TE Vwgh Erkenntnis 2006/11/23 2005/20/0531

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Veröffentlicht am 23.11.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
MRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des A in L, geboren 1975, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Mag. Dr. Bernhard Glawitsch und Mag. Ulrike Neumüller-Keintzel, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. August 2005, Zl. 220.058/0-VII/43/00, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus Khoramabad stammender iranischer Staatsangehöriger, reiste am 24. Juli 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Diesen Antrag begründete der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren im Wesentlichen mit den ihm im Iran drohenden Folgen wegen Desertion, die angesichts der dem Beschwerdeführer und anderen Familienmitgliedern unterstellten regimekritischen Gesinnung unabsehbar seien. Er könne nicht in den Iran zurückkehren, weil er dort um sein Leben fürchten müsse.

Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassenen Bescheid vom 25. August 2005 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. November 2000, mit dem der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) abgewiesen und gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran festgestellt worden war, ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde unterzog das Vorbringen des Beschwerdeführers keiner Beweiswürdigung, sondern legte es seiner Beurteilung zu Grunde. Ausgehend von der negativen Sachverhaltsannahme, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer wegen der Desertion und seiner Flucht ins Ausland mit einer unmenschlichen Strafe oder der Todesstrafe zu rechnen hätte, kam die belangte Behörde rechtlich zur Abweisung des Asylantrages und zur Versagung von Refoulement-Schutz. Es stehe Staaten zu, wegen des Deliktes der Desertion Strafen zu verhängen, die jedoch nicht unverhältnismäßig bzw. unmenschlich ausfallen dürften. Das sei im vorliegenden Fall nicht hervorgekommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in Punkt 2. der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, in Auseinandersetzung mit der zu früheren Asylgesetzen ergangenen Vorjudikatur unter anderem die Auffassung vertreten, dass einer unverhältnismäßig strengen Bestrafung von Wehrdienstverweigerung und Desertion in Verbindung mit politischen oder religiösen Überzeugungen, auf denen das geahndete Verhalten beruhe, asylrechtliche Bedeutung zukomme. Gleiches gelte für den Fall, dass die Verweigerung der (weiteren) Wehrdienstleistung als Ausdruck einer dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat unterstellten oppositionellen Gesinnung verstanden werde. Auf diese Ausführungen wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen (vgl. im Anschluss daran etwa zuletzt das Erkenntnis vom 19. Oktober 2006, Zl. 2006/19/0064).

Unter diesem Gesichtspunkt tritt die Beschwerde der erwähnten Negativfeststellung zu den erwartbaren Folgen wegen der Desertion des Beschwerdeführers unter Hinweis auf eine - andere Quellen einbeziehende - Anfragebeantwortung von ACCORD vom 24. Mai 2005 entgegen.

In diesem Zusammenhang ist zunächst zu kritisieren, dass die belangte Behörde zur Begründung dieser entscheidungswesentlichen Feststellung nur pauschal auf näher genannte Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes und der Österreichischen Botschaft in Teheran sowie auf eine Stellungnahme des Deutschen Orient-Institutes verwiesen hat, ohne deren insoweit maßgeblichen Inhalt in der Verhandlung mit dem Beschwerdeführer im Einzelnen zu erörtern und ohne ihn im Bescheid (zumindest zusammengefasst) darzustellen. Jedenfalls hätte es aber vor dem Hintergrund der erwähnten Judikatur konkreter Feststellungen über das Ausmaß jener Strafe bedurft, die der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Iran voraussichtlich zu erwarten hätte.

Bei dieser Frage hätte die belangte Behörde aber auch einbeziehen müssen, dass der Beschwerdeführer - den Feststellungen der belangten Behörde und seinem Vorbringen zufolge - im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einem Beamten des Sicherheitsdienstes "Etelaat" wegen seiner Nichtnominierung für die Ringerweltmeisterschaft 1999 ein Bild von Khomeini und Khamenei vom Schreibtisch hinuntergeworfen und "geistige Führer" beleidigt habe. Er sei deshalb im September 1999 von einem Militärgericht zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt worden. Diese Strafe habe er während des Militärdienstes verbüßt. Wegen dieses Ereignisses sei der vom Beschwerdeführer abzuleistende Militärdienst auch um ein Jahr verlängert worden und ihm für die Zukunft die Teilnahme an nationalen und internationalen Wettkämpfen als Ringer - der Beschwerdeführer war Berufssportler - untersagt worden. Man habe dem Beschwerdeführer und "seiner Familie" vorgeworfen, dass sie gegen die Regierung seien, zumal auch ein Bruder des Beschwerdeführers 1989 nach Österreich geflüchtet sei und sich ein anderer Bruder nach seiner Festnahme bei den Studentenunruhen Mitte 1999 mehr als ein Jahr in Haft befunden habe. Durch seine Flucht - so hatte der Beschwerdeführer in der Stellungnahme vom 2. August 2000 vorgebracht - habe er eigentlich "die Sache verschlimmert" und sich "sozusagen den Rückweg abgeschnitten". Es verdichte sich nämlich jetzt für den Iran der Verdacht, dass "an der Konspiration" mit dem (damals in Haft befindlichen und der Zusammenarbeit mit den Marxisten verdächtigten) Bruder "tatsächlich etwas dran wäre". Nach seiner Flucht sei die "übrige Familie" des Beschwerdeführers längere Zeit schikaniert worden; man habe wissen wollen, ob er zu seinem Bruder nach Österreich "geflohen und desertiert" sei. Seine "Tat" - so der Beschwerdeführer in der Berufung - werde ihm "vor dem Sicherheitsorgan der Armee" als politisch motivierte Handlung angelastet.

Diese Umstände, welche die Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung indizieren und nach Auffassung des Beschwerdeführers zu einer strengeren Bestrafung führen könnten, hat die belangte Behörde bei ihrer Gefahreneinschätzung und bei der Verneinung eines Zusammenhanges mit einem Konventionsgrund völlig ausgeblendet, was die Beschwerde zu Recht bemängelt. In diesem Zusammenhang sei noch angemerkt, dass der Beschwerdeführer bereits in erster Instanz behauptet hatte, er würde wegen der dort geschilderten "Schwierigkeiten" und wegen seiner Desertion in ein "Gefängnis für politische Häftlinge" kommen (vgl. zur Notwendigkeit einer Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung auch in der Vergangenheit liegender Ereignisse zuletzt das auch den Iran betreffende Erkenntnis vom 27. April 2006, Zl. 2003/20/0181, mit weiteren Hinweisen).

Überdies hätte die belangte Behörde für den (vom Beschwerdeführer behaupteten) Fall der Verhängung einer Haftstrafe auch die Bedingungen in iranischen Gefängnissen berücksichtigen müssen. Auch diese Unterlassung zeigt die Beschwerde - mit dem Hinweis auf die Berichtslage, wonach näher beschriebene Foltermethoden "weit verbreitet" seien - zutreffend auf (vgl. dazu das den Iran betreffende Erkenntnis vom 17. Oktober 2006, Zl. 2005/20/0496, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). In diesem Kontext ist aber auch noch einmal auf die Ausführungen in dem erwähnten Erkenntnis Zl. 99/20/0401 zu verweisen, wonach Sanktionen wegen Wehrdienstverweigerung und Desertion bei Anwendung von Folter jede Verhältnismäßigkeit fehlt.

Der angefochtene Bescheid war daher angesichts dieser Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 23. November 2006

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen BerufungsbehördeBegründung BegründungsmangelBesondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005200531.X00

Im RIS seit

01.02.2007

Zuletzt aktualisiert am

24.04.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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