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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
BAO §20;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde der AS in B, vertreten durch Dr. Remigius Etti, Rechtsanwalt in 2345 Brunn am Gebirge, Leopold Gattringerstraße 40, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates (Außenstelle Wien) vom 3. April 2003, GZ. RV/1538- W/02, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 381,90 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 24. Jänner 2000 wurde die Beschwerdeführerin als Haftungspflichtige gemäß § 9 in Verbindung mit § 80 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der W. GmbH im Ausmaß von 4,198.570 S in Anspruch genommen.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. In dieser brachte sie vor, ihr sei keine schuldhafte Verletzung ihr auferlegter Pflichten nach § 80 BAO vorzuwerfen, weil sie keine Mittel für die insolvent gewordene W. GmbH verwaltet habe. Dies habe vielmehr ihr Vater getan, der die finanzielle und organisatorische Leitung der W. GmbH innegehabt habe. Wenn die Beschwerdeführerin ihren Vater darauf angesprochen habe, Schulden beim Finanzamt zum begleichen, habe dieser geantwortet, dass er erst, wie auch in anderen Fällen, die Mahnungen abwarte. Der Beschwerdeführerin sei auf Grund ihrer Unerfahrenheit (sie habe "erst unmittelbar vorher die HTL verlassen und daher keinerlei Berufserfahrung, im Gegensatz zu ihrem Vater", gehabt) nicht bekannt gewesen, dass das Finanzamt keine Mahnungen verschicke. Da der Vater auch eine Steuerberatungskanzlei mit den buchhalterischen Agenden beauftragt gehabt habe, dem Steuerberater monatlich die Unterlagen übermittelt worden seien und sich die Beschwerdeführerin "beim Vater erkundigt hat, ob er auch die entsprechenden Anweisungen des Steuerberaters befolgte und dieser bejahte", habe die Beschwerdeführerin darauf vertraut, dass die Angaben des Vaters richtig seien. Weil der Vater bei der Bank auch zeichnungsberechtigt gewesen sei, habe sie sich auch darauf verlassen können, dass er die Zahlungen tätige. Im Hinblick darauf, dass der Vater seine Tochter wirtschaftlich ruiniert habe (die Tochter sei derzeit auch arbeitslos), hätte die Beschwerdeführerin nicht zur Haftung herangezogen werden dürfen. Bei der Ausübung des Ermessens hätte die Behörde auch prüfen müssen, ob die Einbringlichkeit zumindest eines Teiles der aushaftenden Abgabenschuld bei der Beschwerdeführerin möglich sei.
In der abweisenden Berufungsvorentscheidung führte das Finanzamt aus, die Vertretereigenschaft und die Uneinbringlichkeit der Abgaben seien nicht strittig. Die Beschwerdeführerin bestreite die schuldhafte Verletzung ihr auferlegter Pflichten.
In einer am 19. April 1999 im Finanzstrafverfahren mit der Beschwerdeführerin aufgenommenen Niederschrift sei nicht einmal andeutungsweise behauptet worden, dass keinerlei Umsätze getätigt worden seien, "somit keine Mittel zur Verfügung standen, bzw. die vereinbarten Arbeitslöhne - auf deren Basis die Abgaben errechnet worden sind - nicht bezahlt worden seien". Die Behörde habe daher davon ausgehen können, dass der Beschwerdeführerin Mittel zur Verfügung gestanden seien, die sie zur Entrichtung der Abgaben hätte verwenden müssen. Von einer Gleichbehandlung der Abgabenschulden mit anderen Verbindlichkeiten könne bei Begleichung von Lohnverbindlichkeiten und gleichzeitiger Nichtzahlung der Abgabenschulden keine Rede sein. Die Beschwerdeführerin sei auch mit Erkenntnis des Spruchsenates wegen vorsätzlicher Nichtentrichtung von Umsatzsteuer finanzstrafrechtlich verurteilt worden. Unter diesen Umständen seien alle Voraussetzungen dafür gegeben, um von einem schuldhaften Verhalten im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO ausgehen zu können. Das Vorbringen, durch den "Vater" an der Erfüllung der Verpflichtungen gehindert worden zu sein, schließe eine schuldhafte Pflichtverletzung nicht aus. Der Geschäftsführer sei dazu verhalten, entweder sofort im Rechtsweg die Möglichkeit der ungehinderten Ausübung seiner Funktion zu erzwingen oder die Funktion niederzulegen und als Geschäftsführer auszuscheiden. Auch die eingewendete Vermögenslosigkeit sei unbeachtlich, weil diese in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung stehe.
