Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andreas W*****, vertreten durch Mag. Dr. Peter Nöbauer, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1. Karl R***** und 2. D*****, beide vertreten durch Dr. Josef Schartmüller, Rechtsanwalt in Pregarten, wegen S 59.400,-- s. A., infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 21. Oktober 1998, GZ 15 R 127/98x-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Pregarten vom 2. April 1998, GZ C 610/97h-12, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.358,14 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten S 893,02 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Am 28. August 1997 ereignete sich im Freilandgebiet auf der G*****-Bezirksstraße im Kreuzungsbereich mit der durch das Verkehrszeichen "Vorrang geben" benachrangten Gemeindestraße W***** ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit seinem Motorrad der Marke Kawasaki und der Erstbeklagte mit seinem Kombi Mazda 626, der bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversichert ist, beteiligt waren.
Am Klagsfahrzeug entstand ein Totalschaden in Höhe von S 31.000,--. Weiters fielen dem Kläger An- und Abmeldekosten in Höhe von S 1.400,--, Spesen in Höhe von S 500,-- und S 1.500,-- an Sturzhelmkosten an. Der Kläger erlitt Prellungen am Oberkörper und Oberschenkel sowie am Knöchel. Dem Erstbeklagten entstanden Reparaturkosten in Höhe von S 100.944,-- sowie Spesen in Höhe von S 500,--.
Der Kläger begehrte S 59.400,-- (S 20.000 Schmerzengeld, S 36.000 Totalschaden, S 1.400 An- und Abmeldekosten, S 500,-- Spesen und S 1.500,-- Sturzhelm), mit der Begründung, dass der Erstbeklagte seinen Vorrang missachtet hätte.
Die beklagten Parteien wendeten ein, der Kläger habe eine überhöhte Ausgangsgeschwindigkeit eingehalten sowie verspätet und unrichtig reagiert. Zudem wendeten sie S 100.944,-- an Reparaturkosten und S 500,-- an den Spesen compensando ein.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf neben dem eingangs erwähnten Sachverhalt folgende Feststellungen: Der Kläger näherte sich auf der G*****-Bezirksstraße mit seinem Motorrad mit einer Geschwindigkeit von mindestens 105 km/h und fuhr näher bei der Leitlinie als beim rechten Fahrbahnrand. Der Erstbeklagte, der aus der Gemeindestraße W***** in die G*****-Bezirksstraße - aus seiner Fahrtrichtung gesehen - nach links einbiegen wollte, hielt seinen PKW mit der Front etwa 80 cm vor der Fluchtlinie und etwa 9,5 m - in Fahrtrichtung des Klägers gesehen - nach Beginn des Einmündungstrichters an. Als der Erstbeklagte 3,5 sec vor der Kollision mit seinem Einbiegemanöver begann, war für ihn der Kläger noch nicht erkennbar. Der Erstbeklagte beschleunigte mit 1,5 m/sec2 und bog in einer Schrägstellung von ca 45 Grad zur Fahrbahnlängsachse der G*****-Bezirksstraße nach links ein. Er hätte das Motorrad ca 2,5 Sekunden vor der Kollision wahrnehmen können - tatsächlich tat er dies erst 1,5 Sekunden vor der Kollision bzw ca 40 m vor der Unfallstelle. Auch wenn der Erstbeklagte sein Fahrzeug bei der erstmöglichen Erkennbarkeit des Motorrades anzuhalten versucht hätte, wäre es dennoch zu einer Kollision mit annähernd gleichen Folgen gekommen. Bei einer Geschwindigkeit von 90 km/h hätte der Kläger einem Fahren auf Sicht entsprochen.
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass der Erstbeklagte keine Vorrangverletzung zu verantworten habe, weil er bei Beginn des Linksabbiegemanövers den Kläger nicht hätte erkennen können. Dagegen sei der Kläger nicht auf Sicht gefahren.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es die Klagsforderung mit S 32.933,33 s. A. und die Gegenforderung in Höhe der zuerkannten Klagsforderung als zu Recht bestehend ansah und daher das Klagebegehren abwies. Weiters sprach es aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
Es traf nach Beweiswiederholung in Abänderung des erstgerichtlichen Sachverhaltes folgende Feststellungen:
Die Einfahrtsstrecke des PKWs des Erstbeklagten bis zur Kollisionstelle beträgt 8 bis 9 m; sofern der Erstbeklagte mit der Front seines PKWs noch 80 cm außerhalb der Fahrbahn der G*****-Bezirksstraße gestanden ist, beträgt diese Strecke 9 bis 10 m. Für diese 9 bis 10 m benötigte der Erstbeklagte - geht man von 1,5 m/sec2 als unterer Grenzwert einer normalen Beschleunigung aus - 3,5 bis 3,7 sec Fahrzeit. In diesem Fall wäre der Kläger - als der Erstbeklagte mit seinem PKW losfuhr - noch 97 bis 103 m von der Unfallstelle entfernt und damit noch außerhalb des Sichtbereiches des Erstbeklagten gewesen.
