Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Hübner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Gerd Swoboda (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Margareta M*****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Juli 1999, GZ 10 Rs 122/99f-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22. Oktober 1998, GZ 20 Cgs 103/97a-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten der Berufung und der Revision sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Mit Bescheid vom 6. 3. 1997 entzog die beklagte Partei der am 28. 8. 1928 geborenen Klägerin das seit 1. 9. 1994 gewährte Pflegegeld der Stufe 1 mit Ablauf des 30. 4. 1997. Der seinerzeit festgestellte Pflegebedarf liege nicht mehr vor.
Die Klägerin begehrt mit ihrem dagegen erhobenen, als Klage zu qualifizierenden "Einspruch" erkennbar die Weitergewährung des Pflegegeldes der Stufe 1 über den 30. 4. 1997 hinaus.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, dass im Gesundheitszustand der Klägerin eine wesentliche Besserung eingetreten sei. Die Amputationswunde im Bereich der linken großen Zehe sei gut abgeheilt und stelle keine wesentliche Behinderung mehr dar. Eine deutliche Besserung liege darin, dass die Klägerin nunmehr selbständig kochen könne.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dabei ging es von folgenden Feststellungen aus:
Der Klägerin wurde das Pflegegeld ab 1. 9. 1994 "aus chirurgisch orthopädischen Gründen nach einer Großzehenamputation" gewährt.
"Vom augenärztlichen Standpunkt" kann die Klägerin auch die tägliche Körperpflege durchführen, Mahlzeiten zubereiten und essen, die Notdurft verrichten, sich alleine an- und auskleiden, Medikamente einnehmen, Einkaufen, die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände vornehmen, für das Beheizen des Wohnraumes sorgen und ihre Leib- und Bettwäsche pflegen. Das sichere Hantieren mit der lebensnotwendigen Insulinspritze ist ihr hingegen nicht zumutbar. Der Zustand besteht seit der Entziehung.
"Aus rein interner Sicht" konnte die Klägerin zum Zeitpunkt der Gewährung wie zum Zeitpunkt der Entziehung selbständig essen, trinken, sich gründlich waschen, an- und auskleiden, die Toilette ohne fremde Hilfe aufsuchen und die Fernwärmeheizung bedienen. Das Zubereiten einer einfachen nahrhaften Kost ist ihr möglich. Nicht mehr zumutbar ist das Wäsche waschen, das Einkaufen und die grobe Wohnungsreinigung. Dies gilt auch zum Zeitpunkt der Entziehung. Die Klägerin bedarf "aus interner Sicht" ab dem 1. 9. 1998 infolge Verschlechterung "der cardialen Situation" zusätzlich der Mobilitätshilfe im weiteren Sinn.
"Rein vom chirurgischen Standpunkt" ist die Klägerin in der Lage, sich an- und auszukleiden, Körperreinigung vorzunehmen und die Toilette zu benützen, Mahlzeiten zuzubereiten und einzunehmen. "Aus chirurgischer Sicht" ist der Klägerin zum Zeitpunkt der Entziehung das Sauberhalten der Wohnung, das Herbeischaffen von Nahrungsmitteln und Gütern des täglichen Gebrauches sowie das Wäsche waschen nicht möglich. Gegenüber dem Gewährungsgutachten vom 8. 11. 1994 ist hinsichtlich der Gangleistung sowie durch die nicht mehr vorhandene postoperative Schwellung im Operationsgebiet des linken Vorfusses eine deutliche Besserung eingetreten. Zum Zeitpunkt der Gewährung war es der Klägerin auf Grund der kurz zurückliegenden Operation am Vorfuß, der Gangstörung und der Schwellung nicht möglich, "längere Zeit zu stehen". Dadurch war das Kochen auszuschließen und es war die Mobilitätshilfe im weiteren Sinne notwendig. Die übrigen Einschränkungen sind gleich geblieben.
