TE Vfgh Beschluss 2002/6/29 G333/01

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.06.2002
beobachten
merken

Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
ASVG §135a
SV-WUBG ArtI Z52, Z53

Leitsatz

Zurückweisung eines "Drittelantrags" von Abgeordneten des Nationalrates auf Aufhebung von die Ambulanzgebühr regelnden Bestimmungen des ASVG in der Fassung vor der sogenannten "Euro- Umstellung" infolge Neufassung der bekämpften Vorschriften unabhängig von unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht; Unzulässigkeit auch der von der Neufassung nicht berührten Eventualanträge angesichts untrennbarer Einheit; Unzulässigkeit einer bedingten Ergänzung des Hauptantrags mangels eines bestimmten Begehrens

Spruch

Der Antrag auf Aufhebung des §135a Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 35/2001, wird einschließlich der Ergänzung vom 28. Februar 2002 (ONr. 6) zurückgewiesen.

Über den mit Schriftsatz vom 28. Februar 2002 gestellten (neuen) Antrag auf Aufhebung des §135a Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 idF der Bundesgesetze BGBl. I Nr. 35/2001 und BGBl. I Nr. 67/2001, wird - einschließlich der Eventualanträge - gesondert entschieden werden.

Begründung

Begründung:

1. Mit Schriftsatz vom 19. November 2001, beim Verfassungsgerichtshof eingelangt am 21. November 2001, beantragen 64 Mitglieder des Nationalrates - gestützt auf Art140 Abs1 B-VG -, der Verfassungsgerichtshof möge §135a Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 35/2001, hilfsweise näher bezeichnete Teile des §135a ASVG (nämlich den Abs1, die Z1, 2, 4, 7 und 8 des Abs2 sowie den Abs4), als verfassungswidrig aufheben.

Der angefochtene §135a ASVG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 35/2001 hatte folgenden Wortlaut:

"Behandlungsbeitrag-Ambulanz

§135a. (1) Für jede Inanspruchnahme einer ambulanten Behandlung nach diesem Abschnitt

1. in Krankenanstalten, die über Landesfonds finanziert werden,

2. in bettenführenden Vertragskrankenanstalten,

3. in bettenführenden eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger (mit Ausnahme der Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation), soweit es sich nicht um eine Rehabilitationsmaßnahme oder Jugendlichen- oder Vorsorge-(Gesunden-)untersuchung handelt,

ist pro Ambulanzbesuch ein Behandlungsbeitrag zu zahlen. Liegt ein entsprechender Überweisungsschein vor, so beträgt der Behandlungsbeitrag 150 S, sonst 250 S. Der Behandlungsbeitrag darf pro Versicherten (Angehörigen) 1000 S im Kalenderjahr nicht übersteigen. Der Behandlungsbeitrag ist jeweils für ein Quartal im nachhinein, erstmalig spätestens am 1. Oktober 2001, einzuheben.

(2) Der Behandlungsbeitrag darf nicht eingehoben werden

1. für Kinder nach §123 Abs2 Z2 bis 6 und Abs4 sowie Kinder nach §260 ohne anderes Einkommen,

2. wenn in medizinischen Notfällen, wegen Lebensgefahr oder aus anderen Gründen unmittelbar eine stationäre Aufnahme erfolgt,

3. in Fällen, in denen ein Auftrag eines Sozialversicherungsträgers oder eines Gerichts im Zusammenhang mit einem Verfahren über Leistungssachen zu Einweisung in eine Ambulanz zwecks Befundung und Begutachtung (§22 Abs3 zweiter Halbsatz KAG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 5/2001) vorliegt,

4. für Personen, die auf Grund der Richtlinien nach §31 Abs5 Z16 von der Rezeptgebühr befreit sind,

5. für Personen, die Leistungen infolge einer Schwangerschaft im Rahmen des Mutter-Kind-Passes oder Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft in Anspruch nehmen,

6. für Personen, die Teile des Körpers nach §120 Abs2 oder Blut(plasma) spenden,

7. bei Behandlung für Dialyse oder bei Strahlen- oder Chemotherapie in Ambulanzen,

8. wenn der (die) Versicherte (Angehörige) im Zusammenhang mit ein und demselben Behandlungsfall an Ambulanzen anderer Fachrichtungen überwiesen wird.

