Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Wien vom 21. Juni 2006, Zl. UVS-FRG/51/816/2006/9, (mitbeteiligte Partei: K Z, geboren 1973, vertreten durch Dr. Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Fleischmarkt 28), betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (der belangten Behörde) vom 21. Juni 2006 wurde der Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 19. April 2004, mit dem gegen den Mitbeteiligten gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 und 5 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt worden war, gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufgehoben.
Der Mitbeteiligte, ein polnischer Staatsangehöriger, sei gemeinsam mit seinen Eltern im August 1990 nach Österreich gezogen. Er habe von 1992 bis 1994 die Berufsschule für das Gastgewerbe besucht, sei jedoch zur Lehrabschlussprüfung nicht angetreten. Sieben Jahre sei er als Lehrling und Arbeiter beschäftigt gewesen. 44 Monate sei er ohne Beschäftigung gewesen. Über längere Zeiträume sei er als geringfügig Beschäftigter gemeldet gewesen. Nunmehr sei er in einem Transportunternehmen als Fahrer berufstätig.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtshofes Korneuburg vom 9. Jänner 2004 sei der Mitbeteiligte wegen § 104 Abs. 1 und 3, erster Fall FrG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt worden.
Die Eltern und der Bruder des Mitbeteiligten lebten seit Jahren in Österreich. Er habe seit der Verwirklichung des der Verurteilung durch das Landesgericht Korneuburg zu Grunde liegenden Verbrechens keine weiteren Straftaten begangen. Der Zeitraum seit der Verbüßung der verhängten Strafe sei noch zu kurz, um einen Wegfall oder eine beträchtliche Minderung der vom Mitbeteiligten ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit annehmen zu können. Auch der Umstand, dass sich der Mitbeteiligte (seinen eigenen Angaben zufolge) deshalb an der Schleppung mehrerer Personen beteiligt hätte, weil er wegen seiner Arbeitslosigkeit in Geldnöten gewesen wäre und zudem eine Beziehung zu einer Frau gehabt hätte, die ihm wegen der häufigen Reisen nach Polen viel Geld gekostet hätte, könne nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil Derartiges auch in Hinkunft nicht ausgeschlossen werden könnte.
Sodann heißt es in dem angefochtenen Bescheid weiter:
"Auch dass der (Beschwerdeführer), wenngleich erhebliche Zeit vor dem hier in Rede stehenden Vorfall, bereits Straftaten begangen hat, stellt ungeachtet dessen, dass es sich im Hinblick auf die zwischenzeitliche Tilgung dieser Verurteilungen um keine bestimmte Tatsache im Sinne der in § 60 Abs. 2 FPG 2005 aufgestellten Kriterien handelt, ein weiteres Indiz dafür dar, dass es sich bei der zur Verurteilung im Jahr 2004 führenden Straftat nicht um ein singuläres, mit dem Vorleben des (Beschwerdeführers) in völligen Widerspruch stehendes Fehlverhalten handelt. In diesem Zusammenhang war darauf Bedacht zu nehmen, dass der (Beschwerdeführer) vor der hier in Rede stehenden Tat jahrelang nicht wegen gerichtlich strafbarer Tatbestände straffällig geworden ist, aber auch zu berücksichtigen, dass er verwaltungsstrafrechtlich relevante Tatbestände mit teilweise erheblichem Unrechtsgehalt, wie das Lenken eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss gesetzt hat."
Bei der Beurteilung des vom Mitbeteiligten ausgehenden Gefährdungspotentials für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich spreche für ihn, dass er wieder erwerbstätig sei und im Hinblick auf die Unterstützung durch seine Eltern und "andere soziale Bindungen" in hohem Maß integriert sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass er für die Schleppung von vier chinesischen Staatsangehörigen von der österreichischtschechischen Grenze nach Vösendorf von zumindest einer anderen Person angeworben worden sei und in den dem Schlepperunwesen regelmäßig zu Grunde liegenden kriminellen Strukturen nur eine "untergeordnete Rolle" gespielt habe. Zusammenfassend sei insbesondere wegen "der sozialen Kompetenz seiner Mutter" eine erhebliche Chance dafür gegeben, dass er "endgültig" in geordneten Lebensverhältnissen Fuß fasse. Die belangte Behörde gelange daher zur Auffassung, dass durch den weiteren Aufenthalt des Mitbeteiligten keine konkrete und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich vorliege. Auch eine befristete Verhängung des Aufenthaltsverbotes könnte keine "Verbesserung der Prognose für das zukünftige Wohlverhalten des Berufungswerbers (Mitbeteiligten)" bewirken. Gerade die Verpflichtung, das Bundesgebiet zu verlassen, würde bereits gesetzte Integrationsschritte zerstören. Die Chancen des Mitbeteiligten für eine soziale Integration im Heimatland stünden erheblich schlechter als in Österreich. "Bei Abwägung aller gesetzlichen Beurteilungsparameter war daher eine Entscheidung zu Gunsten des Berufungswerbers zu treffen und das über ihn verhängte Aufenthaltsverbot spruchgemäß zu beheben."
