TE Vwgh Erkenntnis 2006/12/15 2003/10/0027

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Veröffentlicht am 15.12.2006
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E15202000;
E6C;
E6J;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

31979L0112 Etikettierungs-RL Art15 Abs2;
31979L0112 Etikettierungs-RL Art2 Abs1 litb;
31979L0112 Etikettierungs-RL Art2 Abs1;
62000CC0221 Kommission / Österreich Schlussantrag;
62000CJ0421 Sterbenz VORAB;
EURallg;
LMG 1975 §18 Abs2;
LMG 1975 §9 Abs1;
LMG 1975 §9 Abs3;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* Ausgesetztes Verfahren: 2000/10/0042 B 29. Jänner 2001 * EuGH-Entscheidung: EuGH 62000CJ0421 23. Jänner 2003

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Senatspräsidenten Dr. Novak und Dr. Mizner sowie die Hofräte Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde der R GmbH in M, vertreten durch Dr. Ruth Hütthaler-Brandauer, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Otto-Bauer-Gasse 4/3, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz vom 3. Februar 2000, Zl. 333.070/0-VI/B/12/99, betreffend Zulassung gesundheitsbezogener Angaben, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Gesellschaft hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR  381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten Bescheid ließ die belangte Behörde für die Produkte "P - OPC Forte Kapseln 50 mg", "P  Original OPC Allergenol Tropfen" und "P  Original Flavazym Tabletten" u. a. folgende gesundheitsbezogene Angaben nicht zu:

"Zur Gesunderhaltung der Gefäße" (Angabe Nr. 1) "P  Original-OPC ist einer der stärksten bekannten und wissenschaftlich untersuchten Radikal-Fänger der Welt und schützt (als fast einziger Vitalstoff) im wasserlöslichen wie auch im fettlöslichen Milieu. Also sowohl im Blut, in der Lymphe und in der extrazellulären Flüssigkeit, als auch in der Zellmembran und im Zellinneren." (Angabe Nr. 5)

"Original-OPC schützt Kollagen und Elastin und verlangsamt dadurch sichtbar den Alterungsprozess." (Angabe Nr. 8)

Nach Wiedergabe des § 9 des Lebensmittelgesetzes 1975 (LMG) sowie des Art. 2 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 79/112/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hiefür (Etikettierungsrichtlinie) führte die belangte Behörde in ihrer Begründung aus, § 9 Abs. 1 LMG stelle inhaltlich die Umsetzung des Art. 2 Abs. 1 lit. b der Etikettierungsrichtlinie dar. Die genannten Produkte seien gemäß § 18 LMG als Verzehrprodukte eingestuft worden. Die beschwerdeführende Gesellschaft habe mit Schreiben vom 8. November 1999 für diese Produkte die Zulassung einer Reihe gesundheitsbezogener Angaben beantragt. Nach der genannten Bestimmung der Etikettierungsrichtlinie dürften die Etikettierung und die Art und Weise in der sie erfolge, nicht einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen.

Die in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1060 Blg NR 15. GP) verwendete Umschreibung des Krankheitsbegriffes beruhe wie insbesondere aus der Bezugnahme auf eine "gewissen Schwankungsbreite" erhelle, auf jenem Krankheitsbegriff, der nach Auffassung der (deutschen) Lehre dem mit § 1 Abs. 1 AMG vergleichbaren § 2 Abs. 1 des Deutschen Arzneimittelgesetzes zugrunde liege. Danach sei Krankheit "jede, also auch nur eine unerhebliche oder nur vorübergehende Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers, die

geheilt werden kann." ... "Dieser Krankheitsbegriff schließt alle

von der gesundheitlichen Norm abweichenden Beschwerden ein, ohne Rücksicht darauf, ob sie nur vorübergehend oder nicht erheblich sind. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Norm, an der die Begriffe Krankheit und Gesundheit zu messen sind, eine gewisse Schwankungsbreite aufweist. Es gibt eine 'Beschwerdezone', der auch im Rechtssinne nach dem AMG ein Krankheitswert nicht zukommt. Vom Krankheitsbegriff nicht erfasst werden solche normal verlaufenden Erscheinungen oder Schwankungen der Funktion, denen jeder Körper ausgesetzt ist, die seiner Natur oder dem natürlichen auf und ab seiner Leistungsfähigkeit entsprechen." (Hinweis auf Etmer/Bolck, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, Nr. 6 zu § 2; Kloesel/Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, I, A 1.0, Nr. 9 zu § 2 Abs. 1 Z. 1).