"Aus neuropsychiatrischer Sicht" ist der Klägerin die Körperreinigung, das tägliche An- und Auskleiden, die Pflege der Leibwäsche, die Herbeischaffung von Heizmaterial, von Lebensmitteln und Medikamenten, die tägliche Zubereitung der Mahlzeiten, sowie die Einnahme des Essens und der Medikamente möglich. Hilfe benötigt die Klägerin bei schweren und höhenexponierten Reinigungsarbeiten hinsichtlich der Wohnung und der Gebrauchsgegenstände sowie zur Reinigung der Bettwäsche. Der Zustand bestand bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung.
"Aus chirurgischer-orthopädischer Sicht" bestehen altersentsprechend keine Einschränkungen.
"Aus rein lungenfachärztlicher Sicht" kann die Klägerin ohne fremde Hilfe aufstehen und sich niederlegen, sich an- und auskleiden, die Notdurft verrichten und sich nachher reinigen, die tägliche Körperpflege vornehmen, eine warme nahrhafte Mahlzeit für eine Person (Hausmannskost) zubereiten, die Mahlzeit einnehmen sowie die Beheizung des Wohnraumes vornehmen. Hingegen ist ihr die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln mit einem Gesamtgewicht von mehr als zwei bis drei Kilogramm, die Reinigung der Wohnung und die Pflege der Leib- und Bettwäsche nicht mehr möglich. Dieses Kalkül gilt zum Zeitpunkt der Entziehung; es entspricht jenem zum Zeitpunkt der Gewährung.
Zusammenfassend gilt das Kalkül des internen Gutachtens. "Aus interner Sicht" ist die Klägerin in der Lage, die auf Grund der bestehenden Diabetes entsprechende Kost zuzubereiten, "das heißt, sie muss die Broteinheiten berechnen". Eine gegenseitige Leidensbeeinflussung besteht nicht, dieser Zustand besteht seit dem Zeitpunkt der Entziehung. "Aus chirurgischer Sicht" ist eine wesentliche Verbesserung des gesundheitlichen Zustandes verglichen mit dem Gewährungszeitpunkt festzustellen. "Aus lungenfachärztlicher Sicht" ist der Zustand unverändert und "aus interner Sicht" bedarf die Klägerin ab dem 1. 9. 1998 einer Mobilitätshilfe im weiteren Sinn.
Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass bei der Klägerin ein maximaler Pflegebedarf von 40 Stunden, und zwar jeweils 10 Stunden für die Pflege der Leib- und Bettwäsche, die Reinigung der Wohnung, die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten und die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn gegeben sei. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Pflegegeldes der Stufe 1 seien daher nicht erfüllt. Eine Entziehung des Pflegegeldes sei gemäß § 9 Abs 2 BPGG gerechtfertigt, weil "aus chirurgischer Sicht" gegenüber dem Gewährungsgutachten vom 8. 11. 1994 eine deutliche Besserung hinsichtlich der Gangleistung und durch den Wegfall der postoperativen Schwellung im Operationsgebiet des linken Vorfußes eingetreten sei.Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass bei der Klägerin ein maximaler Pflegebedarf von 40 Stunden, und zwar jeweils 10 Stunden für die Pflege der Leib- und Bettwäsche, die Reinigung der Wohnung, die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten und die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn gegeben sei. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Pflegegeldes der Stufe 1 seien daher nicht erfüllt. Eine Entziehung des Pflegegeldes sei gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BPGG gerechtfertigt, weil "aus chirurgischer Sicht" gegenüber dem Gewährungsgutachten vom 8. 11. 1994 eine deutliche Besserung hinsichtlich der Gangleistung und durch den Wegfall der postoperativen Schwellung im Operationsgebiet des linken Vorfußes eingetreten sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei. Selbst die Berücksichtigung eines zusätzlichen Pflegeaufwandes für zwei Insulininjektionen täglich führe zu keinem günstigeren Ergebnis für die Klägerin. Pro Insulininjektion seien fünf Stunden monatlich anzusetzen (SSV-NF 8/58), sodass sich zuzüglich zu den bereits vom Erstgericht angenommenen 40 Stunden weitere 10 Stunden ergeben. Der Pflegebedarf übersteige damit aber noch nicht 50 Stunden monatlich, wie dies für die Pflegegeldstufe 1 erforderlich sei.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens gemäß § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO); die Rechtsrüge der Klägerin ist jedoch im Ergebnis berechtigt.Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens gemäß Paragraph 503, Ziffer 2, ZPO liegt nicht vor (Paragraph 510, Absatz 3, Satz 3 ZPO); die Rechtsrüge der Klägerin ist jedoch im Ergebnis berechtigt.
