TE OGH 2000/7/21 7Rs375/99i

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Veröffentlicht am 21.07.2000
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Hellwagner (Vorsitzender), die Richter des Oberlandesgerichtes DDr.Huberger und Dr.Manica sowie die fachkundigen Laienrichter Paul Handler (AG) und Alfred Baldia (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W*****, 1***** Wien, vertreten durch Mag.R*****, Rechtsanwalt in Wien, als bestellter Verfahrenshelfer wider die beklagte Partei P*****, 1***** Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 1.9.1999, 4 Cgs 116/96v-62, nach mündlicher Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass es wie folgt lautet:

"Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß über den Monat Juni 1996 hinaus zu gewähren.

Der beklagten Partei wird aufgetragen, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe festsetzenden Bescheides ab dem 1.7.1996 eine vorläufige Zahlung von S 6.000,-- monatlich zu erbringen.

Die mit Rechtskraft fälligen Beträge sind binnen 14 Tagen zu zahlen; die bis zur Erlassung des die Höhe festsetzenden Bescheides zu zahlenden Beträge sind jeweils am Ersten der jeweiligen Folgemonate zu zahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, dem Kläger die mit S 11.833,92 (darin S 1.972,32) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, dem Kläger die mit S 9.808,32 (darin S 1.634,72 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Text

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 17.5.1996 wurde dem Kläger die Invaliditätspension mit Ablauf des Monates Juni 1996 gemäß § 99 ASVG entzogen. Mit den in drei Rechtsgängen ergangenen Urteilen (ON 25, ON 39), zuletzt mit Urteil vom 1.9.1999, ON 62, wies das Erstgericht das auf den Zuspruch der Invaliditätspension über den Monat Juni 1996 hinaus gerichtete Klagebegehren ab. Es traf die auf den Seiten 2 und 3 der Urteilsausfertigungen (= AS 202 und 203) wiedergegebenen Feststellungen, auf welche verwiesen wird. Im Hinblick auf die vom Berufungsgericht durchgeführte Beweiswiederholung kann von einer Wiedergabe der erstgerichtlichen Feststellung Abstand genommen werden.Mit Bescheid der beklagten Partei vom 17.5.1996 wurde dem Kläger die Invaliditätspension mit Ablauf des Monates Juni 1996 gemäß Paragraph 99, ASVG entzogen. Mit den in drei Rechtsgängen ergangenen Urteilen (ON 25, ON 39), zuletzt mit Urteil vom 1.9.1999, ON 62, wies das Erstgericht das auf den Zuspruch der Invaliditätspension über den Monat Juni 1996 hinaus gerichtete Klagebegehren ab. Es traf die auf den Seiten 2 und 3 der Urteilsausfertigungen (= AS 202 und 203) wiedergegebenen Feststellungen, auf welche verwiesen wird. Im Hinblick auf die vom Berufungsgericht durchgeführte Beweiswiederholung kann von einer Wiedergabe der erstgerichtlichen Feststellung Abstand genommen werden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, beim Kläger sei eine wesentliche Besserung eingetreten, sodass er leichte und mittelschwere Arbeiten mit gewissen Einschränkungen leisten könne. Mangels Berufsschutz sei eine Verweisbarkeit am gesamten Arbeitsmarkt gegeben. Der Kläger könne auf folgende Hilfsarbeiterberufe verwiesen werden: Abservierer in Selbstbedienungsrestaurants, Hilfskraft an Leergutkassen in Großmärkten, Fabrikswächter und Baustellenwächter sowie Fabriksportier. Die gemäß § 99 Abs.1 ASVG erfolgte Entziehung der Invaliditätspension sei zu Recht erfolgt.In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, beim Kläger sei eine wesentliche Besserung eingetreten, sodass er leichte und mittelschwere Arbeiten mit gewissen Einschränkungen leisten könne. Mangels Berufsschutz sei eine Verweisbarkeit am gesamten Arbeitsmarkt gegeben. Der Kläger könne auf folgende Hilfsarbeiterberufe verwiesen werden: Abservierer in Selbstbedienungsrestaurants, Hilfskraft an Leergutkassen in Großmärkten, Fabrikswächter und Baustellenwächter sowie Fabriksportier. Die gemäß Paragraph 99, Absatz , ASVG erfolgte Entziehung der Invaliditätspension sei zu Recht erfolgt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben. Die Berufung ist berechtigt.

Im Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichtes vom 16.12.1998, ON 49 wurde unter anderem die Einholung eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens für notwendig erachtet, um unter Bedachtnahme auf die beim Kläger an den Händen bestehenden sichtbaren starken Ekzeme, die mit Schuppen und Rissbildungen verbunden seien, zu klären, welche Verweisungsberufe für den Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhanden seien. Da das Erstgericht sich mit diesen Fragen jedoch nicht auseinandergesetzt hat, wird in der Berufung zutreffend als Mangelhaftigkeit des Verfahrens gerügt. Das Berufungsgericht hat daher eine Beweiswiederholung und eine Beweisergänzung durch Einholung eines Gutachtens des berufskundlichen Sachverständigen Dr.Harald Egger und eines ergänzenden Gutachtens des Sachverständigen OMed.Rat.Dr.Hans-Peter Heves durchgeführt. Das Berufungsgericht stellt folgenden Sachverhalt fest:

Der am 6.5.1941 geborene Kläger bezog zunächst vom 1.9.1994 bis 31.7.1995 eine vorübergehende Invaliditätspension mit der Diagnose Peritonsillenkarzinom.

Aufgrund des Antrages des Klägers vom 17.5.1995 auf Weitergewährung der Invaliditätspension wurde mit Bescheid der beklagten Partei vom 12.9.1995 (Pensionsakt StZl 75) die bis 31.7.1995 befristet zuerkannte Invaliditätspension für die weitere Dauer der Invalidität gewährt. Dem lag ein Diagnosezustand nach Entfernung einer bösartigen Geschwulst (Plasterepithelkarzinom) der Mundschleimhaut und vorübergehender Anlegung eines Trachiostomas nach vorbereitender Chemotherapie zugrunde (Stand vor 25.8.1995).

Der Kläger leidet an einer Zementallergie. Es bestehen starke Ekzeme an beiden Händen, die Haut ist an den Händen verdickt, schuppend, rissig, zum Teil sind kleine Bläschen interdigital. Es besteht ein chronisches hyperkeratotisches Handekzem auf Basis einer Kontaktallergie gegen Kaliumdichromat, Thiuram, Kobalt und Duftstoffe sowie potentiell reizende Stoffe wie Chemikalien, Putzmittel und vermehrter Wasser- und Schmutzkontakt. Dieser Zustand besteht seit Antragstellung und ist nicht besserbar (Gutachten der dermatologischen Sachverständigen ON 12, ON 18 und ON 54). Arbeiten mit Schutzhandschuhen sind nicht zumutbar, Arbeiten mit Zwirnhandschuhen kämen nur stundenweise, keinesfalls aber verteilt über einen ganzen Arbeitstag in Frage.

Der Kläger war 1978 in stationärer Behandlung wegen der Ekzeme. Zuletzt hat der Kläger 1978 in seinem erlernten Beruf als Maurer gearbeitet. In den letzten 15 Jahren vor Antragstellung hat er 23 Beitragsmonate der freiwilligen Weiterversicherung erworben. Aus HNO-fachärztlicher Sicht ist der Kläger für alle leichten bis mittelschweren Tätigkeiten bei Einhaltung der üblichen Arbeitszeiten und üblichen Arbeitspausen mit Ausnahme von Sprechberufen geeignet (Gutachten ON 11, ON 35, ON 55 und ON 58).

Aus neurologischer-psychiatrischer Sicht ist der Kläger für eine Bewachungstätigkeit nicht geeignet, weil für ihn das Erlernen und das Benützen einer Waffe (Schusswaffe, Schlagstock) und das Eingreifen in einer Krisenintervention ausgeschlossen ist, er ist zum Anhalten und Stelligmachen von Personen nicht geeignet (Ergänzungsgutachten Dr.Heves).

Aus synoptischer Sicht ist der Kläger für leichte bis mittelschwere Arbeiten bei durchschnittlichem Zeitdruck, ausgenommen Sprechberufe mit den dermatologischen und neurologisch-psychiatrischen Einschränkungen geeignet.

Aufgrund des medizinischen Kalküles unter Bedachtnahme auf die Hautallergie besteht für den Kläger keine Verweisungsmöglichkeit. Wegen der Handekzeme ist der Kläger von der Tätigkeit eines Tagportieres unter Berücksichtigung des Kundenkontaktes ausgeschlossen. Eine Verweisung auf die Tätigkeit eines Nachtportiers oder eine Bewachungstätigkeit kommt wegen der fehlenden Eignung des Klägers für ein Eingreifen in einer Krisensituation nicht in Betracht. In Österreich gibt es keine 100 Arbeitsplätze betreffend die Tätigkeit von Nachtportieren, bei denen eine Krisenintervention auszuschließen ist.

