Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Abdul Majid S*****, vertreten durch Dr. Heinz-Eckard Lackner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. Salim T*****, vertreten durch Mag. Axel Bauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 400.000 S, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 18. Mai 1999, GZ 12 R 219/98h-40, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Juni 1998, GZ 7 Cg 54/97f-33, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrte die Rückzahlung eines dem Beklagten gewährten Darlehens von 400.000 S. Er habe dem Beklagten, der damals finanzielle Probleme gehabt habe, diesen Betrag im August 1995 zum Erwerb einer Wohnung zur Verfügung gestellt. Es sei vereinbart gewesen, dass das Darlehen bis spätestens 31. 12. 1996 zurückgezahlt werden solle. Da der Kläger mit dem Beklagten in Geschäftsbeziehung gestanden sei und ihm vollstes Vertrauen geschenkt habe, habe der Beklagte einen Schlüssel zur Wohnung des Klägers besessen. Mitte 1996 habe der Beklagte in Abwesenheit des Klägers und ohne dessen Wissen die Wohnung des Klägers aufgesucht und Teile der Buchhaltungsunterlagen des Klägers einschließlich der Originalbestätigung über das zugezählte Darlehen entwendet.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er bestritt sämtliche Behauptungen des Klägers. Die Klageführung sei ein Racheakt des Klägers gegen den Beklagten infolge geschäftlicher Auseinandersetzungen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende Feststellungen:
Am 20. 7. 1995 erwarb die Ehefrau des Beklagten eine Eigentumswohnung in Wien um zumindest 1,000.000 S. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte vom Kläger zur Finanzierung dieses Wohnungskaufes oder zu anderen Zwecken im Sommer 1995 ein Darlehen über insgesamt 400.000 S - sei es auch in anderen Währungen - zugezählt erhielt.
Da es dem Kläger nicht gelungen sei, die behauptete Darlehenszuzählung unter Beweis zu stellen, sei das Klagebegehren abzuweisen gewesen.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es billigte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes und hielt die Mängelrüge der Berufung für unberechtigt. Es führte hiezu aus, dass die unterlassene Einvernahme des vom Kläger geführten Zeugen Reinhard K***** (ebenso wie die des weiters geführten Zeugen Ernst S*****, dessen unterlassene Einvernahme in der Revision aber nicht mehr beanstandet wird) keine "primäre Mangelhaftigkeit" des Verfahrens darstelle, weil dieser Zeuge nicht zu der allein wesentlichen Frage der realen Zuzählung von 400.000 S durch den Kläger an den Beklagten angeboten worden sei. Ob es sich bei der Schrift auf dem Kuvert, mit dem ein Teil der angeblich entwendeten Unterlagen anonym an den Kläger zurückgesendet worden seien, um die Handschrift des Beklagten handle, sei für das zentrale Beweisthema selbst dann nicht von Bedeutung, wenn man aus der eigenhändigen Adressierung des Kuverts durch den Beklagten schließen könnte, dass er tatsächlich eine Bestätigung über die Darlehenszuzählung aus der Wohnung des Klägers entwendet habe. Dieselbe Argumentation hielt das Berufungsgericht auch der weiteren Mängelrüge des Klägers, dass das Erstgericht den von ihm beantragten Sachverständigenbeweis - nämlich die Begutachtung der handschriftlichen Beschriftung des betreffenden Kuverts (Beilage B, vgl AS 135) zum Beweis dafür, dass diese vom Beklagten stamme - nicht durchgeführt hat.Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es billigte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes und hielt die Mängelrüge der Berufung für unberechtigt. Es führte hiezu aus, dass die unterlassene Einvernahme des vom Kläger geführten Zeugen Reinhard K***** (ebenso wie die des weiters geführten Zeugen Ernst S*****, dessen unterlassene Einvernahme in der Revision aber nicht mehr beanstandet wird) keine "primäre Mangelhaftigkeit" des Verfahrens darstelle, weil dieser Zeuge nicht zu der allein wesentlichen Frage der realen Zuzählung von 400.000 S durch den Kläger an den Beklagten angeboten worden sei. Ob es sich bei der Schrift auf dem Kuvert, mit dem ein Teil der angeblich entwendeten Unterlagen anonym an den Kläger zurückgesendet worden seien, um die Handschrift des Beklagten handle, sei für das zentrale Beweisthema selbst dann nicht von Bedeutung, wenn man aus der eigenhändigen Adressierung des Kuverts durch den Beklagten schließen könnte, dass er tatsächlich eine Bestätigung über die Darlehenszuzählung aus der Wohnung des Klägers entwendet habe. Dieselbe Argumentation hielt das Berufungsgericht auch der weiteren Mängelrüge des Klägers, dass das Erstgericht den von ihm beantragten Sachverständigenbeweis - nämlich die Begutachtung der handschriftlichen Beschriftung des betreffenden Kuverts (Beilage B, vergleiche AS 135) zum Beweis dafür, dass diese vom Beklagten stamme - nicht durchgeführt hat.