Die Beschwerdeführerin stellte einen - nicht weiter begründeten - Antrag auf Entscheidung über ihre Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung insoweit Folge, als der Haftungsbetrag auf 179.364,84 EUR (2,468.114 S) eingeschränkt wurde.
Unbestritten sei, dass der Beschwerdeführerin als selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführerin der W. GmbH vom 15. Februar 1997 bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens mit Gerichtsbeschluss vom 13. Jänner 1999 die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten dieser Gesellschaft oblegen sei. Die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben bei der Primärschuldnerin stehe auf Grund der Aufhebung des Konkurses mit Beschluss vom 15. Oktober 2001 ebenfalls fest. Damit wäre es Aufgabe der Beschwerdeführerin gewesen, darzutun, weshalb sie nicht für die rechtzeitige Abgabenentrichtung habe Sorge tragen können.
Zur mit dem Haftungsbescheid geltend gemachten Lohnsteuer ergebe sich die schuldhafte Verletzung der Vertreterpflichten durch die Beschwerdeführerin schon aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach jede Zahlung voll vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende und einzubehaltende Lohnsteuer ausreichten, eine schuldhafte Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten des Vertreters bedeute. Dass zur Entrichtung der übrigen haftungsgegenständlichen Abgaben keine Mittel zur Verfügung gestanden wären, sei von der Beschwerdeführerin nicht behauptet worden.
Die Beschwerdeführerin habe auch nur vorgebracht, dass ihr Vater die finanzielle und organisatorische Leitung der Gesellschaft innegehabt und die Mittel verwaltet habe "und sie den bejahenden Antworten ihres Vaters, dass er auch die entsprechenden Anweisungen des Steuerberaters befolgt habe, vertraut habe". Ein Geschäftsführer, der sich in der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Pflichten durch die Gesellschafter oder durch dritte Personen behindert sehe, habe aber sofort im Rechtsweg die Möglichkeit der unbehinderten Ausübung seiner Funktion zu erzwingen oder seine Funktion niederzulegen. Ein für die Haftung relevantes Verschulden liege auch dann vor, wenn sich der Geschäftsführer schon bei der Übernahme seiner Funktionen mit einer Beschränkung seiner Befugnisse einverstanden erkläre bzw. eine solche Beschränkung in Kauf nehme, welche die künftige Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen, insbesondere auch den Abgabenbehörden gegenüber, unmöglich mache. Die Beschwerdeführerin sei auch ihren Überwachungspflichten nicht nachgekommen, "wenn sie sich auf die Frage, ob alles in Ordnung sei, beschränkt und mit einer - im Großen und Ganzen - bejahenden Antwort begnügt hat". Demnach wäre der Beschwerdeführerin auch eine entsprechende regelmäßige Kontrolle der Tätigkeit ihres Vaters durch Einsichtnahme in die die Abgabenverbindlichkeiten der Gesellschaft betreffenden Unterlagen jedenfalls möglich und zumutbar gewesen.
Wenn die Beschwerdeführerin eine fehlerhafte Ermessensübung rüge, sei ihr unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, dass die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftenden von der Abgabenbehörde bei den Zweckmäßigkeitsüberlegungen vernachlässigt werden könne. Auch der Hinweis der Beschwerdeführerin, ihr Vater habe sie wirtschaftlich ruiniert und sie sei derzeit arbeitslos, stehe in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung.
Der Berufung sei insofern Folge zu geben gewesen, als der Haftungsbetrag bezüglich bestimmter - im angefochtenen Bescheid näher dargestellter - Abgaben zu vermindern gewesen sei, weil deren Fälligkeit erst nach Konkurseröffnung eingetreten sei.