Die beantragten Angaben suggerierten nach Auffassung der belangten Behörde unter anderem folgende Wirkungen:

ad. 1. Gesundheit der Gefäße

ad 5. Schutz des Blutes, der Lymphe, der extrazellulären

Flüssigkeit, der Zellmembran und des Zellinneren

ad 8. Verlangsamung des Alterungsprozesses.

Damit würden den in Rede stehenden Produkten Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung und Heilung einer menschlichen Krankheit im Sinne der oben zitierten Definition zugeschrieben. Die beantragten Angaben fielen demnach unter das Verbot des Art. 2 Abs. 1 lit. b der Etikettierungsrichtlinie.

Nur gegen die Nichtzulassung der oben wiedergegebenen Angaben richtet sich die der Sache nach wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Im Verfahren über die zur Zl. 2000/10/0042 protokollierte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften verschieden Fragen mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt.

Mit Urteil vom 23. Jänner 2003, C-421/00, C-426/00 und C- 16/01 hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften darüber für Recht erkannt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall sind die Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes 1975 idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 69/2003 relevant.

Nach § 3 LMG sind Verzehrprodukte Stoffe, die dazu bestimmt sind, von Menschen gegessen, gekaut oder getrunken zu werden, ohne überwiegend Ernährungs- oder Genusszwecken zu dienen oder Arzneimittel zu sein.

Gemäß § 18 Abs. 1 LMG ist es verboten, Verzehrprodukte vor ihrer Anmeldung (nunmehr) beim Bundesministerium für Gesundheit und Frauen in Verkehr zu bringen.

Nach Abs. 2 der genannten Gesetzesstelle hat die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen das Inverkehrbringen einer als Verzehrprodukt angemeldeten Ware mit Bescheid unverzüglich, längstens binnen drei Monaten zu untersagen, wenn sie den Vorschriften des Lebensmittelgesetzes oder seinen Verordnungen nicht entspricht.

Gemäß § 18 Abs. 3 LMG sind mit der Anmeldung Warenmuster und je eine Unterlage vorzulegen, die eine Beurteilung im Sinne des Abs. 2 ermöglichen.

Nach § 9 Abs. 1 LMG ist es verboten, beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen

a) sich auf die Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Krankheitssymptomen oder auf physiologische oder pharmakologische, insbesondere jung erhaltende, Alterserscheinungen hemmende, schlankmachende oder gesunderhaltende Wirkungen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken;

b) auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder auf Gutachten hinzuweisen;

c) gesundheitsbezogene, bildliche oder stilisierte Darstellungen von Organen des menschlichen Körpers, Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder Kuranstalten oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen zu verwenden.

Gemäß § 9 Abs. 3 LMG hat die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen auf Antrag für bestimmte Lebensmittel oder Verzehrprodukte gesundheitsbezogene Angaben mit Bescheid zuzulassen, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist. Der Bescheid ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für die Zulassung nicht mehr gegeben sind.

Enthält das angemeldete Produkt "gesundheitsbezogene" Angaben (§ 9 Abs. 1 LMG), die noch nicht im Sinne des § 9 Abs. 3 genehmigt wurden, so stellt dies nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einen Untersagungsgrund nach § 18 Abs. 2 LMG dar (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. September 1979, Zl. 2128/78).

Nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Jänner 2003, C-421/00, C-426/00 und C- 16/01, sind allerdings jene Bestimmungen des Österreichischen Lebensmittelgesetzes 1975, die jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbieten, mit Gemeinschaftsrecht unvereinbar.

In der Begründung dieses Urteils hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften dazu ausgeführt, dass die Richtlinie 79/112 (Etikettierungsrichtlinie) alle Angaben verbietet, die sich auf eine menschliche Krankheit beziehen, unabhängig von ihrer Eignung, den Verbraucher irrezuführen, sowie diejenigen Angaben, die, obzwar sie sich nicht auf eine Krankheit, sondern etwa auf die Gesundheit beziehen, irreführend sind (Rz 28).