Auf die - wenn auch im Rahmen der Beweisrüge enthaltenen, inhaltlich aber einer Mängelrüge entsprechenden - Ausführungen der Berufung, dass der Beklagte zur Sekte der Drusen gehöre und daher seiner in erster Instanz erfolgten Beeidigung nach moslemischem Ritus keine Wertigkeit zukomme, ging das Berufungsgericht nicht weiter ein. Es legte lediglich dar, dass beide Parteien unter Eid ausgesagt hätten und gab diese einander widersprechenden Aussagen wörtlich wieder. Das Berufungsgericht führte aus, dass zur wesentlichen Tatfrage letztlich nur die einander diametral widersprechenden Aussagen der Streitteile selbst vorlägen, so dass gegen das erstgerichtliche Ergebnis, keine gesicherten Feststellungen in die eine oder andere Richtung treffen zu können, keine Bedenken bestünden.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.
Hat das Berufungsgericht einen behaupteten Verfahrensmangel erster Instanz verneint, dann kann zwar nach ständiger Rechtsprechung der Mangel in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Berufungsgericht die Mängelrüge mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung oder infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung verworfen oder sie überhaupt nicht behandelt hat (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 3 zu § 503 ZPO mwN). Auch einem Verfahrensfehler kann erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukommen, liegt es doch nicht nur im Interesse der betroffenen Partei, sondern auch im allgemeinen Interesse, dass Fehlentscheidungen verhindert werden (Kodek aaO Rz 3 zu § 502 ZPO mwN). Derartige wesentliche Verfahrensfehler zeigt die Revision im vorliegenden Fall zutreffend auf.Hat das Berufungsgericht einen behaupteten Verfahrensmangel erster Instanz verneint, dann kann zwar nach ständiger Rechtsprechung der Mangel in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Berufungsgericht die Mängelrüge mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung oder infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung verworfen oder sie überhaupt nicht behandelt hat (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 3 zu Paragraph 503, ZPO mwN). Auch einem Verfahrensfehler kann erhebliche Bedeutung im Sinn des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zukommen, liegt es doch nicht nur im Interesse der betroffenen Partei, sondern auch im allgemeinen Interesse, dass Fehlentscheidungen verhindert werden (Kodek aaO Rz 3 zu Paragraph 502, ZPO mwN). Derartige wesentliche Verfahrensfehler zeigt die Revision im vorliegenden Fall zutreffend auf.
In der letzten mündlichen Streitverhandlung erster Instanz beantragten die Parteien jeweils ihre Beeidigung. Der Kläger erklärte, Moslem zu sein, während der Beklagte angab, den Drusen anzugehören. Es handle sich hiebei aber nur um eine Untergruppe der Moslems. Er glaube selbstverständlich auch an den Koran. Hiezu führte der Kläger aus, dass dies unrichtig sei. Der Beklagte sei kein regulärer sunnitischer Moslem. Der Schwur eines Drusen auf den Koran sei genauso wie der Schwur eines Drusen auf die Bibel. In der Folge wurden der Kläger und sodann der Beklagte unstrittig nach moslemischem Ritus beeidet und nochmals zur Frage der Darlehensgewährung einvernommen.
Der Kläger legte eine Bestätigung des Imams des islamischen Zentrums in Wien und deren beglaubigte Übersetzung vor, wonach der Druse einen anderen Glauben habe, der ihn völlig von der islamischen Religion entfernt habe. Der Eid von Drusen auf den Koran sei gemäß der islamischen Rechte gegen einen Moslem nicht rechtsgültig.
Nach Brockhaus-Enzyklopädie19 V 699 sind die Drusen Angehörige einer im 11. Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervorgegangenen Religionsgemeinschaft, die wegen ihrer Abkehr von zentralen Lehren des Islam nicht mehr als islamische Sekte einzustufen ist; das Gesetz des Islam ist aufgehoben; die heilige Schrift der Drusen ist nicht der Koran, sondern ein Kanon von "111 Briefen der Weisheit". In Meyers Enzyklopädischem Lexikon VII 259 werden die Drusen als pseudoislamische Sekte bezeichnet, deren Geheimlehren in sieben heiligen Büchern niedergelegt wurden.Nach Brockhaus-Enzyklopädie19 römisch fünf 699 sind die Drusen Angehörige einer im 11. Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervorgegangenen Religionsgemeinschaft, die wegen ihrer Abkehr von zentralen Lehren des Islam nicht mehr als islamische Sekte einzustufen ist; das Gesetz des Islam ist aufgehoben; die heilige Schrift der Drusen ist nicht der Koran, sondern ein Kanon von "111 Briefen der Weisheit". In Meyers Enzyklopädischem Lexikon römisch VII 259 werden die Drusen als pseudoislamische Sekte bezeichnet, deren Geheimlehren in sieben heiligen Büchern niedergelegt wurden.
