Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Robert W*****, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 71.760 S sA infolge der Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Dezember 1999, GZ 14 R 76/99w-31, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 5. Februar 1999, GZ 33 Cg 11/97y-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:
Spruch
Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.382,40 S bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.058,88 S (darin 676,48 S USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Einkünfte von Grafikern unterlagen bei einer Einstufung ihrer Tätigkeit als künstlerische Tätigkeit nicht der Gewerbesteuer (GewSt) und einem ermäßigten Satz der Umsatzsteuer (USt) von nur 10 % (§ 10 Abs 2 Z 8 UStG 1972). Der Bundesminister für Finanzen (BMF) lud mit Erlass vom 15. Jänner 1970, Zl. 258.434-9a/69, die Finanzlandesdirektionen (FLDen) als Abgabenbehörden zweiter Instanz ein, in allen Rechtsmittelverfahren, in denen strittig ist, ob die Tätigkeit eines Gebrauchsgrafikers als künstlerisch iSd § 18 Abs 1 Z 1 EStG anzusehen ist, das Gutachten einer beim Bundesministerium für Unterricht und Kunst zu diesem Zweck eingerichteten Sachverständigenkommission (im Folgenden nur Kommission) einzuholen, um eine möglichst einheitliche abgabenrechtliche Beurteilung der künstlerischen Tätigkeit von Gebrauchsgrafikern zu gewährleisten. Da die Einholung derartiger Gutachten nur im zweitinstanzlichen Ermittlungsverfahren vorgesehen ist, seien Berufungen, die die Beurteilung der Tätigkeit von Gebrauchsgrafikern als künstlerische Tätigkeit anstrebten, aus verwaltungsökonomischen Gründen stets ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung gemäß § 276 BAO der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorzulegen.Die Einkünfte von Grafikern unterlagen bei einer Einstufung ihrer Tätigkeit als künstlerische Tätigkeit nicht der Gewerbesteuer (GewSt) und einem ermäßigten Satz der Umsatzsteuer (USt) von nur 10 % (§ 10 Abs 2 Z 8 UStG 1972). Der Bundesminister für Finanzen (BMF) lud mit Erlass vom 15. Jänner 1970, Zl. 258.434-9a/69, die Finanzlandesdirektionen (FLDen) als Abgabenbehörden zweiter Instanz ein, in allen Rechtsmittelverfahren, in denen strittig ist, ob die Tätigkeit eines Gebrauchsgrafikers als künstlerisch iSd § 18 Abs 1 Ziffer eins, EStG anzusehen ist, das Gutachten einer beim Bundesministerium für Unterricht und Kunst zu diesem Zweck eingerichteten Sachverständigenkommission (im Folgenden nur Kommission) einzuholen, um eine möglichst einheitliche abgabenrechtliche Beurteilung der künstlerischen Tätigkeit von Gebrauchsgrafikern zu gewährleisten. Da die Einholung derartiger Gutachten nur im zweitinstanzlichen Ermittlungsverfahren vorgesehen ist, seien Berufungen, die die Beurteilung der Tätigkeit von Gebrauchsgrafikern als künstlerische Tätigkeit anstrebten, aus verwaltungsökonomischen Gründen stets ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung gemäß § 276 BAO der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorzulegen.
