TE Vwgh Erkenntnis 2006/11/23 2005/20/0538

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Veröffentlicht am 23.11.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des H in W, geboren 1962, vertreten durch Dr. Kordula Fleiß, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Seilerstätte 18-20, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Juli 2005, Zl. 261.369/0-IV/44/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides (Abweisung des Asylantrages und Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die VR China) bestätigt wurden, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben und insoweit, als damit Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet") bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein chinesischer Staatsangehöriger, reiste im Jänner 2004 in das Bundesgebiet ein und stellte mit Schreiben vom 28. Jänner 2004 einen Asylantrag. Zur Begründung brachte er dazu bei seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 16. April 2004 und am 9. Mai 2005 zusammengefasst vor, er sei im Oktober 2003 nach einer Beschäftigungsdauer von mehr als zwanzig Jahren in einem näher bezeichneten staatlichen Betrieb - wie auch andere Arbeiter - grundlos gekündigt worden. Als er sich daraufhin an den Vorsitzenden des Betriebes gewandt habe, sei es zu einem handgreiflichen Streit gekommen, in dessen Zuge der Vorsitzende - vom Beschwerdeführer unbeabsichtigt - zu Sturz gekommen und mit dem Kopf gegen eine Tischkante gestoßen sei. Wegen der dabei erlittenen Verletzungen habe sich dieser - wie der Beschwerdeführer im März 2004 bei einem Telefonat erfahren habe - dann im Krankenhaus befunden. Der Beschwerdeführer habe sich bis zu seiner Ausreise im Dezember 2003 bei Freunden versteckt, während die Polizei - wie ihm von einem Arbeitskollegen mitgeteilt worden sei - nach ihm gesucht habe. In einem Strafverfahren erwarte den Beschwerdeführer die Verurteilung zu einer Haftstrafe von fünf bis acht Jahren. Man werde ihm nämlich nicht glauben, dass es sich um einen Unfall gehandelt habe, zumal der Betriebsvorsitzende Beziehungen zur Polizei habe. Eine Aufklärung der Angelegenheit mit Hilfe eines Rechtsanwaltes wäre in China nicht möglich; das hänge davon ab, ob "man Macht oder Geld hat". Auf "offiziellem Weg" hätte er "sicher verloren". Bei einer Rückkehr nach China müsste er jederzeit damit rechnen, dass er verhaftet und verurteilt werde.

Mit Bescheid vom 26. Mai 2005 wies das Bundesasylamt diesen Asylantrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 - AsylG ab (Spruchpunkt I.). Weiters stellte es gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach VR China" fest (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.).

Das Bundesasylamt hielt das Vorbringen des Beschwerdeführers für nicht glaubwürdig und kam demzufolge rechtlich zur Abweisung des Asylantrages und zur Versagung von Refoulement-Schutz. Da der Beschwerdeführer über "keinen familiären Bezug in Österreich" verfüge, erachtete das Bundesasylamt auch die Ausweisung des Beschwerdeführers für gerechtfertigt.

Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassenen - angefochtenen Bescheid vom 18. Juli 2005 "gemäß §§ 7, 8 (1) und 8 (2) AsylG" ab, wobei sie zur Begründung im Wesentlichen auf die für zutreffend erachteten Ausführungen des Bundesasylamtes verwies. Im Übrigen ging sie auch davon aus, dass die behauptete Strafverfolgung wegen eines vom Beschwerdeführer begangenen Körperverletzungsdeliktes - auch im Falle der Wahrunterstellung - in keinem Zusammenhang mit einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe stehe. Der Beschwerdeführer habe auch nicht vorgebracht, dass ihn bei einer Rückkehr in seine Heimat Folter, unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung erwarte. Auch aus der Sicht der belangten Behörde weise der Sachverhalt keine Elemente auf, die derartige Gefahren nahe legen würden, zumal der Beschwerdeführer nach den unwidersprochen gebliebenen Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid auch keine derartigen politisch begründeten Repressalien wegen seiner illegalen Ausreise oder der Asylantragstellung im Ausland zu erwarten habe. Schließlich begründete die belangte Behörde noch näher, weshalb ihrer Ansicht nach eine Berufungsverhandlung unterbleiben durfte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

1. Die Beschwerde wendet sich mit Recht gegen die (von der belangten Behörde übernommene) Beweiswürdigung des Bundesasylamtes.

