Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §67a Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des CK, zuletzt in W, geboren 1969, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 26. Oktober 2003, Zl. Senat-B-00-031, betreffend § 67a Abs. 1 Z 2 AVG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),
Spruch
1. zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird in seinen Spruchpunkten II. G, II. I und III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
2. den Beschluss gefasst:
Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen weitere Spruchpunkte des bekämpften Bescheides richtet, abgelehnt.
Begründung
Am Abend des 17. Jänner 2000 kam es zu einem groß angelegten Gendarmerieeinsatz im Haus Nr. 3 der Außenstelle Traiskirchen des Bundesasylamtes (Flüchtlingslager), von dem auch der Beschwerdeführer betroffen war.
In seiner an die belangte Behörde gerichteten Beschwerde "gemäß §§ 67a Abs. 1 Z. 2 AVG und 88, 89 SPG" stellte der Beschwerdeführer den Antrag,
"a) die ... Durchsuchung des Zimmers Nr. 9 sowie der dort befindlichen persönlichen Besitztümer und Schlafstelle des Beschwerdeführers ...
b)
die ... Konfinierung ...
c)
die Fesselung ...
d)
die am Beschwerdeführer vorgenommene Personsdurchsuchung, verbunden mit der Anordnung sich coram publico zu entkleiden und zwei Analvisitationen über sich ergehen zu lassen, ...
e) die erfolgten körperlichen Misshandlungen (Prellung des
rechten Mittelfingers, Schlagstockeinsatz), sowie
f) die erfolgte Identitätsfeststellung und Anfertigung von
Lichtbildern ... für rechtswidrig zu erklären, sowie
g) die Verletzung ... im Recht auf Inkenntnissetzung über
Anlass und Zweck des Einschreitens, sowie
h) die Verletzung ... im Recht auf Verständigung von der
Möglichkeit zur Beiziehung einer Vertrauensperson oder eines
Rechtsbeistandes, sowie
i) die Rechtswidrigkeit der Verweigerung der Erfüllung
jeglicher persönlicher Bedürfnisse (Wasseraufnahme, Aufsuchen
der Toilette) während der gesamten Amtshandlung, sowie
j) die Verletzung ... im Recht auf unvoreingenommene und
höfliche Behandlung festzustellen."
Über diese Beschwerde entschied die belangte Behörde
letztlich wie folgt:
"I.
Der Beschwerdeführer ... ist dadurch, dass am Abend des
17.1.2000 im Zuge eines gemeinsamen Einsatzes verschiedener
Einheiten der Bundesgendarmerie, Organen der Sicherheitsdirektion
für das Bundesland NÖ, mit dem Ziel, teils namentlich bekannter,
teils nur einem verdeckten Ermittler optisch erinnerlicher, des
organisierten bandenmäßigen Suchtgiftstraßenverkaufs Verdächtiger
habhaft zu werden
A) er zuerst im Zimmer Nr. 9, dann auf dem Korridor, zuletzt
in der im ersten Stock gelegenen Küche über Stunden bis etwa
24.00 Uhr angehalten wurde, in seinem gemäß Art. 1 PersFrG und
Art. 5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf
persönliche Freiheit,
B) ihm im Verlauf der Amtshandlung am Korridor grundlos eine
Plastikeinweghandfessel angelegt und diese erst am Schluss der
Amtshandlung abgenommen wurde, in seinem gemäß Art. 3 EMRK
verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen
oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden,
C) von ihm mit einer Polaroidkamera zum Zweck der
Einsichtnahme und Auswertung durch einen verdeckten Ermittler ein
Lichtbild angefertigt wurde, in seinem einfachgesetzlich
gewährleisteten Recht, nur in dem vom § 35 Abs. 2 SPG normierten
Umfang an der Identitätsfeststellung mitwirken zu müssen,
D) ihm nicht der Grund und der Zweck der Amtshandlung bekannt
gegeben wurde, in seinen gemäß Art. 4 Abs. 6 PersFrG und Art. 5
Abs. 2 EMRK verfassungsgesetzlich und in seinen gemäß § 178 StPO
und § 30 Abs. 1 Z 1 SPG einfachgesetzlich gewährleisteten Rechten,
E) ihm nicht mitgeteilt wurde, dass er einen Angehörigen,
eine Person seines Vertrauens oder einen Rechtsbeistand
verständigen könne,
in seinen gemäß Art. 4 Abs. 7 PersFrG verfassungsgesetzlich und in
seinen gemäß § 178 StPO und § 30 Abs. 1 Z 3 SPG einfachgesetzlich
gewährleisteten Rechten,
F) seine Schlafstelle im Haus 3, Zimmer Nr. 9 und sein dort
verwahrt gewesener versperrter Koffer durchsucht wurde,
in seinen gemäß §§ 1 ff HausRG, Art. 9 StGG und Art. 8 EMRK
verfassungsgesetzlich und in seinen gemäß § 141 StPO und § 39 SPG
einfachgesetzlich gewährleisteten Rechten
verletzt worden.
II.
