Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Pobornikoff gegen Österreich, Urteil vom 3.10.2000, Bsw. 28501/95.Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer römisch III, Beschwerdesache Pobornikoff gegen Österreich, Urteil vom 3.10.2000, Bsw. 28501/95.
Spruch
§ 296 Abs. 3 StPO, Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK - Persönliche Teilnahme an einer Verhandlung vor dem OGH. Keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK iVm. Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK hinsichtlich der Abwesenheit des Angeklagten bei der Verhandlung über die Nichtigkeitsbeschwerde (einstimmig).Paragraph 296, Absatz 3, StPO, Artikel 6, Absatz eins, EMRK, Artikel 6, Absatz 3, Litera c, EMRK - Persönliche Teilnahme an einer Verhandlung vor dem OGH. Keine Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK in Verbindung mit Artikel 6, Absatz 3, Litera c, EMRK hinsichtlich der Abwesenheit des Angeklagten bei der Verhandlung über die Nichtigkeitsbeschwerde (einstimmig).
Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK iVm. Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK hinsichtlich der Abwesenheit des Angeklagten bei der Verhandlung über die Berufung (einstimmig).Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK in Verbindung mit Artikel 6, Absatz 3, Litera c, EMRK hinsichtlich der Abwesenheit des Angeklagten bei der Verhandlung über die Berufung (einstimmig).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK: Der Bf. hat keinen Antrag auf Entschädigung gestellt.Entschädigung nach Artikel 41, EMRK: Der Bf. hat keinen Antrag auf Entschädigung gestellt.
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Der Bf. wurde am 1.10.1993 vom LG Feldkirch wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil erhob der Amtsverteidiger des Bf. Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung. Als verhafteter Angeklagter wurde der Bf. zur Verhandlung vor dem OGH nicht geladen, da er dies nicht beantragt und der OGH dies im Interesse der Rechtspflege gemäß § 296 (3) StPO für nicht geboten erachtet hatte. Mitte Jänner 1994 wurde der Bf. von der Wiener Rechtsanwaltskammer darüber informiert, dass ihm für die Verhandlung vor dem OGH ein neuer Amtsverteidiger zur Seite gestellt werden würde. Am 27.1.1994 hielt der OGH in Abwesenheit des Bf., jedoch in Anwesenheit seines Verteidigers, eine Verhandlung zur Berufung wie auch zur Nichtigkeitsbeschwerde ab. Beide Rechtsmittel waren erfolglos.Der Bf. wurde am 1.10.1993 vom LG Feldkirch wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil erhob der Amtsverteidiger des Bf. Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung. Als verhafteter Angeklagter wurde der Bf. zur Verhandlung vor dem OGH nicht geladen, da er dies nicht beantragt und der OGH dies im Interesse der Rechtspflege gemäß Paragraph 296, (3) StPO für nicht geboten erachtet hatte. Mitte Jänner 1994 wurde der Bf. von der Wiener Rechtsanwaltskammer darüber informiert, dass ihm für die Verhandlung vor dem OGH ein neuer Amtsverteidiger zur Seite gestellt werden würde. Am 27.1.1994 hielt der OGH in Abwesenheit des Bf., jedoch in Anwesenheit seines Verteidigers, eine Verhandlung zur Berufung wie auch zur Nichtigkeitsbeschwerde ab. Beide Rechtsmittel waren erfolglos.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK iVm. Art. 6 (3) (c) EMRK (hier: Recht auf Verteidigung in eigener Person oder durch einen Verteidiger).Der Bf. behauptet eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK in Verbindung mit Artikel 6, (3) (c) EMRK (hier: Recht auf Verteidigung in eigener Person oder durch einen Verteidiger).
Die persönliche Anwesenheit eines Angeklagten bei einer Verhandlung über die Berufung bzw. Nichtigkeitsbeschwerde hat nicht dieselbe Bedeutung wie in der Hauptverhandlung 1. Instanz. Bei Prüfung dieser Frage müssen ua. die besonderen Umstände des betreffenden Verfahrens und die Art und Weise berücksichtigt werden, wie die Interessen der Verteidigung va. im Hinblick auf die von der Berufungsinstanz zu entscheidenden Frage sowie ihre Bedeutung für den Rechtsmittelwerber geltend gemacht und geschützt worden sind.
