TE OGH 2000/5/25 1Ob124/00t

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Veröffentlicht am 25.05.2000
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Manuela L*****, vertreten durch Dr. Peter Greil, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider den Gegner der gefährdeten Partei Bruno L*****, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382b Abs 1 EO infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 23. März 2000, GZ 2 R 128/00p-8, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs der gefährdeten Partei wird gemäß §§ 78, 402 EO iVm § 526 Abs 2 erster Satz ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.Der außerordentliche Revisionsrekurs der gefährdeten Partei wird gemäß §§ 78, 402 EO in Verbindung mit § 526 Abs 2 erster Satz ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Im Haus des Mannes und Gegners der gefährdeten Frau (und Antragstellerin) in einer kleinen ländlichen Gemeinde befindet sich im Erdgeschoß die Ehewohnung der Streitteile; im 1. Stock sind Ferienwohnungen untergebracht, und in den Dachbodenzimmern schlafen die drei Kinder der Streitteile.

Das Erstgericht hat mit der - vom Mann nicht angefochtenen - einstweiligen Verfügung nach § 382b Abs 1 EO nach dessen Wegweisung sowie Rückkehrverbot durch die Gendarmerie nach § 38a SPG antragsgemäß für drei Monate aufgetragen, das gemeinsame Haus zu verlassen und ihm verboten, das Haus samt dem Grundstück Nr 38 zu betreten, jedoch mit der Einschränkung "in Durchbrechung dieses Rückkehrverbots ist ... (Mann) jedoch berechtigt, das Haus mit Ausnahme der Ehewohnung für notwendige Kontrollen an technischen Anlagen zu betreten. Das Betreten darf jedoch ausnahmslos nur dann erfolgen, wenn sich ... (gefährdete Frau) nicht im Haus aufhält." Die Frau habe selbst angegeben, außerhalb der Ehewohnung noch nie vom Mann tätlich angegriffen worden zu sein und die Wegweisung aus dem gesamten Haus nur deshalb beantragt zu haben, weil ihr Mann außerhalb der Ehewohnung fallweise hämische Bemerkungen gemacht habe.

Die zweite Instanz bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Der Antragsgegner habe als Hauseigentümer das berechtigte Interesse, technische Anlagen in seinem Haus fallweise zu kontrollieren.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

a) Dass die infolge Zeitablaufs inhaltlich überholte, aber noch nicht aufgehobene einstweilige Verfügung vom 14. Februar 2000 vom Antragsgegner im Verfahren nach § 382b EO angefochten werden kann, ihm somit ein Interesse an einer meritorischen Entscheidung zusteht, wurde vom Obersten Gerichtshof bereits ausgesprochen (6 Ob 77/99p = EvBl 1999/198 = RZ 2000/5). Dieses Rechtsschutzinteresse muss auch einer Antragstellerin, deren Antrag nur mit Einschränkungen stattgegeben wurde, nach dem Zeitablauf der noch nicht aufgehobenen einstweiligen Verfügung zugebilligt werden.

b) Das Rechtsmittel wendet sich gegen die Einschränkung der Verfügung, weil die einstweilige Verfügung nach § 382b Abs 1 EO erlassen worden sei, danach aber keine Abwägung mit den Interessen des Antragsgegners vorzunehmen sei.

