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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §32 Abs2;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):2005/20/0583 E 23. November 2006Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des A in E, geboren 1978, vertreten durch Mag. Michael Schuszter, Rechtsanwalt in 7000 Eisenstadt, Robert Graf Platz I, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. August 2005, Zl. 262.704/2-XI/38/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, kam am 26. Juni 2005 - gemeinsam mit seinem Bruder (vgl. dazu das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2005/20/0583) - am Flughafen Wien-Schwechat an und stellte einen Asylantrag, den er bei seiner "Erstbefragung" durch die Bundespolizeidirektion Schwechat, SW-Abteilung Flughafen (Grenzkontrollstelle), am 27. Juni 2005 mit näher dargestellten, im Zusammenhang mit seiner politischen Gesinnung stehenden mehrfachen Übergriffen der pakistanischen Sicherheitsbehörden begründete.
Der Beschwerdeführer befand sich in der Folge in dem (vom Flughafengebäude baulich getrennten) "Sondertransitraum". Nachdem das Bundesasylamt die Einreise "derzeit" nicht gestattet hatte, wurde der Beschwerdeführer am 29. Juni 2005 und am 1. Juli 2005 jeweils von derselben Bediensteten der Erstaufnahmestelle (EASt) Flughafen, die sich im Bereich des Flughafengeländes Wien-Schwechat befindet, und im Beisein eines Rechtsberaters zu seinen Fluchtgründen befragt. Am Ende der zweiten Vernehmung wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, einen Bescheid gemäß § 6 AsylG zu erlassen, gegen den er binnen sieben Tagen ab Zustellung eine Berufung an den unabhängigen Bundesasylsenat einbringen und sich dafür an die Mitarbeiter der Caritas "um Hilfestellung" wenden könne.
Nachdem UNHCR mit Schreiben vom 6. Juli 2005 die Zustimmung gemäß § 39 Abs. 3 AsylG zu dieser Erledigung erteilt hatte, wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid des Bundesasylamtes, EASt Flughafen, vom 6. Juli 2005 gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 des Asylgesetzes 1997 (idF der Novelle 2003) - AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan festgestellt (Spruchpunkt II.) und gemäß "§ 8 Abs. 2 AsylG" seine Ausweisung "aus dem österreichischen Bundesgebiet" verfügt (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid, dem die Annahme der offensichtlichen Tatsachenwidrigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zugrundeliegt, wurde von derselben Bediensteten des Bundesasylamtes (für dessen Leiter) unterfertigt, welche die Einvernahmen durchgeführt hatte. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 8. Juli 2005 in der EASt Ost in Traiskirchen persönlich ausgehändigt. Der Beschwerdeführer hatte sich nämlich nach einer Behandlung im Krankenhaus Mödling am 6. Juli 2005 entsprechend dem Auftrag der Bundespolizeidirektion Schwechat in die Betreuungseinrichtung der EASt Ost begeben und war dort "für die EASt Flughafen" untergebracht. Noch am Tag der Bescheidzustellung wurde der Beschwerdeführer in Schubhaft genommen.
Gegen den genannten Bescheid des Bundesasylamtes erhob der Beschwerdeführer eine - von ihm handschriftlich verfasste - Berufung, die am 14. Juli 2005 per Telefax eingebracht wurde. Am 20. Juli 2005 übermittelte er dazu ein kurzes ergänzendes Schreiben.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. August 2005 änderte die belangte Behörde in Erledigung der Berufung, der sie zuvor gemäß § 32 Abs. 4a AsylG aufschiebende Wirkung zuerkannt hatte, Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides dahin ab, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen wurde. Im Übrigen wiederholte sie den Zulässigkeitssausspruch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus.
Nach Darstellung des Verfahrensganges und zum Teil wörtlicher Wiedergabe der mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschriften verwies die belangte Behörde auf die ihres Erachtens zutreffende Beweiswürdigung des Bundesasylamtes, wobei die maßgeblichen Begründungsteile im angefochtenen Bescheid ebenfalls wörtlich wiederholt wurden. Ergänzend begründete die belangte Behörde noch, dass die vom Bundesasylamt aufgezeigten - mehrfachen und gravierenden - Widersprüche und Divergenzen in den Aussagen des Beschwerdeführers (auch im Verhältnis zu den Angaben seines Bruders) in der Berufung nicht plausibel erklärt worden seien.
