TE OGH 2000/7/25 1Ob112/00b

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Veröffentlicht am 25.07.2000
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ingrid F*****, 2. Dr. Herbert L*****, und 3. Ursula L*****, beide ***** sämtliche vertreten durch Gabler & Gibel, RA-Partnerschaft in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 500.000 sA infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 7. März 2000, GZ 3 R 307/99k-15, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 23. September 1999, GZ 6 C 196/99w-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Am 30. 12. 1982 vermieteten die klagenden Parteien Räumlichkeiten auf einer ihnen gehörigen Liegenschaft an die beklagte Partei. Zum 31. 3. 1998 wurde das Mietverhältnis beendet; die Übergabe des Bestandobjekts fand an diesem Tage statt.

Die klagenden Parteien begehren aus dem Rechtsgrund des § 1111 ABGB die Zahlung von S 500.000 mit der Behauptung, die beklagte Partei habe erhebliche Schäden am Bestandobjekt verursacht. Im Zuge einer Teileinigung habe die beklagte Partei S 305.000 überwiesen, eine endgültige Abfindung der Schäden habe aber nicht erlangt werden können. Einer Verlängerung der im § 1111 ABGB normierten Präklusivfrist habe die beklagte Partei nicht zugestimmt, weshalb die Klage unverzüglich eingebracht worden sei. Diese sie nicht verfristet, weil sie bereits am 29. 3. 1999, also vor Ablauf der einjährigen Präklusivfrist des § 1111 ABGB, an das zuständige Gericht abgesandt worden sei.

Die beklagte Partei wendete ein, die Klage sei erst am 2. 4. 1999 - also nach Ablauf der einjährigen Präklusivfrist des § 1111 ABGB - beim Erstgericht eingelangt. Demnach sei das Recht der klagenden Parteien erloschen. Der Ablauf der Präklusivfrist sei mangels Vergleichsverhandlungen zwischen den Streitteilen nicht gehemmt worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klage sei zwar innerhalb der einjährigen Präklusivfrist des § 1111 ABGB abgesandt und richtig an das Erstgericht adressiert worden, sie sei aber auf Grund eines Versehens der Post am 30. 3. 1999 beim LG für ZRS Graz eingelangt und von dort dem BG für ZRS Graz übermittelt worden, wo sie erst am 2. 4. 1999 eingetroffen sei. Vergleichsverhandlungen hätten nicht stattgefunden, einer Verlängerung der gesetzlichen Präklusivfrist habe die beklagte Partei nicht zugestimmt. Demnach sei keine Hemmung der Präklusivfrist eingetreten. Da die Klageschrift erst am 2. 4. 1999 beim angerufenen und zuständigen Erstgericht eingelangt sei, sei die Präklusivfrist des § 1111 ABGB nicht gewahrt worden; erst mit der Gerichtsanhängigkeit der Klage werde die Unterbrechung der Präklusivfrist bewirkt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Klage sei nicht beim Landesgericht für ZRS Graz eingebracht worden, sondern versehentlich dort eingelangt. Dieses Gericht hätte gar keine Möglichkeit zur Behandlung der Klage gehabt, insbesondere habe es diese nicht an das zuständige Erstgericht überweisen können. Da die Klage an einen falschen Adressaten gelangt sei, treffe die klagenden Parteien das Risiko des verspäteten Einlangens beim richtigen Adressaten (= Erstgericht). Die Gründe, warum sich der Postlauf verzögert habe, seien unbeachtlich. Der Umstand, dass die Klage in einer gerichtlichen Einlaufstelle (aber nicht der des angerufenen und zuständigen Gerichts) eingelangt sei, habe keine Unterbrechungswirkung entfaltet.

Die Revision der klagenden Parteien ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Verjährungsfristen des bürgerlichen Rechts sind materiellrechtliche Fristen. Maßgebend für die Wahrung der Frist ist daher der Tag des Einlangens der Klage "bei Gericht" (SZ 66/80 mwN); die Gerichtshängigkeit der Klage wird mit deren Einlangen in der Einlaufstelle begründet (2 Ob 86/99g mwN). Die Verjährung wird mit der Gerichtshängigkeit unterbrochen, selbst wenn die Klage beim unzuständigen Gericht eingebracht wurde und sie an das zuständige Gericht (gemäß § 230a oder § 261 Abs 6 ZPO) überwiesen wurde bzw die Klage unzustellbar war (7 Ob 554/92; SZ 60/35; 1 Ob 653/79; VersR 1976, 1198; SZ 7/6; Schubert in Rummel ABGB2 Rz 6 zu § 1497).