Zunächst vertrat das Bundesasylamt die Meinung, der Beschwerdeführer habe bei der Darstellung seiner Fluchtgründe "ein höchst abstraktes Vorbringen, wie es in anderen Asylverfahren zuvor bereits unzählige Mal beim Bundesasylamt dargeboten wurde, dargelegt." Das ist angesichts der hier vom Beschwerdeführer vorgetragenen, ein individuelles Geschehen betreffenden Fluchtgründe weder nachvollziehbar noch ließe sich daraus für die fallbezogen vorzunehmende Glaubwürdigkeitsbeurteilung etwas gewinnen. Insoferne ist der Beschwerde beizupflichten, dass es sich um "textbausteinartige Wendungen" handelt, "die auf den konkreten Fall nicht eingehen".

Die Erstbehörde machte dem Beschwerdeführer auch zum Vorwurf, er habe nur "vage und allgemein" behauptet, im Oktober 2003 gekündigt worden zu sein, danach den Geschäftsleiter seines Unternehmens zur Rede gestellt und ihn im Zuge einer Auseinandersetzung am Körper verletzt zu haben und schließlich aus Angst vor behördlicher Verfolgung aus China geflüchtet zu sein. Abgesehen davon, dass es sich insoweit um eine verkürzte und der Aussage des Beschwerdeführers nicht gerecht werdende Wiedergabe handelt (der Beschwerdeführer hat nämlich nicht nur selbständig, sondern auch auf Nachfrage dazu zahlreiche Einzelheiten angegeben), ist der Bescheidbegründung nicht zu entnehmen, welche erwartbaren Details der Beschwerdeführer in seiner Schilderung schuldig geblieben ist (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das Erkenntnis vom 15. Mai 2003, Zl. 2002/01/0560, mit weiteren Hinweisen). Auch das zeigt die Beschwerde zutreffend unter Darstellung konkreter und ihrer Ansicht nach überprüfbarer Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Vernehmung auf.

Das Bundesasylamt kritisierte weiters, der Beschwerdeführer habe weder "einen konkreten Vorfallszeitpunkt" genannt, noch die von ihm "gesetzte Tathandlung" konkret beschrieben. Dem ist zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer das Ereignis zeitlich im Oktober 2003 einordnete und von einem gegenseitigen "Schubsen", das offenbar zu einem Gleichgewichtsverlust seines Kontrahenten geführt hatte, und davon gesprochen hat, dass der Vorsitzende mit dem Kopf gegen die Tischkante gestoßen sei. Es ist aber weder ersichtlich, dass das Bundesasylamt diese Angaben für unzureichend erachtet hätte, noch dass der Beschwerdeführer dazu dann noch näher befragt worden wäre, sodass die diesbezügliche Argumentation angesichts der - nicht nur oberflächlichen - Schilderung des Beschwerdeführers nicht tragfähig ist. Zu Recht weist die Beschwerde im Übrigen darauf hin, dass der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt auch vermisste "innere Vorgänge und Emotionen" ohnehin erwähnte, indem er seinen Zustand als "wütend" und an anderer Stelle als "sehr wütend" bezeichnete.

Soweit das Bundesasylamt schließlich noch auf unterschiedliche Angaben des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt des Verlassens seine Heimatortes verwies, hätte es aber auch auf die nachträgliche Richtigstellung eingehen und diese nicht unerwähnt lassen dürfen.

Das Bundesasylamt blieb daher eine schlüssige und nachvollziehbare Begründung für seine Beurteilung, der Beschwerdeführer habe "eine inhaltsleere Rahmengeschichte auf der Basis einer gedanklichen Konstruktion präsentiert", schuldig. Demzufolge hätte die belangte Behörde - ungeachtet dessen, dass die Berufung die Beweiswürdigung nicht konkret bekämpfte - am Maßstab der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erst nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung entscheiden dürfen (vgl. grundlegend zur Verhandlungspflicht in diesen Fällen das Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533).

