TE Vfgh Beschluss 2002/9/20 G295/02

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Veröffentlicht am 20.09.2002
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit

Spruch

Der Antrag des S G, ..., vertreten durch Rechtsanwalt Dr. E K, ..., auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung eines Antrags gem. Art140 Abs1 letzter Satz B-VG auf Aufhebung einzelner Bestimmungen der StPO, insbesondere des §227 Abs1 StPO, wird a b g e w i e s e n .

Begründung

Begründung:

1. Gegen den Antragsteller behängt beim Landesgericht Innsbruck ein Strafverfahren wegen verschiedener Vermögensdelikte.

2. Der Antragsteller beabsichtigt, gegen einzelne Bestimmungen der StPO, insbesondere gegen §227 Abs1 StPO, einen Gesetzesprüfungsantrag einzubringen und beantragt hiefür die Verfahrenshilfe. Begründend wird dazu im wesentlichen ausgeführt, die StPO verstoße gegen Art6 Abs1 iVm Art13 EMRK, weil ein Rechtsbehelf gegen "unangemessene Verfahrensverzögerung" - das gegen ihn behängende Strafverfahren sei bereits im Jahr 1991 eingeleitet worden - nicht vorgesehen sei.

3. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der Betroffenen unmittelbar eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt diese Antragsbefugnis zu. Es ist (wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluß VfSlg. 8009/1977 ausgeführt und in seiner Rechtsprechung mehrfach, zB in VfSlg. 8148/1977, 8241/1978, 8276/1978 und 8485/1979, bekräftigt hat) für die Antragslegitimation darüber hinaus auch erforderlich, daß dem Antragsteller ein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der von ihm behaupteten Verfassungswidrigkeit nicht zur Verfügung steht.

Ein - nach dem vorhin Ausgeführten die Zulässigkeit eines Antrags gem. Art140 Abs1 letzter Satz B-VG ausschließender - zumutbarer Weg ist nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ua. dann gegeben, wenn bereits ein gerichtliches Verfahren anhängig ist, das dem die Betroffenen Gelegenheit eröffnet, beim Gericht anzuregen, es möge einen Gesetzesprüfungsantrag gem. Art140 Abs1 B-VG stellen (s. zB VfSlg. 13.871/1994 und die dort zitierte Vorjudikatur). Gemäß Art89 Abs2 zweiter Satz B-VG wären die betreffenden Gerichte (nämlich der Oberste Gerichtshof oder ein zur Entscheidung in zweiter Instanz zuständiges Gericht) zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet, sofern sie - ebenso wie der Antragsteller - gegen die Anwendung des Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken haben sollten (s. zB VfSlg. 11.480/1987). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn ein gerichtliches Verfahren anhängig war, in dem der Antragsteller die Möglichkeit hatte, eine amtswegige Anrufung des Verfassungsgerichtshofes anzuregen (s. VfSlg. 8890/1980, 12.810/1991).

Ein Antrag eines einzelnen gem. Art140 Abs1 letzter Satz B-VG wäre in solchen Fällen nur zulässig, wenn besondere, außergewöhnliche Umstände vorlägen (s. zB VfSlg. 13.871/1994 und die dort zitierte Vorjudikatur). Andernfalls ergäbe sich nämlich eine Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die sich mit dem Grundprinzip des Individualantrags als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht vereinbaren ließe (vgl. zB VfSlg. 8890/1980, 11.823/1988, 13.659/1993). Die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgesetzgebers, die Initiative zur Prüfung genereller Normen (vom Standpunkt des Betroffenen aus gesehen) zu mediatisieren, wenn die Rechtsverfolgung vor Gerichten stattfindet, gefährdet auch nicht den Grundrechtsschutz (vgl. VfSlg. 11.889/1988).

Besondere, außergewöhnliche Umstände liegen im konkreten Fall jedoch nicht vor: Die Tatsache, daß das Oberlandesgericht Innsbruck - somit jenes Gericht, das gem. Art89 Abs2 B-VG allenfalls verpflichtet wäre, den Verfassungsgerichtshof anzurufen - mit Beschluß vom 2. Juli 2002, Z ..., zum Ausdruck gebracht hat, die vom Antragsteller erhobenen Bedenken gegen die StPO nicht zu teilen, bewirkt weder - wovon der Antragsteller jedoch auszugehen scheint -, daß das Gesetz nunmehr unmittelbar in seine Rechtssphäre eingreift, noch ergibt sich daraus eine quasi subsidiäre Antragslegitimation. Für die Zulässigkeit des vom Antragsteller beabsichtigten Rechtsbehelfs ist daraus allein somit nichts zu gewinnen (s. zB VfSlg. 8552/1979, 9220/1981, 9394/1982, 9788/1983, 9926/1984, 11.889/1988, 13.659/1993).

4. Die vom Antragsteller in Aussicht genommene Rechtsverfolgung durch Einbringung eines Individualantrags erscheint somit als offenbar aussichtslos, zumal sogar zu gewärtigen wäre, daß der Verfassungsgerichtshof einen derartigen Antrag mangels Legitimation des Antragstellers als unzulässig zurückweist (§19 Abs3 Z2 lita VfGG).

Da der Antrag den Voraussetzungen des §63 Abs1 ZPO (§35 Abs1 VfGG) somit nicht entspricht, war er abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Verfahrenshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G295.2002

Dokumentnummer

JFT_09979080_02G00295_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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