Im vorliegenden Fall wurde die Klage an das zuständige Gericht adressiert; infolge eines Postversehens langte sie aber bei einem unzuständigen Gericht ein und ist erst in weiterer Folge durch Weiterleitung des "Irrläufers" dem zuständigen Gericht zugekommen. Dieser Fall ist jenem Fall vergleichbar, in dem die Klage beim unzuständigen Gericht eingebracht und an das zuständige Gericht überwiesen wurde. Zwar gehen Postverzögerungen und der Verlust einer Klage vor dem Einlangen bei Gericht zu Lasten des Absenders (VersR 1974, 610; Schubert aaO), doch liegt ein solcher Fall nicht vor. Die Klage wurde nämlich bereits durch deren Einlangen beim unzuständigen (und nicht angerufenen) Gericht gerichtshängig. Das Schriftstück ist bei Gericht eingelangt und durfte auch nicht zurückgewiesen werden (§ 99 Abs 1 Geo); die Einlaufstelle hatte die Postsendung gemäß § 100 Abs 1 Geo zu übernehmen und gemäß § 102 Abs 1 Geo mit dem Eingangsvermerk zu versehen. Erst dann war sie berechtigt - und verpflichtet -, den Irrläufer an das berufene Gericht abzugeben (Danzl, Kommentar zur Geo, Anm 13 zu § 106). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem einer Fehlzustellung an eine "Privatperson", die weder zur Übernahme noch zur Weiterleitung der Klage verpflichtet wäre. Hat aber ein gar nicht angerufenes Gericht, bei dem die Klage infolge eines Versehens der Postverwaltung einlangt, diese pflichtgemäß anzunehmen und weiterzuleiten, dann tritt die Unterbrechung der Verjährung schon mit dem Einlangen der Klage bei diesem (unzuständigen) Gericht ein (vgl 4 Ob 59/60). Die Präklusivfrist des § 1111 ABGB wurde von den klagenden Parteien somit gewahrt.Im vorliegenden Fall wurde die Klage an das zuständige Gericht adressiert; infolge eines Postversehens langte sie aber bei einem unzuständigen Gericht ein und ist erst in weiterer Folge durch Weiterleitung des "Irrläufers" dem zuständigen Gericht zugekommen. Dieser Fall ist jenem Fall vergleichbar, in dem die Klage beim unzuständigen Gericht eingebracht und an das zuständige Gericht überwiesen wurde. Zwar gehen Postverzögerungen und der Verlust einer Klage vor dem Einlangen bei Gericht zu Lasten des Absenders (VersR 1974, 610; Schubert aaO), doch liegt ein solcher Fall nicht vor. Die Klage wurde nämlich bereits durch deren Einlangen beim unzuständigen (und nicht angerufenen) Gericht gerichtshängig. Das Schriftstück ist bei Gericht eingelangt und durfte auch nicht zurückgewiesen werden (§ 99 Abs 1 Geo); die Einlaufstelle hatte die Postsendung gemäß § 100 Abs 1 Geo zu übernehmen und gemäß § 102 Abs 1 Geo mit dem Eingangsvermerk zu versehen. Erst dann war sie berechtigt - und verpflichtet -, den Irrläufer an das berufene Gericht abzugeben (Danzl, Kommentar zur Geo, Anm 13 zu § 106). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem einer Fehlzustellung an eine "Privatperson", die weder zur Übernahme noch zur Weiterleitung der Klage verpflichtet wäre. Hat aber ein gar nicht angerufenes Gericht, bei dem die Klage infolge eines Versehens der Postverwaltung einlangt, diese pflichtgemäß anzunehmen und weiterzuleiten, dann tritt die Unterbrechung der Verjährung schon mit dem Einlangen der Klage bei diesem (unzuständigen) Gericht ein vergleiche 4 Ob 59/60). Die Präklusivfrist des § 1111 ABGB wurde von den klagenden Parteien somit gewahrt.

Die Vorinstanzen haben die Ansprüche der klagenden Parteien inhaltlich nicht geprüft, weil sie deren Recht als erloschen ansahen. Da diese Rechtsansicht nicht gebilligt wird, sind in Stattgebung der Revision die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E58670

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2000:0010OB00112.00B.0725.000

Im RIS seit

24.08.2000

Zuletzt aktualisiert am

28.02.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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