Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §8 Abs1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2006/01/0603 2006/01/0604 2006/01/0605 2006/01/0606Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde 1.) der F O, geboren 1971, 2.) des B O, geboren 1991, 3.) der S O, geboren 1994, 4.) der Q O, geboren 1997, und 5.) des Q O, geboren 1998, alle in S und vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Bahnhofstraße 20, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. August 2006, Zlen. 218.443/4-IX/33/06, 218.444/4-IX/33/06, 218.445/4-IX/33/06, 218.446/4-IX/33/06 und 218.447/4-IX/33/06, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden insoweit, als damit die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer "nach Serbien, Provinz Kosovo" gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig erklärt und die Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach "Serbien, Provinz Kosovo" ausgewiesen wurden (Spruchpunkte II. und III.), wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im Übrigen (Abweisung der Berufung gemäß § 7 AsylG jeweils in Spruchpunkt I.) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Serbien und gehören der albanischen Volksgruppe an. Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer stammen aus dem Kosovo, den sie Ende des Jahres 1991 verlassen haben; die übrigen Beschwerdeführer wurden bereits außerhalb des Herkunftsstaates, in dem sie noch nie gewohnt haben, geboren.
Nach erfolglosen Asylerstreckungsanträgen bezogen auf einen Asylantrag des Ehegatten bzw. Vaters Sa. O. und zwischenzeitlichem Aufenthalt als Asylwerber in Deutschland beantragten die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 14. November 2005 in Österreich Asyl. Dazu brachte die Erstbeschwerdeführerin bei ihren Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 24. November 2005 und 6. Dezember 2005 im Wesentlichen vor, sie hätte den Kosovo gemeinsam mit ihrem Ehegatten und dem Zweitbeschwerdeführer seinerzeit verlassen, weil sie "dort nichts hatten." Ihr Mann sei damals von den Serben gesucht worden. Sie habe keine Arbeit gehabt. Mittlerweile sei sie 14 Jahre nicht im Kosovo gewesen und wisse nicht, wie die aktuelle Situation sei. Sie habe Angst, dorthin zurückzukehren. Ihre Kinder (die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer) seien krank (insbesondere Herzfehler, Asthma). Sie seien im Ausland geboren worden, beherrschten die Landessprache nicht und sie hätten im Kosovo auch kein Zuhause mehr. Ihre Verwandten im Kosovo seien nicht in der Lage, ihnen zu helfen, weil sie selbst hilfsbedürftig seien.
Mit Bescheiden jeweils vom 7. Dezember 2005 wies das Bundesasylamt die Asylanträge der Beschwerdeführer gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärt deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Serbien und Montenegro in die Provinz Kosovo gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies die Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Serbien und Montenegro in die Provinz Kosovo aus. Die Beschwerdeführer hätten - so die Bescheidbegründung - keine asylrelevante Verfolgung geltend gemacht. Ihr Vorbringen, bei Rückkehr in den Kosovo in eine die Existenz bedrohende Notlage gedrängt zu werden, sei zur Gänze unglaubwürdig, weil zahlreiche Familienmitglieder in eigenen Häusern im Kosovo lebten und ihren Lebensunterhalt bestritten. Auch das Amtswissen spreche klar gegen eine solche Gefahr. Der Zusammenhalt innerhalb der albanischen Großfamilie sei bekannt und es sei im Verfahren nicht hervorgekommen, dass die Beschwerdeführer von ihren Familienangehörigen nicht unterstützt werden würden. Des weiteren sei "zur Gänze unglaubwürdig, dass eine ausreichende Behandlung der behaupteten Krankheiten der Kinder im Kosovo nicht möglich wäre, weil auch hier das Amtswissen dagegen" spreche und die Beschwerdeführer "bisher nicht einmal versucht" hätten, "ärztliche Hilfe im Kosovo in Anspruch zu nehmen." Die Ausweisung stelle im Übrigen - aus näher dargestellten Gründen - keinen Eingriff in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte der Beschwerdeführer dar.
Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer eine gemeinsame Berufung, in der mit ausführlichen Darlegungen zur individuellen Situation der (Groß)Familie der Beschwerdeführer und konkreten Beispielen die Annahmen des Bundesasylamtes zum einen betreffend eine im Kosovo erhältliche ausreichende medizinische Betreuung und zum anderen betreffend eine die Grundbedürfnisse sichernde Versorgungslage in Zweifel gezogen wurden.
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.), stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer "nach Serbien, Provinz Kosovo" gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.) und wies die Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet "nach Serbien, Provinz Kosovo" aus. Diese Entscheidungen begründete sie im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführer keine "aktuellen Fluchtgründe" geltend gemacht hätten. Auch könne nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in den Kosovo die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre, hätten diese doch "nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihnen im Kosovo jegliche Existenzgrundlage fehlen würde." Zum Berufungsvorbringen sei festzuhalten, dass darin lediglich Erfahrungen anderer Personen wiedergegeben würden, die in keinem Zusammenhang mit den Beschwerdeführern stünden, es sich "somit lediglich um Angaben vom Hören Sagen" handle. Das Vorbringen betreffend die behaupteten Krankheiten der Kinder sei - aus näher angeführten Gründen - unglaubwürdig. Aufgrund getroffener Feststellungen (zur medizinischen Versorgungslage im Kosovo) sei aber davon auszugehen, dass den Kindern im Falle einer Krankheit geholfen werden könne, da sämtlichen Bewohnern des Kosovo" unabhängig der Ethnie" das gesamte Gesundheitssystem zur Verfügung stehe. Die Ausweisung sei rechtmäßig, weil kein Familienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich vorliege.
Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Vorweg ist festzuhalten, dass die Beschwerde zwar die Bescheide der belangten Behörde zur Gänze bekämpft, jedoch keinerlei stichhältige Ausführungen enthält, die einen Asylanspruch der Beschwerdeführer entgegen den insoweit zutreffenden Erwägungen der Asylbehörden rechtfertigen könnte. Soweit sich die Beschwerde daher gegen die Abweisung der Berufung gemäß § 7 AsylG wendet, kann sie keinen Erfolg haben.
Im Übrigen macht die Beschwerde jedoch zu Recht eine Verletzung der Verhandlungspflicht seitens der belangten Behörde geltend. Die Berufung der Beschwerdeführer wandte sich - wie oben bereits erwähnt wurde - mit ausführlichem, konkretem und ausreichend substantiiertem Vorbringen gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung, der zufolge die Grundversorgung der Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr in den Kosovo insbesondere durch den Rückhalt innerhalb der Großfamilie gesichert wäre. Dass diese Berufungsausführungen, die beispielhaft die Lebenssituation der im Kosovo verbliebenen Familienmitglieder beleuchteten, nach Ansicht der belangten Behörde "in keinem Zusammenhang" mit den Beschwerdeführern stünden, lässt sich nicht nachvollziehen. Schon dieser Umstand stand daher der Annahme eines "geklärten Sachverhaltes" im Sinne des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG durch die belangte Behörde entgegen und hätte die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht. Hinzu kommt, dass die belangte Behörde erstmals von der Unglaubwürdigkeit der behaupteten Krankheiten einzelner Beschwerdeführer ausging, hatte das Bundesasylamt in seiner Begründung diese Krankheiten doch offensichtlich als wahr zugrundegelegt und lediglich als "unglaubwürdig" angesehen, dass sie im Kosovo nicht behandelbar seien. Eine Umwürdigung der Beweisergebnisse zum Vorhandensein der Krankheiten durch die belangte Behörde hätte aber nur nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung vorgenommen werden dürfen (vgl. dazu aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, Zl. 2005/01/0106, mwN). Daran vermag auch nichts zu ändern, dass sich die belangte Behörde hilfsweise der Begründung des Bundesasylamtes anschloss, wonach - bei Wahrunterstellung der behaupteten Krankheiten - eine Behandlung im Kosovo durchgeführt werden könne, ist die Berufung dieser Argumentation doch zum einen unter Anführung von Beispielen für die schlechte medizinische Versorgungslage im Kosovo entgegen getreten und gesteht die belangte Behörde zum anderen in ihren ergänzenden Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat zu, dass der Gesundheitssektor des Kosovo "durch die Entwicklungen in den 90er-Jahren schwer in Mitleidenschaft gezogen worden" sei und die Möglichkeiten "komplizierte Behandlungen ... durchzuführen ... zur Zeit noch begrenzt" seien. Ob die Beschwerdeführer - ihre vorgebrachten Krankheiten wie etwa den "Herzfehler" eines der Kinder zugrundegelegt - im Kosovo daher eine ausreichende Behandlungsmöglichkeit vorfänden, kann demnach nicht ohne Weiteres bejaht werden und setzt eine eingehendere Beschäftigung mit dem gegebenen Krankheitsbild einerseits und dem dafür im Kosovo vorhandenen Behandlungsangebot andererseits voraus. Dem entsprach die belangte Behörde mit dem bloßen Hinweis, medizinische Versorgung werde im Kosovo ohne ethnische Differenzierung angeboten, jedenfalls nicht.
Da die Ablehnung von subsidiärem Schutz für die Beschwerdeführer daher auf einem mangelhaften Verfahren beruhte und die Bescheide in diesem Punkt keinen Bestand haben können, verfällt auch die Ausweisung der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet schon aus diesem Grund der Aufhebung.
Die angefochtenen Bescheide waren deshalb in ihren Spruchpunkten II. und III. wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, im Übrigen (jeweilige Spruchpunkte I.) aber gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 14. Dezember 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2006010602.X00Im RIS seit
31.01.2007