Dies gilt nicht, wenn der Ambulanzbesuch durch schuldhafte Beteiligung an einem Raufhandel bedingt ist oder sich als unmittelbare Folge von Trunkenheit oder Missbrauch von Suchtgiften erweist.

(3) Die Einhebung des Behandlungsbeitrages erfolgt durch die zuständigen Krankenversicherungsträger, denen auch die Feststellung jener Fälle obliegt, in denen nach Abs2 kein Behandlungsbeitrag eingehoben werden darf. Der Krankenversicherungsträger hat nach Maßgabe der sozialen Schutzbedürftigkeit des Versicherten auf Antrag von der Einhebung des Behandlungsbeitrages abzusehen oder einen bereits entrichteten Behandlungsbeitrag rückzuerstatten.

(4) Die mit der Einhebung des Behandlungsbeitrages verbundenen Verwaltungskosten der Krankenversicherungsträger dürfen je Kalenderjahr mit nicht mehr als 6,5 % der Summe der in diesem Kalenderjahr vorgeschriebenen Behandlungsbeiträge verrechnet werden und sind bei der Rückführung des Verwaltungs- und Verrechnungsaufwandes nach §588 Abs14 außer Acht zu lassen."

2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung zum Gegenstand erstattet, in der die Verfassungsmäßigkeit des §135a ASVG verteidigt wird. Hilfsweise wird beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge für den Fall der Aufhebung für das Außerkrafttreten des §135a ASVG eine Frist von achtzehn Monaten bestimmen.

3. Im Rahmen des Sozialversicherungs-Währungsumstellungs-Begleitgesetzes (SV-WUBG), BGBl. I Nr. 67/2001, wurden die im Abs1 des §135a ASVG enthaltenen Geldbeträge mit Wirkung vom 1. Jänner 2002 durch die entsprechenden Euro-Beträge ersetzt.

Mit hg. Verfügung vom 29. Jänner 2002 wurden die Parteien des Verfahrens aufgefordert, sich binnen sechs Wochen zu der Frage zu äußern, ob bzw. in welcher Weise durch die angesprochene Neufassung des §135a ASVG die Zulässigkeit des Antrags berührt werde.

3.1. Die Bundesregierung bezog in ihrer Äußerung vom 5. März 2002 den Standpunkt, der Antrag sei seit dem Inkrafttreten der vom Nationalrat beschlossenen Neufassung des §135a ASVG am 1. Jänner 2002 als unzulässig zu werten, weil er nunmehr eine nicht mehr geltende Gesetzesbestimmung zum Gegenstand habe.

3.2. Die Antragsteller erstatteten ebenfalls rechtzeitig eine Äußerung, in der die Auffassung vertreten wird, die mit Wirkung vom 1. Jänner 2002 vorgenommene Neufassung des §135a ASVG habe im Hinblick auf die - unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht bildende - Verordnung (EG) Nr. 974/98 des Rates vom 3. Mai 1998 über die Einführung des Euro, ABl. L 139, S 1 ff, bloß deklaratorische Wirkung. In Art14 dieser Verordnung werde nämlich bestimmt, daß in Fällen, in denen in Rechtsinstrumenten (dazu gehören auch jegliche Rechtsvorschriften; vgl. Art1 leg. cit.), die am Ende der Übergangszeit bestehen, auf nationale Währungseinheiten Bezug genommen werde, dies als Bezugnahme auf die Euro-Einheit entsprechend dem jeweiligen Umrechnungskurs zu verstehen sei. Die Novelle BGBl. I Nr. 67/2001 habe dem §135a ASVG somit keinen anderen Inhalt gegeben als jenen, den er auf Grund unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts ohnedies hätte.

