TE Vwgh Erkenntnis 2006/11/29 2006/18/0376

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Veröffentlicht am 29.11.2006
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Index

41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §12 Abs1;
AsylG 2005 §13;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §65 Abs2;
FrPolG 2005 §65 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des M B in W, geboren 1971, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 20. September 2006, Zl. SD 282/06, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 20. September 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Gambia, gemäß § 62 Abs. 1 und Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Rückkehrverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei am 26. April 2000 illegal nach Österreich eingereist und habe am folgenden Tag einen Asylantrag gestellt, welcher derzeit im Berufungstadium anhängig sei.

Am 13. Jänner 2006 sei der Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs. 1 sechster Fall und Abs. 2 Z. 1 erster Fall Suchtmittelgesetz (SMG) und § 15 StGB sowie § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten, davon sechs Monate unter bedingter Strafnachsicht, rechtskräftig verurteilt worden.

Diesem Urteil liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer über einen Zeitraum von drei Wochen bis zum 12. Dezember 2005 insgesamt etwa 8 Gramm Kokain im Gegenwert von EUR 500,-- mehreren Abnehmern verkauft und am 12. Dezember 2005 drei Kugeln mit insgesamt 2,6 Gramm Kokain für den unmittelbar bevorstehenden Weiterverkauf in seinem Mund bereitgehalten habe. Weiters habe er seit März 2005 gelegentlich Marihuana für den Eigenkonsum erworben und besessen. Der Beschwerdeführer habe beim Verkauf des Suchtgifts in der Absicht gehandelt, sich dadurch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.

Auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers sei der Tatbestand des § 62 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt. Das dargestellte Fehlverhalten des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit in höchstem Maß, sodass die in § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei.

Der Beschwerdeführer habe keine familiären Bindungen im Bundesgebiet geltend gemacht. Auf Grund seines mehr als sechsjährigen inländischen Aufenthalts sei das Rückkehrverbot jedoch mit einem Eingriff in das Privatleben verbunden. Dieser Eingriff sei im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit) dringend geboten und daher im Grund des § 66 Abs. 1 FPG zulässig. Das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche augenfällig, dass er nicht gewillt oder in der Lage sei, österreichische Rechtsvorschriften einzuhalten. Schon im Hinblick auf die gewerbsmäßige Tatbegehung könne keine positive Verhaltensprognose erstellt werden.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 66 Abs. 2 FPG sei zu berücksichtigen, dass der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration kein entscheidendes Gewicht zukomme, weil sie in der für sie maßgeblichen sozialen Komponente durch das strafbare Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Von daher hätten die privaten Interessen des Beschwerdeführers gegenüber den gegenläufigen öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten.

Angesichts des dargestellten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers und im Hinblick auf die Art und Schwere der ihm zur Last liegenden Straftaten habe von der Erlassung des Rückkehrverbots auch nicht im Rahmen des der Behörde zukommenden Ermessens Abstand genommen werden können.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Im Hinblick auf die unstrittig feststehende rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten bestehen keine Bedenken gegen die - nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 62 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG verwirklicht sei.

2. Der Beschwerdeführer hat über einen Zeitraum von drei Wochen in mehreren Angriffen Kokain an verschiedene Abnehmer verkauft bzw. zum Verkauf bereitgehalten. Dabei ist er in der Absicht vorgegangen, sich dadurch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (gewerbsmäßig gemäß § 70 StGB).

Die gewerbsmäßige Vorgangsweise und die wiederholte Tatbegehung verdeutlicht, dass die Suchtgiftdelikten erfahrungsgemäß innewohnende Wiederholungsgefahr (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 2003, Zl. 2003/18/0156) auch beim Beschwerdeführer gegeben ist.

Soweit der Beschwerdeführer die bedingte Nachsicht eines Teils der Strafe ins Treffen führt, ist ihm zu entgegnen, dass die Fremdenpolizeibehörde die Frage des Dringend-Geboten-Seins eines Aufenthaltsverbots unabhängig von den die teilbedingte Nachsicht der Strafe begründenden Erwägungen des Gerichts und ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenpolizeirechts zu beurteilen hat, wobei sich schon aus § 60 Abs. 2 Z. 1 zweiter Fall FPG ergibt, dass auch eine zum Teil bedingt nachgesehen Strafe ein Aufenthalts- oder Rückkehrverbot rechtfertigen kann (vgl. zur Rechtslage nach dem Fremdengesetz 1997 das auch hier maßgebliche bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2003/18/0156).

