TE OGH 1999/10/28 Bsw26780/95

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Veröffentlicht am 28.10.1999
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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Große Kammer, Beschwerdesache Escoubet gegen Belgien, Urteil vom 28.10.1999, Bsw. 26780/95.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 13 EMRK - Sofortige Beschlagnahme des Führerscheins bei vermuteter Alkoholisierung des Lenkers. Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht anwendbar (14:3 Stimmen).Artikel 6, Absatz eins, EMRK, Artikel 13, EMRK - Sofortige Beschlagnahme des Führerscheins bei vermuteter Alkoholisierung des Lenkers. Artikel 6, Absatz eins, EMRK nicht anwendbar (14:3 Stimmen).

Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Artikel 13, EMRK (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Am 16.6.1994 war der Bf. mit seinem PKW in einen Verkehrsunfall verwickelt. Der von den Sicherheitsbeamten informierte zuständige Staatsanwalt ordnete die Beschlagnahme des Führerscheins an, da vermutet wurde, der Bf. hätte mehr als die erlaubten 0.8g Alkohol pro Liter Blut. Der Führerschein wurde dem Bf. am 23.6.1994 zurückgegeben.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behauptet, die sofortige Beschlagnahme seines Führerscheins durch den Staatsanwalt ohne die Möglichkeit eines wirksamen Rechtsmittel an ein Gericht, verletze ihn in seinem Recht auf ein Tribunal gemäß Art. 6 (1) EMRK und auf eine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz gemäß Art. 13 EMRK.Die Bf. behauptet, die sofortige Beschlagnahme seines Führerscheins durch den Staatsanwalt ohne die Möglichkeit eines wirksamen Rechtsmittel an ein Gericht, verletze ihn in seinem Recht auf ein Tribunal gemäß Artikel 6, (1) EMRK und auf eine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz gemäß Artikel 13, EMRK.

Zur Anwendbarkeit von Art. 6 (1) EMRK:Zur Anwendbarkeit von Artikel 6, (1) EMRK:

Für die Feststellung, ob es sich bei der sofortigen Beschlagnahme des Führerscheins um eine strafrechtliche Anklage iSv. Art. 6 EMRK handelt, ist zunächst zu prüfen, welchem Rechtsbereich (zB. Strafrecht, Disziplinarstrafrecht) die Maßnahme im innerstaatlichen Rechtssystem zuzuordnen ist. Weiters ist die Natur der Maßnahme sowie Art und Ausmaß der angedrohten Sanktion zu berücksichtigen. Was die Klassifizierung der Maßnahme in der innerstaatlichen Rechtsordnung betrifft, wird unter Bezugnahme auf den belg. Kassationsgerichtshof festgestellt, dass es sich hierbei um keine Strafe handelt, sondern um eine präventive Maßnahme, damit gefährliche Fahrer für gewisse Zeit vom Straßenverkehr ferngehalten werden. Nur weil eine Maßnahme dieser Art in einem Strafgesetz vorgesehen ist, bedeutet dies nicht automatisch, dass sie in den Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK fällt.Für die Feststellung, ob es sich bei der sofortigen Beschlagnahme des Führerscheins um eine strafrechtliche Anklage iSv. Artikel 6, EMRK handelt, ist zunächst zu prüfen, welchem Rechtsbereich (zB. Strafrecht, Disziplinarstrafrecht) die Maßnahme im innerstaatlichen Rechtssystem zuzuordnen ist. Weiters ist die Natur der Maßnahme sowie Art und Ausmaß der angedrohten Sanktion zu berücksichtigen. Was die Klassifizierung der Maßnahme in der innerstaatlichen Rechtsordnung betrifft, wird unter Bezugnahme auf den belg. Kassationsgerichtshof festgestellt, dass es sich hierbei um keine Strafe handelt, sondern um eine präventive Maßnahme, damit gefährliche Fahrer für gewisse Zeit vom Straßenverkehr ferngehalten werden. Nur weil eine Maßnahme dieser Art in einem Strafgesetz vorgesehen ist, bedeutet dies nicht automatisch, dass sie in den Anwendungsbereich von Artikel 6, EMRK fällt.