Für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof die Auffassung der Antragsteller, die vorgenommene Neufassung des §135a ASVG vermöge die Zulässigkeit des Antrags nicht zu beeinträchtigen, nicht teilen sollte, werde der Antrag jedoch dahin ergänzt, daß die Bestimmung des §135a ASVG auch in der Fassung des SV-WUBG, BGBl. I Nr. 67/2001, angefochten werde.

Für den Fall aber, daß auch diese Änderung des Antrags vom Verfassungsgerichtshof nicht als zulässig erachtet werden sollte, werde "aus Gründen der anwaltlichen Vorsicht" zusätzlich ein wortgleicher Antrag auf Aufhebung des §135a ASVG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 67/2001 eingebracht. Dieser Antrag wurde hg. vorläufig als ONr. 6 protokolliert.

4. Der Antrag vom 19. November 2001 erweist sich ebenso wie die Ergänzung vom 28. Februar 2002 als unzulässig:

4.1. Gemäß dem zweiten Satz des Art140 Abs1 B-VG ist ein Drittel der Mitglieder des Nationalrates berechtigt, die Verfassungswidrigkeit bundesgesetzlicher Bestimmungen vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen. Die einschreitenden 64 Abgeordneten zum Nationalrat verkörpern mehr als ein Drittel der Mitglieder des Nationalrates (vgl. auch §1 Abs1 Nationalrats-Wahlordnung 1992 - NRWO), sodaß dem erwähnten Erfordernis entsprochen ist.

4.2. Wie sich aus Art140 Abs4 B-VG ergibt, ist ein von Mitgliedern des Nationalrates eingebrachter Antrag als Fall einer abstrakten Normenkontrolle nur gegen geltende, nicht aber gegen schon außer Kraft getretene Rechtsvorschriften zulässig (vgl. zuletzt VfGH 28. November 2001, G129/01 mwN).

Durch Art1 Z52 und Z53

Sozialversicherungs-Währungsumstellungs-Begleitgesetz (SV-WUBG), BGBl. I Nr. 67/2001, das am 1. Jänner 2002, somit nach Einbringung des vorliegenden Antrags, in Kraft getreten ist, wurden die in §135a Abs1 zweiter und dritter Satz ASVG normierten Schilling-Beträge "150 S", "250 S" und "1000 S" durch die entsprechenden Euro-Beträge ersetzt (10,90 €, 18,17 € bzw. 72,67 €).

4.2.1. Soweit die Antragsteller in ihrem ergänzenden Schriftsatz vom 28. Februar 2002 (S 6) zum Ausdruck bringen, ihren Antrag "um das genannte Bundesgesetzblatt" ergänzen zu wollen, erweist sich dies im Hinblick darauf als unzulässig, daß die Antragsteller dies unter den Vorbehalt gestellt haben, "Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof die Auffassung der Antragsteller nicht teilt" (woran sich eine Kurzzusammenfassung dieser Auffassung anschließt). Damit haben die Antragsteller aber keinen (nur von der Art der Erledigung des Hauptantrages abhängigen) Eventualantrag gestellt. Es handelt sich dabei vielmehr um einen bedingten Antrag, der schon dann als nicht gestellt anzusehen wäre, wenn die Bedingung nicht eintritt, zB wenn der Hauptantrag aus anderen als den von den Antragstellern angenommenen Gründen ab- oder zurückgewiesen wird. Ein solcher bedingter Antrag ist - weil ihm ein "bestimmtes Begehren" (§15 Abs2 VfGG) fehlt - nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unzulässig (vgl. zB VfSlg. 13.866/1994 mwN).