Der Kläger ist Grafiker. 1979 beurteilte ein Berufungssenat der FLD infolge von Berufungen des Klägers gegen GewSt-Bescheide des Finanzamts für den 8., 16. und 17. Bezirk (im Folgenden nur 1. Finanzamt) für die Jahre 1974 und 1975 dessen Tätigkeit nach Einholung eines Gutachtens der genannten Kommission als künstlerische Tätigkeit. Das 1. Finanzamt führte von Juli bis Oktober 1992 beim Kläger eine Betriebsprüfung für die Jahre 1988, 1989 und 1990 ua - soweit hier relevant - zur USt und zur Einkommenssteuer (ESt) durch. Der beigezogene Steuerberater des Klägers teilte den Betriebsprüfern mit, dass der Kläger bereits als Künstler anerkannt worden sei, und übergab den Betriebsprüfern die Berufungsentscheidung von 1979. Das 1. Finanzamt erließ am 7. Dezember 1992 insgesamt 16 Bescheide, von denen die zur Wiederaufnahme des Verfahrens zur ESt 1988, 1989 und 1990 ebenso unbekämpft blieben wie die Abgabenbescheide zur berichtigten ESt 1988, 1989 und 1990. Der Kläger bekämpfte dagegen die Bescheide zur Wiederaufnahme des Verfahrens zur USt 1988, 1989 und 1990, die berichtigten Abgabenbescheide zur USt 1988, 1989 und 1990 sowie zum Säumniszuschlag zur USt 1989, die Abgabenbescheide zur GewSt 1988, 1989, 1990 ebenso wie die - hier nicht relevanten - Bescheide zur GewSt Vorauszahlung (VZ) 1993 und zur ESt VZ 1993. Das 1. Finanzamt beurteilte - ohne Einholung eines Gutachtens der obgenannten Kommission - die Tätigkeit des Klägers als fast ausschließlich gewerbliche Tätigkeit. Der von seinem Steuerberater vertretene Kläger rügte in seinen Berufungen vom 5. Jänner 1993 die Nichtbefassung der Kommission, beantragte neuerlich die Einholung von deren Gutachten und machte die örtliche Unzuständigkeit des bescheiderlassenden 1. Finanzamts geltend, weil sein Betriebssitz in Wien 6, Webgasse und nicht, wie angenommen, in Wien 17, Richthausenstraße = Schadinagasse gelegen sei; letztere Anschrift sei der Wohnsitz des Klägers. Im übrigen sei er zur Gänze als Künstler anzuerkennen, weshalb die GewSt zu entfallen und bei der USt der ermäßigte Steuersatz von 10 % anzuwenden sei.
Über Weisung der FLD vom 28. Dezember 1993 gab das 1. Finanzamt mit fünf - nicht näher begründeten - Berufungsvorentscheidungen vom 14. Jänner 1994, ohne ein Gutachten einzuholen, gemäß § 276 BAO den Berufungen des Klägers gegen die GewSt-Bescheide 1988, 1989 und 1990 sowie die USt-Bescheide 1988 und 1989 samt Berichtigungsbescheid vollinhaltlich statt und übermittelte über Weisung der FLD vom 15. Februar 1994 die Akten an das örtlich zuständige Finanzamt für den 6., 7. und 15. Bezirk (im Folgenden nur 2. Finanzamt). Dem Kläger wurde mit Mitteilung des 2. Finanzamts vom 27. Februar 1994 zur Kenntnis gebracht, dass von nun an die Festsetzung und Einhebung der ESt, der USt und der GewSt bei diesem Finanzamt unter einer näher genannten Steuernummer erfolgen werde. Die FLD hob in Ausübung ihres Aufsichtsrechts gemäß § 299 Abs 1 lit a BAO mit Bescheid vom 31. März 1994 die Berufungsvorentscheidungen des 1. Finanzamts vom 14. Jänner 1994 betreffend die USt 1988 und 1989 samt Berichtigungsbescheid wegen örtlicher Unzuständigkeit der Abgabenbehörde erster Instanz (1. Finanzamt) nach § 61 erster Satz UStG 1972 auf. Die dagegen erhobene Beschwerde des Klägers wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 8. Juni 1994, Zl. 94/13/0104, mangels Beschwer zurück. Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters zufolge der wegen Verletzung der Entscheidungspflicht iSd Art 132 B-VG erhobenen Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 8. Juni 1994, Zl. 93/13/0306, die Wiederaufnahme des Verfahrens zur USt 1990, des USt-Bescheids 1990 sowie des Säumniszuschlags zur USt 1989 als gegenstandslos beurteilt und das Verfahren im gesamten Umfang eingestellt.
Die ohne eigenes Ermittlungsverfahren erlassenen neuerlichen Bescheide des 2. Finanzamts vom 17. Jänner 1996 betreffend USt 1988 und 1989 sowie GewSt 1988, 1989 und 1990 entsprachen inhaltlich völlig den Bescheiden des 1. Finanzamts. Das 2. Finanzamt vertrat die Ansicht, eine neuerliche Betriebsprüfung gemäß § 148 Abs 3 BAO (Wiederholungsprüfung) sei weder zulässig noch zweckmäßig und auch nicht angeordnet worden. Die Feststellungen des 1. Finanzamts könnten daher als Bescheidbegründung für die neu erlassenen Bescheide dienen. Auch eine Prüfung der Folgejahre wäre erst nach einer Grundsatzentscheidung der Berufungsinstanz zur Künstlereigenschaft (des Klägers) zweckmäßig. Infolge Berufungen - gemeinsam damit verfasste der Steuerberater des Klägers eine nach Veranlagungsjahren getrennte chronologische Darstellung der wesentlichen Verfahrensschritte ("Chronologien") - des durch seinen Steuerberater vertretenen Klägers vom 20. Februar 1996 gegen diese Bescheide befasste die FLD als Berufungsbehörde die Kommission, die einstimmig zum Ergebnis kam, der Kläger sei als Künstler und nicht als Gebrauchsgrafiker anzusehen. Daraufhin entschied das 2. Finanzamt über Weisung der FLD vom 3. Oktober 1996 mit Berufungsvorentscheidungen vom 23. Oktober 1996 über die Berufungen des Klägers vom 20. Februar 1996 im stattgebenden Sinn. Die USt für die Jahre 1988 und 1989 wurde angesichts der künstlerischen Tätigkeit des Klägers mit 10 % festgesetzt; die GewSt-Bescheide wurden ersatzlos behoben.
