Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** W***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Longin Josef Kempf und Dr. Josef Maier, Rechtsanwälte in Peuerbach, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei G*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Hannelore Kettl-Gassner, Rechtsanwältin in Salzburg, wegen S 101.975,-- sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Oktober 1999, GZ 4 R 140/99g-44, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom 21. April 1999, GZ 6 Cg 158/97k-38, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, an Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen:
a) der beklagten Partei S 35.727,68 (darin S 3.746,28 USt und S 13.250,-- Barauslagen);
b) der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei S 9.295,44 (darin S 1.549,24 USt).
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei, die - unter anderem - mit dem Transport zweier Paletten Spezialdärme beauftragt war, gab diesen Beförderungsauftrag an die beklagte Partei als Unterfrachtführer weiter. Beide Paletten gerieten in Verlust. Deshalb leistete die klagende Partei dem Absender des Gutes Schadenersatz in Höhe von S 100.000.
Sie begehrte von der beklagten Partei als Unterfrachtführerin die Erstattung dieses Betrags und die Zahlung anteiliger Frachtkosten von S 1.975.
Die beklagte Partei wendete ein, sie habe das Transportgut zur Gänze bei der klagenden Partei abgeliefert. Der Empfang sei auch auf dem CMR-Frachtbrief bestätigt worden. Soweit ein Verlust eingetreten sei, sei es dazu erst im Verfügungsbereich der klagenden Partei gekommen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es stellte fest, das zuletzt eingeschaltete Transportunternehmen, ein für die beklagte Partei tätig gewordener (weiterer) Unterfrachtführer, habe verschiedene Güter im Wege zweier Teillieferungen - verspätet - zur klagenden Partei gebracht und dort abgestellt. Eine "formelle Übergabe" sei nicht durchgeführt und auch keine Empfangsbestätigung auf dem Frachtbrief ausgestellt worden. Die klagende Partei habe die abgestellten Waren teils noch am Tag der Anlieferung, teils am folgenden Tag ohne Mitwirkung des letzten Unterfrachtführers in ihr Lager gebracht. Es sei nicht feststellbar, ob die beklagte Partei auch die beiden Paletten Spezialdärme abgeliefert habe. Mehrere Tage nach dem Ablieferungszeitpunkt habe ein Fahrer des zuletzt tätig gewordenen Transportunternehmens eine - damit nicht befasste - Mitarbeiterin der klagenden Partei dazu überredet, auf dem Frachtbrief auch die Übernahme der beiden Paletten Tierdärme durch Anbringung der Firmenstampiglie und ihrer Unterschrift zu bestätigen. Die Mitarbeiterin habe vom Anlieferungsvorgang aber überhaupt keine Kenntnis gehabt. Der Verlust der Sendung sei bei der beklagten Partei zwei Tage nach der Warenlieferung reklamiert worden.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass die Ausstellung der Übernahmsbestätigung durch die klagende Partei bewirke, dass diese für die unterbliebene Ablieferung beweispflichtig sei. Einen solchen Beweis habe sie nicht erbringen können, weshalb die beklagte Partei für das abhanden gekommene Ladegut nicht hafte. Es sei nicht erwiesen, dass der Verlust während des "für die beklagte Partei relevanten Obhutszeitraumes" eingetreten sei.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem Klagebegehren statt und sprach - letztlich - aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es führte aus, die bloße Ablieferung des Gutes auf dem Betriebsgelände der klagenden Partei ohne deren positive Mitwirkung sei einer Annahme des Gutes im Sinne des Art 30 Abs 1 CMR nicht gleichzuhalten. Demnach lägen auch die Voraussetzungen für die gesetzliche Vermutung des Art 30 CMR nicht vor, zumal nicht feststellbar sei, ob das in Verlust geratene Frachtgut abgeliefert worden sei. Die blindlings erfolgte Ausstellung der Übernahmsbestätigung könne die der beklagten Partei obliegende Beweislast für die Ablieferung des Gutes nicht auf die klagende Partei überwälzen. Die Vorgangsweise des Fahrers des zuletzt tätig gewesenen Unterfrachtführers ließe auf eine gezielte Maßnahme schließen, weshalb die Übernahmsbestätigung als erschlichen anzusehen sei.
Die Revision der beklagten Partei ist zulässig und berechtigt.
