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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über eine Zahnärztin wegen Heranziehung von Hilfspersonen zu ärztlichen TätigkeitenSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin ist Zahnärztin. Mit Bescheid des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Wien, Niederösterreich und Burgenland, vom 30. Juni 1999 wurde sie wegen Verstoßes gegen ihre Berufspflichten gemäß §49 Abs1 und 2 Ärztegesetz 1998, BGBl. I Nr. 169, des Disziplinarvergehens nach §136 Abs1 Z2 leg. cit. schuldig erkannt und über sie gemäß §139 Abs1 Z2 leg. cit. eine Geldstrafe in Höhe von
S 50.000,-- verhängt. Weiters wurde sie gemäß §163 Abs1 ÄrzteG 1998 zum Ersatz der mit S 40.000,-- bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens verpflichtet.
Der Disziplinarbeschuldigten wurde folgendes Verhalten vorgeworfen:
"[S]ie hat [...] in der Zeit von Ende März 1989 bis 25.07.1989 betreffend die Patientin G. und in den Monaten Jänner und Februar 1990 betreffend die Patientin M. ihre Assistentinnen und ihren Zahntechniker selbstständig im Mund der Patientinnen arbeiten lassen, wobei der Zahntechniker Injektionen verabreicht, Zähne im Unterkiefer beschliffen, einen Zahn im Unterkiefer extrahiert und eine Brücke eingesetzt hat; sie hat weiters entgegen dem Wunsch der Patientin M., daß nur die Lücken im Unterkiefer geschlossen werden, veranlaßt, daß alle Zähne des Unterkiefers durch den Techniker K. beschliffen wurden."
2. Der gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung gab der Disziplinarsenat der Österreichischen Ärztekammer beim (damaligen) Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit Bescheid vom 21. Dezember 1999 teilweise Folge - nämlich dahingehend, daß die verhängte Geldstrafe von S 50.000,-- für eine Bewährungsfrist von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Im übrigen wurde der Berufung keine Folge gegeben. Weiters wurde der Disziplinarbeschuldigten gemäß §§163 und 179 ÄrzteG 1998 der Ersatz der mit S 13.060,-- bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der - mit näherer Begründung - die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Unversehrtheit des Eigentums behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift aber verzichtet.
II. Die zur Beurteilung des vorliegenden Falles maßgebenden Bestimmungen des Ärztegesetzes 1998, BGBl. I Nr. 169, haben folgenden Wortlaut:
"2. Abschnitt
Berufsordnung für Zahnärzte, Fachärzte für Zahn-, Mund-
und Kieferheilkunde und Turnusärzte in Ausbildung zum
Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Der zahnärztliche Beruf
§16. (1) Die Ausübung des zahnärztlichen Berufes umfaßt jede auf zahnmedizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit, die unmittelbar am Menschen oder mittelbar für den Menschen ausgeführt wird, insbesondere
1. die Untersuchung auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Krankheiten und Anomalien der Zähne, des Mundes und der Kiefer einschließlich des dazugehörigen Gewebes;
2. die Beurteilung von in Z1 angeführten Zuständen bei Verwendung zahnmedizinisch-diagnostischer Hilfsmittel;
3. die Behandlung solcher Zustände (Z1);
4. die Vornahme operativer Eingriffe im Zusammenhang mit den in Z1 angeführten Zuständen;
5. die Vorbeugung von Erkrankungen der Zähne, des Mundes und der Kiefer einschließlich des dazugehörigen Gewebes;
6. die Verordnung von Heilmitteln, Heilbehelfen und zahnmedizinisch-diagnostischen Hilfsmitteln im Zusammenhang mit den in Z1 angeführten Zuständen.
(2) [...]
Behandlung der Kranken und Betreuung der Gesunden
§49. (1) Der Arzt ist verpflichtet, jeden von ihm in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden und Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen. Er hat hiebei nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren.
(2) Der Arzt hat seinen Beruf persönlich und unmittelbar, allenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Ärzten auszuüben. Zur Mithilfe kann er sich jedoch Hilfspersonen bedienen, wenn diese nach seinen genauen Anordnungen und unter seiner ständigen Aufsicht handeln.
(3) [...]
2. Abschnitt
Disziplinarvergehen
§136. (1) Ärzte machen sich eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie im Inland oder im Ausland
1. [...]
2. die Berufspflichten verletzen, zu deren Einhaltung sie sich anläßlich der Promotion zum Doctor medicinae universae oder zum Doctor medicinae dentalis verpflichtet haben oder zu deren Einhaltung sie nach diesem Bundesgesetz oder nach anderen Vorschriften verpflichtet sind.
(2) [...]