Weiters hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass Lebensmittel mit einer Etikettierung, die nicht irreführende gesundheitsbezogene Angaben enthält, als den Vorschriften der Richtlinie 79/112 entsprechend anzusehen sind und dass die Mitgliedsstaaten ihren Vertrieb nicht mit der Begründung untersagen können, diese Etikettierung sei möglicherweise nicht ordnungsgemäß (Rz 30).

Im Zusammenhang mit der Frage, "ob Artikel 15 Absatz 2 der Richtlinie 79/112, soweit danach nichtharmonisierte einzelstaatliche Vorschriften, die zum Schutz der Gesundheit und vor Täuschung gerechtfertigt sind, ein Erfordernis der vorherigen Genehmigung wie das des § 9 Absatz 3 LMG zulässt" (Rn 36), hat der Gerichtshof Folgendes dargelegt:

"37. Zwar verbietet Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 79/112 zum einen alle Angaben, die sich auf die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit beziehen, auch wenn sie nicht geeignet sind, den Käufer irrezuführen, und zum anderen irreführende gesundheitsbezogene Angaben, doch lässt sich mit dem Schutz der Gesundheit, falls in einer bestimmten Situation überhaupt von Gesundheitsrisiken ausgegangen werden kann, nicht eine den freien Warenverkehr so beschränkende Regelung rechtfertigen, wie sie sich aus einem vorherigen Genehmigungsverfahren für sämtliche gesundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmitteln ergibt, und zwar auch solchen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt wurden und sich dort im freien Verkehr befinden.

38. Solche Restrisiken für die Gesundheit lassen sich nämlich durch weniger beschränkende Maßnahmen vermeiden, so insbesondere die Verpflichtung des Herstellers oder des Vertreibers des betreffenden Erzeugnisses, in Zweifelsfällen die Richtigkeit der auf der Etikettierung enthaltenen Tatsachenbehauptungen nachzuweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Österreich, Randnr. 49).

39. Dem Vorbringen der österreichischen Regierung zum Verbraucherschutz kann ebenfalls nicht gefolgt werden.

40. Die durch § 9 Absätze 1 und 3 LMG aufgestellte Regelung, die auf ein Verbot irreführender gesundheitsbezogener Angaben abzielt, führt nämlich in Wirklichkeit dazu, dass Lebensmittel mit gesundheitsbezogenen Angaben in Österreich selbst dann nicht frei vermarktet werden können, wenn sie nicht geeignet sind, den Verbraucher irrezuführen.

41. ... Das allgemeine Verbot des § 9 Absätze 1 und 3 LMG kann daher nicht als gegenüber dem angestrebten Zweck verhältnismäßig angesehen werden.

42. Überdies hat der Gerichtshof in ähnlichen, Angaben auf der Verpackung bestimmter kosmetischer Mittel betreffenden Rechtssachen, in denen sich die österreichischen Behörden ebenfalls auf den Schutz der Gesundheit der Verbraucher und den Schutz vor Täuschung beriefen, entschieden, dass die Zulassungspflichtigkeit nach § 9 Absatz 3 LMG ein ungerechtfertigtes Hindernis für den freien Verkehr mit dem betreffenden Erzeugnis darstellt (Urteile vom 28. Januar 1999 in der Rechtssache C 77/97, Unilever, Slg. 1999, I-431, Randnr. 34, und Linhart und Biffl, Randnr. 45).

43. Schließlich ist zum Vorbringen der österreichischen Regierung, der täuschende Charakter einer gesundheitsbezogenen Angabe könne in bestimmten Fällen schwer nachzuweisen sein, festzustellen, dass es Sache der nationalen Gerichte ist, in Zweifelsfällen unter Berücksichtigung der mutmaßlichen Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu einer Überzeugung zu gelangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. April 2000 in der Rechtssache C-465/98, Darbo, Slg. 2000, I-2297, Randnr. 20)."

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes besitzt das Gemeinschaftsrecht Vorrang gegenüber innerstaatlichem Recht. Dieser "Anwendungsvorrang" hat zur Folge, dass entgegenstehendes innerstaatliches Recht ohne weiteres unanwendbar wird (vgl. EuGH Rs 106/77, Simmenthal II, Slg. 1978, 629, Rz 17/18, u.a.).