4.2.2. Die vorerwähnte Gesetzesänderung führt zur Unzulässigkeit des Antrag in jener Fassung, in der er noch im Jahr 2001 eingebracht wurde:

a) Auch wenn nämlich das SV-WUBG den §135a Abs1 ASVG bloß in der Weise neu gefaßt hat, daß diese Gesetzesbestimmung nunmehr jenen Inhalt aufweist, den sie auch ohne Ergehen des SV-WUBG, nämlich bereits auf Grund des unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts, hätte (vgl. Art14 Verordnung (EG) Nr. 974/98 des Rates vom 3. Mai 1998 über die Einführung des Euro, ABl. L 139, S 1 ff, iVm der Verordnung (EG) Nr. 1103/97 des Rates vom 17. Juni 1997 über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro, ABl. L 162, S 1 ff, worin die Rundungsregeln niedergelegt sind, sowie der Verordnung (EG) Nr. 2866/98 des Rates vom 31. Dezember 1998 über die Umrechnungskurse zwischen dem Euro und den Währungen der Mitgliedstaaten, die den Euro einführen, ABl. L 359, S 1 ff, worin als Umrechnungskurs 13,7603 Schilling je Euro festgelegt wurde), so ist doch allein entscheidend, daß durch die im Rahmen des SV-WUBG vorgenommene Neufassung des §135a ASVG - somit durch einen Akt des Gesetzgebers - die mit Schriftsatz vom 19. November 2001 angefochtene Fassung des §135a ASVG im Sinne des Art140 Abs4 erster Satz B-VG "außer Kraft" gesetzt worden ist. In welchem inhaltlichen Verhältnis diese Neufassung zu unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht steht, ist angesichts des den Gesetzesbeschluß allein tragenden Willens des Gesetzgebers unerheblich.

b) Die Abs2 bis 4 des §135a ASVG bilden wieder insoweit, als Bedenken ausschließlich gegen diese Bestimmungen (oder Teile von ihnen) erhoben werden, mit dem ersten Absatz des §135a ASVG eine untrennbare Einheit: Die gegen sie vorgebrachten Bedenken (zB gegen die Sachlichkeit einzelner Ausnahmen des Abs2) sind zT nur vor dem Hintergrund der behaupteten Verfassungswidrigkeit des §135a Abs1 ASVG zu sehen, zT hätte die Aufhebung einzelner dieser Bestimmungen zur Folge, daß sich die Bedenken gegen die übrigen Teile des §135a ASVG, va. gegen den Abs1, noch verstärken würden. Aus diesen Erwägungen waren auch die von der angesprochenen Neufassung des §135a Abs1 ASVG an sich nicht berührten Eventualanträge als unzulässig zurückzuweisen (vgl. VfGH 28. Juni 2001, G72/00).

c) Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Gesetzgeber habe die zur Aufhebung beantragte Gesetzesbestimmung "in der erweislichen oder doch vom Ergebnis her erschließbaren Absicht [geändert], ein anhängiges Gesetzesprüfungsverfahren ganz oder teilweise zu vereiteln" (idS VfSlg. 10.091/1984 [S 707]), was im Hinblick auf das Ziel des Art140 B-VG, eine umfassende Kontrolle der Legislativakte auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu gewährleisten, als verfassungswidrig zu werten wäre (vgl. auch VfSlg. 14.802/1997 [S 397]; VfGH 28. November 2001, G129/01).

4.3. Der Antrag vom 19. November 2001 war daher ebenso wie die mit Schriftsatz vom 28. Februar 2002 vorgenommene "Ergänzung" dieses Antrags als unzulässig zurückzuweisen, was ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte (§19 Abs3 Z2 lite bzw. lit. a VfGG).

5. Das Verfahren über den von den antragstellenden Abgeordneten mit Schriftsatz vom 28. Februar 2002 gestellten, zunächst als ONr. 6 im vorliegenden Verfahren protokollierten (neuerlichen) Antrag auf Aufhebung des §135a ASVG idF der Bundesgesetze BGBl. I Nr. 35/2001 und BGBl. I Nr. 67/2001, über den bereits ein Vorverfahren geführt worden ist, wird künftig zu G214/02 geführt werden.

Schlagworte

EU-Recht, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Sozialversicherung, Krankenversicherung, Ambulanzgebühr, VfGH / Antrag, Eventualantrag, VfGH / Prüfungsgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G333.2001

Dokumentnummer

JFT_09979371_01G00333_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten