TE Vwgh Erkenntnis 2006/11/23 2005/20/0409

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Veröffentlicht am 23.11.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §30 Abs1;
AsylG 1997 §6 Z4;
AsylG 1997 §6;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des M in W, geboren 1969 (alias J, geboren 1982), vertreten durch Dr. Alfred Strobl, Rechtsanwalt in 1170 Wien, Hernalser Hauptstraße 141, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. April 2005, Zl. 214.719/6-V/14/03, betreffend § 6 Z 4 und § 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer reiste am 14. Juni 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag, wobei er angab, J.D. zu heißen, am 13. September 1982 geboren und Staatsangehöriger des Sudan zu sein.

Nach der Vernehmung des Beschwerdeführers am 28. Juli 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 gemäß § 6 Z 3 und 4 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan fest (Spruchpunkt II.). Das Bundesasylamt schenkte den Herkunftsangaben des Beschwerdeführers und seinen darauf gestützten Fluchtgründen mit näherer Begründung "absolut keinen Glauben". Darüber hinaus sei dem Beschwerdeführer vorzuwerfen, dass er an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht mitgewirkt habe, wofür "grundlegende Voraussetzung" sei, dass der Beschwerdeführer seinen tatsächlichen "Herkunftsort" und sein richtiges Alter nenne. Das Bundesasylamt ging nämlich schon aufgrund des Aussehens des Beschwerdeführers davon aus, dass er "weit älter als 17 Jahre" sei, "ja sogar schon das 20. Lebensjahr überschritten haben müsste". Demzufolge wurde der Bescheid auch dem Beschwerdeführer persönlich zugestellt.

In der gegen diesen Bescheid von einem frei gewählten Vertreter (einer Mitarbeiterin einer Flüchtlingsorganisation) für den Beschwerdeführer erhobenen Berufung vom 22. Dezember 1999 und in deren Ergänzung mit Schriftsatz vom 5. Jänner 2000 trat der Beschwerdeführer der Annahme im erstinstanzlichen Bescheid, die behaupteten Fluchtgründe seien iSd § 6 Z 3 AsylG offensichtlich tatsachenwidrig "mit aller Vehemenz" entgegen und er wiederholte sein Vorbringen zu den angeblich im Südsudan als Christ und Angehöriger der Volksgruppe der Dinka erlittenen Verfolgungshandlungen und zu den ihm deshalb drohenden Gefahren bei einer Rückkehr in den Sudan. Demzufolge bestritt der Beschwerdeführer (im Ergebnis) auch, er hätte iSd § 6 Z 4 AsylG seine Mitwirkungspflichten verletzt.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 24. Oktober 2003 brachte der Beschwerdeführer - in Abkehr von seinen bisherigen Angaben - unter Anschluss einer Reisepasskopie vor, den Namen M.I.A. zu führen und am 13. September 1969 geboren zu sein; er sei nigerianischer Staatsangehöriger. Er habe sich nicht getraut, wahrheitsgemäße Personalangaben zu machen, weil er für den Fall einer negativen Erledigung seines Asylverfahrens und einer Abschiebung in sein richtiges Heimatland Nigeria "Angst vor Verfolgung und Tod fürchtete".

Mit dem angefochtenen, ohne die Vornahme weiterer Ermittlungsschritte erlassenen Bescheid vom 21. April 2005 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 Z 4 AsylG (idF vor der Novelle 2003) ab. Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe sein gesamtes bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren (fälschlicherweise ) darauf gestützt, im Sudan einer gravierenden Verfolgung ausgesetzt zu sein. Das beharrliche falsche Vorbringen vor einer österreichischen Behörde und damit ein "Nichtmitwirken" an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes sei "bereits dann erreicht", wenn der Asylwerber "zwar in der Lage, aber nicht Willens sei, erschöpfende Auskünfte zu geben". Im vorliegenden Fall sei es evident, dass der Beschwerdeführer versucht habe, sein Asylverfahren zu verschleppen. Rechtlich folge daraus, dass der Beschwerdeführer, der zunächst eine andere Identität und sodann - auf ein anderes Land bezogen - nur eine "allgemeine Bedrohungssituation" behauptet habe, seine Mitwirkung wohl in Verschleppungsabsicht verweigert habe und keine sonstigen Hinweise vorlägen, der Beschwerdeführer hätte in Nigeria konkrete persönliche Verfolgungsgefahr zu gewärtigen, sodass sein Asylantrag gemäß § 6 Z 4 AsylG abzuweisen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Es ist jedenfalls unbedenklich, dass die belangte Behörde ihre Entscheidung - anders als das Bundesasylamt - nur mehr auf § 6 Z 4 AsylG stützte (vgl. in diesem Zusammenhang die Rechtsprechungsnachweise in dem hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2001/20/0080). Zu prüfen ist daher, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet nach der genannten Bestimmung vorlagen, was die Beschwerde - im Ergebnis zu Recht - bestreitet.