Auf den Beschwerdefall bezogen bedeutet dies, dass die Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes 1975, soweit sie jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbieten, also unabhängig davon, ob sie irreführend sind oder nicht, nicht mehr anwendbar sind. Daraus folgt zum einen eine Einschränkung des alle gesundheitsbezogenen Angaben erfassenden Verbotstatbestandes des § 9 Abs. 1 leg. cit. Verboten sind gesundheitsbezogene Angaben demnach nur, wenn sie

a)

sich auf eine menschliche Krankheit beziehen, oder

b)

irreführend sind (vgl. das Erkenntnis vom 25. Februar 2003, Zl. 2003/10/0025).

Jener Regelung des Lebensmittelgesetzes 1975, nach der die Verwendung einer bestimmten Aufmachung oder Bezeichnung beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln und Verzehrprodukten nur nach einem "vorherigen Genehmigungsverfahren für sämtliche gesundheitsbezogenen Angaben" (Randnummer 37) zulässig ist, ist damit unter anderem der Boden entzogen. Daraus folgt, dass einer Bestrafung oder der Erlassung einer einschränkenden administrativen Maßnahme, die allein an dem Umstand des Fehlens einer "vorherigen Genehmigung" der gesundheitsbezogenen Bezeichnung anknüpft, Gemeinschaftsrecht entgegen steht.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass § 9 Abs. 3 LMG in vollem Umfang unanwendbar geworden wäre. Einer (mit Bescheid ausgesprochenen) Zulassung von Angaben im Sinne des § 9 Abs. 3 LMG auf Antrag desjenigen, der die Verwendung der Angabe beabsichtigt, steht Gemeinschaftsrecht ebenso wenig entgegen, wie der in einem solchen über Antrag eingeleiteten Verfahren (in Form der "Nichtzulassung") getroffenen Feststellung, dass die beantragte Angabe nach § 9 Abs. 1 LMG in der oben dargelegten, durch Gemeinschaftsrecht modifizierten Fassung verboten sei. Das Gemeinschaftsrecht vermittelt nämlich keinen Anspruch auf über Antrag erfolgende bescheidmäßige Zulassung solcher Angaben, die nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 79/112 verboten sind.

Nach Auffassung der belangten Behörde werden den in Rede stehenden Produkten mit den oben wiedergegebenen Angaben Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung und Heilung einer menschlichen Krankheit zugeschrieben. Damit fielen diese Angaben unter das Verbot des Art. 2 Abs. 1 lit. b der Etikettierungsrichtlinie.

Zur Frage der Unterscheidung von im dargelegten Sinn "krankheitsbezogenen" von (schlicht) "gesundheitsbezogenen" Angaben kommt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes den Darlegungen des Generalanwaltes L.A. Gelhoeed in seinen Schlussanträgen vom 4. Juli 2002 zu der im Verfahren vorgetragenen Auffassung, Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 79/112 differenziere nicht zwischen "gesundheitsbezogenen" und "krankheitsbezogenen" Behauptungen, besondere Bedeutung zu (vgl. dazu das Erkenntnis vom 31. März 2003, Zl. 2003/10/0029). Der Generalanwalt hat dabei Folgendes dargelegt:

              "53.              Ich schließe mich der Auffassung an, dass hier zu differenzieren ist, .... Aus Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b geht unzweideutig hervor, dass Gegenstand des Verbots eine Etikettierung ist, in der unmittelbar oder mittelbar auf eine menschliche Krankheit Bezug genommen wird. Krankheit ist ein Zustand, bei dem menschliche Organe und Lebensprozesse nicht ordnungsgemäß und ungestört funktionieren. Der Krankheit wird der Zustand des Gesundseins gegenübergestellt, bei dem eine Person eben frei von physischen oder gegebenenfalls psychischen Leiden ist. Es gibt daher einen fundamentalen Unterschied zwischen Angaben, die sich auf die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer Krankheit beziehen, und Angaben, die sich auf die Förderung des menschlichen Wohlbefindens beziehen. Bei krankheitsbezogenen Behauptungen liegt die Betonung auf der Behandlung bzw. Heilung von einer bestimmten Krankheit oder deren Vorbeugung. Gesundheitsbezogene Behauptungen gehen von einer positiven Grundidee aus, nämlich der Erhaltung bzw. Förderung der Gesundheit. In Extremfällen kann die Abgrenzung von gesundheitsbezogenen und krankheitsbezogenen Angaben tatsächlich schwierig sein, da bestimmte gesundheitsbezogene Angaben beim Verbraucher den Eindruck erwecken können, das Produkt habe eine heilende Wirkung. Z. B. wird mit der ausdrücklichen Angabe, ein bestimmtes Lebensmittel hält Dich gesund, implizit der Eindruck erweckt, dass das Produkt Krankheiten vorbeugen kann. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich die beiden Kategorien von Behauptungen grundsätzlich unterscheiden. Es muss im Einzelfall festgestellt werden, um welche Art von Angabe es sich handelt.