Geht man aber davon aus, dass der Erstbeklagte bereits an der Fluchtlinie losfuhr und sein PKW mit 2 m/sec2 beschleunigte, würde die Fahrzeit 2,9 sec betragen. Diesfalls wäre der Kläger etwa 2/10 sec im Sichtbereich des Erstbeklagten gewesen noch bevor dieser mit seinem Einbiegemanöver begonnen hätte. Damit hätte der Erstbeklagte den Kläger bereits zum Zeitpunkt seines Bewegungsbeginnes erkennen können. Selbst wenn er noch weggefahren wäre, hätte er jedenfalls 1 m in die Fahrbahn ragend, zum Stillstand kommen können. Bei besonderer Aufmerksamkeit wäre er nicht mehr in die G*****-Bezirksstraße eingefahren.
Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, dass § 19 Abs 7 StVO die Pflicht zum Vorranggeben dergestalt umschreibe, dass der benachrangte Autofahrer Fahrzeuge mit Vorrang "weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen" dürfe. Daraus sei abzuleiten, dass der Geschädigte (hier der Kläger) nur das Vorrangverhältnis nachzuweisen habe. Dazu gehöre die Klärung, welcher Unfallsbeteiligter auf welcher Straße gekommen sei oder ob ein Vorrangverzicht vorliege. Das konkrete Bestehen des Vorrangverhältnisses sei jedenfalls Voraussetzung für die abstrakte Übertretung des zitierten Schutzgesetzes.Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, dass Paragraph 19, Absatz 7, StVO die Pflicht zum Vorranggeben dergestalt umschreibe, dass der benachrangte Autofahrer Fahrzeuge mit Vorrang "weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen" dürfe. Daraus sei abzuleiten, dass der Geschädigte (hier der Kläger) nur das Vorrangverhältnis nachzuweisen habe. Dazu gehöre die Klärung, welcher Unfallsbeteiligter auf welcher Straße gekommen sei oder ob ein Vorrangverzicht vorliege. Das konkrete Bestehen des Vorrangverhältnisses sei jedenfalls Voraussetzung für die abstrakte Übertretung des zitierten Schutzgesetzes.
Nach den unbekämpft gebliebenen Feststellungen sei der Erstbeklagte aus der benachrangten Gemeindestraße W***** in die bevorrangte G*****-Bezirksstraße eingefahren. Damit stehe der schutzgesetzwidrige Zustand, also die abstrakte Vorrangverletzung, fest.
Es wäre nun Sache des Benachrangten, den Nachweis zu führen, dass ihm dennoch keine konkrete Vorrangverletzung als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten sei, etwa, weil der Unfallgegner zu schnell gefahren und daher nicht rechtzeitig erkennbar gewesen sei.
Im vorliegenden Fall seien nun zwei Unfallversionen denkbar: So wäre es einerseits möglich, dass der Erstbeklagte mit 1,5 m/sec2 beschleunigt und für die 9 bis 10 m bis zur Unfallstelle 3,5 bis 3,7 sec an Fahrzeit benötigt habe. Dies würde aber bedeuten, dass der Erstbeklagte, als er losgefahren sei, den Kläger noch nicht erkennen hätte können. Andererseits sei es denkbar, dass der Kläger seinen PKW mit 2 m/sec2 beschleunigt und für die 8 bis 9 m lediglich 2,9 sec an Fahrzeit bis zur Unfallstelle benötigt habe. Diesfalls hätte er bei gehöriger Aufmerksamkeit noch vor Beginn seines Einbiegemanövers den Kläger erkennen können.
Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens könne weder der einen noch der anderen Variante der Vorzug gegeben werden; der Erstbeklagte habe daher nicht den Nachweis erbracht, dass er den Kläger bei Beginn seines Einbiegemanövers in die bevorrangte G*****-Bezirksstraße nicht hätte wahrnehmen können. Damit liege ihm aber die Übertretung einer Schutznorm im Sinn des § 1311 ABGB zur Last.Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens könne weder der einen noch der anderen Variante der Vorzug gegeben werden; der Erstbeklagte habe daher nicht den Nachweis erbracht, dass er den Kläger bei Beginn seines Einbiegemanövers in die bevorrangte G*****-Bezirksstraße nicht hätte wahrnehmen können. Damit liege ihm aber die Übertretung einer Schutznorm im Sinn des Paragraph 1311, ABGB zur Last.
