Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Staatsanwaltschaft Wien, Wien 8., Landesgerichtsstraße 11, wider die beklagten Parteien 1. Waltraude Y*****, und 2. Bayram Y*****, wegen Nichtigkeit der Ehe gemäß § 23 EheG infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. Dezember 1999, GZ 43 R 940/99z-8, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 30. September 1999, GZ 23 C 78/99b-4, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird aufgetragen, das gesetzliche Verfahren über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund einzuleiten.
Text
Begründung:
Die Staatsanwaltschaft Wien begehrte, die am 1. 6. 1989 zwischen den beklagten Parteien geschlossene Ehe gemäß § 23 EheG für nichtig zu erklären. Die Erstbeklagte sei österreichische Staatsbürgerin, der Zweitbeklagte türkischer Staatsangehöriger. Die Ehe sei ausschließlich zu dem Zweck geschlossen worden, um dem Zweitbeklagten eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und damit eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu verschaffen. Die Aufnahme einer ehelichen Gemeinschaft sei nie beabsichtigt gewesen, sie habe auch nicht stattgefunden.
Das Erstgericht wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Es sei dann nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt eines der beklagten Ehegatten abzustellen, wenn der Staatsanwalt beide Ehegatten als Beklagte in Anspruch nehme und diese sich in verschiedenen Gerichtssprengeln aufhielten. Es käme nur die subsidiäre Zuständigkeit des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien gemäß § 76 Abs 1 JN in Betracht.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Auslegung des § 76 Abs 1 JN durch das Gericht erster Instanz entspreche den in den §§ 6 und 7 ABGB normierten Auslegungsregeln. Dies habe der Oberste Gerichtshof in der vom Erstgericht zitierten Entscheidung 7 Ob 347/98z (= ZfRV 1999/78) deutlich und überzeugend zum Ausdruck gebracht.
Der Revisionsrekurs der klagenden Partei ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 76 Abs 1 JN ist für Streitigkeiten über die Scheidung, die Aufhebung, die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe zwischen den Parteien das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel die Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zuletzt gehabt haben. Hat zur Zeit der Erhebung der Klage keiner der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Sprengel oder haben sie im Inland einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt nicht gehabt, so ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel der gewöhnliche Aufenthalt des beklagten Ehegatten oder, falls ein solcher gewöhnlicher Aufenthalt im Inland fehlt, der gewöhnliche Aufenthalt des klagenden Ehegatten liegt, sonst das Bezirksgericht Innere Stadt Wien.
Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits in der zuvor zitierten Entscheidung mit der Frage des für die Klage des Staatsanwalts örtlich zuständigen Gerichts befasst. Er hat eine örtliche Zuständigkeit jenes Gerichts, in dessen Sprengel einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, wegen des daraus folgenden Wahlrechts des Staatsanwalts abgelehnt. Ein solches Wahlrecht sei unvereinbar mit der Bestimmung, dass das Gericht am gewöhnlichen Aufenthalt des (jeweiligen) Beklagten ausschließlich zuständig und eine gemeinsame Klage gegen beide Beklagte einzubringen sei. Daher käme nur die subsidiäre Zuständigkeit des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien in Betracht. Dieser Gerichtsstand schließe den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach § 93 JN aus.
Dieser Entscheidung kann schon auf Grund der bloßen Wortinterpretation des § 76 Abs 1 JN nicht gefolgt werden (so schon 4 Ob 39/00i). § 76 Abs 1 JN regelt die örtliche Zuständigkeit für Streitigkeiten über die Scheidung, die Aufhebung, die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe zwischen den Parteien. Die Ehenichtigkeitsklage des Staatsanwalts gegen beide Ehegatten wird in dieser Gesetzesbestimmung nicht erwähnt. Es ist diese Regelung aber auch für ein gegen zwei Beklagte geführtes Verfahren unanwendbar, wenn sich die beiden Beklagten in verschiedenen Gerichtssprengeln aufhalten. Ein sich daraus ergebendes Wahlrecht der klagenden Partei wäre mit einem ausschließlichen Gerichtsstand - wie dem des § 76 Abs 1 JN - unvereinbar. Daraus ist - im Gegensatz zur Entscheidung 7 Ob 347/98z - aber nicht zu folgern, dass die subsidiäre Auffangzuständigkeit des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien zur primären Zuständigkeit zu erheben und der durch den Aufenthalt eines oder beider beklagten Ehegatten in Österreich bestehende Bezug zu einem anderen inländischen Gericht zu ignorieren wäre. Vielmehr ist daraus zu schließen, dass § 76 Abs 1 JN die Ehenichtigkeitsklage des Staatsanwalts gar nicht erfasst, sondern sich eben nur auf Streitigkeiten aus dem Eheverhältnis zwischen den Ehegatten als einander gegenüberstehende Parteien beschränkt. Dem nicht näher begründeten Hinweis Schwimanns (in Schwimann ABGB2 Rz 4 zu § 28 EheG), das nach § 76 Abs 1 JN örtlich zuständige Bezirksgericht sei für den Nichtigkeitsprozess zuständig, kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden.
Daraus ergibt sich, dass der Staatsanwalt eine Ehenichtigkeitsklage beim allgemeinen Gerichtsstand des (der) Beklagten einzubringen hat (§§ 65, 66 JN). Die beklagten Ehegatten bilden eine einheitliche Streitpartei nach § 14 JN (Fucik in Rechberger ZPO2 Rz 3 zu § 14 mwN). Das bedeutet, dass für den Ehegatten, für den das angerufene Gericht nicht das Gericht seines allgemeinen Gerichtsstands ist, der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gemäß § 93 Abs 1 JN begründet wird. Die Subsidarität dieses Gerichtsstands steht der Anwendung des § 93 Abs 1 JN nicht entgegen, weil für die beklagten Ehegatten kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand besteht, wenn - wie eben ausgeführt - die Anwendbarkeit des § 76 Abs 1 JN zu verneinen ist. Für den Fall, dass sich keiner der Ehegatten in Österreich aufhielte und der Staatsanwalt eine Ehenichtigkeitsklage einbrächte, wäre nach § 28 JN vorzugehen.
Dem Revisionsrekurs ist demnach Folge zu geben.
Textnummer
E57247European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2000:0010OB00039.00T.0222.000Im RIS seit
23.03.2000Zuletzt aktualisiert am
28.02.2011