Nach § 6 AsylG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der AsylG-Novelle 2003) sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach der von der belangten Behörde herangezogenen Z 4 dieser Gesetzesstelle der Fall, wenn - ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat - "die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes trotz Aufforderung nicht mitwirken". Auch in diesem Fall muss der Umstand, dass der Asylwerber trotz Aufforderung an der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes nicht mitgewirkt hat, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (eindeutig) den Schluss zulassen, der Asylantrag sei missbräuchlich gestellt worden (vgl. das schon zitierte Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2001/20/0080, mit dem Hinweis auf weitere zu § 6 Z 4 AsylG ergangene Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes). Die trotz einer entsprechenden Aufforderung - gegenüber der Unmöglichkeit der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts wegen Abwesenheit des Asylwerbers, die nach § 30 Abs. 1 AsylG lediglich die (vorläufige) Verfahrenseinstellung zur Folge hatte - qualifizierte Verletzung der Mitwirkungspflicht durch die Partei nach § 6 Z 4 AsylG, die zur Abweisung des Asylantrages führen kann, muss die Annahme rechtfertigen, der Asylantrag entbehre eindeutig jeder Grundlage (vgl. dazu das die Gesetzesmaterialien einbeziehende Erkenntnis vom 19. Dezember 2001, Zl. 2000/20/0318).

Der belangten Behörde ist beizupflichten, dass der vom Beschwerdeführer auf den Sudan als angeblichen Herkunftsstaat bezogene Asylantrag - nach seinem im Berufungsverfahren zuletzt erstatteten Vorbringen - eindeutig jeder Grundlage entbehrte und missbräuchlich gestellt wurde. Die belangte Behörde hatte aber im Hinblick auf die - mangels Geltung eines Neuerungsverbotes im vorliegenden Verfahren - zulässige und vom Beschwerdeführer von sich aus vorgenommene Änderung des Vorbringens im Berufungsverfahren nicht mehr einen Asylantrag des Beschwerdeführers zu beurteilen, dem auf den Sudan bezogene Fluchtgründe zugrunde lagen. Dass die Herkunft des Beschwerdeführers aus Nigeria, wo ihm behauptetermaßen Verfolgung droht, von der belangten Behörde bezweifelt und von einer Herkunft des Beschwerdeführers aus dem Sudan ausgegangen worden wäre, lässt sich dem angefochtenen Bescheid aber nicht entnehmen. Damit im Einklang steht, dass auch die Feststellung nach § 8 AsylG auf Nigeria bezogen und eine Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides unter dem Gesichtspunkt einer offensichtlichen Tatsachenwidrigkeit iSd § 6 Z 3 AsylG nicht vorgenommen wurde.

Davon ausgehend hätte die belangte Behörde zunächst den Versuch unternehmen müssen, auf eine Konkretisierung der im Schriftsatz vom 24. Oktober 2003 - nur unbestimmt - behaupteten, dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Nigeria angeblich drohenden Verfolgungsgefahr zu dringen. Die belangte Behörde hat aber weder dargetan noch gibt die Aktenlage dafür einen Anhaltspunkt, dass der Beschwerdeführer eine "Aufforderung" im Sinne des § 6 Z 4 AsylG erhalten hätte (vgl. in diesem Zusammenhang Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, 1999, Rz 303). Schon deshalb fehlt es an einer maßgeblichen Voraussetzung für die Annahme, der Beschwerdeführer hätte die Mitwirkung an der Klärung von - für die Entscheidung der belangten Behörde erheblichen - Sachverhaltselementen im Sinne der von der belangten Behörde herangezogenen Gesetzesstelle verweigert. Da der Beschwerdeführer von sich aus (offenbar über anwaltlichen Rat) seine Personaldaten im Berufungsverfahren richtig gestellt hat, rechtfertigt aber sein bisheriges Verhalten für sich genommen noch nicht die Unterstellung einer qualifizierten Mitwirkungspflichtverletzung in Bezug auf das im angefochtenen Bescheid zu beurteilende Vorbringen.

Das hat die belangte Behörde verkannt, sodass der angefochtene - allein auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Z 4 AsylG gegründete - Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 23. November 2006

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005200409.X00

Im RIS seit

24.01.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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