Ob ein rechtskräftig zuerkanntes Pflegegeld zu entziehen oder neu zu bemessen ist, richtet sich ausschließlich nach § 9 BPGG. Die Entziehung setzt jedenfalls den Wegfall einer Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld voraus. Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen rechtfertigt einen Eingriff in die Rechtskraft der (Vor-)Entscheidung. An dieser Stelle ist anzumerken, dass von den Vorinstanzen zwar festgestellt wurde, dass die Klägerin vor der gegenständlichen Entziehung seit 1. 9. 1994 Pflegegeld der Stufe 1 bezogen hat, bisher jedoch nicht festgestellt wurde (und mangels Anschlusses des Anstaltsaktes der beklagten Partei auch nicht ersichtlich ist), mit welchem Rechtsakt (Bescheid, Urteil, Vergleich) der Klägerin überhaupt ursprünglich Pflegegeld gewährt wurde. Es gelten diesbezüglich die gleichen Grundsätze, die auch bei der Entziehung sonstiger Leistungsansprüche nach § 99 ASVG oder bei der Neufeststellung einer Versehrtenrente nach § 183 ASVG angewendet werden (SSV-NF 12/41 mwN; RIS-Justiz RS0061709).Ob ein rechtskräftig zuerkanntes Pflegegeld zu entziehen oder neu zu bemessen ist, richtet sich ausschließlich nach Paragraph 9, BPGG. Die Entziehung setzt jedenfalls den Wegfall einer Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld voraus. Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen rechtfertigt einen Eingriff in die Rechtskraft der (Vor-)Entscheidung. An dieser Stelle ist anzumerken, dass von den Vorinstanzen zwar festgestellt wurde, dass die Klägerin vor der gegenständlichen Entziehung seit 1. 9. 1994 Pflegegeld der Stufe 1 bezogen hat, bisher jedoch nicht festgestellt wurde (und mangels Anschlusses des Anstaltsaktes der beklagten Partei auch nicht ersichtlich ist), mit welchem Rechtsakt (Bescheid, Urteil, Vergleich) der Klägerin überhaupt ursprünglich Pflegegeld gewährt wurde. Es gelten diesbezüglich die gleichen Grundsätze, die auch bei der Entziehung sonstiger Leistungsansprüche nach Paragraph 99, ASVG oder bei der Neufeststellung einer Versehrtenrente nach Paragraph 183, ASVG angewendet werden (SSV-NF 12/41 mwN; RIS-Justiz RS0061709).
Der der ursprünglichen Gewährung von Pflegegeld zugrundeliegende Pflegeaufwand als Grundlage für die Höhe des Pflegegeldes, der bei einer wesentlichen Änderung zu einer Neubemessung bzw Entziehung des Pflegegeldes führt, steht bisher nicht in ausreichendem Umfang fest. Da die Verhältnisse im Zeitpunkt der Leistungszuerkennung mit denen im Zeitpunkt der Entziehung oder Neubemessung für den anzustellenden Vergleich in Beziehung zu setzen sind, bedarf es zunächst neuerlich der Feststellung aller für die Zuerkennung wesentlichen Tatsachen (SSV-NF 5/5, 7/2, 12/160 ua). Demgemäß genügt es nicht, nur den Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Gewährung zu jenem zum Zeitpunkt der Entziehung des Pflegegeldes in Beziehung zu setzen, wie dies das Erstgericht tat, sondern es sind die Änderungen im Pflegebedarf, der für das Ausmaß der Pflegegeldstufe maßgeblich ist, konkret die für die Beurteilung des Pflegebedarfes relevanten Tatsachen, zueinander in Beziehung zu setzen, um daraus ableiten zu können, ob eine wesentliche Besserung eingetreten ist (SSV-NF 12/166).