In der Beschwerde sieht sich die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht verletzt, nicht gemäß § 9 Abs. 1 BAO für die bei der W. GmbH uneinbringlichen Abgaben in Höhe von 179.364,64 EUR herangezogen zu werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12. Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der dem Vertreter auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben u.a. die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Dass die Beschwerdeführerin in dem festgestellten Zeitraum Geschäftsführerin der W. GmbH war, ist unstrittig. Für das Verschulden im Sinne der zitierten abgabenrechtlichen Vorschriften ist nicht maßgeblich, ob der Geschäftsführer seine Funktion tatsächlich ausgeübt hat, sondern ob er als Geschäftsführer bestellt war und ihm daher die Ausübung der Funktion oblegen wäre. Der vertretungsbefugte Geschäftsführer ist von seiner Verantwortung zur Entrichtung der Abgaben nicht befreit, weil die Geschäftsführung - sei es auf Grund eines eigenen Willensentschlusses des Geschäftsführers, sei es über Weisung von Gesellschaftern, sei es auf Grund einer sonstigen Einflussnahme wirtschaftlich die Gesellschaft beherrschender Personen - anderen Personen zusteht und der Geschäftsführer dadurch entweder der rechtlichen und/oder faktischen Möglichkeit einer ausreichenden und effektiven Kontrolle in der Richtung, ob die jeweils fällig werdenden Abgaben zumindest anteilig entrichtet werden, beraubt ist, sich aber gegen die unzulässige Beschränkung seiner Geschäftsführung oder zumindest seiner Aufsichts- und Kontrollaufgaben in Bezug auf die Entrichtung der Abgaben nicht durch entsprechende gerichtliche Schritte zur Wehr setzt oder von seiner Geschäftsführerfunktion zurücktritt, oder die nicht eingeschränkte Kontrollmöglichkeit nicht in ausreichender und effektiver Weise wahrnimmt (vgl. zum Ganzen beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 30. März 2006, 2003/15/0080).
In der Beschwerde wird vorgebracht, die Beschwerdeführerin verkenne nicht, dass der verantwortliche Vertreter nicht von seiner Verantwortung dadurch befreit werde, wenn er seine abgabenrechtlichen Pflichten auf andere Personen übertrage, weil ihn diesfalls Auswahl und Kontrollpflichten träfen. Der vorliegende Sachverhalt sei aber doch etwas anders gelagert als der von der belangten Behörde durch ihren Verweis im angefochtenen Bescheid angesprochene, zur hg. Zl. 97/14/0080 entschiedene Beschwerdefall.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde nicht zum Erfolg:
In dem angesprochenen Erkenntnis vom 26. Mai 1998 hat der Verwaltungsgerichtshof zwar ausgeführt, dass eine Kontrolle des (auch damals die Geschäfte de facto führenden) Vaters der Beschwerdeführerin "umso mehr" angezeigt gewesen wäre, als unbestrittenermaßen die in einem Vorhalt der belangten Behörde beschriebenen Umstände (Zwangsstrafen wegen Nichtabgabe von Abgabenerklärungen, Pfändungen, rechtskräftige Verurteilungen wegen Abgabenhinterziehung) vorgelegen seien, aber eine Verletzung der abgabenrechtlichen Überwachungspflichten auch schon allein deshalb festgestellt, weil sich die (damalige) Beschwerdeführerin diesbezüglich auf die Frage, ob alles in Ordnung sei, beschränkt und mit einer - im Großen und Ganzen - bejahenden Antwort begnügt habe (zum zur Haftung relevanten Verschulden bei Unterlassung jeglicher Überwachungsmaßnahmen und zur Haftung eines "willfährigen" Geschäftsführers vergleiche im Übrigen beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 19. November 1998, 98/15/0159, vom 19. Dezember 2002, 2002/15/0152, vom 10. August 2005, 2005/13/0089, vom 22. Jänner 2004, 2003/14/0097, und vom 13. April 2005, 2001/13/0190). Das Vertrauen in die Angaben des Vaters konnte die Beschwerdeführerin somit nicht vom Schuldvorwurf hinsichtlich Verletzung ihrer Kontrollaufgaben entlasten.
Zur Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld bei der Beschwerdeführerin konnte sich die belangte Behörde zu Recht darauf stützen, dass Vermögenslosigkeit bzw. Arbeitslosigkeit des Haftenden an sich in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung steht (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 25. Juni 1990, 89/15/0067, und vom 29. Juni 1999, 99/14/0128), zumal es eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit auch nicht ausschließt, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. November 2002, 97/13/0177). Dass die Beschwerdeführerin durch den Vater wirtschaftlich ruiniert worden und auch arbeitslos sei, spricht persönliche Umstände der Beschwerdeführerin an, die im Rahmen der Ermessensübung zur Geltendmachung der Haftung ebenfalls nicht maßgeblich sind (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2005, 2004/14/0112).
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen, wobei der Verwaltungsgerichtshof von der von der Beschwerdeführerin beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung aus dem im § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG angeführten Grund Abstand genommen hat.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 14. Dezember 2006
Schlagworte
Ermessen VwRallg8European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2006140044.X00Im RIS seit
16.01.2007Zuletzt aktualisiert am
28.09.2009