzt wird. Erst die Verbindung der strukturell ungleich größeren Verhandlungsstärke der Gläubigerbank gegenüber einem dem Hauptschuldner gutstehenden Angehörigen, dessen Verpflichtung seine gegenwärtigen und in absehbarer Zukunft zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse bei weitem übersteigt, mit weiteren, in der Person des gutstehenden Angehörigen liegenden, seine Entscheidungsfreiheit weitgehend beeinträchtigenden und der Gläubigerbank zurechenbaren Umstände kann in sinngemäßer Anwendung der Grundsätze des Wucherverbots - in Ausnahmefällen - die Sittenwidrigkeit und damit die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts wegen Vorliegens eines Ausbeutungstatbestandes begründen. Dabei sind demonstrativ folgende, für die Sittenwidrigkeitsfrage beachtlichen Gesichtspunkte, deren Gesamtwürdigung auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen ist, maßgeblich. Das grobe Mißverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit des Bürgen und der von ihm übernommenen Haftung, deren konkrete vertragliche Ausgestaltung, die hoffnungslose Überschuldung des Hauptschuldners, die Verharmlosung des Risikos oder der Tragweite der Verpflichtung durch einen Bankmitarbeiter, die Überrumpelung des Angehörigen durch die Bank, die Ausnutzung einer seelischen Zwangslage, die sich aus der gefühlmäßigen Bindung zum Kreditnehmer oder aus seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit ergibt, die geschäftliche Unerfahrenheit des Bürgen, daß Fehlen eines wesentlichen Eigeninteresses am Zustandekommen des Vertrages, die Sinnlosigkeit der Bürgschaft für die Bank und die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Haftenden auf Seiten des Kreditgebers. Diese Kriterien lassen sich, wie Graf aaO, 778 f zutreffend bemerkt, unter sinngemäßer Anwendung der Grundsätze des Wucherverbotes systematisch wie folgt zusammenfassen: 1.) Die inhaltliche Mißbilligung des Interzessionsvertrages, 2.) die Mißbilligung der Umstände seines Zustandekommens infolge verdünnter Entscheidungsfreiheit des Interzedenten und 3.) die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis dieser beiden Faktoren durch den Kreditgeber. Dabei wird von Graf aaO (780 f) weiters zutreffend erkannt, daß die Erfüllung aller drei Voraussetzungen erforderlich ist, um eine - wie bereits betont - in manchen Grundsätzen dem Wucherverbot nachgebildete Sittenwidrigkeit bejahen zu können. Das eine weitere Inhaltskontrolle in Richtung Sittenwidrigkeit (überhaupt erst) auslösende Element ist immer ein krasses Mißverhältnis zwischen Haftungsumfang einerseits und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Interzedenten andererseits. Steht ein solches Mißverhältnis fest, bilden die für die Inhaltskontrolle oben demonstrativ aufgezählten und sodann (Graf aaO folgend) abstrahierend gruppierten Gesichtspunkte ein bewegliches Beurteilungssystem, dessen Anwendung ein Sittenwidrigkeitsurteil dann erlaubt, wenn entsprechende Indikatoren im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in allen drei Systemelementen verwirklicht waren und diesen in der Gesamtschau - je nach den Umständen des Einzelfalls - erhebliches Gewicht beizumessen ist (JBl 1998, 778).Bürgschaften, ÖBA 1995, 776]) und in folgenden Entscheidungen vergleiche RIS-Justiz RS0048309), insbesondere 2 Ob 156/97y (= JBl 1998, 36) und 1 Ob 87/98w (= JBl 1998, 778) weiter entwickelten Grundsätze zur Frage der Sittenwidrigkeit der sog. Angehörigenbürgschaften (die auch auf Fälle der solidarischen Mithaftung naher Angehöriger anwendbar sind) richtig wiedergegeben. Danach sind die von der deutschen Rechtsprechung entwickelten Wertungen bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit rechtsgeschäftlicher Haftungserklärungen volljähriger Familienangehöriger "ohne jedes oder jedenfalls ohne zulängliches Einkommen und Vermögen" auch für den österreichischen Rechtsbereich von Bedeutung, weil das Prinzip der Privatautonomie, das jedermann auch risikoreiche, nur unter besonders günstigen Bedingungen erfüllbare Geschäfte erlaubt, nur durch die Bestimmung des Paragraph 879, ABGB begrenzt wird. Erst die Verbindung der strukturell ungleich größeren Verhandlungsstärke der Gläubigerbank gegenüber einem dem Hauptschuldner gutstehenden Angehörigen, dessen Verpflichtung seine gegenwärtigen und in absehbarer Zukunft zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse bei weitem übersteigt, mit weiteren, in der Person des gutstehenden Angehörigen liegenden, seine Entscheidungsfreiheit weitgehend beeinträchtigenden und der Gläubigerbank zurechenbaren Umstände kann in sinngemäßer Anwendung der Grundsätze des Wucherverbots - in Ausnahmefällen - die Sittenwidrigkeit und damit die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts wegen Vorliegens eines Ausbeutungstatbestandes begründen. Dabei sind demonstrativ folgende, für die Sittenwidrigkeitsfrage beachtlichen Gesichtspunkte, deren Gesamtwürdigung auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen ist, maßgeblich. Das grobe Mißverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit des Bürgen und der von ihm übernommenen Haftung, deren konkrete vertragliche Ausgestaltung, die hoffnungslose Überschuldung des Hauptschuldners, die Verharmlosung des Risikos oder der Tragweite der Verpflichtung durch einen Bankmitarbeiter, die Überrumpelung des Angehörigen durch die Bank, die Ausnutzung einer seelischen Zwangslage, die sich aus der gefühlmäßigen Bindung zum Kreditnehmer oder aus seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit ergibt, die geschäftliche Unerfahrenheit des Bürgen, daß Fehlen eines wesentlichen Eigeninteresses am Zustandekommen des Vertrages, die Sinnlosigkeit der Bürgschaft für die Bank und die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Haftenden auf Seiten des Kreditgebers. Diese Kriterien lassen sich, wie Graf aaO, 778 f zutreffend bemerkt, unter sinngemäßer Anwendung der Grundsätze des Wucherverbotes systematisch wie folgt zusammenfassen: 1.) Die inhaltliche Mißbilligung des Interzessionsvertrages, 2.) die Mißbilligung der Umstände seines Zustandekommens infolge verdünnter Entscheidungsfreiheit des Interzedenten und 3.) die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis dieser beiden Faktoren durch den Kreditgeber. Dabei wird von Graf aaO (780 f) weiters zutreffend erkannt, daß die Erfüllung aller drei Voraussetzungen erforderlich ist, um eine - wie bereits betont - in manchen Grundsätzen dem Wucherverbot nachgebildete Sittenwidrigkeit bejahen zu können. Das eine weitere Inhaltskontrolle in Richtung Sittenwidrigkeit (überhaupt erst) auslösende Element ist immer ein krasses Mißverhältnis zwischen Haftungsumfang einerseits und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Interzedenten andererseits. Steht ein solches Mißverhältnis fest, bilden die für die Inhaltskontrolle oben demonstrativ aufgezählten und sodann (Graf aaO folgend) abstrahierend gruppierten Gesichtspunkte ein bewegliches Beurteilungssystem, dessen Anwendung ein Sittenwidrigkeitsurteil dann erlaubt, wenn entsprechende Indikatoren im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in allen drei Systemelementen verwirklicht waren und diesen in der Gesamtschau - je nach den Umständen des Einzelfalls - erhebliches Gewicht beizumessen ist (JBl 1998, 778).