Wird die strafrechtliche Anklage grundsätzlich als amtliche Mitteilung durch die zuständige Behörde über den Vorwurf, eine Straftat begangen zu haben definiert, so kann sie auch in gewissen Fällen die Form anderer Maßnahmen annehmen, die einen solchen Vorwurf beinhalten und ebenfalls Auswirkungen auf die Lage des Verdächtigen nach sich ziehen. Grundsätzlich sind die Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK auf die vorläufigen Maßnahmen im Zuge einer Untersuchung vor Einbringung einer strafrechtlichen Anklage – wie Festnahme oder Vernehmung eines Verdächtigen – nicht anwendbar. Solche Maßnahmen können jedoch in den Anwendungsbereich von anderen Bestimmungen wie Art. 3 EMRK oder Art. 5 EMRK fallen.Wird die strafrechtliche Anklage grundsätzlich als amtliche Mitteilung durch die zuständige Behörde über den Vorwurf, eine Straftat begangen zu haben definiert, so kann sie auch in gewissen Fällen die Form anderer Maßnahmen annehmen, die einen solchen Vorwurf beinhalten und ebenfalls Auswirkungen auf die Lage des Verdächtigen nach sich ziehen. Grundsätzlich sind die Verfahrensgarantien des Artikel 6, EMRK auf die vorläufigen Maßnahmen im Zuge einer Untersuchung vor Einbringung einer strafrechtlichen Anklage – wie Festnahme oder Vernehmung eines Verdächtigen – nicht anwendbar. Solche Maßnahmen können jedoch in den Anwendungsbereich von anderen Bestimmungen wie Artikel 3, EMRK oder Artikel 5, EMRK fallen.

Hinsichtlich der Natur der Maßnahme wird festgestellt, dass im belg. Recht die sofortige Beschlagnahme des Führerscheins völlig unabhängig von einem eventuell in der Folge eingeleiteten Strafverfahren ist. Es handelt sich dabei um eine Vorsichtsmaßnahme ohne pönalen Charakter. Sie ist von der tatsächlichen Entziehung der Fahrerlaubnis zu unterscheiden, die von Gerichten im Zuge eines Strafverfahrens angeordnet werden kann.

Bezüglich der Schwere der Maßnahme hält der GH fest, dass die zeitliche Begrenzung für die Herausgabe bei einer sofortigen Beschlagnahme 15 Tage (45 Tage unter besonderen Umständen) beträgt. Die Höchstgrenze für die von den Gerichten angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis beträgt hingegen 5 Jahre. Unter besonderen Umständen ist sogar eine unbegrenzte Entziehung der Fahrerlaubnis vorgesehen. Die Wirkung der sofortigen Beschlagnahme des Führerscheins reicht sowohl hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs wie auch ihrer Dauer nicht aus, um sie als Strafe zu qualifizieren. Für den Bf. war die Maßnahme keine übermäßige Benachteiligung, da er seinen Führerschein nach 6 Tagen bereits wieder ausgehändigt bekam.

Der Bf. konnte auch nicht darlegen, dass von dieser Maßnahme zivile Rechte betroffen gewesen wären. Art. 6 (1) EMRK ist nicht anwendbar (14:3 Stimmen, Sondervoten der Richter Tulkens, Fischbach und Casadevall).Der Bf. konnte auch nicht darlegen, dass von dieser Maßnahme zivile Rechte betroffen gewesen wären. Artikel 6, (1) EMRK ist nicht anwendbar (14:3 Stimmen, Sondervoten der Richter Tulkens, Fischbach und Casadevall).

Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRKKeine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Artikel 13, EMRK

(einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Deweer/B, Urteil v. 27.2.1980, A/35, EuGRZ 1980, 667. Foti ua./I, Urteil v. 10.12.1982, A/56, EuGRZ 1985, 578. Malige/F, Urteil v. 23.9.1998, ÖJZ 1999, 654.

Anm.: Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 12.3.1998 die Anwendbarkeit von Art. 6 (1) EMRK verneint (18:13 Stimmen); keine gesonderte Prüfung von Art. 13 EMRK (einstimmig).Anmerkung, Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 12.3.1998 die Anwendbarkeit von Artikel 6, (1) EMRK verneint (18:13 Stimmen); keine gesonderte Prüfung von Artikel 13, EMRK (einstimmig).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 28.10.1999, Bsw. 26780/95, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1999, 188) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/99_6/Escoubet.pdf

Das Original der Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Anmerkung

EGM00263 Bsw26780.95-U

Dokumentnummer

JJT_19991028_AUSL000_000BSW26780_9500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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