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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des LD, geboren 2004, vertreten durch Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 11. September 2006, Zl. St-299/05, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 11. September 2006 wurde der Beschwerdeführer, ein mazedonischer Staatsangehöriger, gemäß §§ 31, 53 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.
Die Mutter des Beschwerdeführers halte sich nach rechtskräftigem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens am 27. November 2003 gemäß §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Mit Bescheid der Behörde erster Instanz vom 1. August 2005 seien sie und die drei 1998, 2000 sowie 2001 geborenen Geschwister des Beschwerdeführers ausgewiesen worden. Diese Ausweisung sei noch nicht rechtskräftig. Der Asylantrag des Vaters des Beschwerdeführers sei am 30. Jänner 2004 rechtskräftig abgewiesen worden. Mit noch nicht rechtskräftigem Bescheid der Behörde erster Instanz vom 29. Juli 2005 sei auch der Vater ausgewiesen worden.
Der Beschwerdeführer sei in Österreich geboren und seither am Wohnsitz seiner Eltern und Geschwister gemeldet. Die Meldebehörde habe irrtümlich angenommen, dass der Beschwerdeführer österreichischer Staatsangehöriger sei. Aus diesem Grund sei die Existenz des Beschwerdeführers der Fremdenpolizeibehörde zunächst nicht bekannt geworden. Erst im Zug der Antragstellung der gesamten Familie auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen aus humanitären Gründen am 17. August 2005 sei der inländische Aufenthalt des Beschwerdeführers bekannt geworden. Da der Beschwerdeführer als mazedonischer Staatsangehöriger der Sichtvermerkspflicht unterliege und weder über einen Aufenthaltstitel noch über eine Aufenthaltsberechtigung als Vertriebener verfüge, halte er sich seit seiner Geburt unrechtmäßig in Österreich auf.
Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maß, die Ausweisung sei demnach gemäß § 37 Abs. 1 FrG (offensichtlich gemeint: § 66 Abs. 1 FPG) zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten.
Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers hielten sich nach rechtskräftigem negativen Abschluss ihrer Asylverfahren ebenfalls nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb die Ausweisung der gesamten Familie gerechtfertigt sei. Der Umstand, dass sie die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis angeregt hätten, könne am illegalen Aufenthalt nichts ändern. Der Antrag gemäß § 19 Abs. 2 Z. 6 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, berechtige den Beschwerdeführer und seine Familie keineswegs zum Aufenthalt im Bundesgebiet.
Ein Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Auszuweisenden könne nicht erkannt werden, zumal ein rechtmäßiger Aufenthalt des Fremden sowie auch seiner übrigen Familie nicht habe nachgewiesen werden können.
Die Hinweise auf die Situation in Mazedonien seien unbeachtlich, weil mit der Ausweisung nicht ausgesprochen werde, in welches Land der Beschwerdeführer mit seiner Familie auszureisen habe.
Ein geordnetes Fremdenwesen sei für den österreichischen Staat angesichts des kontinuierlich zunehmenden Zuwanderungsdrucks von eminentem Interesse. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Die öffentliche Ordnung werde schwer wiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde sich unerlaubt nach Österreich begeben oder nach Abweisung ihres Asylantrages im Bundesgebiet verblieben. In solchen Fällen sei die Ausweisung erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bei rechtskonformem Verhalten bestünde.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer verfügt unstrittig über keinen Aufenthaltstitel. Der Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen, über den noch nicht entschieden worden ist, kann den Aufenthalt nicht legalisieren. Andere Umstände, aus denen sich eine Aufenthaltsberechtigung ableiten lassen könnte, ergeben sich weder aus den vorgelegten Verwaltungsakten noch aus der Beschwerde.
Die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, kann nicht als rechtswidrig angesehen werden.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. September 2006, Zl. 2006/18/0089, ausgeführt hat, steht der Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen entgegen der Beschwerdemeinung der Ausweisung auch nicht im Rahmen des der Behörde eingeräumten Ermessens entgegen.
2.1. § 66 Abs. 1 FPG hat folgenden Wortlaut:
"Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist."
Zur Prüfung der Frage, ob eine Ausweisung im Grund dieser Bestimmung zulässig ist, hat die Behörde Feststellungen über die für das Ausmaß der Integration des Fremden und seiner Familie bedeutsamen Umstände zu treffen und auf Grundlage dieser Feststellungen die privaten und familiären Interessen am Verbleib im Inland - falls solche vorhanden sind - zu gewichten. Dabei ist zu beachten, dass für die Integration maßgebliche Umstände, die während eines unrechtmäßigen Aufenthaltes verwirklicht wurden, zwar deutlich weniger ins Gewicht fallen, aber nicht gänzlich unbeachtlich sind.
