TE Vwgh Erkenntnis 2006/12/19 2006/02/0234

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.12.2006
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §2 Abs1 Z10;
StVO 1960 §24 Abs1 idF 1989/562;
StVO 1960 §24 Abs1 lita;
StVO 1960 §24 Abs1 lito idF 562/1989;
StVO 1960 §24 Abs1 lito;
StVO 1960 §8 Abs4;
StVO 1960 §89a Abs2a lite;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;
VStG §22 Abs1;
VStG §44a Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des FP in N, vertreten durch Mag. Klaus Haberler, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Triester Straße 34, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 23. Mai 2006, Zl. Senat-NK-05-1016, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 23. Mai 2006 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er habe am 2. April 2004 um 19.40 Uhr an einem näher umschriebenen Ort ein dem Kennzeichen nach bestimmtes Kraftfahrzeug gehalten, obwohl Fußgänger, insbesondere auch Personen mit Kinderwagen oder Behinderte mit Rollstuhl, an der Benützung des Gehsteiges gehindert gewesen seien. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 24 Abs. 1 lit. o iVm § 99 Abs. 3 lit. a StVO begangen; es wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

Zunächst ist klarzustellen, dass sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides, welcher zur Auslegung des insoweit unklaren Spruches heranzuziehen ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. März 2003, Zl. 2002/02/0140) ergibt, dass dem Beschwerdeführer zur Last gelegt wurde, mit dem Fahrzeug auf einem Gehsteig gehalten zu haben.

§ 24 Abs. 1 lit. o StVO lautet:

"Das Halten und das Parken ist verboten:

...

o) wenn Fußgänger, insbesondere auch Personen mit Kinderwagen oder Behinderte mit Rollstuhl, an der Benützung eines Gehsteiges, eines Gehweges oder eines Geh- und Radweges gehindert sind."

Zu dieser, durch die 16. StVO-Novelle (BGBl. Nr. 562/1989) geschaffenen Bestimmung ergibt sich aus dem Bericht des Verkehrsausschusses (1077 BlgNR XVII. GP, S. 2), diese Einfügung sei damit begründet worden, dass nach § 89a Abs. 2a lit. e StVO derzeit bei Verstellung einer Verlängerung eines Gehsteiges zwar ein Abschleppgrund, nicht aber ein Halte- und Parkverbot bestehe; mit der Übernahme des § 89a Abs. 2a lit. e StVO in den § 24 Abs. 1 StVO werde diese Lücke geschlossen.

Aus diesen Gesetzesmaterialien ergibt sich daher als Auslegungshilfe (zumal dem der Gesetzestext nicht entgegensteht, vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. März 2001, Zlen. 2000/02/0177, 0178), dass mit § 24 Abs. 1 lit. o StVO das Verstellen einer "Verlängerung" eines Gehsteiges durch ein Halte- und Parkverbot pönalisiert werden soll. Daraus folgt, dass dieses Verbot nicht den Gehsteig selbst betrifft; vielmehr wird durch das Abstellen eines Fahrzeuges auf einem solchen das Verbot des § 8 Abs. 4 StVO übertreten (vgl. zutreffend Dittrich-Stolzlechner, Österreichisches Straßenverkehrsrecht, I. Teil:

Straßenverkehrsordnung 1960, 3. Auflage, Rz 146, zu § 24 Abs. 1 lit. o StVO; der davon abweichenden Ansicht von Pürstl-Somereder, Straßenverkehrsordnung, 11. Auflage, FN 11 zu § 24 Abs. 1 lit. o StVO, vermag sich der Gerichtshof hingegen nicht anzuschließen). In diesem Zusammenhang sei auch auf das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1990, Zl. 89/03/0230, verwiesen, wonach sich aus der allgemein gehaltenen Verbotsnorm (dem Benützungsverbot) des § 8 Abs. 4 StVO ergebe, dass auf Gehsteigen insbesondere auch das Halten und Parken verboten ist.

Daraus folgt, dass durch das dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid zur Last gelegte Verhalten nicht die Vorschrift des § 24 Abs. 1 lit. o StVO verletzt wurde. Dies belastet den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, die vom Verwaltungsgerichtshof - da vom Beschwerdepunkt umfasst - von Amts wegen wahrzunehmen war (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. September 2002, Zl. 2002/03/0054). Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne dass in das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden musste.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Für das fortzusetzende Verfahren sei allerdings auf Folgendes verwiesen:

Es entspricht der ständigen hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. Juni 2003, Zl. 2001/03/0063), dass die Berufungsbehörde nicht rechtswidrig handelt, wenn sie das Verhalten des Beschuldigten einem anderen Tatbestand (Tatbild) unterstellt als die erste Instanz, solange es sich um ein und dasselbe Verhalten des Täters handelt, also Identität der Tat vorliegt. Eine tatsächliche Hinderung der Benützung des Gehsteiges gehört nicht zum Tatbild des § 8 Abs. 4 StVO (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1993, Zl. 93/02/0009); daher handelt es sich um die diesbezüglichen Ausführungen im Spruch um ein

"überschießendes" Tatbestandselement, wodurch allerdings eine Verletzung des Beschuldigten nicht bewirkt wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. November 2001, Zl. 98/02/0212).

Wien, am 19. Dezember 2006

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3 "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) Besondere Rechtsgebiete Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006020234.X00

Im RIS seit

22.01.2007

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten