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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des N in W, vertreten durch Univ.-Doz. Dr. Richard Soyer u.a., Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. Februar 2005, Zl. 229.463/1-V/13/04, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein aus Kabul stammender Staatsangehöriger Afghanistans, reiste im November 2001 - damals 16-jährig - in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Bei seiner Einvernahme zu den Fluchtgründen am 4. Jänner 2002 gab er an, im Juli 2001 aus Afghanistan ausgereist zu sein. Zu Hause habe Krieg geherrscht und es habe keine Schulen gegeben. Der Beschwerdeführer habe sich von Juli 2000 bis Februar 2001 an der Erziehungsarbeit einer ausländischen Organisation beteiligt und acht- bis neunjährige Kinder unterrichtet. Die Taliban hätten ihm deshalb vorgeworfen, er sei zum Christentum übergetreten. Vor etwa einem Jahr hätten sie auch "unsere Werkstätte für Metallschleiferei ... eingenommen". Das sei "alles. Das sind die Gründe dafür, dass ich Afghanistan verlassen habe."
Eine Befragung des Beschwerdeführers zu den bei der Aufnahme der Personaldaten am 8. November 2001 an seinen Unterarmen festgestellten "Narben durch Folterungen" unterblieb. Dem Beschwerdeführer wurde vielmehr vorgehalten, die Lage in Afghanistan habe sich geändert. Gefragt, ob er seinen Fluchtgründen oder den Gründen, weshalb er nicht zurückkehren wolle oder könne, noch etwas hinzuzufügen habe, gab er an, das Haus der Familie sei 1992/93 von den Mudjaheddin zerstört worden. Sein Vater habe für Nadjibullah gearbeitet, und in Afghanistan seien "die Menschen noch immer bewaffnet".
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 27. Februar 2002 den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan aber gemäß § 8 AsylG für unzulässig.
In der Begründung dieser Entscheidung traf das Bundesasylamt folgende Feststellungen zum individuellen Vorbringen:
"Sie verließen Ihr Heimatland aufgrund der Furcht vor den Taliban, welche Ihnen vorwarfen, zum Christentum konvertiert zu sein. Darüber hinaus herrschte Krieg und gab es keine Schulen.
Die Flüchtlingseigenschaft konnte in Ihrem Fall nicht festgestellt werden. Sie sind nicht Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention."
Darüber hinaus traf das Bundesasylamt Feststellungen über die "aktuelle Lage", die sich auf die militärische und politische Entwicklung in Afghanistan in der Zeit zwischen September 2001 und Jänner 2002 bezogen. Zur Menschenrechtslage wurde ausgeführt, "als ein Mitglied der Vereinten Nationen" sei Afghanistan "erst im Begriff, die Menschenrechte entsprechend aufzubauen". Afghanistan habe näher genannte internationale Verträge ratifiziert, es habe Amnestien gegeben und "langsam" kehre "wieder ein normales Alltagsleben ein". Frauen müssten nicht mehr die Burka tragen, Schulen würden eröffnet und die afghanische Fluglinie habe wieder ihren Betrieb aufgenommen. Auch Theatervorstellungen fänden statt. Musik sei erlaubt "und auch der Fernseher sowie Satellitenschüssel haben wieder Einzug in Afghanistan gefunden".
Beweiswürdigend wurde zum individuellen Vorbringen ausgeführt, die Angaben des Beschwerdeführers würden "zum Gegenstand dieses Bescheides erhoben".
In der rechtlichen Beurteilung verwies das Bundesasylamt darauf, dass sich die Lage in Afghanistan grundlegend geändert habe und "eine Verfolgung seitens der Taliban ... zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr gegeben sein" könne. Die Furcht des Beschwerdeführers vor den Taliban sei "zum momentanen Zeitpunkt nicht mehr nachzuvollziehen". Darin, dass Krieg geherrscht habe und es keine Schulen gegeben habe, liege keine individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers.
Im Zusammenhang mit der Begründung des Ausspruches gemäß § 8 AsylG führte das Bundesasylamt aus, der positive Ausspruch habe zu erfolgen, "wenngleich in Ihrem Fall eine asylrelevante Verfolgung nicht vorliegt, die Macht der Taliban gebrochen ist."
Gegen die Abweisung des Asylantrages erhob der den Beschwerdeführer vertretende Jugendwohlfahrtsträger keine Berufung.
Im April 2002 stellte der Jugendwohlfahrtsträger namens des Beschwerdeführers einen Wiederaufnahmeantrag, der sich darauf gründete, dass bei einem Krankenhausaufenthalt Folterspuren festgestellt worden seien. Diesen Antrag wies die belangte Behörde mit der Begründung, auf die Intensität der Verfolgung "von Seiten der in Rede stehenden Taliban" wäre es im Zeitpunkt der Abweisung des Asylantrages nicht mehr angekommen, im Instanzenzug ab.
