TE Vwgh Erkenntnis 2006/11/23 2003/20/0166

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Veröffentlicht am 23.11.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §12;
AsylG 1997 §7 idF 2002/I/126;
AVG §58 Abs2;
AVG §73 Abs1;
AVG §73 Abs2 idF 1998/I/158;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC;
FlKonv Art1 AbschnF;
VwGG §42 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des M in H (geboren 1958), vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den unabhängigen Bundesasylsenat wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit betreffend Asylgewährung nach dem Asylgesetz 1997, zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Beschwerdeführer wird auf Grund des Asylantrages vom 15. Mai 2001 gemäß § 42 Abs. 4 zweiter Satz VwGG iVm § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 idF BGBl. I Nr. 126/2002, Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein der kurdischen Volksgruppe zugehöriger türkischer Staatsangehöriger, gelangte am 15. Mai 2001 in das Bundesgebiet und beantragte am selben Tag Asyl.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 11. Juli 2001 legte er zur Bescheinigung seines Vorbringens - er sei Bezirksvorsitzender der HADEP gewesen; wegen seiner politischen Tätigkeit sei er bereits früher verurteilt worden und es sei nun neuerlich ein Gerichtsverfahren wegen des Vorwurfes der "Unterstützung und Unterbringung von Mitgliedern einer illegalen bewaffneten Terrororganisation" gegen ihn anhängig, weswegen er sich auch in Untersuchungshaft befunden und dort näher beschriebenen Folterungen ausgesetzt gewesen sei - mehrere Urkunden vor. Mit einer am 12. Juli 2001 abgesandten Note ersuchte das Bundesasylamt die Österreichische Botschaft in Istanbul, diese Beweismittel durch den Vertrauensanwalt überprüfen zu lassen. Das Ersuchen wurde von der Österreichischen Botschaft nicht beantwortet, worauf vom Bundesasylamt am 12. Dezember 2001 eine Urgenz der Erledigung an die Botschaft gerichtet wurde. Aufgrund dieser Urgenz teilte das Österreichische Generalkonsulat Istanbul im Jänner 2002 mit, dass das Erhebungsersuchen zwar bei ihr eingelangt, jedoch "der diesbezügliche Akt in Verstoß geraten" sei. Es werde um Übermittlung einer Kopie gebeten.

Am 4. Jänner 2002 brachte der Beschwerdeführer in Bezug auf seinen Asylantrag einen Devolutionsantrag beim unabhängigen Bundesasylsenat (belangte Behörde) ein.

Die belangte Behörde teilte dem Beschwerdeführer mit Note vom 23. Jänner 2002 mit, sie erachte sich "vorläufig (unvorgreiflich zukünftiger Ermittlungsergebnisse) für die Behandlung Ihres Devolutionsantrages zuständig".

Nachdem der Beschwerdeführer weitere Unterlagen zur Bescheinigung des in der Türkei gegen ihn anhängigen Verfahrens vorgelegt hatte, führte die belangte Behörde am 4. November 2002 eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durch, in der sie einen "nicht amtlichen Sachverständigen für die aktuelle politische Lage in der Türkei" bestellte und diesen (unter anderem) mit der Überprüfung der vom Beschwerdeführer vorgelegten Bescheinigungsmittel beauftragte. Der Beschwerdeführer legte einen "medizinisch-psychologischen Befund" des Dr. EK, eines in Österreich tätigen Arztes, vom 15. Oktober 2002 zur Bescheinigung der bei ihm infolge mehrmaliger Verhaftungen und schwerer Misshandlungen in der Haft vorliegenden gesundheitlichen Schäden vor.

Am 22. Mai 2003 brachte der Beschwerdeführer die vorliegende Säumnisbeschwerde ein, da die belangte Behörde innerhalb der Frist des § 27 Abs. 1 VwGG nicht über seinen (im Devolutionsweg bei der belangten Behörde anhängigen) Asylantrag entschieden habe.

Nach Einleitung des Vorverfahrens über die Säumnisbeschwerde wurden der belangten Behörde von dem von ihr bestellten nicht amtlichen Sachverständigen für die aktuelle politische Lage in der Türkei die Übersetzungen zweier Auskünfte eines türkischen Rechtsanwaltes vom 7. April 2003 und 8. September 2003 vorgelegt.

Nach Ablauf der gemäß § 36 Abs. 2 VwGG für die Bescheiderlassung gesetzten Frist legte die belangte Behörde dem Verwaltungsgerichtshof den Verwaltungsakt vor.

Die - am 22. Mai 2003 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangte - Säumnisbeschwerde ist zulässig, weil die belangte Behörde als unabhängiger Verwaltungssenat, der im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht angerufen wurde, nicht binnen der sechsmonatigen Frist des § 27 Abs. 1 VwGG - der Devolutionsantrag des Beschwerdeführers langte am 4. Jänner 2002 bei der belangten Behörde ein - in der Sache entschieden (und auch nicht um Verlängerung dieser Frist angesucht) hat.

Auf Grund der zulässigen Säumnisbeschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42 Abs. 4 zweiter Satz VwGG in der Sache selbst erwogen:

1. Zum Devolutionsantrag

Gemäß § 73 Abs. 1 AVG war das Bundesasylamt verpflichtet, über den vorliegenden Asylantrag ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber innerhalb von sechs Monaten, zu entscheiden. Der vorliegende Devolutionsantrag wurde im Hinblick auf den am 15. Mai 2001 gestellten Asylantrag nach Ablauf dieser Frist (am 4. Jänner 2002) gestellt.

Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass dieser Devolutionsantrag gemäß § 73 Abs. 2 AVG (in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998) berechtigt ist, weil die Verzögerung auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist. Das Bundesasylamt hat den Beschwerdeführer erst am 11. Juli 2001 einvernommen und ließ fünf Monate verstreichen, bevor sie die Erledigung des am 12. Juli 2001 an die Österreichische Botschaft gesandten Erhebungsersuchens bei dieser urgierte.

Die belangte Behörde war daher gemäß § 73 Abs. 2 AVG verpflichtet, über den vorliegenden Asylantrag in der Sache selbst zu entscheiden, wobei diese Entscheidung nunmehr gemäß § 42 Abs. 4 zweiter Satz VwGG vom Verwaltungsgerichtshof zu treffen ist.

2. Zum Asylantrag

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG), hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Gemäß § 12 AsylG ist die Entscheidung, mit der Fremden Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Flüchtling im Sinne der FlKonv ist gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Flüchtling ist auch, wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Auf Grund der Einvernahme des Beschwerdeführers, der Ergebnisse der von der belangten Behörde durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und der vorgelegten Urkunden sowie der dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Länderberichte erachtet der Verwaltungsgerichtshof diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall als gegeben.

Dem Beschwerdeführer war daher gemäß § 42 Abs. 4 zweiter Satz VwGG iVm § 7 AsylG Asyl zu gewähren. Gemäß § 12 AsylG war festzustellen, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Da der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall nicht über eine Berufung entscheidet und dem Standpunkt des Beschwerdeführers vollinhaltlich Rechnung getragen wurde, kann eine nähere Begründung gemäß § 58 Abs. 2 AVG entfallen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 23. November 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003200166.X00

Im RIS seit

28.12.2006

Zuletzt aktualisiert am

26.06.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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