Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache ua der mj Cäcilia F*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Eltern, Ing. Eduard F***** und Elfriede F*****, gegen den Beschluss des Jugendgerichtshofs Wien als Rekursgericht vom 11. Februar 2000, GZ 1 R 53/99f-402, mit dem der Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien als Pflegschaftsgericht vom 1. Juni 1999, GZ 13 P 1143/95i-391, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Punkt 1. des erstinstanzlichen Beschlusses ersatzlos behoben wird.
Text
Begründung:
Zwischen den Eltern der Minderjährigen und deren bereits volljährigen Geschwistern ist seit langem ein mit großen Emotionen geführter Streit um die Obsorge der drei noch minderjährigen Kinder anhängig. Anfang Mai 1999 kam es im elterlichen Haushalt zwischen dem Vater und Cäcilia zu einem Streit. Diese erklärte, bei ihrer volljährigen Schwester Anna wohnen zu wollen. Die Eltern traten diesem Wunsch nicht entgegen. Die genannte Schwester beantragte am 3. 5. 1999, ihr die vorläufige Obsorge zu übertragen. In der Zeit vom 4. 5. bis 25. 5. 1999 war die Minderjährige in einem Krisenzentrum des Jugendwohlfahrtsträgers, seither lebt sie bei ihrer Schwester Anna. Am 7. 5. 1999 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger beim Pflegschaftsgericht unter Berufung auf § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB iVm § 176a ABGB, die am 4. 5. 1999 getroffene Maßnahme der vollen Erziehung zu verfügen und dem Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung zu übertragen. Cäcilia sei akut gefährdet, weil ihr der Vater nahegelegt habe, die elterliche Wohnung zu verlassen. Sie sei seit 4. 5. 1999 im Krisenzentrum untergebracht, und zwar gegen den Willen der Eltern.Zwischen den Eltern der Minderjährigen und deren bereits volljährigen Geschwistern ist seit langem ein mit großen Emotionen geführter Streit um die Obsorge der drei noch minderjährigen Kinder anhängig. Anfang Mai 1999 kam es im elterlichen Haushalt zwischen dem Vater und Cäcilia zu einem Streit. Diese erklärte, bei ihrer volljährigen Schwester Anna wohnen zu wollen. Die Eltern traten diesem Wunsch nicht entgegen. Die genannte Schwester beantragte am 3. 5. 1999, ihr die vorläufige Obsorge zu übertragen. In der Zeit vom 4. 5. bis 25. 5. 1999 war die Minderjährige in einem Krisenzentrum des Jugendwohlfahrtsträgers, seither lebt sie bei ihrer Schwester Anna. Am 7. 5. 1999 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger beim Pflegschaftsgericht unter Berufung auf Paragraph 215, Absatz eins, Satz 2 ABGB in Verbindung mit Paragraph 176 a, ABGB, die am 4. 5. 1999 getroffene Maßnahme der vollen Erziehung zu verfügen und dem Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung zu übertragen. Cäcilia sei akut gefährdet, weil ihr der Vater nahegelegt habe, die elterliche Wohnung zu verlassen. Sie sei seit 4. 5. 1999 im Krisenzentrum untergebracht, und zwar gegen den Willen der Eltern.
Mit dem Beschluss des Erstgerichtes vom 1. 6. 1999 wurden
1. für die Zeit vom 4. bis 25. 5. 1999 die volle Erziehung angeordnet und die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung für diesen Zeitraum der MA 11, Amt für Jugend und Familie 6./7. Bezirk übertragen;
2. ab dem 25. 5. 1999 die vorläufige Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung von den Eltern auf die genannte Schwester der Minderjährigen übertragen;
3. der Antrag dieser Schwester, in eventu einer weiteren Schwester auf Übertragung der vorläufigen Obsorge auch für die Zeit vom 3. bis 25. 5. 1999 abgewiesen;
4. die mit den Beschlüssen des Jugendgerichtshofes Wien vom 14. 7. 1989 (ON 110), 7. 10. 1996 (ON 188), 31. 10. 1996 (ON 192) sowie 22. 1. 1999 (ON 370) den Eltern im Rahmen der Unterstützung der Erziehung erteilten Aufträge hinsichtlich Cäcilias vorläufig aufgehoben und
5. der vorläufig obsorgeberechtigten Schwester Anna aufgetragen, Cäcilia auch weiterhin, solange es der betreuende Psychotherapeut für nötig erachtet, der bestehenden pädagogisch-psychologischen Psychotherapie (Einzeltherapie) zuzuführen.