Auf das vorliegende Sicherungsverfahren sind die Bestimmungen der EO idF des Art II Z 5 des am 1. Mai 1997 in Kraft getretenen Bundesgesetzes zum Schutz vor Gewalt in der Familie BGBl 1996/759 (GeSchG) anzuwenden. Die inhaltlichen Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung regelt § 382b EO. Durch das GeSchG sind die neuen Maßnahmen bei Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens nach § 382b Abs 1 EO die einstweilige Verfügung mit dem Auftrag an den Antragsgegner, die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zu verlassen (Z 1; "Wegweisung") sowie mit dem Verbot, in die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zurückzukehren, wenn die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dient (Z 2; "Rückkehrverbot"). Weiters wurde nach Abs 2 der räumliche Schutzbereich des bedrohten Familienmitglieds auf Örtlichkeiten im sozialen Naheraum (zB Arbeitsweg, Arbeitsplatz, Haltestellen der regelmäßig benützten Verkehrsmittel, häufig aufgesuchte Geschäfte, Betreuungseinrichtungen für Kinder) erweitert. Sicherungsmittel der einstweiligen Verfügungen nach Abs 2 sind das Verbot des Aufenthalts an bestimmten Orten (Z 1) und das Verbot des Zusammentreffens und jeder Kontaktaufnahme (Z 2), soweit dem nicht schwerwiegende Interessen des Antragsgegners zuwiderlaufen. Die Regelungen in den beiden Absätzen unterscheiden sich dadurch, dass das Verfahren und der Vollzug, die durch die §§ 382c, 382d EO geregelt werden, nur auf einstweilige Verfügungen nach § 382b Abs 1 EO anzuwenden sind, während einstweilige Verfügungen nach § 382b Abs 2 EO weiter nach den §§ 354 ff EO anzuordnen und zu vollziehen sind (Sykora in AnwBl 1998, 292 ff) und bei Verfügungen nach § 382b Abs 2 EO eine Abwägung der Interessen der Streitparteien zwingend vorzunehmen ist (EvBl 1999/198), während in § 382b Abs 1 EO eine solche Interessenabwägung nicht vorgesehen ist (Sykora aaO). Anders als bisher umfaßt nach dem GeSchG der räumliche Schutzbereich des gefährdeten Familienmitglieds neben der Wohnung selbst auch die "unmittelbare Umgebung", die nach den örtlichen Gegebenheiten im Einzelfall zu ermitteln ist. Nach den Materialien ist darunter jedenfalls "jener Raum um die eigentliche Wohnung zu verstehen, in dem für den Antragsteller die Anwesenheit des Antragsgegners auf Grund dessen bisherigen Verhaltens unzumutbar ist" (Mottl in ÖJZ 1997, 542 ff, 544 mwN in FN 25). Die Vorinstanzen verstanden unter der "umittelbaren Umgebung der Wohnung" bei Anwesenheit der Frau das gesamte Haus mit dem Grundstück, jedoch mit der oben dargestellten Einschränkung. Eine solche Einschränkung der einstweiligen Verfügung nach § 382b Abs 1 EO in Ansehung der "unmittelbaren Umgebung" muss unter Berücksichtigung der Intentionen des Gesetzes, den Frieden zwischen den Streitteilen - soweit dies durch gerichtliche Maßnahmen überhaupt möglich ist - zu sichern, auch ohne ausdrücklich gesetzlich angeordnete Interessenabwägung als zulässig angesehen werden. Denn gerade zur Sicherung der Konfliktbewältigung in Familien, in denen es zu Streitigkeiten kommt, ist grundsätzlich stets eine Lösung zu suchen, die angesichts des sehr tiefgreifenden Eingriffs bei einer Ausweisung des regelmäßig männlichen Partners aus der Wohnung die geringstmögliche Beeinträchtigung des Antragsgegners darstellt, schon um wenigstens so weitere Streitigkeiten möglichst gering zu halten und sachgerechte Lösungen zu ermöglichen, und andererseits vor allem jede Gefährdung des Antragstellers ("Opferschutz") zu berücksichtigen, die es abzustellen gilt.Auf das vorliegende Sicherungsverfahren sind die Bestimmungen der EO in der Fassung des Art II Z 5 des am 1. Mai 1997 in Kraft getretenen Bundesgesetzes zum Schutz vor Gewalt in der Familie BGBl 1996/759 (GeSchG) anzuwenden. Die inhaltlichen Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung regelt § 382b EO. Durch das GeSchG sind die neuen Maßnahmen bei Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens nach § 382b Abs 1 EO die einstweilige Verfügung mit dem Auftrag an den Antragsgegner, die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zu verlassen (Z 1; "Wegweisung") sowie mit dem Verbot, in