§137. (1) Durch Verjährung wird die Verfolgung eines Arztes oder außerordentlichen Kammerangehörigen ausgeschlossen, wenn
1. innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Disziplinaranwaltes von dem einem Disziplinarvergehen zugrundeliegenden Sachverhalt oder von allfälligen Wiederaufnahmsgründen keine Verfolgungshandlung gesetzt oder
2. innerhalb von fünf Jahren nach der Beendigung eines disziplinären Verhaltens kein Einleitungsbeschluß gefaßt oder ein rechtskräftig beendetes Disziplinarverfahren nicht zu seinem Nachteil wiederaufgenommen worden ist.
(2) [...]
4. Abschnitt
Disziplinarstrafen
§139. (1) [...]
(7) Bei Bemessung der Strafe ist insbesondere auf die Größe des Verschuldens und der daraus entstandenen Nachteile, vor allem für die Patientenschaft, bei Bemessung der Geldstrafe auch auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten, Bedacht zu nehmen. Die §§32 bis 34 StGB sind sinngemäß anzuwenden.
(8) [...]
6. Abschnitt
Verfahren vor dem Disziplinarrat
§145. (1) [...]
§163. (1) Im Falle eines Schuldspruchs ist in der
Entscheidung zugleich auszudrücken, daß der Disziplinarbeschuldigte auch die Kosten des Disziplinarverfahrens - einschließlich der Kosten der Veröffentlichung des Disziplinarerkenntnisses (§139 Abs10) - zu tragen hat. Die Kosten sind unter Berücksichtigung des Verfahrensaufwandes und der besonderen Verhältnisse des Falles unter Bedachtnahme auf die Vermögensverhältnisse des Beschuldigten von der Disziplinarkommission nach freien Ermessen mit einem Pauschalbetrag festzusetzen. [...]
7. Abschnitt
Rechtsmittelverfahren
§168. (1) [...]
§179. Hinsichtlich der Kosten des Verfahrens im Falle eines
Schuldspruches ist §163 anzuwenden. Dem verurteilten Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last, sofern sie nicht durch ein gänzlich erfolglos gebliebenes Rechtsmittel des Disziplinaranwaltes verursacht worden sind. [...]"
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Die Beschwerdeführerin behauptet zunächst, durch die Unterlassung der neuerlichen Einvernahme einer bestimmten Zeugin - deren Einvernahme durch die Erstbehörde im Rechtshilfeweg erfolgt war - in ihrem gemäß Art6 Abs3 litd EMRK gewährleisteten Recht verletzt worden zu sein.
1.2. Nach Art6 Abs3 litd EMRK hat jeder Angeklagte das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken.
1.3. Es kann offen bleiben, ob Art6 EMRK überhaupt auf das Disziplinarverfahren anzuwenden ist; selbst wenn dies zu bejahen sein sollte, läge eine Verletzung dieses Rechts im konkreten Fall nicht vor: Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid plausibel dargelegt, weshalb sie von einer neuerlichen Einvernahme der Zeugin abgesehen hat; dies erfolgte - so die Behörde - auch schon deshalb, weil die Beschwerdeführerin nicht darlegen konnte, welche zusätzlichen entscheidungsrelevanten Informationen durch eine neuerliche Einvernahme der Zeugin den Sachverhalt derart hätten erhellen können, daß sich die rechtliche Beurteilung des Disziplinarvergehens maßgeblich verändert hätte. Der Verfassungsgerichtshof vermag dieser Einschätzung der belangten Behörde vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegenzutreten.
1.4. Die Vorgangsweise der Behörde kann daher nach Auffassung des Gerichtshofes auch nicht als willkürliches Verhalten qualifiziert werden (vgl. dazu etwa VfSlg. 14.327/1995, 15.151/1998).
2.1. Die Beschwerdeführerin behauptet weiters, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums dadurch verletzt worden zu sein, daß die belangte Behörde nicht berücksichtigt habe, daß gemäß §137 Abs1 Z1 ÄrzteG 1998 Verjährung eintritt, wenn innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Disziplinaranwaltes von dem einem Disziplinarvergehen zugrundeliegenden Sachverhalt (oder von allfälligen Wiederaufnahmsgründen) keine Verfolgungshandlung gesetzt worden ist. Hinsichtlich des Vorwurfs der Abschleifung sämtlicher Zähne im Unterkiefer der Patientin M. gegen deren Wunsch durch den Techniker K. (im Jänner/Februar 1990) sei jedoch Verjährung eingetreten, da die diesbezügliche Ausdehnung der Disziplinaranzeige durch den Disziplinaranwalt erst im Zuge der Verhandlung vom 25. November 1992 erfolgt sei, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die angebliche Tat bereits länger als ein Jahr verstrichen gewesen sei. Außerdem habe der Disziplinaranwalt keinen Tatzeitpunkt genannt, weshalb überhaupt keine ordnungsgemäße Verfolgungshandlung vorgelegen sei.