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte (weitere) Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift. Der Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, der Amtsbeschwerde keine Folge zu geben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 125 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. Nr. 100, sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (1. Jänner 2006) anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiterzuführen. Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG hatte über die gegenständliche Berufung die belangte Behörde zu entscheiden.
2. Gegen den Mitbeteiligten als freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.
Bei der Frage, ob gegen einen freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger ein Aufenthaltsverbot erlassen werden darf, ist § 60 Abs. 2 FPG von Bedeutung, auf dessen Katalog als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 2006, Zl. 2006/18/0306).
3.1. Für die Beantwortung der Frage, ob die im § 86 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe und Sicherheit gefährdet. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. das hg. einen türkischen Staatsangehörigen betreffende Erkenntnis vom 13. September 2006, Zl. 2006/18/0173).
3.2. Die belangte Behörde hat mit Ausnahme der Erwähnung des Urteiles des Landesgerichtes Korneuburg vom 7. Jänner 2004 keine Feststellungen über Verurteilungen bzw. Bestrafungen des Mitbeteiligten getroffen. Wenn sie daher in der Begründung des angefochtenen Bescheides zusammenfassend auf solche Verurteilungen bzw. Bestrafungen Bezug genommen hat, so ist die daraus abgeleitete Schlussfolgerung, dass vom Beschwerdeführer "keine konkrete und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" ausgehe, nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus lassen sich die Art und die Schwere der den Verurteilungen bzw. Bestrafungen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen des Mitbeteiligten nicht beurteilen und das Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers daraus nicht ableiten, weil konkrete Feststellungen zu den einzelnen Straftaten fehlen. Ein weiterer Begründungsmangel liegt darin, dass die belangte Behörde einerseits ausführt, der Zeitraum seit der Verbüßung der verhängten Strafe sei noch zu kurz, um einen Wegfall oder eine beträchtliche Minderung der vom Mitbeteiligten ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit annehmen zu können, andererseits aber die Auffassung vertritt, dass durch den weiteren Aufenthalt des Mitbeteiligten in Österreich keine konkrete und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich bewirkt werde.
3.3. Die Amtsbeschwerde bringt zudem vor, der Mitbeteiligte habe nicht nur gegen maßgebliche Grundinteressen der Gesellschaft massiv verstoßen, sondern auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass selbst die ihm mehrfach gewährten Gelegenheiten, ein rechtskonformes Verhalten unter Beweis zu stellen, keinen nachhaltigen Niederschlag gefunden hätten. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Mitbeteiligte künftig kein strafbares Verhalten mehr setzen werde. Darüber hinaus sei einer im Verwaltungsakt erliegenden Mitteilung der Bundespolizeidirektion Wien vom 17. Juni 2005 zu entnehmen, dass der Mitbeteiligte am 26. Mai 2005 wegen des Verdachtes nach § 84 StGB bei der Staatsanwaltschaft Wien zur Anzeige gebracht worden sei.
Den Verwaltungsakten, die auch der belangte Behörde zur Verfügung gestanden sind, lässt sich entnehmen, dass die Bundespolizeidirektion Wien dem fremdenpolizeilichen Büro am 17. Juni 2005 mitgeteilt hat, dass der Mitbeteiligte am 26. Mai 2005 wegen des Verdachtes nach § 84 StGB im Zusammenhang mit einer schweren Körperverletzung am 16. Dezember 2004 angezeigt wurde. Die belangte Behörde wird im Hinblick auf eine zu treffende Gefährdungsprognose auch über diesen Vorfall Ermittlungen vorzunehmen und Feststellungen zu treffen haben.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - bei der Beurteilung nach § 66 FPG nicht darauf ankommt, ob die Chancen des Beschwerdeführers für seine Integration in Polen schlechter stünden als in Österreich, weil diese Gesetzesstelle nicht darauf abzielt, die Führung eines Privat- und Familienlebens außerhalb Österreichs zu gewährleisten. Es ist - anders als die belangte Behörde meint - isoliert gesehen auch nicht von Bedeutung, wenn durch das Aufenthaltsverbot "bereits gesetzte Integrationsschritte" in Österreich zerstört würden.
4. Der angefochtene Bescheid war nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Wien, am 29. November 2006
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelBesondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2006180275.X00Im RIS seit
27.12.2006Zuletzt aktualisiert am
25.01.2009