Als Verfahrensmangel rügt der Beschwerdeführer, dass er bei seiner - im Verwaltungsverfahren beantragten - persönlichen Einvernahme das Fehlen einer Wiederholungsgefahr darlegen hätte können. Er bringt jedoch nicht vor, welche konkreten Umstände diesfalls hervorgekommen wären und tut somit die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels nicht dar.

Auf Grund des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität kann die Ansicht der belangten Behörde, die in § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, nicht als rechtswidrig angesehen werden.

3. Bei der Interessenabwägung gemäß § 62 Abs. 3 iVm § 66 Abs. 1 und Abs. 2 FPG hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die mehr als sechsjährige Dauer seines inländischen Aufenthalts zugute gehalten. Die daraus ableitbare Integration hat die belangte Behörde zutreffend auf Grund der Straftaten des Beschwerdeführers als gemindert angesehen. Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren unstrittig keine inländischen familiären Bindungen geltend gemacht. Er behauptet nicht, dass ihm dazu keine Gelegenheit eingeräumt worden wäre. Von daher stellt die behauptete Unterlassung amtswegiger Ermittlungen, ob der Beschwerdeführer "zwischenzeitig allfällige familiäre Bindungen im Bundesgebiet aufweist", keinen Verfahrensmangel dar. Im Übrigen wird auch in der Beschwerde nicht behauptet, dass der Beschwerdeführer familiäre Bindungen im Bundesgebiet hat.

Den insgesamt nur schwach ausgeprägten privaten Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet steht die aus seinen Straftaten resultierende große Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des Rückkehrverbots zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit) dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Fremden nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 leg. cit.), nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Entgegen der Beschwerdeansicht hat die belangte Behörde diese Abwägung ausreichend begründet.

4.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass er in seiner Heimat einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei. Bei zwangsweiser Rückkehr in seine Heimat wäre sein Leben gefährdet. Die belangte Behörde habe dazu kein Ermittlungsverfahren durchgeführt. Überdies komme dem Beschwerdeführer als Asylwerber eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung zu, die durch das Rückkehrverbot "ad absurdum geführt" werde.

4.2. Über die Frage der Verfolgung des Beschwerdeführers in seiner Heimat ist nicht im Verfahren zur Erlassung eines Rückkehrverbots, sondern im Asylverfahren zu entscheiden. Während der Anhängigkeit des Asylverfahrens ist der Beschwerdeführer gemäß § 12 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, vor Abschiebung geschützt. Gemäß § 13 letzter Satz leg. cit. bleibt dieser faktische Abschiebeschutz auch nach rechtskräftiger Verhängung eines Rückkehrverbots bestehen. Sollte dem Beschwerdeführer im Asylverfahren der Status des Asylberechtigten zuerkannt werden, würde das Rückkehrverbot gemäß § 65 Abs. 2 erster Satz FPG außer Kraft treten. Sollte dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden, würde das Rückkehrverbot gemäß § 65 Abs. 3 dritter Satz FPG keine Wirkung entfalten, solange dieser Status besteht.

Dass die belangte Behörde keine Feststellungen zur Verfolgungssituation des Beschwerdeführers in seiner Heimat getroffen hat, stellt daher keine Mangelhaftigkeit des angefochtenen Bescheides dar.

5. Soweit der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf seine gerichtliche Verurteilung vorbringt, das Rückkehrverbot widerspreche dem Verbot der "Doppelbestrafung", ist ihm zu entgegnen, dass es sich bei einem Rückkehrverbot - ebenso wie bei einem Aufenthaltsverbot - nicht um eine Strafe, sondern um eine administrativ-rechtliche Maßnahme handelt (vgl. zum Aufenthaltsverbot das hg. Erkenntnis vom 13. Juni 2006, Zl. 2006/18/0118).

6. Entgegen dem Beschwerdevorbringen bestand auch keine Veranlassung für die belangte Behörde, im Rahmen des ihr gemäß § 62 Abs. 1 FPG eingeräumten Ermessens von der Erlassung des Rückkehrverbots Abstand zu nehmen, sind doch weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus der Beschwerde besondere Umstände ersichtlich, die für eine derartige Ermessensübung sprächen.

7. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die geltend gemachte Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 29. November 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006180376.X00

Im RIS seit

17.01.2007

Zuletzt aktualisiert am

28.04.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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