TE OGH 2000/5/2 10ObS73/00h

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Veröffentlicht am 02.05.2000
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Franz Ovesny (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Richard Thöndel (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Murat S*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Dezember 1999, GZ 11 Rs 263/99x-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. Juli 1999, GZ 30 Cgs 185/97i-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 15. 2. 1949 in der Türkei geborene Kläger war von 1960 bis 1969 als Hilfsarbeiter und Steinbrucharbeiter in der Türkei und von 1972 bis 1998 als Arbeiter, Steinmetzhelfer, Steinbrucharbeiter und Bodenverlegerhelfer bei einem österreichischen Betrieb tätig. Dort verrichtete er folgende Arbeiten: eineinhalb bis zwei Jahre lang im Steinbruch Steinschneiden, Abkanten, Oberflächen bearbeiten und polieren, Transportieren der Steinplatten vom Lager auf den Sägetisch, Einstellung der Diamantsäge, Herausschneiden der Steinplatten aus dem Rohmaterial; zwei Jahre lang Maschinenbediener an einer Fräse. Die übrige Zeit wurde er auf verschiedenen Baustellen in ganz Österreich eingesetzt, wo er Block-, Keil- und sonstige Stufen versetzte und Natursteinböden und Wandverkleidungen verlegte. Unter anderem hatte er als Partieführer mit drei oder vier Mitarbeitern alle Arbeiten vom Transport der Steine bis zur Endmontage an den Baustellen zu organisieren. Er musste das angelieferte Steinmaterial überprüfen, die entsprechenden Pläne lesen und die Steine dem Plan entsprechend zuordnen und verlegen.

Auf Grund gesundheitsbedingter Einschränkungen kann der Kläger nur mehr leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten. Alle zwei Stunden muss er kurzfristig sitzen können und darf nicht überwiegend stehen. Extreme Kälte, Nässe, Hitze und Staubbelastung müssen vermieden werden. Arbeiten unter Zeitdruck wie etwa Akkordarbeiten sind ihm nicht mehr möglich. Er kann Lasten bis zu 10 kg heben und tragen, aber nicht auf Leitern und Gerüsten arbeiten. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit kann er nicht mehr verrichten.

Das Erstgericht sprach aus, dass das auf Zahlung der Invaliditätspension ab 1. 9. 1997 gerichtete Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es trug der beklagten Partei eine vorläufige Zahlung von 5.000 S monatlich auf. Rechtlich beurteilte es den Sachverhalt dahin, dass dem Kläger Berufsschutz als angelernter Steinmetz zukomme, weil er die Teiltätigkeit des Versetzens und Verlegens und damit einen wirtschaftlich und praktisch wesentlichen Teil des Lehrberufes beherrscht habe. Dass er die im Berufsbild des Steinmetz enthaltenen Lernziele nur zu 60 bis 65 % und im theoretischen Bereich nur zu 30 % erreiche, trete in den Hintergrund. Da er weder die zuletzt ausgeübte Tätigkeit noch eine solche innerhalb seiner Berufsgruppe ausüben könne, sei er invalid.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Es verneinte einen Berufsschutz des Klägers, weil es nicht ausreiche, wenn sich die Kenntnisse und Fähigkeiten nur auf ein Teilgebiet oder mehrere Teilgebiete eines Tätigkeitsbereiches beschränkten, der von ausgelernten Facharbeitern allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht werde (SSV-NF 2/78, 3/70 ua). Das Fehlen einzelner, nicht zentraler Kenntnisse und Fähigkeiten eines Lehrberufes stehe einem Berufsschutz nicht entgegen (SSV-NF 12/5). Vergleichsmaßstab seien daher nicht jene voll ausgebildeten Steinmetze, die - aus welchen Grund immer - ihre Kenntnisse und Fähigkeiten weitgehend brach liegen ließen und sich nur mehr auf jene Teiltätigkeiten spezialisierten, die auch von ungelernten Hilfsarbeitern ausgeführt werden könnten. Der Berufsschutz sei vielmehr an jenem Facharbeiter zu messen, der eine seiner Ausbildung entsprechende adäquate Beschäftigung ausübe und bei Abstandnahme von der Hilfstätigkeit sofort wieder ausüben könnte.