2. Aber auch die Eventualbegründung der belangten Behörde kann den angefochtenen Bescheid nicht tragen. Der Beschwerdeführer hat in der Berufung Auszüge aus Länderberichten wiedergegeben, wobei die Beschwerde unter Zitierung einzelner Passagen zutreffend darstellt, dass sie auch einen Fallbezug aufweisen. Aber schon einigen (in Deutsch formulierten) Überschriften ist zu entnehmen, dass sich einzelne Berichtsteile mit unfairen Strafverfahren und mit der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz unter dem Gesichtspunkt der politischen Einflussnahme und Korruption befassen. Vor dem Hintergrund des in diese Richtung deutenden Vorbringens des Beschwerdeführers hätte sich die belangte Behörde daher mit der diesbezüglichen Berichtslage auseinander setzen müssen. Dabei wäre einzubeziehen gewesen, dass die Berufung auch Hinweise darauf enthält, wonach man in China unter Umständen zur Zwangsarbeit in einem "Umerziehungslager" verurteilt werden kann. Die belangte Behörde hätte daher der vom Beschwerdeführer behaupteten (und in diesem Begründungsteil als richtig unterstellten) Verfolgungsgefahr nicht von vornherein die Asylrelevanz absprechen dürfen, sondern sie hätte zu prüfen gehabt, welche Strafe der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr konkret zu erwarten und unter welchen Bedingungen er sie zu verbüßen hätte. Dabei wären - wie in der Beschwerde ausführlich angesprochen - vor dem Hintergrund der Verhältnisse in China nicht ausgeschlossene "politische Implikationen" dieses Falles, in dem ein Mitarbeiter eines staatlichen Unternehmens dessen "Vorsitzenden" schwer verletzte, zu prüfen, gegebenenfalls in eine Gesamtbetrachtung einzubeziehen und danach zu beurteilen gewesen, ob es sich um legitime Strafverfolgung oder um asylrelevante Verfolgung handelt (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 2003, Zl. 2001/20/0303; siehe auch das China betreffende Erkenntnis vom 14. Dezember 2004, Zl. 2001/20/0692, jeweils mit weiteren Nachweisen). Vor einer abschließenden Einschätzung wären daher diesbezüglich Ermittlungen anzustellen und der Beschwerdeführer dazu ergänzend zu befragen gewesen.

Die vorstehenden Überlegungen gelten im Übrigen auch für die von der belangten Behörde übernommenen Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid zu den Sanktionen wegen illegaler Ausreise. Angesichts dessen, dass ihnen eine Bandbreite an möglichen Maßnahmen - allenfalls kann man bei Nichtzahlung einer Geldstrafe "bis zu einem Jahr in Lager zur 'Umerziehung durch Arbeit' geschickt" werden - zu entnehmen ist, wäre fallbezogen zu klären gewesen, was der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die VR China insofern allenfalls zu befürchten hätte (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 2. März 2006, Zl. 2003/20/0342, mit weiteren Nachweisen). Im Übrigen kritisiert die Beschwerde - wie schon die Berufung - zu Recht, dass jene Quellen, auf die sich die erstinstanzlichen Feststellungen stützen, nur allgemein und überwiegend nur durch "Internetadressen" bezeichnet werden, ohne dass die maßgeblichen Passagen konkret angeführt wurden und ohne dass diese Unterlagen den Akten angeschlossen worden wären, was deren Nachprüfbarkeit entgegen steht (vgl. zur Kritik an dieser Vorgangsweise etwa das Erkenntnis vom 30. August 2005, Zl. 2004/01/0448; siehe auch mehrere im Anschluss an die Erkenntnisse vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0567, und vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0304, ergangene Entscheidungen).

Da nicht ausgeschlossen scheint, dass ergänzende Ermittlungen die Asylrelevanz der dem Beschwerdeführer drohenden Strafsanktionen ergeben könnten, leidet der angefochtene Bescheid nicht nur hinsichtlich der Refoulement-Entscheidung, sondern auch im Asylteil an einem Verfahrens- und Begründungsmangel.

3. Mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet ist der im Bescheid des Bundesasylamtes vorgenommene Ausspruch nach § 8 Abs. 2 AsylG über die Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet". Diesbezüglich wurde nämlich verkannt, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung eines Asylwerbers ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden.

4. Der angefochtene Bescheid war daher in seinen die Spruchpunkte I. und II. bestätigenden Teilen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften und die unveränderte Bestätigung von Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Von der in der Beschwerde beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 23. November 2006

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005200538.X00

Im RIS seit

24.01.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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