Die Bestimmungen der §§ 25b ff KSchG idF BGBl I 1997/6, womit der Gesetzgeber in der Frage der Haftung volljähriger Familienangehöriger ohne zulängliches Vermögen und Einkommen bei der Übernahme von Interzessionen eine von den Grundzügen der zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes abweichende Regelung getroffen hat (vgl dazu auch Mader in Schwimann2, § 1346 ABGB Rz 12 und Marwan-Schlosser, Sittenwidrigkeit der Haftungsübernahme durch mittellose Angehörige, in RdW 1995, 373 ff), sind hier noch nicht maßgeblich, weil diese Regelung gemäß § 41a Abs 4 Z 2 KSchG nicht auf Verträge anzuwenden ist, die - wie der vorliegende - vor dem 1. 1. 1997 geschlossen wurden (vgl 1 Ob 211/98f; 1 Ob 87/98w).Die Bestimmungen der Paragraphen 25 b, ff KSchG in der Fassung BGBl römisch eins 1997/6, womit der Gesetzgeber in der Frage der Haftung volljähriger Familienangehöriger ohne zulängliches Vermögen und Einkommen bei der Übernahme von Interzessionen eine von den Grundzügen der zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes abweichende Regelung getroffen hat vergleiche dazu auch Mader in Schwimann2, Paragraph 1346, ABGB Rz 12 und Marwan-Schlosser, Sittenwidrigkeit der Haftungsübernahme durch mittellose Angehörige, in RdW 1995, 373 ff), sind hier noch nicht maßgeblich, weil diese Regelung gemäß Paragraph 41 a, Absatz 4, Ziffer 2, KSchG nicht auf Verträge anzuwenden ist, die - wie der vorliegende - vor dem 1. 1. 1997 geschlossen wurden vergleiche 1 Ob 211/98f; 1 Ob 87/98w).