Die vom Beklagten vorgelegte Bestätigung des Innenministeriums der arabischen Republik Syrien, Amt für Zivilangelegenheiten, mit dem Inhalt, dass "aus dem Schreiben des islamischen Scheichs" ersichtlich sei, dass die Drusen zu den islamischen Sekten zu zählen seien, ist demgegenüber wenig aufschlussreich. Für die Frage der anzuwendenden Eidesformel ist auch nicht von Bedeutung, dass der Beklagte seinen Behauptungen zufolge der islamisch-rechtlichen Jurisdiktion unterliegt und dass seine Ehe vor einem islamischen Richter geschlossen wurde.
Aus der für die vorliegende Frage maßgebenden, oben angeführten Bestätigung des Imam ergibt sich im Zusammenhang mit der historischen Entwicklung der Drusensekte, dass der Beklagte als Druse nicht nach der besonderen Eidesformel für Mohammedaner (Hofdekret vom 26. 8. 1826 JGS 2217) zu beeiden ist. Die Beeidigung hat vielmehr nach den allgemeinen Bestimmungen des RGBl 1868/33 iVm Art XL EGZPO (vgl MGA, ZPO14, 266 ff) zu erfolgen.Aus der für die vorliegende Frage maßgebenden, oben angeführten Bestätigung des Imam ergibt sich im Zusammenhang mit der historischen Entwicklung der Drusensekte, dass der Beklagte als Druse nicht nach der besonderen Eidesformel für Mohammedaner (Hofdekret vom 26. 8. 1826 JGS 2217) zu beeiden ist. Die Beeidigung hat vielmehr nach den allgemeinen Bestimmungen des RGBl 1868/33 in Verbindung mit Art XL EGZPO vergleiche MGA, ZPO14, 266 ff) zu erfolgen.
Die Beeidigung des Beklagten im Verfahren erster Instanz ist demnach nicht wirksam erfolgt, so dass sowohl die erstinstanzlichen Erwägungen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Parteienaussagen als auch die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichtes, die von einer wirksamen Beeidigung beider Parteien ausgehen, auf einer nicht den Tatsachen entsprechenden Grundlage beruhen. Die Revision zeigt somit insoweit zu Recht einen wesentlichen Mangel des bisherigen Verfahrens auf, der vom Erstgericht im fortgesetzten Verfahren zu sanieren sein wird.
Der Revision ist aber weiters auch dahin beizupflichten, dass das Berufungsgericht mit rechtlich unhaltbarer Begründung die Unterlassung der Einvernahme des Zeugen Reinhard K***** und der Beiziehung eines Schriftsachverständigen als nicht maßgebend abgetan hat.
Entscheidungswesentlich ist, ob der dem Kläger obliegende Beweis der Darlehensgewährung an den Beklagten als gelungen anzusehen ist. Diese Frage ist zwar allein ausschlaggebend. Sie hängt aber ganz wesentlich von der hier behaupteten Hilfstatsache ab, ob eine von den Parteien ausgestellte schriftliche Bestätigung über die Darlehensgewährung existierte und ob der Beklagte dem Kläger diese Bestätigung entwendet hat. Da der Beklagte all dies und ebenso die behauptete anonyme Rücksendung der von ihm ebenfalls entwendeten Geschäftsunterlagen bestritten hat, kommt der Frage, welche der auch hiezu widersprüchlichen Behauptungen zutrifft, besondere Bedeutung zu. Auch die Nebentatsache der behaupteten Unterdrückung des entscheidenden Beweismittels, nämlich der Urkunde über die Darlehensgewährung, durch den Beklagten sowie die zur Untermauerung dieser Nebentatsache angeführten Indizien zählen hier zum entscheidenden Beweisthema, so daß die Nichtaufnahme der hiefür angebotenen Beweismittel eine wesentliche Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens begründet.
Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren eine ordnungsgemäße Beeidigung des Beklagten vorzunehmen und den noch in der Revision aufrechterhaltenen Anträgen des Klägers auf Einvernahme des Zeugen Reinhard K***** und auf Beiziehung eines Schriftsachverständigen nachzukommen haben.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf Paragraph 52, ZPO.
Anmerkung
E56126 06A01959European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1999:0060OB00195.99S.1111.000Dokumentnummer
JJT_19991111_OGH0002_0060OB00195_99S0000_000