Eine Tätigkeit als Hilfskraft an Leergutkassen in Großmärkten und als Abservierer in Selbstbedienungsrestaurants scheiden, abgesehen dass es sich hiebei lediglich um Teiltätigkeiten handelt, wegen der möglichen Kontakte mit allergenen Stoffen aus, desgleichen ist der Kläger von Verpackungstätigkeiten ausgeschlossen.

Auch unter Bedachtnahme auf eine 18-jährige Berufsabsenz ist eine abstrakte Vermittelbarkeit des Klägers nicht gegeben. Diese Feststellungen gründen sich teilweise auf das angefochtene Urteil, soweit sie unangefochten blieben. Die weiteren Feststellungen gründen sich auf die vom Berufungsgericht eingeholten unbedenklichen Ergänzungsgutachten des medizinischen Sachverständigen OMed.Rat.Dr.Hans-Peter Heves und des berufskundigen Sachverständigen Dr.Harald Egger.

Mangels eines Berufsschutzes des Klägers ist nach § 255 Abs.3 ASVG i. V.m. § 99 ASVG zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Weitergewährung der Invaliditätspension im Zeitpunkt der Antragstellung durch den Kläger vorlagen. Da unter Berücksichtigung des medizinischen Leistungskalküls eine Verweisungstätigkeit des Klägers nicht in Frage kommt, ist der Kläger als invalid im Sinne des § 255 Abs.3 ASVG anzusehen. Die Voraussetzungen für eine Entziehung der Invaliditätspension mit Ablauf des Monates Juni 1996 lagen nicht vor, weil der Kläger auf dem Arbeitsmarkt nicht einsetzbar ist (vgl. SVSlg.42.209).Mangels eines Berufsschutzes des Klägers ist nach Paragraph 255, Absatz , ASVG i. römisch fünf.m. Paragraph 99, ASVG zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Weitergewährung der Invaliditätspension im Zeitpunkt der Antragstellung durch den Kläger vorlagen. Da unter Berücksichtigung des medizinischen Leistungskalküls eine Verweisungstätigkeit des Klägers nicht in Frage kommt, ist der Kläger als invalid im Sinne des Paragraph 255, Absatz , ASVG anzusehen. Die Voraussetzungen für eine Entziehung der Invaliditätspension mit Ablauf des Monates Juni 1996 lagen nicht vor, weil der Kläger auf dem Arbeitsmarkt nicht einsetzbar ist vergleiche SVSlg.42.209).

Aus den angeführten Gründen war der Berufung Folge zu geben und wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.

Gemäß § 89 Abs.2 ASGG war der beklagten Partei bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung aufzutragen, welche gemäß § 273 ZPO zu bestimmen war (SSV-NF 3/58). Gemäß den §§ 2 ASGG, 409 ZPO war eine Leistungsfrist festzusetzen (vgl. SSV-NF 4/26).Gemäß Paragraph 89, Absatz , ASGG war der beklagten Partei bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung aufzutragen, welche gemäß Paragraph 273, ZPO zu bestimmen war (SSV-NF 3/58). Gemäß den Paragraphen 2, ASGG, 409 ZPO war eine Leistungsfrist festzusetzen vergleiche SSV-NF 4/26).

Gemäß § 77 Abs.1 Z 2 lit.a und Abs.2 ASGG hat der Kläger Anspruch auf Ersatz der Kosten beider Verfahren.Gemäß Paragraph 77, Absatz , Ziffer 2, Litera und Absatz , ASGG hat der Kläger Anspruch auf Ersatz der Kosten beider Verfahren.

Gemäß § 45 Abs.3 ASGG hat ein Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision zu unterbleiben, weil ein privilegierter Fall im Sinne des § 46 Abs.3 Z 3 ASGG vorliegt, in welchem die Revision zulässig ist. Oberlandesgericht WienGemäß Paragraph 45, Absatz , ASGG hat ein Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision zu unterbleiben, weil ein privilegierter Fall im Sinne des Paragraph 46, Absatz , Ziffer 3, ASGG vorliegt, in welchem die Revision zulässig ist. Oberlandesgericht Wien

1016 Wien, Schmerlingplatz 11

Anmerkung

EW00370 7Rs375-99i

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLGW009:2000:0070RS00375.99I.0721.000

Dokumentnummer

JJT_20000721_OLGW009_0070RS00375_99I0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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