Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Asan Rushiti gegen Österreich, Urteil vom 21.3.2000, Bsw. 28389/95.Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer römisch III, Beschwerdesache Asan Rushiti gegen Österreich, Urteil vom 21.3.2000, Bsw. 28389/95.
Spruch
Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 6 Abs. 2 EMRK, § 2 Abs. 1 lit. b StEG - Unschuldsvermutung und Haftentschädigung.Artikel 6, Absatz eins, EMRK, Artikel 6, Absatz 2, EMRK, Paragraph 2, Absatz eins, Litera b, StEG - Unschuldsvermutung und Haftentschädigung.
Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK (einstimmig).
Verletzung von Art. 6 Abs. 2 EMRK (einstimmig).Verletzung von Artikel 6, Absatz 2, EMRK (einstimmig).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK: ATS 61.318,80 für Kosten und Auslagen (einstimmig).Entschädigung nach Artikel 41, EMRK: ATS 61.318,80 für Kosten und Auslagen (einstimmig).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Über den Bf. wurde am 1.4.1993 wegen versuchten Mordes die Untersuchungshaft verhängt. Von diesem Vorwurf wurde der Bf. am 1.9.1993 durch ein Geschworenengericht am LG für Strafsachen Graz mit 7:1 Stimmen aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Am 2.9.1993 stellte der Bf. den Antrag auf Zuspruch einer Entschädigung nach dem StEG. Dieser Antrag wurde vom LG für Strafsachen Graz abgelehnt, da gegen den Bf. ein begründeter Verdacht bestanden habe, der nicht ausgeräumt sei. In der Folge eines dagegen eingebrachten Rechtsmittels stellte das OLG Graz beim VfGH den Antrag auf Aufhebung des § 2 (1) (b) StEG, der jedoch abgewiesen wurde. Das OLG lehnte daraufhin den Antrag auf Haftentschädigung ab.Über den Bf. wurde am 1.4.1993 wegen versuchten Mordes die Untersuchungshaft verhängt. Von diesem Vorwurf wurde der Bf. am 1.9.1993 durch ein Geschworenengericht am LG für Strafsachen Graz mit 7:1 Stimmen aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Am 2.9.1993 stellte der Bf. den Antrag auf Zuspruch einer Entschädigung nach dem StEG. Dieser Antrag wurde vom LG für Strafsachen Graz abgelehnt, da gegen den Bf. ein begründeter Verdacht bestanden habe, der nicht ausgeräumt sei. In der Folge eines dagegen eingebrachten Rechtsmittels stellte das OLG Graz beim VfGH den Antrag auf Aufhebung des Paragraph 2, (1) (b) StEG, der jedoch abgewiesen wurde. Das OLG lehnte daraufhin den Antrag auf Haftentschädigung ab.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), da im Entschädigungsverfahren weder vor dem LG noch dem OLG eine öffentliche Verhandlung abgehalten wurde und die Beschlüsse auch nicht öffentlich verkündet wurden. Er behauptet weiters eine Verletzung von Art. 6 (2) EMRK (Unschuldsvermutung).Der Bf. behauptet eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), da im Entschädigungsverfahren weder vor dem LG noch dem OLG eine öffentliche Verhandlung abgehalten wurde und die Beschlüsse auch nicht öffentlich verkündet wurden. Er behauptet weiters eine Verletzung von Artikel 6, (2) EMRK (Unschuldsvermutung).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 (1) EMRK:Zur behaupteten Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK:
Bei der behaupteten Verletzung von Art. 6 (1) EMRK ist der
vorliegende Fall gleich gelagert wie die Fälle in den Urteilen
Szücs/A und Werner/A, beide vom 24.11.1997 (= NL 1997, 274 bzw. NL
1997, 276 = ÖJZ 1998, 233). Verletzung von Art. 6 (1) EMRK
(einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 (2) EMRK:Zur behaupteten Verletzung von Artikel 6, (2) EMRK:
Die Berufung auf Art. 6 (2) EMRK ist zulässig, unabhängig davon, dass die bekämpfte Entscheidung ergangen ist, nachdem der Bf. bereits rechtskräftig freigesprochen worden war. In der österr. Gesetzgebung und Praxis sind die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit und der Anspruch auf Entschädigung so eng miteinander verknüpft, dass Entscheidungen über letzteren als Konsequenz und – bis zu einem gewissen Grad – als Begleiterscheinung eines Strafurteils angesehen werden können.Die Berufung auf Artikel 6, (2) EMRK ist zulässig, unabhängig davon, dass die bekämpfte Entscheidung ergangen ist, nachdem der Bf. bereits rechtskräftig freigesprochen worden war. In der österr. Gesetzgebung und Praxis sind die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit und der Anspruch auf Entschädigung so eng miteinander verknüpft, dass Entscheidungen über letzteren als Konsequenz und – bis zu einem gewissen Grad – als Begleiterscheinung eines Strafurteils angesehen werden können.
Zwar ist das OLG Graz weder das Gericht, das den Bf. freigesprochen hat, noch hat es auf Grundlage der Akten des Geschworenengerichts eine Neubewertung der Schuld des Bf. durchgeführt. Dennoch hob es die Tatsache hervor, dass ein Mitglied der Geschworenen den Bf. für schuldig ansah. Überdies folgerte es aus der Niederschrift der Erwägungen der Geschworenen, wonach der Freispruch aus Mangel an Beweisen erfolgt sei, dass mit einem solchen Freispruch weder der Verdacht gegen den Bf. entkräftet noch seine Unschuld zumindest wahrscheinlich ist.
Das Äußern von Verdächtigungen hinsichtlich der Unschuld eines Angeklagten ist nach einem rechtskräftigen Freispruch nicht mehr zulässig. Dementsprechend ist die Feststellung, dass trotz eines rechtskräftigen Freispruchs der Tatverdacht gegen den Bf. nicht ausgeräumt ist, unvereinbar mit dem Prinzip der Unschuldsvermutung. Verletzung von Art. 6 (2) EMRK (einstimmig).Das Äußern von Verdächtigungen hinsichtlich der Unschuld eines Angeklagten ist nach einem rechtskräftigen Freispruch nicht mehr zulässig. Dementsprechend ist die Feststellung, dass trotz eines rechtskräftigen Freispruchs der Tatverdacht gegen den Bf. nicht ausgeräumt ist, unvereinbar mit dem Prinzip der Unschuldsvermutung. Verletzung von Artikel 6, (2) EMRK (einstimmig).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK:Entschädigung nach Artikel 41, EMRK:
ATS 61.318,80 für Kosten und Auslagen (einstimmig).
Anm.: Vgl. die vom GH zitierten Fälle Sekanina/A, Urteil v. 25.8.1993, A/266-A (= NL 1993/5, 20 = ÖJZ 1993, 816); Szücs/A und Werner/A, beide vom 24.11.1997 (= NL 1997, 274 bzw. NL 1997, 276 = ÖJZ 1998, 233).Anmerkung, Vgl. die vom GH zitierten Fälle Sekanina/A, Urteil v. 25.8.1993, A/266-A (= NL 1993/5, 20 = ÖJZ 1993, 816); Szücs/A und Werner/A, beide vom 24.11.1997 (= NL 1997, 274 bzw. NL 1997, 276 = ÖJZ 1998, 233).
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 21.3.2000, Bsw. 28389/95, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2000, 55) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/00_2/Rushiti.pdf
Das Original der Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.
Anmerkung
EGM00285 Bsw28389.95-UDokumentnummer
JJT_20000321_AUSL000_000BSW28389_9500000_000