die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zurückzukehren, wenn die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dient (Z 2; "Rückkehrverbot"). Weiters wurde nach Abs 2 der räumliche Schutzbereich des bedrohten Familienmitglieds auf Örtlichkeiten im sozialen Naheraum (zB Arbeitsweg, Arbeitsplatz, Haltestellen der regelmäßig benützten Verkehrsmittel, häufig aufgesuchte Geschäfte, Betreuungseinrichtungen für Kinder) erweitert. Sicherungsmittel der einstweiligen Verfügungen nach Abs 2 sind das Verbot des Aufenthalts an bestimmten Orten (Z 1) und das Verbot des Zusammentreffens und jeder Kontaktaufnahme (Z 2), soweit dem nicht schwerwiegende Interessen des Antragsgegners zuwiderlaufen. Die Regelungen in den beiden Absätzen unterscheiden sich dadurch, dass das Verfahren und der Vollzug, die durch die §§ 382c, 382d EO geregelt werden, nur auf einstweilige Verfügungen nach § 382b Abs 1 EO anzuwenden sind, während einstweilige Verfügungen nach § 382b Abs 2 EO weiter nach den §§ 354 ff EO anzuordnen und zu vollziehen sind (Sykora in AnwBl 1998, 292 ff) und bei Verfügungen nach § 382b Abs 2 EO eine Abwägung der Interessen der Streitparteien zwingend vorzunehmen ist (EvBl 1999/198), während in § 382b Abs 1 EO eine solche Interessenabwägung nicht vorgesehen ist (Sykora aaO). Anders als bisher umfaßt nach dem GeSchG der räumliche Schutzbereich des gefährdeten Familienmitglieds neben der Wohnung selbst auch die "unmittelbare Umgebung", die nach den örtlichen Gegebenheiten im Einzelfall zu ermitteln ist. Nach den Materialien ist darunter jedenfalls "jener Raum um die eigentliche Wohnung zu verstehen, in dem für den Antragsteller die Anwesenheit des Antragsgegners auf Grund dessen bisherigen Verhaltens unzumutbar ist" (Mottl in ÖJZ 1997, 542 ff, 544 mwN in FN 25). Die Vorinstanzen verstanden unter der "umittelbaren Umgebung der Wohnung" bei Anwesenheit der Frau das gesamte Haus mit dem Grundstück, jedoch mit der oben dargestellten Einschränkung. Eine solche Einschränkung der einstweiligen Verfügung nach § 382b Abs 1 EO in Ansehung der "unmittelbaren Umgebung" muss unter Berücksichtigung der Intentionen des Gesetzes, den Frieden zwischen den Streitteilen - soweit dies durch gerichtliche Maßnahmen überhaupt möglich ist - zu sichern, auch ohne ausdrücklich gesetzlich angeordnete Interessenabwägung als zulässig angesehen werden. Denn gerade zur Sicherung der Konfliktbewältigung in Familien, in denen es zu Streitigkeiten kommt, ist grundsätzlich stets eine Lösung zu suchen, die angesichts des sehr tiefgreifenden Eingriffs bei einer Ausweisung des regelmäßig männlichen Partners aus der Wohnung die geringstmögliche Beeinträchtigung des Antragsgegners darstellt, schon um wenigstens so weitere Streitigkeiten möglichst gering zu halten und sachgerechte Lösungen zu ermöglichen, und andererseits vor allem jede Gefährdung des Antragstellers ("Opferschutz") zu berücksichtigen, die es abzustellen gilt.

Wieweit bei einstweiligen Verfügungen eine Einschränkung der einstweiligen Verfügung in Ansehung der "unmittelbaren Umgebung der Wohnung" noch als gerechtfertigt angesehen werden kann, richtet sich aber jeweils nach den Umständen des Einzelfalls und entzieht sich so einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 (§ 528 Abs 1) ZPO. Eine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz liegt aber hier auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass notwendige Kontrollen an technischen Anlagen in einem Haus mit mehreren Wohnungen (die Ausnahmeregelung der Vorinstanzen bezog sich ausdrücklich nicht auf die Ehewohnung) auch durch Dritte (Verwandte, Bekannte, Professionisten) erfolgen könnte, jedenfalls nicht vor.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§§ 78, 402 EO iVm § 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§§ 78, 402 EO iVm § 528a in Verbindung mit § 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E58096

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2000:0010OB00124.00T.0525.000

Im RIS seit

24.06.2000

Zuletzt aktualisiert am

28.02.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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