Rechtlich führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei vor Beendigung des Zulassungsverfahrens in der EASt Ost in Traiskirchen untergebracht worden. Ihm sei erst dort der erstinstanzliche Bescheid zugestellt und damit das Zulassungsverfahren gemäß § 24a Abs. 8 zweiter Satz AsylG beendet worden. Da das Zulassungsverfahren demnach in der EASt Ost und nicht in der am Flugplatz befindlichen Erstaufnahmestelle zu Ende geführt worden sei, komme im gegenständlichen Fall eine Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG nicht in Betracht. Demnach treffe die Feststellung der Behörde erster Instanz, der Asylantrag sei offensichtlich unbegründet, nicht zu. Da der Sachverhalt jedoch im Sinne des § 32a Abs. 2 AsylG hinreichend festgestellt worden sei, sei über den Asylantrag von der Berufungsbehörde inhaltlich durch Abweisung des Asylantrages nach § 7 AsylG zu entscheiden gewesen, zumal eine Anwendung des § 32a Abs. 3 AsylG unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Beschwerdeführer bei der Bescheidzustellung nicht mehr - wie in § 32 Abs. 9 AsylG normiert -
in der Erstaufnahmestelle am Flugplatz befunden habe, nicht in Betracht gekommen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Das Bundesasylamt stützte seine Entscheidung in Bezug auf die Abweisung des Asylantrages auf § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG (idF der Novelle 2003), der wie folgt lautet:
"Offensichtlich unbegründete Asylanträge
§ 6. (1) Asylanträge gemäß § 3 sind in jedem Stadium des Verfahrens als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn ohne begründeten Hinweis auf eine Flüchtlingseigenschaft oder das Vorliegen subsidiärer Schutzgründe gemäß § 8
...
4. das Vorbringen des über einen Flugplatz angereisten Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht."
Die belangte Behörde erachtete - entgegen der Auffassung des Bundesasylamtes - die Voraussetzungen für eine Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers als offensichtlich unbegründet nach der zitierten Bestimmung im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides für nicht (mehr) gegeben. Wie die Berufungsbehörde in einem derartigen Fall, in dem die "Feststellung" der Erstbehörde, der Antrag sei iSd § 6 AsylG offensichtlich unbegründet, nicht zutrifft, vorzugehen hat, ergibt sich aus § 32a Abs. 2 und 3 AsylG. Diese Bestimmung und der damit im Zusammenhang stehende § 32 Abs. 9 AsylG lauten:
"§ 32a ...
(2) Der Berufung ist stattzugeben, wenn die Feststellung der Behörde, der Antrag sei offensichtlich unbegründet (§ 6) nicht zutrifft. In diesen Fällen hat die Berufungsbehörde über den Antrag inhaltlich zu entscheiden, wenn der Sachverhalt hinreichend festgestellt wurde. Wurde der Sachverhalt nicht hinreichend festgestellt, hat die Berufungsbehörde die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und zur Erlassung eines Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Feststellungen gemäß § 8 gelten jedenfalls als aufgehoben. Wird ein Bescheid, mit dem der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgewiesen wurde von der Berufungsbehörde bestätigt, so hat sie ihrerseits jedenfalls eine Entscheidung gemäß § 8 zu treffen.
(3) In Verfahren gemäß § 32 Abs. 9 ist der Berufung stattzugeben, wenn die Feststellung der Behörde, der Antrag sei offensichtlich unbegründet (§ 6) nicht zutrifft. Diesfalls ist die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und zur Erlassung eines Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen.
§ 32 ...
(9) Bei Entscheidungen über Anträge von Asylwerbern, die über einen Flugplatz eingereist sind, und die sich in der Erstaufnahmestelle am Flugplatz befinden, beträgt die Berufungsfrist sieben Tage. Fallen die Berufungsfrist und das Berufungsverfahren in die Sicherung einer Zurückweisung, so ist diese jedenfalls während dieser Dauer zulässig."