Im vorliegenden Fall ist vor allem strittig, ob es bei der Klägerin hinsichtlich der Zubereitung von Mahlzeiten zu einer Änderung des Pflegebedarfes gekommen ist. Es sind bisher aber nicht alle relevanten Feststellungen getroffen worden, um zu beurteilen, ob die Klägerin überhaupt zum Gewährungszeitpunkt bei der Zubereitung von Mahlzeiten auf fremde Hilfe angewiesen war. Ist dies zu verneinen, wäre keine entscheidende Veränderung in den Verhältnissen eingetreten (SSV-NF 5/5, 7/2 ua). Es kommt nicht darauf an, ob bei der Gewährung die Ansicht vertreten wurde, die Klägerin benötige fremde Hilfe bei der Zubereitung von Mahlzeiten, sondern ob dies tatsächlich der Fall war. Nicht gerechtfertigt ist ein Leistungsentzug, wenn nachträglich festgestellt wird, dass die Leistungsvoraussetzungen von vornherein gefehlt haben. Haben die objektiven Grundlagen für eine Leistungszuerkennung keine wesentliche Änderung erfahren, so steht die Rechtskraft der Gewährungsentscheidung der Entziehung entgegen. An dieser Änderung fehlt es aber regelmäßig dann, wenn bestimmte Leistungsvoraussetzungen nie vorhanden waren. Hier ist Rechtssicherheit vor Rechtmäßigkeit zu reihen (SSV-NF 1/27, 4/149, 6/17, 7/2, 10/110 ua; ARD 5.002/10/99; zuletzt 10 ObS 56/00h; RIS-Justiz RS0083927, RS0083941, RS0110119).
Für die Entziehung einer Leistung müssen daher für die Zeit der Zuerkennung alle Umstände festgestellt werden, die für die Beurteilung der Frage notwendig sind, ob die Zuerkennung dem Gesetz entsprach. Es kommt also nicht darauf an, welche Tatsachen der Zuerkennung zugrundegelegt wurden, sondern es sind im Verfahren über die Entziehung unabhängig von den im Zuerkennungsverfahren allenfalls getroffenen Feststellungen neuerlich Feststellungen über die für die Zuerkennung wesentlichen Tatsachen zu treffen (SSV-NF 5/5). Dieser Anforderung entsprechen die Feststellungen des Erstgerichtes nicht. Selbst wenn man zu seinen Gunsten annimmt, dass es nicht bloß den Inhalt der Sachverständigengutachten wiedergegeben hat ("vom augenärztlichen Standpunkt", "aus rein interner Sicht" etc), sondern den Gesundheitszustand und Pflegeaufwand der Klägerin zur Zeit der Zuerkennung des Pflegegeldes und zur Zeit der Entziehung feststellen wollte, sind seine Feststellungen nicht ausreichend. Für die Beurteilung des Anspruches auf Pflegegeld sowie der Entziehung dieser Leistung sind die Änderungen im Pflegebedarf nicht aus der Sicht der medizinischen Fachgebiete, sondern für alle Fachgebiete gemeinsam festzustellen (vgl RIS-Justiz RS0043314). Da der körperliche und geistige Zustand der Klägerin und ihr Pflegebedarf von Sachverständigen mehrerer medizinischer Fachgebiete begutachtet wurde, ist ein zusammenfassendes Gutachten erforderlich, in dem der Pflegebedarf, das heißt alle für die Beurteilung des Pflegebedarfes relevanten Tatsachen, unter Berücksichtigung aller von den einzelnen Fachgutachtern festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen dargestellt werden. Entgegen der Vorgangsweise des Erstgerichtes ist daher nicht festzustellen, zu welchen Verrichtungen die Klägerin aus der Sicht der einzelnen medizinischen Fachgebiete in der Lage ist (SSV-NF 9/21).Für die Entziehung einer Leistung müssen daher für die Zeit der Zuerkennung alle Umstände festgestellt werden, die für die Beurteilung der Frage notwendig sind, ob die