2.2. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides würde dieser das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nur verletzen, wenn die Behörde das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte - ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (s. zB VfSlg. 10.370/1985, 11.470/1987).
2.3. Solches ist der belangten Behörde in diesem Zusammenhang nicht vorzuwerfen. Die Behörde ist im bekämpften Bescheid in vertretbarer Weise zur Auffassung gelangt, daß eine Verjährung gemäß §137 ÄrzteG 1998 nicht eingetreten sei, weil der Disziplinaranwalt erst in der von der Beschwerdeführerin genannten Verhandlung vom betreffenden Vorgang erfahren habe. Aufgrund der Aktenlage erscheint diese Annahme durchaus plausibel; eine Verletzung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht liegt daher nicht vor (vgl. auch VfSlg. 14.412/1996, 14.566/1996). Auch soweit im bekämpften Bescheid darauf verwiesen wird, daß der Zeitraum, in dem die Patientin von der Disziplinarbeschuldigten behandelt worden war, aktenkundig und deshalb dessen ziffernmäßige Anführung anläßlich der Ausdehnung der Anzeige nicht erforderlich gewesen sei, ist der belangten Behörde kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen.
3. Hinsichtlich der in der Beschwerde nur angedeuteten gleichheitsrechtlichen Bedenken dahingehend, daß bei der Berufsgruppe der Rechtsanwälte andere Verjährungsfristen gelten als bei jener der Ärzte, ist auf das Erkenntnis VfSlg. 12.328/1990 zu verweisen, in dem der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen hat, ein Vergleich zwischen den Berufsgruppen sei schon deshalb verfehlt, "weil es sich dabei schon vom jeweiligen Berufsbild her um Unterschiedliches handelt".
4.1. Weiters behauptet die Beschwerdeführerin, daß "[d]as Anpassen von Zahnersatzstücken bzw. das Einsetzen einer Brücke im menschlichen Mund [...] denkmöglich nicht als operativer Eingriff bezeichnet werden" könne, dessen Delegierung an nichtärztliche Personen gemäß §1 Abs2 [gemeint wohl: §16 Abs1] Z4 ÄrzteG 1998 verboten sei. In der Beschwerde heißt es dazu wörtlich: "Der Schuldspruch wegen Einsetzen einer Brücke durch den Zahntechniker ist daher wiederum denkunmöglich und verletzt das verfassungsgesetzlich geschützte Eigentumsrecht. Es wird auch zu überlegen sein, ob das Verabreichen von Injektionen und Beschleifen der Zähne einen operativen Eingriff darstellen, der den Zahnärzten vorbehalten ist."
4.2. Im Hinblick auf die Regelung des §49 Abs2 ÄrzteG 1998 kann der belangten Behörde im vorliegenden Fall keine denkunmögliche Gesetzesanwendung angelastet werden, wenn sie die Auffassung vertritt, daß Hilfspersonen - also auch Assistenten und Zahntechniker - nur zur untergeordneten Unterstützung bei der Tätigkeit des Arztes herangezogen werden dürfen, die in Rede stehenden Tätigkeiten (Verabreichung von Injektionen, Beschleifung und Extrahierung von Zähnen, Einsetzen von Brücken) jedoch als ärztliche Tätigkeiten zu qualifizieren sind.
5. Schließlich rügt die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen Art6 Abs1 EMRK, da es im Disziplinarverfahren zu einer überlangen Verfahrensdauer gekommen sei.
Es kann dahinstehen, inwieweit die Anwendung des Art6 Abs1 EMRK auf das Disziplinarverfahren überhaupt in Betracht kommt, da der Vorwurf der Beschwerdeführerin schon allein deshalb ins Leere geht, weil sie selbst dreimal auf eigenen Wunsch erwirkt hat, bereits anberaumte Verhandlungen zu verschieben.
6. Auch bezüglich der Festsetzung der Verfahrenskosten ist der belangten Behörde keine denkunmögliche Auslegung der §§179 iVm 163 Abs1 ÄrzteG 1998 (zur vergleichbaren Bestimmung des §102 Abs1 ÄrzteG 1984 vgl. VfSlg. 12.580/1990), die eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums bewirken würde, unterlaufen.
7. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Beschwerdeführerin in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Ob der angefochtene Bescheid aber in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen; und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 9454/1982, 10.565/1985, 10.659/1985, 12.823/1991, 13.459/1993).
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Ärzte, Disziplinarrecht, Verjährung, Kostenersatz, Entscheidung in angemessener Zeit, Verfahrensdauer überlangeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B872.2000Dokumentnummer
JFT_09979374_00B00872_00