TE OGH 2000/6/15 15Os59/00 (15Os60/00)

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Veröffentlicht am 15.06.2000
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Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Juni 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lackner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Corrado Di G***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wider die gerichtliche Anordnung der Übersendung der Ladung zur Hauptverhandlung vom 27. November 1998 samt Beilagen ohne Übersetzung in die italienische Sprache im Verfahren AZ 1 U 43/97s des Bezirksgerichtes Silz und die Durchführung der Hauptverhandlung am 27. November 1998 sowie die Fällung eines Abwesenheitsurteiles ohne ordnungsgemäße Ladung samt Widerrufsbeschluss ohne Anhörung des Beschuldigten nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Schützenhofer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Corrado Di G*****, AZ 1 U 43/97s des Bezirksgerichtes Silz, verletzen

1) die mit Verfügung vom 20. Oktober 1998 vom Bezirksgericht Silz angeordnete direkte Übersendung der gerichtlichen Ladung zur Hauptverhandlung vom 27. November 1998 (samt Beilagen) auf dem Postweg mit Empfangsbestätigung ohne Anschluss einer Übersetzung der wesentlichen Passagen dieser Urkunden in die italienische Sprache

Art 52 Abs 2 SDÜ und

2) die in Abwesenheit des nicht gehörig geladenen Beschuldigten erfolgte Durchführung der Hauptverhandlung am 27. November 1998, sowie die anschließende Fällung eines Abwesenheitsurteils (§ 459 StPO) und die gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO in einem erfolgte Beschlussfassung ohne Anhörung auch § 494a Abs 3 StPO.

Das Abwesenheitsurteil des Bezirkgerichtes Silz vom 27. November 1998, GZ 1 U 43/97s-41, sowie der unter einem gefasste Widerrufsbeschluss werden aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung und Beschwerde auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Gegen den in Italien wohnhaften italienischen Staatsangehörigen Corrado Di G***** ist beim Bezirksgericht Silz im zweiten Rechtsgang zum AZ 1 U 43/97s ein Strafverfahren wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB anhängig.

Nach der Aktenlage bleibt offen, ob der Angeklagte der deutschen Sprache kundig ist; Anhaltspunkte, die dagegen sprechen, bieten S 6/ON 2, S 67/ON 7 sowie insbes im angeschlossenen Akt U 149/91 des Bezirksgerichtes Silz die S 126/ON 9 und S 133/ON 12.

Mit Verfügung vom 20. Oktober 1998 (S 3a/ON 1; vgl den an dieser Stelle angehefteten - vom Angeklagten nicht unterfertigten - internationalen Rückschein samt der offenbar wegen Annahmeverweigerung retournierten Sendung) wurde der Angeklagte vom Bezirksgericht Silz mittels internationalem Rückschein zur neuen, mit 27. November 1998 terminisierten Hauptverhandlung vorgeladen. Dem zur Ladung verwendeten StPO-Formular "Lad 3" waren die erforderliche Rechtsbelehrung, eine Aufforderung, sich gemäß § 494a Abs 3 StPO zum Widerrufsantrag des öffentlichen Anklägers zu äußern, eine Ausfertigung der kassatorischen Entscheidung des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. März 1998 (ON 36) und eine Gleichschrift des (gegen den ursprünglichen Verfolgungsantrag S 2 ausgetauschten) Antrags auf Bestrafung (ON 38) angeschlossen. Eine Übersetzung (zumindest der wesentlichen Passagen) dieser Schriftstücke in die italienische Sprache erfolgte nicht.Mit Verfügung vom 20. Oktober 1998 (S 3a/ON 1; vergleiche den an dieser Stelle angehefteten - vom Angeklagten nicht unterfertigten - internationalen Rückschein samt der offenbar wegen Annahmeverweigerung retournierten Sendung) wurde der Angeklagte vom Bezirksgericht Silz mittels internationalem Rückschein zur neuen, mit 27. November 1998 terminisierten Hauptverhandlung vorgeladen. Dem zur Ladung verwendeten StPO-Formular "Lad 3" waren die erforderliche Rechtsbelehrung, eine Aufforderung, sich gemäß § 494a Abs 3 StPO zum Widerrufsantrag des öffentlichen Anklägers zu äußern, eine Ausfertigung der kassatorischen Entscheidung des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. März 1998 (ON 36) und eine Gleichschrift des (gegen den ursprünglichen Verfolgungsantrag S 2 ausgetauschten) Antrags auf Bestrafung (ON 38) angeschlossen. Eine Übersetzung (zumindest der wesentlichen Passagen) dieser Schriftstücke in die italienische Sprache erfolgte nicht.

Am 27. November 1998 führte das Bezirksgericht Silz in Abwesenheit des Angeklagten eine Hauptverhandlung durch, fällte gegen ihn einen Schuldspruch wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB und verurteilte ihn nach dieser Gesetzesstelle zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe. Zugleich wurde die vom selben Gericht im Verfahren AZ U 149/91 gewährte bedingte Strafnachsicht gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO widerrufen (Hauptverhandlungsprotokoll ON 39, Urteilsausfertigung ON 41).