Die Beschwerde des ... wird hinsichtlich der Behauptung
G) er habe sich am Korridor coram publico völlig entkleiden müssen,
H) ihm sei bei der Vorbereitung der Visitierung eine Prellung des rechten Mittelfingers zugefügt worden,
I) an ihm seien im Zuge der Visitierung am Korridor zwei Analvisitierungen vorgenommen worden,
J) er sei nach der Visitierung mit Schlagstöcken den Beamten voran zum Haftraum gelotst worden,
K) ihm sei für die Gesamtdauer der Amtshandlung die Aufnahme von Wasser und das Aufsuchen des WC nicht gestattet worden
L) er sei auf Grund seiner Hautfarbe und Herkunft diskriminierend behandelt worden
gemäß § 67c Abs. 3 AVG als unbegründet abgewiesen.
III.
Gemäß § 79a AVG i.V.m. § 1 AufwandersatzVO UVS, BGBl. 1995/850 und § 52 Abs. 1 und Abs. 2 VwGG ist der Bund (der Bundesminister für Inneres) als Rechtsträger der belangten Behörde schuldig, dem Beschwerdeführer die mit EUR 8.327,01 bestimmten, zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten binnen vier Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
IV.
Gemäß § 38 AVG wird die Entscheidung über die Höhe des Anteils des Beschwerdeführers am Ersatz des Verhandlungsaufwandes, den er dem Bund als Rechtsträger der belangten Behörde zu leisten hat, bis zur Rechtskraft der Entscheidungen über die von allen von der Amtshandlung am 17.1.2000 Betroffenen als rechtswidrig in Beschwerde gezogenen Verwaltungsakte ausgesetzt."
Die belangte Behörde ging, auf das Wesentliche zusammengefasst, von nachstehendem Sachverhalt aus:
Nach den Erkenntnissen eines verdeckten Ermittlers seien etwa 20 vorwiegend im Flüchtlingslager Traiskirchen untergebrachte Schwarzafrikaner verdächtig gewesen, von einem Stützpunkt (Cafe A.) aus im Bereich des Bahnhofs Traiskirchen an Passanten Suchtgift zu verkaufen. Nur sechs dieser bandenmäßig organisierten Kriminellen seien vor Beginn der Amtshandlung namentlich bekannt und antragsgemäß vom Landesgericht Wiener Neustadt zur Verhaftung ausgeschrieben gewesen. Alle Verdächtigen hätten mit einem Einsatz verschiedener Gendarmerieeinheiten nach einem Suchtgiftscheinkauf festgenommen und die namentlich nicht bekannten Suchtgifthändler dabei durch das optische Erinnerungsvermögen des verdeckten Ermittlers herausgefunden werden sollen. Tatsächlich seien zunächst nur drei Festnahmen gelungen und es habe der Schwerpunkt der Amtshandlung ins Flüchtlingslager verlegt werden müssen. Dabei habe es die Einsatzleitung verabsäumt, das weitere Einschreiten rechtlich abzusichern und dafür einen entsprechend erweiterten Gerichtsauftrag einzuholen.
Um aus den im Flüchtlingslager im Haus 3 untergebrachten etwa 60 Schwarzafrikanern die restlichen Tatverdächtigen herauszufiltern und um das Beiseiteschaffen von Suchtgift zu verhindern, seien von den Beamten im Parterre und im ersten Stock die Türen besetzt, diese annähernd gleichzeitig geöffnet und die angetroffenen Personen aufgefordert worden, jede Ortsveränderung bis auf Weiteres zu unterlassen. Dieser Anordnung sei durchgehend widerspruchslos Folge geleistet worden. Nach und nach seien die betroffenen Personen auf den Gang befohlen, dort visitiert, mit einer Sofortbildkamera fotografiert, mit vorbereiteten Einweghandfesseln geschlossen, in eine zum Haftraum umfunktionierte Küche überstellt und bewacht worden. Während ihrer Anhaltung in der Küche seien dem verdeckten Ermittler die Lichtbilder gezeigt worden. Danach habe man die von ihm als unverdächtig bezeichneten Personen von ihren Fesseln befreit und in ihre Zimmer entlassen, wo einige von ihnen Spuren einer Nachschau während ihrer Abwesenheit festgestellt hätten.
Der im Zimmer Nr. 9 befindliche Beschwerdeführer sei nach etwa einer halben Stunde auf den Korridor zitiert, dort oberflächlich visitiert, fotografiert und gefesselt worden. Er habe bei der Visitierung keinen Widerstand geleistet und sei dann in die Küche überstellt worden, wo er zusammen mit etwa 30 männlichen Schwarzafrikanern mehrere Stunden lang - noch immer in Unkenntnis über den Grund der Amtshandlung - die Auswertung des von ihm angefertigten Lichtbildes und der von ihm aufgenommenen Daten habe abwarten müssen. Gegen 24.00 Uhr, nach der Abnahme der Handfesseln, sei er entlassen und zurück in sein Zimmer geschickt worden, wo er seinen Koffer beschädigt und dessen Inhalt am Boden verstreut vorgefunden habe.
