TE OGH 2000/10/5 6Ob220/00x

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Veröffentlicht am 05.10.2000
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Baumann, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Patrick P*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Stolz, Rechtsanwalt in Radstadt, gegen die beklagte Partei Robert S*****, vertreten durch Dr. Manfred Buchmüller, Rechtsanwalt in Altenmarkt im Pongau, wegen 76.558,40 S und Feststellung über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 22. Mai 2000, GZ 54 R 176/00x-22, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 3. August 2000, GZ 54 R 176/00x-26, womit über die Berufung beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Radstadt vom 14. Februar 2000, GZ 2 C 1302/98g-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 8.625,12 S (darin 1.437,52 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung und den mit 6.625 S (Barauslagen) bestimmten Anteil an den Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger und der Beklagte befuhren bereits am Vormittag des 11. 2. 1998 mit ihren Snowboards eine grundsätzlich leicht befahrbare Piste, die bis zur Unfallstelle ein Gefälle von 25 % und im Unfallsbereich eine Breite von 70 m aufwies. Stellenweise waren einige Flächen vereist. Bei der ersten Abfahrt nach der Mittagspause kam es zur Kollision. Die Streitteile fuhren mit "flotter" Geschwindigkeit. Der Kläger stürzte bei Ausführung einer Linkskurve auf einer Eisfläche. Der links von ihm fahrende Beklagte führte gerade eine Rechtskurve aus und bemerkte den Kläger erst in einer Entfernung von 2 m, sodass er keine Ausweichreaktion setzen konnte. Der Kläger erlitt eine Zerrung des inneren Seitenbandes am Kniegelenk und einen Riss der Schleimhautfalte am Kniegelenk. Auf Grund der Verletzung kam es zur Ausbildung eines Knochensporns. Zukünftige Komplikationen sind nicht auszuschließen.

Der Kläger begehrt ein Schmerzengeld von 76.558,40 S und die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden. Der Beklagte habe den Kläger übersehen und eine den Kläger gefährdende Fahrspur gewählt. Er habe gegen die auf das Snowboardfahren anwendbaren FIS-Regeln verstoßen.

Der Beklagte wandte ein, dass ihn am Unfall des Klägers kein Verschulden treffe. Der Sturz des Klägers sei die Kollisionsursache gewesen.

Das Erstgericht gab den Begehren des Klägers zur Hälfte statt und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte über den schon wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im Wesentlichen noch fest, dass die Piste zum Unfallszeitpunkt stark frequentiert gewesen sei. Der Schnee sei auf Grund der Sonneneinstrahlung teilweise aufgeweicht und teilweise zusammengeschoben gewesen. Die Parteien seien sehr gute Snowboardfahrer und wären mit ihren Snowboards nebeneinander mit einem Abstand von etwa 3 bis 4 m abgefahren. Während der Abfahrt seien sie parallel zueinander ohne nennenswerten Tiefenabstand gefahren. Unmittelbar vor dem Unfall habe sich der Kläger geringfügig vor dem Beklagten befunden. Der Kläger sei gestürzt und in der Falllinie etwa 2 bis 3 m zur Kollisionsstelle abgerutscht. Der Beklagte habe den Sturz des Klägers erst auf eine Entfernung von etwa 2 m wahrgenommen. Er habe keine zielführende Ausweichreaktion vornehmen können. Er sei mit der Spitze des Snowboards in die Kniebeuge des Klägers gefahren und über den Kläger gestürzt. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass es zwar keine gesetzlichen Regeln für das Verhalten von Schifahrern oder Snowboardern gebe. Zur Gewährleistung der körperlichen Sicherheit sei aber die Einhaltung allgemein anerkannter und üblicher Verhaltensregeln notwendig. Diese seien in den FIS-Verhaltensregeln für Schifahrer und dem vom Österreichischen Kuratorium für alpine Sicherheit verfassten Pistenordnungsentwurf festgehalten. Nach der FIS-Regel Nr 1 müsse sich jeder Schifahrer so verhalten, dass er einen anderen weder gefährde noch verletze. Nach der Regel Nr 2 müsse jeder Schifahrer seine Geschwindigkeit und seine Fahrweise seinem Können und den Gelände-, Schnee- und Witterungsverhältnissen anpassen. Die FIS-Regel Nr 3 über die Wahl der Fahrspur verlange, dass der von hinten kommende Schifahrer seine Fahrspur so wählen müsse, dass er vor ihm fahrende Schifahrer nicht gefährde. Ein Sturz sei beim Snowboarden wie auch im Schilauf Bestandteil des gesamten Geschehens. Grundsätzlich gehe jedem Sturz ein fehlerhaftes Verhalten des Stürzenden voraus. Es müsse jeder Pistenbenützer damit rechnen, dass ein anderer vor ihm oder auf gleicher Höhe stürze. Die Parteien seien über weite Strecken parallel zueinander abgefahren. Die Anwendung der FIS-Regel Nr 3 setze jedoch voraus, dass hintereinander abgefahren werde. Beim parallelen Abfahren zweier Schiläufer oder Snowboarder seien die FIS-Regeln Nr 1 und 2 und analog auch die FIS-Regel Nr 4 über das Überholen zu beachten. Beide hätten sich so zu verhalten, dass sie den anderen nicht gefährdeten. Ähnlich wie beim Überholen sei ein solcher seitlicher Abstand einzuhalten, dass dem anderen Schifahrer oder Snowboardfahrer für alle seine Bewegungen genügend Raum bleibe. Diesen Raum hätten sich die Parteien wechselseitig nicht gegeben. Das Verschulden an der Kollision sei gleichteilig. Da künftige Schäden nicht auszuschließen seien, sei das Feststellungsbegehren im Ausmaß von 50 % berechtigt. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge, der Berufung des Klägers hingegen Folge und gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Die Rechtsausführungen des Erstgerichtes zum Verschulden des Beklagten seien zwar zutreffend, der Beklagte habe aber im erstinstanzlichen Verfahren einen Mitverschuldenseinwand zu Lasten des Klägers gar nicht erhoben. Dies müsse das Berufungsgericht im Rahmen seiner allseitigen rechtlichen Überprüfung berücksichtigen. Der Beklagte habe bestritten, dass ihm ein Verschulden zur Last falle, nicht aber behauptet, dass den Kläger das Allein- oder zumindest ein Mitverschulden treffe. Ohne entsprechende Einwendung dürfe das Gericht auf ein allfälliges Mitverschulden des Gegners nicht Bedacht nehmen. Mangels Einwands eines Verschuldens des Klägers durch den Beklagten sei dem Klagebegehren zur Gänze stattzugeben. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 52.000 S, nicht aber 260.000 S übersteige und dass die Revision nicht zulässig sei. Über Antrag des Beklagten sprach es aus, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist zulässig und teilweise auch berechtigt.