              54.              Das Verbot des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 79/112 ist absolut, d. h., die so genannten krankheitsbezogenen Angaben sind grundsätzlich verboten, unabhängig davon, ob sie zutreffen oder den Verbraucher irreführen. Diese Bestimmung verpflichtet die Mitgliedstaaten, krankheitsbezogene Angaben zu verbieten, erfasst aber umgekehrt nicht gesundheitsbezogene Angaben, die also nicht nach dieser Bestimmung verboten sind. Ist eine Angabe auf einem Lebensmittel sowohl krankheits- als auch gesundheitsbezogen, so fällt sie wegen der besonderen Gefahren krankheitsbezogener Angaben für die Gesundheit unter das Verbot des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe b. Auf Grund dieser besonderen Gefahren kann ein Mitgliedstaat meines Erachtens eine weite Auslegung dieser Bestimmung zu Grunde legen, wobei aber die oben beschriebene grundsätzliche Unterscheidung zwischen gesundheitsbezogenen und krankheitsbezogenen Angaben nicht in Frage gestellt werden darf."

Zum Ausgangsfall (Inverkehrbringen von Kürbiskernkapseln unter der Bezeichnung "Renatura Kürbiskernkapseln mit Vitamin E Blase und Prostata" mit den Angaben "Zum Schutz der Zellmembran vor den freien Radikalen, wichtig für die Funktion vieler Enzyme, wichtig als Baustein für Knochen und Zähne, Regulation des Wasserhaushalts (Blasenfunktion)") hat der Generalanwalt Folgendes ausgeführt:

              "92.              Zweitens stimme ich mit der Kommission darin überein, dass eine Aussage im Einzelfall unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Faktoren zu beurteilen ist. Eine Angabe auf der Etikettierung kann für sich betrachtet wahr sein, und ihr Inhalt ist für einen Durchschnittsverbraucher möglicherweise nicht verwirrend, doch durch eine suggestive Platzierung oder schon durch die bloße Form der Verpackung kann die Angabe irreführende Wirkung haben.

              93.              Drittens können vorliegend die Behauptungen als funktionsbezogen angesehen werden, d. h., die Angabe bezieht sich darauf, wozu das Produkt oder ein Bestandteil dienen soll. So soll Kalium wichtig sein für die Regulierung des Wasserhaushalts, und durch die Aussage Renatura Kürbiskernkapseln mit Vitamin E Blase und Prostata wird, wie die Kommission zutreffend ausführt, ein Zusammenhang zwischen Vitamin E und der Blasen- und Prostatafunktion hergestellt. In der Angabe, dass die Ölkürbiskerne zusätzlich mit Vitamin E angereichert seien, liegt außerdem eine Bezugnahme auf die Zusammensetzung des Produkts. Durch die Nennung von Prostata und Blase wird ferner auf eine bestimmte Erkrankung angespielt, nämlich Prostata- und Blasenkrebs, meines Erachtens ein Grund, diese Angabe als unzulässige krankheitsbezogene Angabe im Sinne vom Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 79/112 anzusehen. Entgegen den Ausführungen der Kommission in ihrem Schriftsatz in der Rechtssache C-221/00 und in den Vorabentscheidungsverfahren kann meines Erachtens das Verbot krankheitsbezogener Angaben in der Richtlinie 79/112 über den bloßen Bezug auf Arzneimittel im Sinne des gemeinschaftlichen Arzneimittelrechts hinausgehen."