Zuerkennung dem Gesetz entsprach. Es kommt also nicht darauf an, welche Tatsachen der Zuerkennung zugrundegelegt wurden, sondern es sind im Verfahren über die Entziehung unabhängig von den im Zuerkennungsverfahren allenfalls getroffenen Feststellungen neuerlich Feststellungen über die für die Zuerkennung wesentlichen Tatsachen zu treffen (SSV-NF 5/5). Dieser Anforderung entsprechen die Feststellungen des Erstgerichtes nicht. Selbst wenn man zu seinen Gunsten annimmt, dass es nicht bloß den Inhalt der Sachverständigengutachten wiedergegeben hat ("vom augenärztlichen Standpunkt", "aus rein interner Sicht" etc), sondern den Gesundheitszustand und Pflegeaufwand der Klägerin zur Zeit der Zuerkennung des Pflegegeldes und zur Zeit der Entziehung feststellen wollte, sind seine Feststellungen nicht ausreichend. Für die Beurteilung des Anspruches auf Pflegegeld sowie der Entziehung dieser Leistung sind die Änderungen im Pflegebedarf nicht aus der Sicht der medizinischen Fachgebiete, sondern für alle Fachgebiete gemeinsam festzustellen vergleiche RIS-Justiz RS0043314). Da der körperliche und geistige Zustand der Klägerin und ihr Pflegebedarf von Sachverständigen mehrerer medizinischer Fachgebiete begutachtet wurde, ist ein zusammenfassendes Gutachten erforderlich, in dem der Pflegebedarf, das heißt alle für die Beurteilung des Pflegebedarfes relevanten Tatsachen, unter Berücksichtigung aller von den einzelnen Fachgutachtern festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen dargestellt werden. Entgegen der Vorgangsweise des Erstgerichtes ist daher nicht festzustellen, zu welchen Verrichtungen die Klägerin aus der Sicht der einzelnen medizinischen Fachgebiete in der Lage ist (SSV-NF 9/21).
Soweit es um die Zubereitung von Mahlzeiten geht, ist davon auszugehen, dass für eine dem allgemeinen Standard angemessene menschengerechte Lebensführung einmal täglich die Einnahme einer ordentlich gekochten Mahlzeit erforderlich ist, deren Zubereitung nicht nur eine ganz kurze Zeit in Anspruch nimmt. Es ist einem Versicherten nicht zumutbar, sich ausschließlich von aufgewärmten Speisen zu ernähren, wenngleich bei Prüfung des für die Speisezubereitung notwendigen Aufwandes das handelsübliche Angebot an Tiefkühlkost und Fertiggerichten zu berücksichtigen ist (SSV-NF 5/46, 8/104 ua). Um für seine Ernährung selbst vorzusorgen, ist es nicht erforderlich, dass der Betroffene in der Lage ist, mehrgängige Menüs zu kochen. Kann er noch eine aus Fleisch, Zuspeise und Salat bestehende Mahlzeit selbst herstellen, ist in der Regel sichergestellt, dass er sich aus eigenem auf angemessene Weise ernähren kann (SSV-NF 9/66 ua).
Wie der Senat bereits erkannt hat, ist es offenkundig und bedarf keines Beweises, dass auch die Zubereitung warmer Mahlzeiten nicht ununterbrochenes Arbeiten im Stehen erfordert, sondern weitgehend im Sitzen verrichtet werden kann (SSV-NF 11/57). Die Zubereitung von Mahlzeiten besteht aus einer Summe von einzelnen Handlungen, die sowohl im Sitzen als auch abwechselnd im kurzfristigen Stehen erledigt werden können (SSV-NF 11/36; infas 1997, S 35 ua). Somit ist in der Regel der Versicherte, der beispielsweise noch zusammenhängend zehn Minuten gehen und stehen kann, jedenfalls auch noch in der Lage, aus Frischprodukten eine komplette, aus einem Gang bestehende Mahlzeit zuzubereiten (SSV-NF 11/36).