Die Staatsanwaltschaft Innsbruck bekämpft dieses Urteil einerseits zu Gunsten des Angeklagten mit einer aus dem Grund des "§ 468 Abs 1 Z 3 (analog § 281 Abs 1 Z 3) StPO" ausgeführten Berufung wegen Nichtigkeit und den Widerrufsbeschluss mit Beschwerde, andererseits zum Nachteil des Angeklagten mit Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 42), während der von den Entscheidungen des Bezirksgerichtes Silz ordnungsgemäß verständigte (ON 50 f; zur Erteilung der - inhaltlich unbekannten - Rechtsbelehrung siehe ON 49) Angeklagte weder den Rechtsbehelf des Einspruchs nach § 478 Abs 1 StPO noch ein ordentliches Rechtsmittel erhob.

Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, verletzt die vom Bezirksgericht Silz mit Verfügung vom 20. Oktober 1998 (S 3a) angeordnete direkte Übersendung der gerichtlichen Ladung zur Hauptverhandlung vom 27. November 1998 samt Beilagen auf dem Postweg mit Empfangsbestätigung das Gesetz in der Bestimmung des Art 52 Abs 2 SDÜ, weil die Beifügung jeglicher Urkundenübersetzung in die italienische Sprache unterblieben ist.

Rechtliche Beurteilung

Die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung vom 27. November 1998 in Abwesenheit des Angeklagten stehen mit dem in § 459 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK im Widerspruch und verletzen die - eine gehörige Vorladung des Beschuldigten voraussetzende - Bestimmung des § 459 StPO sowie die gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO mit dem Urteil erfolgte Beschlussfassung ohne Antrag des Angeklagten. § 494a Abs 3 StPO schützt allgemein den prozessualen Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Falle der Entscheidung nach Abs 1 leg cit § 459 StPO schützt diesen Grundsatz für den Fall der Durchführung einer Hauptverhandlung sowie die darin getroffenen Entscheidungen (Mayerhofer StPO4 § 459 E 1).

Wird also vom Urteilsgericht in der Hauptverhandlung mangels gehöriger Ladung die Anhörung zum Widerrufsantrag unterlassen und in Abwesenheit des Beschuldigten der gemäß § 494a Abs 4 StPO gefasste Beschluss zugleich mit dem Urteil verkündet, dann verstößt dies sowohl gegen § 459 als auch § 494a Abs 3 StPO.

Art 52 des für die Republik Österreich mit 1. Dezember 1997, für die Italienische Republik mit 26. Oktober 1997 in Kraft gesetzten (Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe, Übersicht über das SDÜ Rz 30) Schengener Durchführungsübereinkommen, BGBl III 1997/90 (SDÜ), soll das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, BGBl 1969/41, insbesondere dessen Art 7 Abs 1 ergänzen und seine Anwendung erleichtern (Art 48 Abs 1 SÜD). Er gestattet den Vertragsparteien Personen, die sich im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, gerichtliche Urkunden unmittelbar durch die Post zu übersenden.

Inhaltlich der iSd Art 52 Abs 1 SDÜ dem Exekutivausschuss zugeleiteten Liste (Schomburg/Lagodny, aaO, Art 52 SDÜ Rz 17) erklärte Österreich die Zustellung von Vorladungen vor das Bezirksgericht unmittelbar auf dem Postweg mit Empfangsbestätigung in andere Vertragsstaaten für zulässig.

Art 52 Abs 2 SDÜ bestimmt weiters, dass die Urkunde (oder zumindest deren wesentliche Passagen) in die Sprache oder in eine der Sprachen der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet der Empfänger sich aufhält, zu übersetzen ist (sind), wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Zustellungsempfänger der Sprache, in der die Urkunde abgefasst ist, unkundig ist. Wenn der zustellenden Behörde bekannt ist, dass der Empfänger nur einer anderen Sprache kundig ist, ist die Urkunde (oder sind zumindest die wesentlichen Passagen) in diese andere Sprache zu übersetzen.

Im vorliegenden Fall ergeben sich aus dem Akt (und aus dem Beiakt U 149/91 des Bezirksgerichtes Silz) Anhaltspunkte, dass der Angeklagte als in Italien wohnhafter italienischer Staatsangehöriger der deutschen Sprache nicht kundig ist und bei Abschluss eines Unterhaltsvergleiches von seiner österreichischen Bekannten Übersetzungshilfe erhalten hat.

Fallbezogene Zustellungsvoraussetzung ist daher eine vom Gericht zu veranlassende Übersetzung der wesentlichen Passagen der Vorladung in die italienische Sprache, weshalb die direkte Übersendung dieser gerichtlichen Urkunde ohne Anschluss der erforderlichen Übersetzungen iSd Art 52 SDÜ unzulässig und damit die Ladung zur Hauptverhandlung nicht als gehörig iSd § 459 StPO anzusehen ist.

Demgemäß war das Urteil samt Widerrufsbeschluss wie im Spruch zu beheben und die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung und Beschwerde auf diese Entscheidung zu verweisen.

Textnummer

E58345

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2000:0150OS00059..0615.000

Im RIS seit

15.07.2000

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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