Nach ständiger oberstgerichtlicher Judikatur ist, wie die zweite Instanz zutreffend erkannte, ein Mitverschulden des Geschädigten nicht von Amts wegen, sondern nur über entsprechenden Einwand des Beklagten zu berücksichtigen (SZ 70/95 mwN). In der bloßen Bestreitung eines eigenen Verschuldens (und einer Haftung nach dem EKHG) durch den Beklagten liegt nach den Entscheidungen ZVR 1978/167

und 1 Ob 23/92 = SZ 65/111 noch kein Mitverschuldenseinwand.

Gegenteiliges vertritt die Entscheidung 2 Ob 142/98s = ZVR 2000/35,

die in der Bestreitung des eigenen Verschuldens durch den Beklagten den denklogischen Einwand erblickt, der Unfall sei auf das Alleinverschulden bzw die Unachtsamkeit des Klägers zurückzuführen. Diese Divergenz in der Judikatur braucht hier aber nicht näher untersucht werden, weil der Beklagte nicht nur das eigene Verschulden bestritt, sondern sich auch auf den Sturz des Klägers als Unfallsursache berief, wenngleich er dazu kein Verschulden des Klägers ausdrücklich und konkret behauptete. Schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch kann aber der Prozessbehauptung des Beklagten auch ein Schuldvorwurf in Richtung eines Fahrfehlers entnommen werden. Es ist allerdings richtig, dass der Beklagte seinen Einwand nicht näher konkretisierte. Der Umstand, dass ein Schifahrer gestürzt ist, bedeutet für sich allein noch nicht, dass er ein Fehlverhalten zu verantworten hat. Aus dem Sturz allein ist noch nicht abzuleiten, dass der Geschädigte sich gegenüber eigenen Rechtsgütern sorglos verhalten hat. Maßgeblich für den Schuldvorwurf ist das dem Sturz vorangehende Verhalten. Erst dieses vermag einen Sorgfaltsverstoß zu verwirklichen und begründet in einem solchen Fall den Schuldvorwurf, der in der Missachtung von Pistenregeln bestehen kann (etwa die Nichtbeachtung des Vorranges voranfahrender langsamerer Schifahrer, das Einhalten einer für die Schnee- und Pistenverhältnisse zu hohen Geschwindigkeit oder das Nichteinhalten des erforderlichen Sicherheitsabstandes beim Überholen Anderer) oder aber auch in anderen fahrtechnischen Fehlern wie beispielsweise einem Verkanten infolge Unaufmerksamkeit oder einer für das Fahrkönnen zu hohen Geschwindigkeit (4 Ob 299/98v = JBl 1999, 465 mwN aus Lehre und Rechtsprechung). Auf derartige Umstände hat sich der Beklagte im Verfahren erster Instanz nicht berufen, sondern erst im Berufungsverfahren schlechte Kanten am Snowboard des Klägers und einen ungenügenden Sicherheitsabstand ins Treffen geführt. Die fehlende Konkretisierung seines Vorbringens ändert aber nichts daran, dass der Beklagte jedenfalls grundsätzlich einen Alleinverschuldenseinwand erhoben hat, sodass sich die Frage nach der Verwertbarkeit der überschießenden Feststellungen des Erstgerichtes stellt:

Das Gericht hat seiner Entscheidung auch Beweisergebnisse zugrundezulegen, die über die Parteibehauptungen hinausgehen. Dies gilt nach der Lehrmeinung Faschings auch dann, wenn die Parteien ihre Behauptungen nachträglich nicht ergänzen, nach der überwiegenden Rechtsprechung aber nur dann, wenn eine solche Ergänzung nach entsprechender richterlicher Aufforderung (§ 182 ZPO) vorgenommen wird (Fasching ZPR2 Rz 661 mwN und Rz 899). Überschießende Feststellungen sind jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagegrundes oder der erhobenen Einwendungen halten (1 Ob 58/93; 6 Ob 105/98d = ZVR 1999/118; 1 Ob 340/99b uva). Da der Beklagte mit seiner Berufung eine Konkretisierung auch im Rahmen der getroffenen überschießenden Feststellungen vorgenommen hat und diese Konkretisierung im Rahmen des grundsätzlich erhobenen Mitverschuldenseinwandes liegt, können die gesamten erstinstanzlichen Feststellungen der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden.Das Gericht hat seiner Entscheidung auch Beweisergebnisse zugrundezulegen, die über die Parteibehauptungen hinausgehen. Dies gilt nach der Lehrmeinung Faschings auch dann, wenn die Parteien ihre Behauptungen nachträglich nicht ergänzen, nach der überwiegenden Rechtsprechung aber nur dann, wenn eine solche Ergänzung nach entsprechender richterlicher Aufforderung (Paragraph 182, ZPO) vorgenommen wird (Fasching ZPR2 Rz 661 mwN und Rz 899). Überschießende Feststellungen sind jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagegrundes oder der erhobenen Einwendungen halten (1 Ob 58/93; 6 Ob 105/98d = ZVR 1999/118; 1 Ob 340/99b uva). Da der Beklagte mit seiner Berufung eine Konkretisierung auch im Rahmen der getroffenen überschießenden Feststellungen vorgenommen hat und diese Konkretisierung im Rahmen des grundsätzlich erhobenen Mitverschuldenseinwandes liegt, können die gesamten erstinstanzlichen Feststellungen der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden.

Nach den getroffenen Feststellungen ist von einer Parallelfahrt mit "flotter" Geschwindigkeit und einem seitlichen Sicherheitsabstand von bloß 3 bis 4 m und weiters davon auszugehen, dass die Piste teilweise vereist war, was beiden Sportlern auf Grund ihrer vorherigen Fahrten bekannt war. Ein Sturz war daher eine durchaus vorhersehbare Möglichkeit, sodass die Rechtsansicht des Erstgerichtes über eine Verletzung der von ihm zitierten FIS-Regeln, schon auf Grund dieser Umstände nicht zu beanstanden ist, ohne dass es dazu noch einer weitergehenden Erörterung bedürfte. Der in der Revision geäußerten Befürchtung, dass bei einer Qualifizierung des gewählten Seitenabstandes als rechtswidrig und schuldhaft ein Pistenschilauf geradezu unmöglich gemacht werde, ist der entscheidende Punkt entgegenzuhalten, dass Parallelfahrten ohne ausreichenden Seitenabstand wegen der verkürzten Reaktionsmöglichkeit schon grundsätzlich als gefährlich eingestuft werden müssen und dass dies umso mehr gilt, wenn mit einem Sturz auf Grund der Umstände des Einzelfalles (hier: erkennbare Eisflächen) geradezu gerechnet werden musste. Aus den dargelegten Gründen ist die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO.Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den Paragraphen 43, Absatz eins und 50 ZPO.

Anmerkung

E59434 06a02200

Schlagworte

Kennung XPUBL Diese Entscheidung wurde veröffentlicht in ZVR 2002/11 S 46 - ZVR 2002,46 = Kolmasch, Zak 2007/672 S 389 (Judikaturübersicht) - Kolmasch, Zak 2007,389 (Judikaturübersicht) XPUBLEND

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2000:0060OB00220.00X.1005.000

Dokumentnummer

JJT_20001005_OGH0002_0060OB00220_00X0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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