Die Verhaftung des Beschwerdeführers und seine Fesselung seien - so die belangte Behörde rechtlich - nicht notwendig gewesen, auch die Anfertigung eines Lichtbildes müsse als "überschießend" bewertet werden. Zudem seien die einschreitenden Beamten ihren Informationspflichten nicht nachgekommen und hätten - rechtswidrig - die persönlichen Besitztümer des Beschwerdeführers (seinen Koffer) durchsucht. Hingegen könne keine voreingenommene Behandlung des Beschwerdeführers erkannt werden. Es stehe auch mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass die Visitierung des Beschwerdeführers nur oberflächlich, ohne die behauptete Fingerverletzung, stattgefunden habe, dass kein Schlagstockeinsatz erfolgt sei und dass für den Beschwerdeführer ein Bedürfnis Wasser zu trinken und/oder das WC aufzusuchen nicht bestanden habe, weshalb insgesamt spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.
Über die gegen die Spruchpunkte I. C (insoweit damit die Feststellung der Identität des Beschwerdeführers als gerechtfertigt angesehen worden sei), II. G, II. H, II. I, II. K, II. L, III. und IV. des bekämpften Bescheides erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Zu 1.:
Die belangte Behörde hat mehrfach festgestellt, dass der Beschwerdeführer einer Personsdurchsuchung unterzogen worden sei. Sie ging allerdings davon aus, dass diese nicht - wie vom Beschwerdeführer behauptet - mit einer (völligen) Entkleidung verbunden gewesen und in Form einer Analvisitation erfolgt sei. Das brachte sie auch unmissverständlich in den hier in Behandlung genommenen Spruchpunkten II. G und II. I zum Ausdruck. Eine explizite spruchgemäße Behandlung der Personsdurchsuchung an sich liegt demgegenüber nicht vor, und zwar ungeachtet dessen, dass vor dem Hintergrund der zugrunde liegenden Administrativbeschwerde kein Zweifel bestehen kann, dass schon die Personsdurchsuchung als solche - und nicht nur ein besonderer Modus derselben - angefochten worden war (vgl. neben dem oben wieder gegebenen Antrag auch folgende Passage aus der Begründung der Administrativbeschwerde: "Die am Beschwerdeführer vorgenommene Personsdurchsuchung entbehrte somit jeder gesetzlichen Grundlage.").
Die belangte Behörde hat im Rahmen ihrer Bescheidbegründung nicht nur den eben erwähnten Satz aus der Administrativbeschwerde angeführt. Sie wollte überdies ohne jeden Zweifel abschließend über die bei ihr erhobene Beschwerde entscheiden, weshalb im Ergebnis die genannten Spruchpunkte II. G und II. I insgesamt auch als spruchgemäße Erledigung der Personsdurchsuchung als solche verstanden werden müssen. Dies auch deshalb, weil - wie sich aus den gegenständlichen Gendarmerieeinsatz betreffenden Parallelfällen ergibt (siehe dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 2006, Zlen. 2003/01/0574 und 0580) - die belangte Behörde offenkundig die Auffassung vertrat, eine Personsdurchsuchung wäre - wenn ohne "erschwerende Umstände" vorgenommen - rechtens gewesen, sodass sich eine Abweisung von daher nur als logische Folge darstellt. Eine Begründung für die Rechtsansicht, eine "bloß oberflächliche" Personsdurchsuchung wäre rechtens, ist dem bekämpften Bescheid allerdings nicht zu entnehmen. Tatsächlich ist am Boden der getroffenen Feststellungen nicht zu sehen, welche Rechtsgrundlage die Personsdurchsuchung zu tragen vermochte. Diesbezüglich kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Begründung des hg. Erkenntnisses vom 20. September 2006, Zl. 2003/01/0502, verwiesen werden.
Indem die belangte Behörde zum gegenteiligen Ergebnis gelangte, verkannte sie die Rechtslage, was jedenfalls zur Aufhebung beider die Abweisung der gegen die Personsdurchsuchung erhobenen Administrativbeschwerde beinhaltenden Spruchpunkte führen muss. Auf die Frage, ob die Personsdurchsuchung entgegen der im bekämpften Bescheid vertretenen Ansicht unter völliger Entkleidung des Beschwerdeführers und unter Vornahme einer Analvisitation erfolgte, braucht davon ausgehend hier nicht näher eingegangen werden und es war unabhängig von diesen Aspekten der angefochtene Bescheid in den in Behandlung genommenen Spruchpunkten II. G und II. I - was sich auch auf den weiter in Behandlung genommenen Kostenausspruch zu III. erstrecken muss - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Zu 2.:
Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Soweit sich die Beschwerde über die Bekämpfung der zu Punkt 1. erfassten Spruchpunkte hinaus auf weitere Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides bezieht, wirft sie keine für die Entscheidung des Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung in diesem Umfang sprechen würden, liegen nicht vor, zumal die im Einzelnen vorgenommene Prüfung des Beschwerdefalles keine vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung durch die belangte Behörde ergeben hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde in dem im Spruch zu 2. angeführten Umfang abzulehnen.
Wien, am 14. Dezember 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2003010618.X00Im RIS seit
26.01.2007