Die Zubereitung von Mahlzeiten erfordert nicht, dass dieser Aufwand jeweils in einem Zuge und durchgehend erbracht werden muss. Wie der Senat zuletzt zu 10 ObS 304/99z aussprach, ist auch einer Versicherten, die nur mehr maximal zwei bis drei Minuten vor dem Herd stehend kochen kann und anschließend eine Pause im Sitzen von fünf bis zehn Minuten braucht, noch in zumutbarer Weise die Zubereitung von Mahlzeiten möglich. Dabei wird nicht verkannt, dass gerade ältere und gebrechliche Menschen in ihren Verrichtungen vielfach langsamer und schwerfälliger sind. Es darf aber auch andererseits nicht übersehen werden, dass die Zubereitung von Mahlzeiten in der Regel aus "gewohnten Vorgängen" besteht, sodass gerade was Brat- und Garzeiten, Temperatur, häufiges Umrühren, Wenden des Kochgutes, Gefahr des Spritzens von Fetten etc betrifft die mit der Zubereitung von Mahlzeiten zwangsläufig einhergehende Routine den gesamten Ablauf in der Praxis gegenüber bloß theoretischen Überlegungen erheblich erleichtert. Während Vorbereitungshandlungen beim Kochen und das Abwarten der Garzeit ohnehin in sitzender Körperhaltung erfolgen können (vgl 10 ObS 134/97x), erfordert die Kontrolle des Kochvorganges jeweils nur einen ganz kurzen Vorgang, der sogar noch unter zwei bis drei Minuten liegt; es genügen regelmäßig nur einige Sekunden, um etwa den Fortschritt des Garvorganges zu beobachten, sodass auch zwischen den wiederholten Kontrollen nur kürzere Pausen notwendig sind. Dabei wird nicht übersehen, dass die Verrichtung einzelner Handlungen beim Kochen im Stehen, wenn es der Betreffende so gewöhnt ist, vielfach bequemer als deren Verrichtung im Sitzen empfunden werden mag; die Grenze der Zumutbarkeit wird jedoch nach Ansicht des Senates bei der Verrichtung dieser Vorgänge im Sitzen nicht überschritten.Die Zubereitung von Mahlzeiten erfordert nicht, dass dieser Aufwand jeweils in einem Zuge und durchgehend erbracht werden muss. Wie der Senat zuletzt zu 10 ObS 304/99z aussprach, ist auch einer Versicherten, die nur mehr maximal zwei bis drei Minuten vor dem Herd stehend kochen kann und anschließend eine Pause im Sitzen von fünf bis zehn Minuten braucht, noch in zumutbarer Weise die Zubereitung von Mahlzeiten möglich. Dabei wird nicht verkannt, dass gerade ältere und gebrechliche Menschen in ihren Verrichtungen vielfach langsamer und schwerfälliger sind. Es darf aber auch andererseits nicht übersehen werden, dass die Zubereitung von Mahlzeiten in der Regel aus "gewohnten Vorgängen" besteht, sodass gerade was Brat- und Garzeiten, Temperatur, häufiges Umrühren, Wenden des Kochgutes, Gefahr des Spritzens von Fetten etc betrifft die mit der Zubereitung von Mahlzeiten zwangsläufig einhergehende Routine den gesamten Ablauf in der Praxis gegenüber bloß theoretischen Überlegungen erheblich erleichtert. Während Vorbereitungshandlungen beim Kochen und das Abwarten der Garzeit ohnehin in sitzender Körperhaltung erfolgen können vergleiche 10 ObS 134/97x), erfordert die Kontrolle des Kochvorganges jeweils nur einen ganz kurzen Vorgang, der sogar noch unter zwei bis drei Minuten liegt; es genügen regelmäßig nur einige Sekunden, um etwa den Fortschritt des Garvorganges zu beobachten, sodass auch zwischen den wiederholten Kontrollen nur kürzere Pausen notwendig sind. Dabei wird nicht übersehen, dass die Verrichtung einzelner Handlungen beim Kochen im Stehen, wenn es der Betreffende so gewöhnt ist, vielfach bequemer als deren Verrichtung im Sitzen empfunden werden mag; die Grenze der Zumutbarkeit wird jedoch nach Ansicht des Senates bei der Verrichtung dieser Vorgänge im Sitzen nicht überschritten.
