TE Vwgh Erkenntnis 2006/12/18 2006/11/0211

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Veröffentlicht am 18.12.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/06 Verkehrsteuern;
68/01 Behinderteneinstellung;
68/02 Sonstiges Sozialrecht;
96/02 Sonstige Angelegenheiten des Straßenbaus;

Norm

BBG 1990 §40 Abs1;
BBG 1990 §40;
BBG 1990 §42 Abs1;
BBG 1990 §45 Abs1;
BBG 1990 §45 Abs2;
BEinstG §14 Abs2;
BEinstG §14 Abs5;
BStMG 2002 §13 Abs2;
KfzStG 1992 §2 Abs1 Z12 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der G in W, vertreten durch Dr. Martina Schweiger-Apfelthaler, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Graf Starhemberg-Gasse 39/12, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten vom 5. März 2004, Zl. 41.550/780-9/03, betreffend Eintragung von Zusatzvermerken in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach der Aktenlage gehört die im Jahr 1943 geborene Beschwerdeführerin dem Kreis der begünstigten Behinderten gemäß § 14 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes an.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 5. März 2004 wies die beim Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz errichtete Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten den Antrag der Beschwerdeführerin auf Eintrag des Zusatzvermerkes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in den Behindertenpass ab. Als Rechtsgrundlagen waren §§ 42 Abs. 1 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) sowie § 66 Abs. 4 AVG und § 13 Abs. 2 des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 angegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten (auszugsweise):

"ABSCHNITT VI

BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 % ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vor- und Familiennamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

..."

Im Zusammenhang mit der von der Beschwerdeführerin begehrten Eintragung ist zu beachten, dass diese etwa einen der Nachweise der für die Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer maßgebenden Körperbehinderung gemäß § 2 Abs. 1 Z. 12 lit. b des Kraftfahrzeugsteuergesetzes 1992 sowie für die kostenlose Zurverfügungstellung einer Jahresvignette gemäß § 13 Abs. 2 des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 darstellt. Beide Bestimmungen sehen die jeweilige Begünstigung nur vor, wenn die betreffende Person im Besitz eines Behindertenpasses gemäß § 40 BBG ist, in dem u.a. die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung im Behindertenpass eingetragen ist.

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Die belangte Behörde stützt sich im angefochtenen Bescheid auf von ihr eingeholte fachärztliche Gutachten, nämlich ein orthopädisches Sachverständigengutachten Dris. K., ein nervenfachärztliches Gutachten Dris. F., sowie schließlich auf ein Gutachten eines Amtssachverständigen für Allgemeinmedizin (Dr. L.), denen zufolge bei der Beschwerdeführerin ein operiertes Neurinom beidseits an den Sohlen, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Neigung zu Herzrhythmusstörungen, Hypertonie, Diabetes mellitus (orale Medikation), Bewegungseinschränkung rechte Schulter - Gebrauchsarm, Polyarthralgien sowie eine chronifizierte Klaustrophobie diagnostiziert worden seien. Aus orthopädischer Sicht sei die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel möglich, aus neuropsychiatrischer Sicht sei die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel grundsätzlich möglich, die "phobische Vermeidung" derselben sei "kontraindiziert". Auch aus allgemeinmedizinischer Sicht seien öffentliche Verkehrsmittel "jedenfalls zumutbar". Dieses Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht worden. In ihrer Stellungnahme dazu habe die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass sie seit ihrem 20. Lebensjahr an Klaustrophobie leide, wobei vielfache Therapien lediglich eine geringe Linderung der Symptomatik bewirkt hätten. Trotz dieser zahlreichen Therapien würden schon kleinste Menschenansammlungen oder enge Räume zu Panikattacken, Atembeschwerden sowie Schweißausbrüchen führen, sodass ihr die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar sei. Die Beschwerdeführerin habe dazu auch einen ärztlichen Befund vorgelegt. Eine Überprüfung des vorgelegten Befundes und des Vorbringens der Beschwerdeführerin durch eine (namentlich genannte), eine "Oberbegutachtung" vornehmende, Amtssachverständige habe jedoch ergeben, dass dadurch keine Änderung der ärztlichen Beurteilung resultiere. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin seien daher nicht geeignet, die Beweiskraft der ärztlichen Sachverständigengutachten, die keine Widersprüche aufwiesen, zu entkräften.

2.2. Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 20. April 2004, Zl. 2003/11/0078, und vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242).

Die Beschwerdeführerin hat, wie auch die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides einräumt, im Verwaltungsverfahren ausdrücklich darauf hingewiesen, seit ihrem 20. Lebensjahr an Klaustrophobie zu leiden, wobei vielfache Therapien lediglich eine geringe Linderung der Symptomatik bewirkt hätten. Trotz dieser zahlreichen Therapien würden schon kleinste Menschenansammlungen bzw. enge Räume zu Panikattacken, Atembeschwerden sowie Schweißausbrüchen führen. Aus dem von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Befund einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 7. Jänner 2004 geht hervor, dass die Beschwerdeführerin seit Jahren an Panikattacken leidet und trotz einiger therapeutischer Gespräche keine Besserung eingetreten sei.

Dass die Beschwerdeführerin an Klaustrophobie leidet, geht auch aus dem von der belangten Behörde verwerteten nervenärztlichen Sachverständigengutachten Dris. F. hervor, in dem von "chronifizierter" Klaustrophobie die Rede ist. Die in diesem Gutachten anschließende Beurteilung, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei "grundsätzlich möglich", die "phobische Vermeidung" sei aus neuropsychiatrischer Sicht "kontraindiziert", lässt jedoch die im Beschwerdefall maßgebliche Sachfrage offen, ob nämlich die Beschwerdeführerin in einem Ausmaß an Klaustrophobie leidet, dass bei ihr die in ihrer Stellungnahme angesprochenen körperlichen Reaktionen bei Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittel eintreten würden. Diesfalls könnte nicht ernsthaft davon gesprochen werden, dass der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist. Nicht wesentlich ist im Beschwerdefall hingegen, ob aus neuropsychiatrischer Sicht die Vermeidung öffentlicher Verkehrsmittel "kontraindiziert" sei.

Das von der belangten Behörde zur Begründung des angefochtenen Bescheides herangezogene Gutachten stellt nach dem Gesagten keine ausreichende Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar.

2.3. Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

3. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 18. Dezember 2006

Schlagworte

Begründung BegründungsmangelBesondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006110211.X00

Im RIS seit

30.01.2007

Zuletzt aktualisiert am

10.07.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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