Der Kläger habe zwar eine Teiltätigkeit des Berufsbildes des Steinmetz, nämlich die Versetz- und Verlegearbeiten zur Gänze beherrscht; von den übrigen Haupttätigkeiten, die ein gelernter Steinmetz beherrsche, habe er aber nur die Teiltätigkeit des Ritzens und Brechens des Steines im Bereich der Rohbearbeitung sowie etwa die Hälfte der verschiedenen Oberflächenbearbeitungsarten beherrscht. Theoretische Kenntnisse habe er nur im Ausmaß von 30 % eines gelernten Steinmetz besessen. Er sei nicht in der Lage, Gravierarbeiten und die damit zusammenhängenden Nebentätigkeiten wie Entwurf einer Inschrift und Vergolden oder Färben durchzuführen; er sei daher etwa in den für einen Steinmetzbetrieb wichtigen Zweig der Grabsteinherstellung nicht voll verwendbar. Ausgelernte Steinmetze besäßen aber im Gegensatz zum Kläger die Fähigkeit, jederzeit auch in anderen Bereichen wie etwa Grabsteinerzeugung, Fassaden-, Heizkörper-, Boden- oder Badezimmerverkleidungen, Bearbeitung von Kunststein, Herstellung von Fensterbänken, Schleif- und Facettenschleifarbeiten eingesetzt zu werden. Davon ausgehend sei die Invalidität des Klägers nach § 255 Abs 3 ASVG zu prüfen. Dass er auf eine Reihe leichter Hilfstätigkeiten etwa in der Verpackungs-, Schuh-, Kunststoff- und Schmuckindustrie verwiesen werden könne, sei offenkundig.Der Kläger habe zwar eine Teiltätigkeit des Berufsbildes des Steinmetz, nämlich die Versetz- und Verlegearbeiten zur Gänze beherrscht; von den übrigen Haupttätigkeiten, die ein gelernter Steinmetz beherrsche, habe er aber nur die Teiltätigkeit des Ritzens und Brechens des Steines im Bereich der Rohbearbeitung sowie etwa die Hälfte der verschiedenen Oberflächenbearbeitungsarten beherrscht. Theoretische Kenntnisse habe er nur im Ausmaß von 30 % eines gelernten Steinmetz besessen. Er sei nicht in der Lage, Gravierarbeiten und die damit zusammenhängenden Nebentätigkeiten wie Entwurf einer Inschrift und Vergolden oder Färben durchzuführen; er sei daher etwa in den für einen Steinmetzbetrieb wichtigen Zweig der Grabsteinherstellung nicht voll verwendbar. Ausgelernte Steinmetze besäßen aber im Gegensatz zum Kläger die Fähigkeit, jederzeit auch in anderen Bereichen wie etwa Grabsteinerzeugung, Fassaden-, Heizkörper-, Boden- oder Badezimmerverkleidungen, Bearbeitung von Kunststein, Herstellung von Fensterbänken, Schleif- und Facettenschleifarbeiten eingesetzt zu werden. Davon ausgehend sei die Invalidität des Klägers nach Paragraph 255, Absatz 3, ASVG zu prüfen. Dass er auf eine Reihe leichter Hilfstätigkeiten etwa in der Verpackungs-, Schuh-, Kunststoff- und Schmuckindustrie verwiesen werden könne, sei offenkundig.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache. Er beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, hilfsweise die Aufhebung und Zurückverweisung.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache ist zutreffend und entspricht der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs zum Berufsschutz eines angelernten Arbeiters. Nach § 255 Abs 2 ASVG liegt ein angelernter Beruf im Sinne des Abs 1 dieser Gesetzesstelle vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Der Berufsschutz ist aber nicht erst dann zu bejahen, wenn der Versicherte alle Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die nach den Ausbildungsvorschriften zum Berufsbild des Lehrberufes zählen und daher einem Lehrling während der Lehrzeit zu vermitteln sind. Entscheidend ist, ob er über die Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die üblicherweise von Ausgelernten des jeweiligen Berufes in dessen auf dem Arbeitsmarkt gefragten Varianten unter Berücksichtigung einer betrieblichen Einschulungszeit verlangt werden. Es reicht allerdings nicht aus, wenn sich die Kenntnisse und Fähigkeiten nur auf ein Teilgebiet oder mehrere Teilgebiete eines Tätigkeitsbereiches beschränken, der von Ausgelernten (Facharbeitern) allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht werden (SSV-NF 2/78, 3/70 ua). Das Fehlen von einzelnen, nicht zentralen Kenntnissen und Fähigkeiten eines Lehrberufes steht dagegen der Annahme des Berufsschutzes nicht entgegen (SSV-NF 12/5 ua). An die Feststellung der Tatsacheninstanzen, inwieweit ein Kläger in seiner bisherigen Berufstätigkeit qualifizierte Kenntnisse (eines bestimmten Lehrberufes) erworben habe, ist der Oberste Gerichtshof grundsätzlich gebunden (SSV-NF 4/166, 7/88, 8/21 ua). Auch der Mangel an Kenntnissen von - im Rahmen der Berufsausbildung vermittelten - theoretischen Fächern fällt dann ins Gewicht, wenn es sich um Kenntnisse handelt, die für die praktische Ausübung der Tätigkeit am Arbeitsmarkt erforderlich sind.Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache ist zutreffend und entspricht der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs zum Berufsschutz eines angelernten Arbeiters. Nach Paragraph 255, Absatz 2, ASVG liegt ein angelernter Beruf im Sinne des Absatz eins, dieser Gesetzesstelle vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Der Berufsschutz ist aber nicht erst dann zu bejahen, wenn der Versicherte alle Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die nach den Ausbildungsvorschriften zum Berufsbild des Lehrberufes zählen und daher einem Lehrling während der Lehrzeit zu vermitteln sind. Entscheidend ist, ob er über die Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die üblicherweise von Ausgelernten des jeweiligen Berufes in dessen auf dem Arbeitsmarkt gefragten Varianten unter Berücksichtigung einer betrieblichen Einschulungszeit verlangt werden. Es reicht allerdings nicht aus, wenn sich die Kenntnisse und Fähigkeiten nur auf ein Teilgebiet oder mehrere Teilgebiete eines Tätigkeitsbereiches beschränken, der von Ausgelernten (Facharbeitern) allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht werden (SSV-NF 2/78, 3/70 ua). Das Fehlen von einzelnen, nicht zentralen Kenntnissen und Fähigkeiten eines Lehrberufes steht dagegen der Annahme des Berufsschutzes nicht entgegen (SSV-NF 12/5 ua). An die Feststellung der Tatsacheninstanzen, inwieweit ein Kläger in seiner bisherigen Berufstätigkeit qualifizierte Kenntnisse (eines bestimmten Lehrberufes) erworben habe, ist der Oberste Gerichtshof grundsätzlich gebunden (SSV-NF 4/166, 7/88, 8/21 ua). Auch der Mangel an Kenntnissen von - im Rahmen der Berufsausbildung vermittelten - theoretischen Fächern fällt dann ins Gewicht, wenn es sich um Kenntnisse handelt, die für die praktische Ausübung der Tätigkeit am Arbeitsmarkt erforderlich sind.

Nach den Feststellungen hat der Kläger durch seine langjährige Arbeit in einem Steinverarbeitungsbetrieb zwar Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, die zum Berufsbild eines Steinmetz gehören, hingegen hat er wesentliche Tätigkeiten, die ein gelernter Steinmetz beherrschen muss (vgl. Steinmetz-Ausbildungsordnung, BGBl II 1998/293), nicht ausgeübt und auf diesen Teilgebieten keine qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, vor allem etwa auf dem Gebiet der Grabsteinerzeugung. Das Berufungsgericht ist daher zu dem richtigen Ergebnis gelangt, dass der Kläger keinen Berufsschutz beanspruchen kann. Die in der Revision aufgestellte Behauptung, er habe in der Türkei eine entsprechende Lehrausbildung absolviert, steht im unüberbrückbaren Widerspruch zu der - den Obersten Gerichtshof bindenden - Feststellung der Tatsacheninstanzen, dass er keine Berufsausbildung absolviert habe. Seine Verweisbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist aber nicht strittig.Nach den Feststellungen hat der Kläger durch seine langjährige Arbeit in einem Steinverarbeitungsbetrieb zwar Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, die zum Berufsbild eines Steinmetz gehören, hingegen hat er wesentliche Tätigkeiten, die ein gelernter Steinmetz beherrschen muss vergleiche Steinmetz-Ausbildungsordnung, BGBl römisch II 1998/293), nicht ausgeübt und auf diesen Teilgebieten keine qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, vor allem etwa auf dem Gebiet der Grabsteinerzeugung. Das Berufungsgericht ist daher zu dem richtigen Ergebnis gelangt, dass der Kläger keinen Berufsschutz beanspruchen kann. Die in der Revision aufgestellte Behauptung, er habe in der Türkei eine entsprechende Lehrausbildung absolviert, steht im unüberbrückbaren Widerspruch zu der - den Obersten Gerichtshof bindenden - Feststellung der Tatsacheninstanzen, dass er keine Berufsausbildung absolviert habe. Seine Verweisbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist aber nicht strittig.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit liegen nicht vor.Die Kostenentscheidung beruht auf Paragraph 77, Absatz eins, Ziffer 2, Litera b, ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit liegen nicht vor.

Anmerkung

E57799 10C00730

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2000:010OBS00073.00H.0502.000

Dokumentnummer

JJT_20000502_OGH0002_010OBS00073_00H0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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