Mangels Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen nach § 32 Abs. 9 AsylG, auf den § 32a Abs. 3 AsylG verweist, ging die belangte Behörde nicht nach der zuletzt genannten Bestimmung (mit einer Bescheidaufhebung und Zurückverweisung an die Erstbehörde) vor, sondern sie gelangte in Anwendung des § 32a Abs. 2 zweiter Satz AsylG infolge hinreichend festgestellten Sachverhaltes (wegen der mangelnden Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe des Beschwerdeführers) zu einer Antragsabweisung nach § 7 AsylG (zu den Voraussetzungen nach § 32a Abs. 2 AsylG siehe grundlegend das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 2006, Zl. 2005/20/0012).
Die Vorgangsweise der belangten Behörde könnte nur dann mit dem Gesetz in Einklang stehen, wenn es sich vorliegend um kein in § 32a Abs. 3 AsylG genanntes "Verfahren gemäß § 32 Abs. 9" handelt. Damit sind Verfahren über Anträge von Asylwerbern gemeint, die über einen Flugplatz eingereist sind und die sich in der Erstaufnahmestelle am Flugplatz "befinden". Darunter sind - wie sich aus den Gesetzesmaterialien zu dem mit der AsylG-Novelle angefügten § 32 Abs. 9 AsylG (RV 120 BlgNR 22. GP 21) ergibt - Verfahren über Asylanträge von über einen Flugplatz eingereisten Asylwerbern zu verstehen, die in der Erstaufnahmestelle am Flugplatz, d.h. in der Erstaufnahmestelle "Flughafen" (iSd § 3 Abs. 4 der Asylgesetz-Durchführungsverordnung, BGBl. II Nr. 162/2004), geführt werden.
Das war hier - entgegen der Meinung der belangten Behörde - der Fall. Das Zulassungsverfahren wurde durch die EASt Flughafen auch beendet, hat doch diese Behörde den erstinstanzlichen Bescheid erlassen. Daran können die (vorübergehende) Unterbringung des Beschwerdeführers in der Betreuungseinrichtung der EASt Ost und der Umstand, dass ihm dort dieser Bescheid zugestellt wurde, nichts ändern.
Unter dem Gesichtspunkt des § 32a Abs. 3 AsylG ist nicht - wie die belangte Behörde meint - maßgeblich, ob ein Flughafenverfahren (zu Ende) geführt werden durfte, sondern ob die Erstbehörde über den Asylantrag in einem solchen Verfahren entschieden hat. Die gegenteilige Auffassung der belangten Behörde hätte die Konsequenz, dass - obwohl die Erstbehörde den Asylantrag in einem beschleunigten Sonderverfahren mit der Möglichkeit, den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers zur Sicherung einer Zurückweisung zu bestimmen, behandelte und dem Beschwerdeführer gegen die in diesem Verfahren ergangene Entscheidung nach Auffassung des Bundesasylamtes nur eine abgekürzte Berufungsfrist zustand - die für derartige Verfahren vorgesehene (für den Beschwerdeführer im Verhältnis zu § 32a Abs. 2 zweiter Satz AsylG) günstigere Bestimmung des § 32a Abs. 3 AsylG im Berufungsverfahren nicht zur Anwendung käme. Es bestehen aber keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber eine solche Auslegung beabsichtigt hätte.
War daher die belangte Behörde der Meinung, dass der Asylantrag von der Erstbehörde zu Unrecht als offensichtlich unbegründet abgewiesen wurde, so hätte sie somit im vorliegenden Fall nur nach § 32a Abs. 3 AsylG vorgehen dürfen und - wie das schon nach § 32 Abs. 2 zweiter Satz AsylG vor der Novelle 2003 als einzige Möglichkeit für alle diese Fälle vorgesehen war (vgl. dazu das schon erwähnte Erkenntnis vom 17. Oktober 2006 mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175) - die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und zur Erlassung eines Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückverweisen müssen. Indem sie demgegenüber eine meritorische Erledigung des Asylantrages vornahm, hat sie die Rechtslage verkannt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 23. November 2006
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005200585.X00Im RIS seit
24.01.2007Zuletzt aktualisiert am
21.04.2010