Ergibt sich daraus, dass keine privaten oder familiären Interessen am Verbleib im Bundesgebiet oder nur solche von ganz geringem Gewicht vorliegen, kann eine Prüfung der Frage, ob die Ausweisung zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten ist, unterbleiben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die vergleichbare Frage, ob ein Aufenthaltsverbot mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben verbunden und daher eine Abwägung nach § 37 FrG durchzuführen ist, etwa bei einem nur sechs Monate dauernden Inlandsaufenthalt, der fast zur Gänze in Straf- bzw. Untersuchungshaft verbracht wurde (Erkenntnis vom 26. November 2002, 2002/18/0058) oder bei einem achtmonatigen Inlandsaufenthalt, der nur vier Monate auf Grund eines sich als unbegründet erweisenden Asylantrages berechtigt war (Erkenntnis vom 4. April 2001, Zl. 2000/18/0182), verneint, wobei in beiden Fällen weder familiäre noch berufliche Bindungen zum Bundesgebiet bestanden.
Ergibt sich jedoch, dass private oder familiäre Interessen am Verbleib im Bundesgebiet vorliegen, hat die Behörde die Frage, ob die Ausweisung im Sinn von § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten ist, durch eine Abwägung dieser persönlichen Interessen mit der vom Fremden ausgehenden Beeinträchtigung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (etwa jenen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens) zu lösen.
2.2. Die belangte Behörde hat ausgeführt, dass bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt die öffentliche Ordnung in hohem Maß gefährde, und die Ansicht vertreten, dass die Ausweisung "demnach" (wegen des seit Geburt unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers) gemäß § 66 Abs. 1 FPG zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten sei. Einige Absätze danach hat sie die Meinung vertreten, dass mit der Ausweisung kein Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sei, "zumal ein rechtmäßiger Aufenthalt des Fremden sowie auch seiner übrigen Familie nicht nachgewiesen werden kann".
2.3. Daraus ist zunächst ersichtlich, dass die belangte Behörde den Inhalt von § 66 Abs. 1 FPG insoweit verkannt hat, als sie trotz ihrer Ansicht, dass die Ausweisung mit keinem Eingriff in das Privat- oder Familienleben verbunden sei, eine Prüfung vorgenommen hat, ob diese Maßnahme dringend geboten ist.
2.4. Der etwa zwei Jahre und vier Monate alte Beschwerdeführer lebt nach den Feststellungen der belangten Behörde seit seiner Geburt gemeinsam mit seinen Eltern und den drei Geschwistern in Österreich.
Selbst wenn man davon ausgeht, das sich die anderen Familienmitglieder ebenfalls rechtswidrig in Österreich aufhalten, ist die Ausweisung des Beschwerdeführers schon auf Grund des Aufenthaltes seit der Geburt und der Haushaltsgemeinschaft mit Eltern und Geschwistern mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben verbunden.
Die belangte Behörde hat die Rechtslage daher auch insoweit verkannt.
2.5. Soweit die belangte Behörde ausführt, die Ausweisung sei bereits wegen der aus dem unrechtmäßigen Aufenthalt resultierenden Gefährdung öffentlicher Interessen dringend geboten, hat sie verkannt, dass die Prüfung der Zulässigkeit einer Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG - wie oben 2.1. dargestellt - eine Abwägung der privaten und familiären Interessen mit den gegenläufigen öffentlichen Interessen erfordert.
3. Es liegt kein Fall vor, in dem unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens von vornherein erkennbar ist, dass aus dieser Verkennung der Rechtslage keine Rechtsverletzung des Beschwerdeführers resultiert.
Nach dem Beschwerdevorbringen befindet sich der Vater des Beschwerdeführers seit Sommer 2001, die Mutter und die drei Geschwister seit Oktober 2002 im Bundesgebiet. Die Geschwister des Beschwerdeführers besuchten hier die Schule bzw. den Kindergarten. Der Vater gehe seit vier Jahren in Österreich einer festen Beschäftigung nach und könne aus dem daraus resultierenden Einkommen die gesamte Familie erhalten. Die Familie sei in das österreichische gesellschaftliche Leben integriert und spreche gut Deutsch.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde nach Ermittlung und Feststellung der für die Integration des Beschwerdeführers und seiner Familie bedeutsamen Umstände und gehöriger Abwägung der sich daraus ergebenden privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet mit den gegenläufigen öffentlichen Interessen zum Ergebnis gekommen wäre, dass die Ausweisung nicht dringend geboten im Sinn von § 66 Abs. 1 FPG sei.
4. Auf Grund der dargestellten Verkennung der Rechtslage war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 14. Dezember 2006
Schlagworte
Ermessen besondere RechtsgebieteErmessen VwRallg8Besondere RechtsgebieteIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2006180387.X00Im RIS seit
14.02.2007Zuletzt aktualisiert am
25.01.2009