Die von der Revisionswerberin geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt allerdings nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
Rechtliche Beurteilung
In ihrer Revision macht die beklagte Partei jedoch ferner geltend, sie habe das in Verlust geratene Transportgut bei der klagenden Partei abgeliefert, und diese habe das Gut im Sinne des Art 30 Abs 1 CMR angenommen. Demnach habe die klagende Partei als Empfängerin zu beweisen, dass das Transportgut bei ihr nicht eingelangt sei. Diese sei jedenfalls angesichts des von ihr auf dem Frachtbrief angebrachten Übernahmsvermerks mit dem Beweis der unterbliebenen Übernahme belastet. Im Übrigen habe das Gericht zweiter Instanz festgestellt, die Übernahmsbestätigung sei erschlichen worden, ohne die Beweise zu wiederholen, und sei in diesem Punkt von den Feststellungen des Erstgerichts in unzulässiger Weise abgewichen. Hiezu ist auszuführen:
Gemäß Art 17 Abs 1 CMR haftet der Frachtführer für den gänzlichen oder teilweisen Verlust des Gutes, sofern der Verlust zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gutes und dem seiner Ablieferung eintritt. Ablieferung im Sinne des Art 17 CMR ist jener Vorgang, durch den der Frachtführer die zur Beförderung erlangte Obhut über das Gut mit ausdrücklicher oder stillschweigender Einwilligung des Verfügungsberechtigten wieder aufgibt und diesen in die Lage versetzt, die tatsächliche Gewalt über das Gut auszuüben. Das Gut kann dem Berechtigten mit dessen Einverständnis auch durch das Abstellen auf einem bestimmten Platz zur Verfügung gestellt werden (SZ 54/160 uva; Jesser, Frachtführerhaftung nach der CMR, 58). Der Frachtführer ist stets verpflichtet, bei der Ankunft am Ort der Ablieferung zu prüfen, ob diese technisch und rechtlich möglich sei. In der einseitigen Aufgabe der Gewahrsame am Bestimmungsort kann eine ordnungsgemäße Ablieferung des Frachtguts nicht erblickt werden. Die Ablieferung kann nur mit Wissen und Willen des Empfängers, also unter dessen Mitwirkung erfolgen (HS 11.208; ZVR 1985/145 ua).
Der zuletzt tätig gewordene Unterfrachtführer hat das Frachtgut in zwei Teillieferungen zur klagenden Partei befördert. Diese war den Feststellungen zufolge nicht bereit, die (erste) Teillieferung anzunehmen, stellte es jedoch dem Unterfrachtführer frei, die Teillieferung im Bereich einer Rampe abzustellen, damit nach Anlieferung des restlichen Frachtguts die Übernahme der gesamten Ladung vorgenommen werde. Als die klagende Partei bei Anlieferung der zweiten Teillieferung die Übernahme nicht sofort in Angriff nahm, sondern diese erst in vier bis fünf Stunden in Aussicht stellte, ließ der Fahrer des Unterfrachtführers auch diese Teillieferung ohne "formelle Übergabe", und ohne die Ausstellung einer Empfangsbestätigung zu erwirken, zurück. Die klagende Partei brachte die zurückgelassenen Waren teils noch am Anlieferungstag, teils am folgenden Tag in ihr Lager. Dass die beiden Paletten Spezialdärme nicht abgeliefert worden seien, konnte hingegen nicht festgestellt werden. Dieser Sachverhalt rechtfertigt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts die Annahme der ordnungsgemäßen Ablieferung des Frachtguts, namentlich auch der beiden in Verlust geratenen Paletten Spezialdärme:
Der Umstand, dass die klagende Partei das Abstellen der ersten Teillieferung auf ihrem Betriebsgelände gestattete und die Übernahme der Gesamtladung in Aussicht stellte, ließe für sich allein noch nicht auf eine ordnungsgemäße Ablieferung im Sinne der CMR schließen. Hat aber die klagende Partei - wie festgestellt - nach Anlieferung des restlichen Frachtguts alle angelieferten Waren - wenn auch ohne weiteres Zutun der beklagten Partei - in ihr Lager gebracht, so kann dies nur als stillschweigende Einwilligung der klagenden Partei als der Verfügungsberechtigten in die Übernahme des Frachtguts in deren Obhut beurteilt werden, wurde sie doch dadurch uneingeschränkt in die Lage versetzt, die tatsächliche Gewalt über das Gut auszuüben. Von einer einseitigen Aufgabe der Gewahrsame durch den Frachtführer kann in einem solchen Fall nicht gesprochen werden; vielmehr hat die klagende Partei als Empfängerin der Waren an deren Ablieferung mitgewirkt.