Die beklagte Partei anerkannte vom geltend gemachten Schaden des Klägers einen Teilbetrag von 9.200 S als Kosten seiner Berufungen vom 20. Februar 1996 gegen die Abgabenbescheide des 2. Finanzamts.
Der Kläger begehrte vom beklagten Rechtsträger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes (Amtshaftung) zuletzt (Klageeinschränkung ON 21 AS 127) 71.760 S sA (an dem Steuerberater bezahlten Honoraransprüchen abzüglich des anerkannten und bezahlten Teilbetrags) mit dem Vorbringen, sein Steuerberater habe bereits im Rahmen der Betriebsprüfung durch das 1. Finanzamt und auch danach wiederholt die Einholung eines Gutachtens der Kommission zur Beurteilung der Eigenschaft des Klägers als Künstler beantragt. Die Organe der beklagten Partei (1. Finanzamt) hätten es rechtswidrig und schuldhaft unterlassen, schon im erstinstanzlichen Verfahren die Kommission zu befassen.
Die beklagte Partei anerkannte, dass das 2. Finanzamt vor Erlassung seiner Bescheide ein Gutachten hätte einholen müssen. Abgesehen von den anerkannten und auch ersetzten Kosten für die berechtigten Berufungen gegen die Abgabenbescheide des 2. Finanzamts von 9.200 S bestünden jedoch keine weitergehenden Forderungen des Klägers. Dieser hätte schon während der Betriebsprüfung durch das 1. Finanzamt auf dessen fehlende örtliche Zuständigkeit hinweisen müssen. Das von seinem Steuerberater verzeichnete Honorar sei zudem überhöht, die verzeichneten Stunden seien nicht aufgewendet worden und die Verfassung von "Chronologien" nicht notwendig gewesen.
Das Erstgericht verhielt die beklagte Partei zur Zahlung von 31.280 S (Kosten für das Rechtsmittelverfahren gegen die Bescheide des 2. Finanzamts von insgesamt 40.480 S, einschließlich der Kosten für die Verfassung der "Chronologien", jedoch abzüglich des von der beklagten Partei bereits bezahlten Betrags von 9.200 S) und wies das Mehrbegehren ab. Die selbstständige Beurteilung der Eigenschaft des Klägers als Künstler durch das 1. Finanzamt sei nicht rechtswidrig gewesen; allenfalls sei dessen Ermittlungsverfahren im Zuge der Betriebsprüfung mangelhaft gewesen, jedoch nicht derart, dass von einem unvertretbaren Handeln gesprochen werden könne, sei doch der als "Einladung" bezeichnete Erlass des BMF vom 15. Jänner 1970 nicht an die Finanzämter gerichtet gewesen. Es sei aber unvertretbar, dass das 2. Finanzamt die schon einmal im Ergebnis erfolgreich bekämpften Bescheide des unzuständigen 1. Finanzamts ohne jedes Ermittlungsverfahren wiederholt habe, obwohl der Steuerberater des Klägers bereits in seinen Berufungen gegen die Bescheide des 1. Finanzamts die Nichtbefassung der Kommission gerügt habe. Die Verfassung der "Chronologien" sei zur Schadensabwendung erforderlich gewesen.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es hielt eine Erörterung, ob bereits die Verneinung der Eigenschaft des Klägers als Künstler durch das 1. Finanzamt ohne Einholung eines Gutachtens durch die Kommission unvertretbar gewesen sei, für entbehrlich, weil der hiezu behauptete Schaden nicht durch die unterlassene Beiziehung der Kommission, sondern durch die vorher nicht geltend gemachte Unzuständigkeit des 1. Finanzamts verursacht worden sei, sodass mangels adäquat kausaler Herbeiführung eines Schadens ein Ersatz für diesen Verfahrensabschnitt nicht in Frage komme. Das 2. Finanzamt hätte hingegen auf Grund seiner Verpflichtung zum amtswegigen Vorgehen (§ 115 Abs 1 BAO) nur dann von der Einholung eines Gutachtens absehen dürfen, wenn sein Fachwissen ausgereicht hätte, um die