Hinsichtlich des Fahrverhaltens des Klägers führte das Berufungsgericht aus, dass dieser nach den umbekämpft gebliebenen Feststellungen nicht auf Sicht gefahen sei, sodass ihm ein Mitverschulden im Verhältnis 1 : 2 zu Lasten der beklagten Partei am gegenständlichen Verkehrsunfall anzulasten sei.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zu der hier maßgeblichen Rechtsfrage der Beweislastverteilung eine höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Parteien ist jedoch nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vorliegt.
Im Regelfall hat der ein Recht Behauptende die rechtsbegründenden und der ein Recht leugnende die rechtshindernden, rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Tatsachen zu beweisen (Rechberger in Rechberger, ZPO2 vor § 266 Rz 11). Der erkennende Senat ist in den jüngst ergangenen Entscheidungen (2 Ob 181/97z vom 1. 7. 1999 = ZVR 1999/99, 2 Ob 76/97h vom 2. 9. 1999 und 2 Ob 218/98t vom 23. 9. 1999, 2 Ob 304/99s vom 4. 11. 1999) zur Frage der Beweislast bei der Verletzung von Schutzgesetzen (im Zusammenhang mit Straßenverkehrsunfällen) zu folgendem Ergebnis gekommen: Bei Verletzung eines Schutzgesetzes trifft den Geschädigten die volle Beweislast für den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes als solches; dabei ist der Nachweis der Tatsache ausreichend, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde, der Schädiger hat dagegen zu beweisen, dass ihm die objektive Übertretung des Schutzgesetzes nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist.Im Regelfall hat der ein Recht Behauptende die rechtsbegründenden und der ein Recht leugnende die rechtshindernden, rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Tatsachen zu beweisen (Rechberger in Rechberger, ZPO2 vor Paragraph 266, Rz 11). Der erkennende Senat ist in den jüngst ergangenen Entscheidungen (2 Ob 181/97z vom 1. 7. 1999 = ZVR 1999/99, 2 Ob 76/97h vom 2. 9. 1999 und 2 Ob 218/98t vom 23. 9. 1999, 2 Ob 304/99s vom 4. 11. 1999) zur Frage der Beweislast bei der Verletzung von Schutzgesetzen (im Zusammenhang mit Straßenverkehrsunfällen) zu folgendem Ergebnis gekommen: Bei Verletzung eines Schutzgesetzes trifft den Geschädigten die volle Beweislast für den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes als solches; dabei ist der Nachweis der Tatsache ausreichend, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde, der Schädiger hat dagegen zu beweisen, dass ihm die objektive Übertretung des Schutzgesetzes nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist.
Der Geschädigte hat demnach den vom Schutzgesetz erfassten Tatbestand, hier das Bestehen eines Vorrangverhältnisses, zu beweisen; das setzt die Klärung der Frage voraus, welches Fahrzeug aus welcher Straße kam und in welchem Verhältnis die betreffenden Verkehrsflächen zueinander stehen.
Da der Erstbeklagte aus der durch das Verkehrszeichen "Vorrang geben" benachrangten Gemeindestraße W***** in die G*****-Bezirksstraße einbog, ist dem Kläger der ihm obliegende Beweis einer Schutzgesetzverletzung gelungen. Ob die Schutzgesetzverletzung auch rechtswidrig ist, ergibt sich erst aus dem Vorliegen eines objektiven Sorgfaltsverstoßes. Den Nachweis, dass ihm die objektive Übertretung des Schutzgesetzes nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist, hat jedoch der Schädiger zu erbringen. Da nicht festgestellt werden konnte, mit welcher Geschwindigkeit der Erstbeklagte beschleunigte und ob er somit den Kläger hätte erkennen können oder nicht, geht diese Unklarheit zu seinen Lasten.
Da die in der Revision allein relevierte Frage der Beweislast bei der Verletzung von Schutzgesetzen bereits in der dargestellten Vorjudikatur gelöst wurde und die Entscheidung des Berufungsgerichts diesem Ergebnis entspricht, war sie im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückzuweisen.Da die in der Revision allein relevierte Frage der Beweislast bei der Verletzung von Schutzgesetzen bereits in der dargestellten Vorjudikatur gelöst wurde und die Entscheidung des Berufungsgerichts diesem Ergebnis entspricht, war sie im Sinne des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO als unzulässig zurückzuweisen.
Da die klagende Partei in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, war ihr gemäß §§ 41, 50 ZPO Kostenersatz für diesen Schriftsatz zuzuerkennen.Da die klagende Partei in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, war ihr gemäß Paragraphen 41,, 50 ZPO Kostenersatz für diesen Schriftsatz zuzuerkennen.
Anmerkung
E57568 02A00159European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2000:0020OB00015.99S.0330.000Dokumentnummer
JJT_20000330_OGH0002_0020OB00015_99S0000_000