Im vorliegenden Verfahren steht lediglich fest, dass es der Klägerin zum Zeitpunkt der Gewährung des Pflegegeldes nicht möglich war, "längere Zeit zu stehen". Eine nähere Quantifizierung des zeitlichen Aspektes erfolgte bisher nicht. Dies wird im fortgesetzten Verfahren nachzuholen sein, wobei den rechtlichen Überlegungen zugrundezulegen sein wird, dass kurzfristiges Stehen für die Zubereitung von Mahlzeiten in der Regel genügt. Es wird daher im fortgesetzten Verfahren zu klären sein, ob die Klägerin bei der Gewährung des Pflegegeldes noch die nötige Gewandtheit besaß, sich nicht bloß unter Verwendung etwa handelsüblicher Tiefkühlkost und Fertiggerichte zu ernähren, sondern noch in der Lage war, grundsätzlich auch aus Frischprodukten komplette, aus einem Gang bestehende Mahlzeiten zuzubereiten. In Abhängigkeit von der Klärung dieser Frage werden auch die für die Beurteilung des Aufwandes der Verabreichung von Insulininjektionen bisher fehlenden Feststellungen nachzuholen sein.
Der Vollständigkeit halber ist noch darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf die am 1. 1. 1999 in Kraft getretene Novelle zum BPGG BGBl I 1998/111 und das zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene gerichtliche Verfahren gemäß § 48 Abs 1 BPGG für die Zeit bis zum 31. 12. 1998 für die Beurteilung des Anspruches der Klägerin die Bestimmungen des § 4 BPGG vor der Novelle samt EinstV BGBl 1993/314 zugrundezulegen sind (10 ObS 372/97x; 10 ObS 165/99h ua). Für die Zeit ab dem 1. 1. 1999 ist der Anspruch hingegen nach der neuen Rechtslage zu beurteilen, wobei allerdings die zitierte EinstV erst mit Wirksamkeit vom 31. 1. 1999 aufgehoben und durch die neue EinstV BGBl II 1999/37 ersetzt wurde. Die Anwendung der neuen Rechtslage führt allerdings hinsichtlich der Zubereitung der Mahlzeiten zu keinem anderen Ergebnis; die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 4 Abs 2 Stufe 1 BPGG und des § 1 Abs 4 zweiter Fall EinstV blieben nämlich unverändert.Der Vollständigkeit halber ist noch darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf die am 1. 1. 1999 in Kraft getretene Novelle zum BPGG BGBl römisch eins 1998/111 und das zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene gerichtliche Verfahren gemäß Paragraph 48, Absatz eins, BPGG für die Zeit bis zum 31. 12. 1998 für die Beurteilung des Anspruches der Klägerin die Bestimmungen des Paragraph 4, BPGG vor der Novelle samt EinstV BGBl 1993/314 zugrundezulegen sind (10 ObS 372/97x; 10 ObS 165/99h ua). Für die Zeit ab dem 1. 1. 1999 ist der Anspruch hingegen nach der neuen Rechtslage zu beurteilen, wobei allerdings die zitierte EinstV erst mit Wirksamkeit vom 31. 1. 1999 aufgehoben und durch die neue EinstV BGBl römisch II 1999/37 ersetzt wurde. Die Anwendung der neuen Rechtslage führt allerdings hinsichtlich der Zubereitung der Mahlzeiten zu keinem anderen Ergebnis; die hier maßgeblichen Bestimmungen des Paragraph 4, Absatz 2, Stufe 1 BPGG und des Paragraph eins, Absatz 4, zweiter Fall EinstV blieben nämlich unverändert.
Wegen der dargelegten Feststellungsmängel sind die Urteile beider Vorinstanzen aufzuheben; die Rechtssache ist zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.Der Kostenvorbehalt beruht auf Paragraph 52, Absatz eins, ZPO.
Anmerkung
E58140 10C03269European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2000:010OBS00326.99K.0523.000Dokumentnummer
JJT_20000523_OGH0002_010OBS00326_99K0000_000