Das Erstgericht stellte ua fest, der Vater habe Cäcilia nach einem heftigen Streit am 1. oder 2. 5. 1999 nahegelegt, die elterliche Wohnung zu verlassen und ihr, nachdem sie am 3. 5. ihre Sachen gepackt hatte, erklärt, wenn sie einmal gegangen sei, brauche sie nicht mehr zu kommen. Die "Zwischenstation" im Krisenzentrum sei zum Wohl Cäcilias unbedingt erforderlich, weil die Wohn- und Lebensverhältnisse bei ihrer Schwester Anna geklärt werden müssten und ein gewisser "Zeitpuffer" vor der vorläufigen Übertragung der Pflege und Erziehung an diese Schwester eingeschaltet werden müsse. Deshalb sei der "Antrag" des Jugendwohlfahrtsträgers auf volle Erziehung für diesen kurzen Zeitraum "aufrecht zu erhalten".
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Eltern auf ersatzlose Behebung des P 1. des erstinstanzlichen Beschlusses nicht Folge.
Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragen die Eltern die ersatzlose Behebung des P 1. des erstinstanzlichen Beschlusses.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
Wenn im Bereich von Pflege und Erziehung Gefahr im Verzug besteht, kann der Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB als (gesetzlicher) Sachwalter die erforderlichen Maßnahmen vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen, wenn er unverzüglich, jedenfalls aber innerhalb von acht Tagen die erforderlichen gerichtlichen Verfügungen beantragt. Die zur Abwendung der Gefahr erforderliche Maßnahme konnte ua in der Heimunterbringung des Kindes, also in der vollen Erziehung nach § 28 JWG und dem entsprechenden Landesgesetz (hier § 34 WrJWG), bestehen. Die vom Jugendwohlfahrtsträger im Rahmen seiner Interimskompetenz ergriffene Maßnahme ist bis zur gerichtlichen Entscheidung wirksam. Sie bedarf keiner deckungsgleichen vorläufigen Maßnahme des Gerichtes nach § 176 ABGB. Das Gericht hat nur seine Erhebungen zügig durchzuführen undWenn im Bereich von Pflege und Erziehung Gefahr im Verzug besteht, kann der Jugendwohlfahrtsträger gemäß Paragraph 215, Absatz eins, Satz 2 ABGB als (gesetzlicher) Sachwalter die erforderlichen Maßnahmen vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen, wenn er unverzüglich, jedenfalls aber innerhalb von acht Tagen die erforderlichen gerichtlichen Verfügungen beantragt. Die zur Abwendung der Gefahr erforderliche Maßnahme konnte ua in der Heimunterbringung des Kindes, also in der vollen Erziehung nach Paragraph 28, JWG und dem entsprechenden Landesgesetz (hier Paragraph 34, WrJWG), bestehen. Die vom Jugendwohlfahrtsträger im Rahmen seiner Interimskompetenz ergriffene Maßnahme ist bis zur gerichtlichen Entscheidung wirksam. Sie bedarf keiner deckungsgleichen vorläufigen Maßnahme des Gerichtes nach Paragraph 176, ABGB. Das Gericht hat nur seine Erhebungen zügig durchzuführen und
dann eine endgültige Entscheidung zu treffen (1 Ob 550/91 = RZ
1992/7; 2 Ob 9/98g = EFSlg 87.117). Diese besteht hier in der
unangefochten gebliebenen Übertragung der vorläufigen Obsorge von den Eltern auf eine volljährige Schwester der Minderjährigen, womit die vorläufige Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers abgeändert wurde. Die im bekämpften P 1. des erstinstanzlichen Beschlusses für die Zeit vom
4. bis 25. 5. 1999 rückwirkend angeordnete "volle Erziehung" und Übertragung der Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung auf den Jugendwohlfahrtsträger steht im Gegensatz zu der zitierten oberstgerichtlichen Judikatur und entspricht nicht dem Gesetz. Dem Revisionsrekurs der Eltern ist daher stattzugeben.
Anmerkung
E57736 06A00820European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2000:0060OB00082.00B.0413.000Dokumentnummer
JJT_20000413_OGH0002_0060OB00082_00B0000_000