Die klagende Partei macht in der Revision nun zutreffend geltend, daß der regelmäßig eine Sittenwidrigkeitskontrolle erst auslösende Umstand eines Mißverhältnisses zwischen dem Haftungsumfang und der finanziellen Leistungsfähigkeit des Haftenden im vorliegenden Fall nicht gegeben ist: Die Beklagte hatte nach den erstgerichtlichen Feststellungen bei Unterfertigung der Kreditverträge ein - als Pflegehelferin der Stadt Wien gesichertes - monatliches Einkommen von S 16.500,-- (ihr "derzeitiges" Einkommen hat sie bei ihrer Vernehmung am 13. 5. 1998 mit ca S 17.000,-- inklusive Zulagen beziffert - s AS 55). Dem Ersturteil ist nicht zu entnehmen, ob das monatliche Nettoeinkommen der Beklagten von S 16.500,-- bereits unter Anrechnung des 13. und 14. Monatsbezuges errechnet wurde. Wäre das zu verneinen, wäre von einem monatlichen Nettoeinkommen von S 19.250,-- auszugehen. Im Ersturteil finden sich auch keine Feststellungen über die weiteren Lebensumstände der Beklagten, aus denen erschließbar wäre, welcher Betrag ihr monatlich zur freien Verfügung verbleibt; auch Feststellungen über die Vermögensverhältnisse der Beklagten fehlen. Die für die Sittenwidrigkeit ihrer Haftungsübernahme und daher auch für das Vorliegen eines Mißverhältnisses zwischen ihrem Haftungsumfang und ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit behauptungs- und beweispflichtige Beklagte hat gar nicht behauptet, besonderen finanziellen Belastungen ausgesetzt zu sein, weshalb nur eine nach Maßgabe des monatlichen Nettoeinkommen durchschnittliche Belastung angenommen werden kann. Diese Annahme wird auch durch den Umstand gerechtfertigt, daß die Beklagte sich ursprünglich auf eine Vereinbarung mit der klagenden Partei, den gegenständlichen Kredit in monatlichen Raten a S 5.000,-- zurückzahlen zu können, berufen hat (woraus sie die mangelnde Fälligkeit des Klagebegehrens ableiten wollte). Demnach hat sich die Beklagte offenbar durchaus imstande gesehen, die gegenständliche Kreditschuld in monatlichen Raten begleichen zu können. Zieht man all dies ins Kalkül, so kann auch bei einem monatlichen Nettoeinkommen von (insgesamt) S 16.500,-- und einer maximalen Haftung für S 500.000,-- noch nicht jenes krasse Mißverhältnis zwischen Haftungsumfang und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Haftenden im vorliegenden Fall erblickt werden, das zur Annahme der Sittenwidrigkeit der Haftungsübernahme der Beklagten erforderlich wäre.

Richtig weist die klagende Partei auch darauf hin, daß der Konkurs über das Vermögen des "Hauptschuldners" erst drei Jahre nach Kreditgewährung eröffnet wurde und insbesondere steht auch fest, daß der "Hauptschuldner" namhafte Rückzahlungen geleistet hat. Deshalb kann auch den Überlegungen des Berufungsgerichtes nicht gefolgt werden, das den Umstand, daß trotz eines damaligen Schuldenstandes von über S 900.000,-- eine Kreditausweitung auf lediglich S 500.000,-- erfolgte, dahin interpretiert hat, dies habe in Wahrheit eine Risikobeschränkung der Bank, nicht aber der Beklagten dargestellt. Läßt sich doch die Kreditausweitung auf (nur) S 500.000,-- zwanglos mit der festgestellten Forderung gegenüber einem Kunden von S 480.000,-- und der positiven Auftragslage (Rahmenauftrag über S 1,5 Mio) erklären.

Auf die in der Revision ebenfalls noch angeschnittene Frage, ob eine Sittenwidrigkeit der oben dargestellten Art zum gänzlichen Entfall der übernommenen Verpflichtung oder infolge bloßer Teilnichtigkeit nur zu einer Vertragsanpassung und Herabsetzung der Verpflichtung des mithaftenden Familienangehörigen auf ein seiner Leistungsfähigkeit im Zeitpunkt der Verpflichtungserklärung nicht unangemessenes Maß führt, muß daher auch hier (vgl EvBl 1995/156) nicht mehr eingegangen werden.Auf die in der Revision ebenfalls noch angeschnittene Frage, ob eine Sittenwidrigkeit der oben dargestellten Art zum gänzlichen Entfall der übernommenen Verpflichtung oder infolge bloßer Teilnichtigkeit nur zu einer Vertragsanpassung und Herabsetzung der Verpflichtung des mithaftenden Familienangehörigen auf ein seiner Leistungsfähigkeit im Zeitpunkt der Verpflichtungserklärung nicht unangemessenes Maß führt, muß daher auch hier vergleiche EvBl 1995/156) nicht mehr eingegangen werden.

Da sich das Klagebegehren sohin als berechtigt erweist, ist der Revision Folge zu geben und sind die Entscheidungen der Vorinstanzen in klagsstattgebendem Sinne abzuändern.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.Die Kostenentscheidung stützt sich auf die Paragraphen 41 und 50 Absatz eins, ZPO.

Anmerkung

E55825 07AA1469

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1999:0070OB00146.99T.1020.000

Dokumentnummer

JJT_19991020_OGH0002_0070OB00146_99T0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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