A.) Anwesenheit bei der Verhandlung über die Nichtigkeitsbeschwerde:
Der OGH ist bei der Behandlung von Nichtigkeitsbeschwerden in erster Linie zur Prüfung von Rechtsfragen berufen, die sich bezüglich der Durchführung der Hauptverhandlung und anderer Fragen ergeben. Weder Art. 6 (1) EMRK noch Art. 6 (3) EMRK erfordern die Anwesenheit des von einem Rechtsanwalt vertretenen Bf. Es lagen im vorliegenden Fall keine besonderen Umstände für die Notwendigkeit der persönlichen Anwesenheit des Bf. vor, va. gab es keinen Hinweis darauf, dass der – obwohl erst kurz vor der Verhandlung neu ernannte – Amtsverteidiger die Verteidigung des Bf. nicht wirksam wahrgenommen hätte. Insoweit es um die Verhandlung über die Nichtigkeitsbeschwerde geht, stellt die Abwesenheit des Bf. keine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK iVm. Art. 6 (3) (c) EMRK dar (einstimmig).Der OGH ist bei der Behandlung von Nichtigkeitsbeschwerden in erster Linie zur Prüfung von Rechtsfragen berufen, die sich bezüglich der Durchführung der Hauptverhandlung und anderer Fragen ergeben. Weder Artikel 6, (1) EMRK noch Artikel 6, (3) EMRK erfordern die Anwesenheit des von einem Rechtsanwalt vertretenen Bf. Es lagen im vorliegenden Fall keine besonderen Umstände für die Notwendigkeit der persönlichen Anwesenheit des Bf. vor, va. gab es keinen Hinweis darauf, dass der – obwohl erst kurz vor der Verhandlung neu ernannte – Amtsverteidiger die Verteidigung des Bf. nicht wirksam wahrgenommen hätte. Insoweit es um die Verhandlung über die Nichtigkeitsbeschwerde geht, stellt die Abwesenheit des Bf. keine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK in Verbindung mit Artikel 6, (3) (c) EMRK dar (einstimmig).
B.) Anwesenheit bei der Verhandlung über die Berufung:
Der Amtsverteidiger hatte die Vorführung des Bf. gemäß § 296 (3) StPO nicht beantragt. Bereits im Urteil Kremzow/A war das Fehlen eines solchen Antrags nicht entscheidend, da § 293 (3) StPO auch vorsieht, einen verhafteten Angeklagten dann vorzuführen, wenn dies im Interesse der Rechtspflege geboten erscheint. Für den belangten Staat bestand die positive Verpflichtung, die persönliche Anwesenheit des Bf. sicherzustellen, um ihm die Verteidigung in eigener Person zu ermöglichen. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK iVm. Art. 6 (3) (c) EMRK (einstimmig).Der Amtsverteidiger hatte die Vorführung des Bf. gemäß Paragraph 296, (3) StPO nicht beantragt. Bereits im Urteil Kremzow/A war das Fehlen eines solchen Antrags nicht entscheidend, da Paragraph 293, (3) StPO auch vorsieht, einen verhafteten Angeklagten dann vorzuführen, wenn dies im Interesse der Rechtspflege geboten erscheint. Für den belangten Staat bestand die positive Verpflichtung, die persönliche Anwesenheit des Bf. sicherzustellen, um ihm die Verteidigung in eigener Person zu ermöglichen. Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK in Verbindung mit Artikel 6, (3) (c) EMRK (einstimmig).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK:Entschädigung nach Artikel 41, EMRK:
Der Bf. hat keinen Antrag auf Entschädigung gestellt.
Anm.: Vgl. die vom GH zitierten Fälle Kremzow/A, Urteil v. 21.9.1993,
A/268-B (= NL 1993/5, 25 = EuGRZ 1995, 537 = ÖJZ 1994, 210); Cooke/A,
Urteil v. 8.2.2000 (= NL 2000, 26); Prinz/A, Urteil v. 8.2.2000 (= NL
2000, 28).
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 3.10.2000, Bsw. 28501/95, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2000, 189) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/00_5/Pobornikoff.pdf
Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.
Anmerkung
EGM00311 Bsw28501.95-UDokumentnummer
JJT_20001003_AUSL000_000BSW28501_9500000_000