In seinem jetzt verfahrensgegenständlichen Zweitantrag vom 13. Jänner 2004 machte der Beschwerdeführer geltend, inzwischen lägen neue Gefährdungsmomente vor. Dies erläuterte er in einer Stellungnahme vom 14. April 2004 mit einem ausführlichen Vorbringen zur Inhaftierung eines seiner Brüder, der unter Nadjibullah Angehöriger der Geheimpolizei gewesen sei, im "Herbst 2003", mit einem fehlgeschlagenen Mordanschlag auf seinen Vater, bei dem ein Cousin des Beschwerdeführers (im weiteren Vorbringen teilweise: ein Cousin des Vaters) ums Leben gekommen sei, im September 2003 sowie mit der Wiedergabe von Auszügen aus vier Gutachten des Sachverständigen Dr. Danesch aus dem Zeitraum Oktober bis Dezember 2003, mit denen unter Beweis gestellt werde, dass die Lagebeurteilung in dem Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. Februar 2002 nicht mehr zutreffe. Zum Beweis für die Tätigkeit des Bruders wurde ein als anerkannter Flüchtling in Österreich lebender Zeuge namhaft gemacht.
Bei der Einvernahme zum Zweitantrag am 19. April 2004 legte die Vertreterin des Beschwerdeführers die in der Stellungnahme zitierten Gutachten vor. Darüber hinaus wurde u.a. ein Brief des Vaters des Beschwerdeführers vom November 2002 vorgelegt, den das Bundesasylamt in der Folge übersetzen ließ. Das Vorbringen in der Stellungnahme korrigierte die Vertreterin des Beschwerdeführers dahingehend, dass der Zeitpunkt des Verschwindens des Bruders nicht bekannt sei. Jedenfalls müsse dies "nach 2001" gewesen sein. Der Beschwerdeführer habe im September 2003 davon erfahren.
Der Beschwerdeführer gab bei der Einvernahme (zusammengefasst) an, sein Vater sei inzwischen nach Pakistan geflohen. In Afghanistan seien wieder die Mudjaheddin an der Macht. Sie hätten dort einen islamischen Staat errichtet, weshalb der Beschwerdeführer damit rechne, dass die seinerzeitigen Vorwürfe der Taliban "wieder aufgerollt" würden. Hinzu kämen noch die früheren Tätigkeiten des Bruders und des Vaters. Dass der Beschwerdeführer inzwischen tatsächlich dem Christentum nahestehe, wolle er nicht im Akt festgehalten haben, weil dies auch hier in Österreich eine Gefahr für ihn bedeute. Von seinem Vater und seiner Tante habe er erfahren, dass in Afghanistan auch "speziell" nach ihm gesucht werde. Man würde ihn anstelle seines Vaters festnehmen.
Mit Bescheid vom 6. September 2004 wies das Bundesasylamt den Zweitantrag wegen entschiedener Sache zurück. Es traf hiezu - nach einer Wiedergabe des Verlaufs der Einvernahme zum Zweitantrag - folgende Feststellungen:
"Das erste Asylverfahren des ASt. erwuchs letztmalig am 20.3.2002 in Rechtskraft.
Der ASt. ist seit seiner erstmaligen Einreise in Österreich nicht mehr in sein Heimatland zurückgekehrt.
Im Fall des ASt. liegt keinesfalls ein neuer Sachverhalt vor."
Beweiswürdigend wurde ausgeführt, die Angaben des Beschwerdeführers würden "zum Gegenstand des Bescheides erhoben".
In der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes vertrat das Bundesasylamt die Auffassung, es liege "kein wesentlich neuer Sachverhalt" vor und der Beschwerdeführer habe sich "abermals auf das bereits getätigte Vorbringen" bezogen. Die Angaben zum Zweitantrag deckten sich "im Wesentlichen mit den früheren Aussagen". Selbst wenn, wie vom Beschwerdeführer angegeben, seine Schwester (bei einem amerikanischen Luftangriff) ums Leben gekommen und sein Bruder vermisst sei, so könnten "diese alleinigen Sachverhalte" zu keiner anderen Entscheidung führen. "Keinesfalls" könnte "das nunmehr vom ASt. getätigte Vorbringen einen anderen Spruch herbeiführen". Die Voraussetzung, dass dies "nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten" könne, sei "nicht gegeben". Mit diesen Ausführungen sei "klargestellt, dass in der persönlichen Sphäre des ASt. keinerlei Umstände eingetreten sind, welche geeignet wären, einen zulässigen neuerlichen Asylantrag zu begründen". Es lägen "keine Umstände vor, die als Änderung der Sachlage im Hinblick auf eine Entscheidung nach § 7 AsylG zu beurteilen wären".
Erwägungen betreffend den Mordanschlag auf den Vater des Beschwerdeführers und die Suche "speziell" nach ihm selbst enthielt die Entscheidung des Bundesasylamtes nicht.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Zurückweisungsbescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG ab.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde führt in der Darstellung des Verfahrensganges aus, als "zentralen Fluchtgrund" habe der Beschwerdeführer im Erstverfahren "eine von ihm befürchtete Verfolgung von Seiten der Taliban ins Treffen" geführt und er sei damit erfolglos geblieben, weil "eine Verfolgungsgefahr von Seiten der vormals herrschenden Taliban nicht mehr hinreichend wahrscheinlich" gewesen sei.
In der Begründung dafür, weshalb die zum Zweitantrag behaupteten neuen Tatsachen keine "maßgebliche" Änderung des Sachverhaltes seien, vertritt die belangte Behörde hingegen die Ansicht, "Hauptinhalt bzw. zugrunde gelegter Sachverhalt der Entscheidung" im Erstverfahren sei "die Tatsache" gewesen, "dass der Antragsteller in der Vergangenheit Verfolgungshandlungen sowohl von Seiten der Taliban als auch (Hervorhebung im Bescheid) der Mudjaheddin fürchtete". Im nunmehrigen Rechtsgang beziehe sich der Beschwerdeführer "letztlich auf eine ähnlich gelagerte Bedrohungssituation":
"Der nunmehr vorliegende Sachverhalt stellt sich diesbezüglich als lediglich in Randumständen geändert bzw. ergänzt oder aktualisiert dar, weshalb daraus kein neues Hauptsachsubstrat erkannt werden kann".
Das Vorbringen des Beschwerdeführers, "von Seiten der Taliban und (Hervorhebung im Bescheid) Mudjaheddin behelligt worden zu sein", sei schon im Erstverfahren "festgestellt, gewürdigt bzw. mitberücksichtigt und rechtlich eingeordnet" worden. Seitens der belangten Behörde werde "ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Antragsteller schon im ersten Rechtsgang Verfolgungshandlungen ausgehend von den Mudjaheddin als für seine Flucht mitausschlaggebend (Hervorhebung im Bescheid) angegeben hat":
"Dem nunmehrigen Vorbringen des Antragstellers - der Flucht seines Vaters vor den in Afghanistan an der Macht befindlichen Mudjaheddin aufgrund der regionalen Konflikte, der versehentlichen (!) Ermordung seines Cousins, dem unbekannten Schicksal seines Bruders, welcher früher bei der Geheimdienstpolizei KHAD gearbeitet hätte, sowie dem Tod seiner Schwester durch einen Angriff der Amerikaner, als auch der angebliche Suche der Mudjaheddin und der Taliban nach dem Antragsteller (im Bescheid nicht hervorgehoben) - inhäriert sohin kein wesentliches über das erstinstanzliche Hauptsachsubstrat hinausgehendes Moment."
Von einer relevanten Änderung des Sachverhaltes könne "daher nicht die Rede sein".
Die vom Beschwerdeführer zum Zweitantrag vorgelegten Gutachten über die Entwicklung der Lage seit dem Abschluss des Erstverfahrens, die schon das Bundesasylamt in seinem Zurückweisungsbescheid unberücksichtigt gelassen hatte, kommen im angefochtenen Bescheid an keiner Stelle vor.
Schon dies belastet den angefochtenen Bescheid mit einem Begründungsmangel, der zu seiner Aufhebung führen müsste.
Vorrangig ist jedoch der - in der Beschwerde zutreffend kritisierte - Umstand, dass die belangte Behörde dem Beschwerdeführer, insoweit er einen nach Abschluss des Erstverfahrens verübten Mordanschlag auf seinen Vater geltend macht, der Sache nach entgegenhält, er habe schon im Erstverfahren die Zerstörung des Hauses durch Mudjaheddin im Zeitraum 1992/1993 erwähnt. Ein anderer Anknüpfungspunkt für die - für sich genommen aktenwidrige - Behauptung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe im ersten Rechtsgang "Verfolgungshandlungen ausgehend von den Mudjaheddin als für seine Flucht mitausschlaggebend angegeben", findet sich in den Akten nicht. Die belangte Behörde ist offenbar der Ansicht, gegenüber der mehr als zehn Jahre zurückliegenden Zerstörung eines Hauses "inhäriere" einem aktuellen Mordanschlag auf einen Angehörigen, aus dem der Antragsteller seine eigene Gefährdung ableitet, "kein wesentliches ... Moment".
Gemessen an der Sachlage, die dem Bundesasylamt bei der Entscheidung im Erstverfahren vorlag, wäre die behauptete Suche der Mudjaheddin nach dem Beschwerdeführer aber auch ohne den Mordanschlag auf seinen Vater keine Veränderung "lediglich in Randumständen".
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 30. November 2006
Schlagworte
Zurückweisung wegen entschiedener SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2006190126.X00Im RIS seit
05.02.2007