Die im Zusammenhang mit der (strengen) Haftung des Frachtführers gemäß Art 17 CMR auftretenden Beweislastfragen regelt deren Art 18. Zunächst trifft allerdings den Anspruchswerber die - in der CMR nicht geregelte - Beweislast für den Verlust (oder die Beschädigung) des Frachtguts oder die Überschreitung der Lieferfrist sowie dafür, dass das schädliche Ereignis während des Zeitraums der Obhut des Frachtführers (von der Übernahme des Frachtguts bis zu dessen Ablieferung) eingetreten ist. Erst wenn dem Anspruchswerber der Beweis dieser anspruchsbegründenden Tatsachen gelingt, greifen die Beweislastregeln des Art 18 CMR ein (zum Ganzen Herber/Piper, CMR Art 18 Rz 1 und 2 mwN). Den Verlust des Frachtguts - hier: der beiden Paletten Spezialdärme - während des Zeitraums der Obhut der beklagten Partei hat die klagende Partei aber nicht bewiesen, zumal festgestellt ist, dass die Nichtablieferung der beiden Paletten nicht habe festgestellt werden können. Schon deshalb kann dem Klagebegehren kein Erfolg beschieden sein, weil die Haftung des Frachtführers nur dann in Frage käme, wenn nachgewiesen wäre, dass der Verlust der beiden Paletten Spezialdärme noch vor der Ablieferung des Gutes eintrat. Auf die Frage, welcher Beweiswert der von der Mitarbeiterin der klagenden Partei ausgestellten Übernahmsbestätigung beizumessen ist, braucht demnach nicht mehr eingegangen werden. Dennoch sei bemerkt, dass die Feststellung der Vorinstanzen, der Fahrer des Unterfrachtführers habe die Mitarbeiterin der klagenden Partei veranlasst ("überredet"), den Übernahmsvermerk auszustellen, ein vom Revisionsgericht nicht mehr überprüfbarer Akt der Beweiswürdigung ist. Damit ist aber für den Standpunkt der klagenden Partei nichts gewonnen, weil sie den ihr obliegenden Beweis nicht erbrachte, dass der Verlust der in Rede stehenden Paletten noch im Zeitraum der Obhut des Frachtführers eingetreten ist.
Nimmt der Empfänger das Gut an, ohne dessen Zustand gemeinsam mit dem Frachtführer zu überprüfen und ohne unter Angaben allgemeiner Art über den Verlust oder die Beschädigung an den Frachtführer Vorbehalte zu richten, so wird bis zum Beweise des Gegenteils vermutet, dass der Empfänger das Gut in dem im Frachtbrief beschriebenen Zustand erhalten hat (Art 30 Abs 1 CMR). Nach den oben angestellten Erwägungen war die klagende Partei nicht in der Lage, den "Beweis des Gegenteils" zu führen, weshalb die gesetzliche Vermutung des Art 30 Abs 1 CMR nicht entkräftet ist. Dies muss aber zur Klagsabweisung führen.
In Stattgebung der Revision ist das Ersturteil demnach wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Der von der beklagten Partei und der Nebenintervenientin jeweils verzeichnete Streitgenossenzuschlag gebührt diesen schon deshalb nicht, weil sie von verschiedenen Rechtsanwälten vertreten wurden und weder die Nebenintervenientin noch die beklagte Partei mehreren Personen "gegenüberstand" (vgl 5 Ob 131/74). Für die Verrichtung der Berufungsverhandlung durch die Nebenintervenientin gebührt dieser nur ein Einheitssatz von 120 % und nicht - wie verzeichnet - von 180 %, weil sie keine Berufungsbeantwortung erstattet hat.Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Der von der beklagten Partei und der Nebenintervenientin jeweils verzeichnete Streitgenossenzuschlag gebührt diesen schon deshalb nicht, weil sie von verschiedenen Rechtsanwälten vertreten wurden und weder die Nebenintervenientin noch die beklagte Partei mehreren Personen "gegenüberstand" vergleiche 5 Ob 131/74). Für die Verrichtung der Berufungsverhandlung durch die Nebenintervenientin gebührt dieser nur ein Einheitssatz von 120 % und nicht - wie verzeichnet - von 180 %, weil sie keine Berufungsbeantwortung erstattet hat.
Textnummer
E57337European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2000:0010OB00028.00Z.0328.000Im RIS seit
27.04.2000Zuletzt aktualisiert am
27.01.2011