Es obliegt den Gerichten der Mitgliedstaaten, unter Berücksichtigung aller Umstände den Aussagegehalt einer beim Inverkehrbringen eines Lebensmittel oder Verzehrproduktes verwendeten Angabe in Richtung der Bezugnahme auf die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 79/112 zu beurteilen. Dabei ist nach den oben wiedergegebenen Darlegungen des Generalanwaltes, die als Hinweise anzusehen sind für das Verständnis von Angaben, das im Hinblick auf das Verbraucherleitbild der Gemeinschaft zu ermitteln ist, zunächst der Kontext hervorzuheben, in dem die Angabe durch die Verwendung beim Inverkehrbringen eines offenbar zur Ergänzung der Nahrung bestimmten Produktes in Tablettenform (bzw. als Kapseln, Tropfen u.dgl.) gestellt wird. Nicht zuletzt hängt der beim Verbraucher durch solche Angaben hervorgerufene Eindruck davon ab, ob die Aussage als allgemeiner Hinweis auf die Bedeutung bestimmter, in Lebensmitteln enthaltener Stoffe für eine ausgewogene Ernährung verstanden werden kann oder der Eindruck erweckt wird, dass die Zufuhr des Stoffes im Wege von Nahrungsergänzung für die ordnungsgemäße Funktion von Organen des menschlichen Körpers von Bedeutung sei.

Nach der oben wiedergegebenen Auffassung des Generalanwaltes gehe aus Art. 2 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie unzweideutig hervor, dass Gegenstand des Verbotes eine Etikettierung sei, in der unmittelbar oder mittelbar auf eine menschliche Krankheit Bezug genommen werde. Krankheit sei ein Zustand, bei dem menschliche Organe und Lebensprozesse nicht ordnungsgemäß und ungestört funktionierten. Der Krankheit werde der Zustand des Gesundseins gegenüber gestellt, bei dem eine Person eben frei von physischen oder gegebenenfalls psychischen Leiden sei. Es gebe daher einen fundamentalen Unterschied zwischen Angaben, die sich auf die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer Krankheit beziehen würden und Angaben, die sich auf die Förderung des menschlichen Wohlbefindens bezögen. Bei krankheitsbezogenen Behauptungen liege die Betonung auf der Behandlung bzw. Heilung von einer bestimmten Krankheit oder deren Vorbeugung. Gesundheitsbezogene Behauptungen gingen dagegen von einer positiven Grundidee aus, nämlich der Erhaltung bzw. Förderung der Gesundheit.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ist im Beschwerdefall auf Grund des Gesamteindruckes der in Rede stehenden Angaben davon auszugehen, dass die Einnahme der Produkte für die ordnungsgemäße Funktion der genannten Organe bzw. Körperflüssigkeiten von Bedeutung sei, die Angaben daher als krankheitsbezogen zu beurteilen sind.

So liegt etwa hinsichtlich der Angabe "P Original-OPC ist einer der stärksten bekannten und wissenschaftlich untersuchten Radikal-Fänger der Welt und schützt (als fast einziger Vitalstoff) im wasserlöslichen wie auch im fettlöslichen Milieu. Also sowohl im Blut, in der Lymphe und in der extrazellulären Flüssigkeit, als auch in der Zellmembran und im Zellinneren." die Betonung unzweifelhaft auf der Vorbeugung bestimmter Krankheiten des Blutes, der Lymphe bzw. der extrazellulären Flüssigkeit, der Zellmembran und des Zellinneren. Durch die Behauptung, das in Rede stehende Produkt sei einer der "stärksten bekannten wissenschaftlich untersuchten Radikal-Fänger", wird nämlich ein Bezug zu Erkrankungen hergestellt, ist doch als allgemein bekannt vorauszusetzen, dass freie Radikale bei einer Vielzahl biologischer Prozesse eine wichtige Rolle spielen, aber auch Zellschäden hervorrufen können.

Für den Umstand, dass die Produkte im Wesentlichen deshalb eingenommen werden sollen, um bestimmten Erkrankungen vorzubeugen, spricht weiters neben der Darreichungsform in Kapseln bzw. Tropfen, die dies entsprechend suggeriert, auch die Verwendung einer medizinischen Terminologie, wie etwa "extrazelluläre Flüssigkeit", "Radikal-Fänger" bzw. "Zellmembran".

Es ist somit nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde die Auffassung vertreten hat, die in Rede stehenden Angaben fielen unter das Verbot des Art. 2 Abs. 1 lit. b der Etikettierungsrichtlinie.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 15. Dezember 2006

Gerichtsentscheidung

EuGH 62000CJ0421 Sterbenz VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003100027.X00

Im RIS seit

27.02.2007

Zuletzt aktualisiert am

03.05.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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