Eigenschaft des Klägers als Künstler zu beurteilen. Die beklagte Partei habe das Vorhandensein einer entsprechenden speziellen Fachkenntnis der Betriebsprüfer nicht einmal behauptet. Ein neuerlicher Prüfungsauftrag iSd § 148 Abs 3 BAO hätte ohne Zustimmung des Abgabepflichtigen nicht erteilt werden dürfen. Von einer mangelnden Zustimmung des Klägers zu einer neuerlichen Überprüfung seiner Eigenschaft als Künstler sei aber schon auf Grund der mehrfachen Urgenzen durch seinen Steuerberater, ein Gutachten einzuholen, nicht auszugehen. Es entspreche dem Wesen des amtswegigen Verfahrens, dass die Behörde von sich aus alle notwendigen Beweis aufnehme, unabhängig von allfälligen Anträgen der Parteien. Das 2. Finanzamt habe somit wesentliche Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Beachtung es zu einem anderen, für den Kläger günstigeren Bescheid hätte kommen können. Die Vorgangsweise der Behörde sei insoweit als unvertretbar zu beurteilen. Da nach den Feststellungen der Erlass des BMF von der Abgabenbehörde nicht als Entscheidungsgrundlage herangezogen worden sei, erübrige es sich, auf dessen inhaltliche Richtigkeit einzugehen.
Das Berufungsgericht erachtete die ordentliche Revision als zulässig, weil "zu derartigen Amtshaftungsansprüchen keine Judikatur des Obersten Gerichtshofs vorgefunden" worden sei.
Die Revision der klagenden Partei ist nicht berechtigt, die der beklagten Partei nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
a) Zur Revision der klagenden Partei:
Der Kläger erblickt in der von der zweiten Instanz verneinten Kausalität der unterlassenen Beiziehung der Kommission für die Entstehung der Kosten des Verfahrens vor dem 1. Finanzamt eine Abweichung des Berufungsgerichts von der Rspr des Obersten Gerichtshofs. Die Vorgangsweise der Betriebsprüfer bzw der Organe dieser Behörde sei insofern conditio sine qua non für die Erhebung der Berufungen gewesen, als der Kläger die örtliche Unzuständigkeit nicht releviert hätte, wäre seiner Anregung auf Einholung eines Gutachtens der Kommission sogleich, somit schon in erster Instanz entsprochen worden.
Darauf kommt es indes nicht an.
Nach stRspr ist im Amtshaftungsprozess nicht wie in einem Rechtsmittelverfahren zu prüfen, ob die in Betracht kommende Entscheidung oder das zu beurteilende Organverhalten richtig war, sondern ob die Entscheidung bzw das Verhalten auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung beruhte. Nur die Abweichung von einer klaren Gesetzeslage oder stRspr, die nicht erkennen lässt, dass sie auf einer sorgfältigen Überlegung beruht, wird regelmäßig als Verschulden anzusehen sein (JBl 1993, 55; SZ 71/98; 1 Ob 60/98z uva). Organe der Rechtsträger sind ausnahmslos verpflichtet, sich rechtmäßig zu verhalten, sodass die Behauptungs- und Beweislast für das mangelnde Verschulden an der Nichterfüllung dieser Rechtspflicht stets den Rechtsträger trifft (stRspr: SZ 60/217, SZ 65/2, SZ 71/79 uva, zuletzt 1 Ob 9/00f; RIS-Justiz RS0049794). Im Geltungsbereich des AHG ist nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zu haften, weshalb die Haftungsverpflichtung des Rechtsträgers grundsätzlich nicht nur grobes, sondern auch leichtes, am Maßstab des § 1299 ABGB zu messendes Verschulden des Organs umfasst (stRspr: SZ 53/83, SZ 68/191, SZ 69/147, je mwN uva, jüngst 1 Ob 9/00f; RIS-Justiz RS0026381; Schragel, AHG2 Rz 147).
Der Vorwurf des Klägers geht dahin, dass seinem Antrag auf Einholung eines Gutachtens der Kommission von den "Vertretern der Betriebsprüfung" nicht Folge gegeben bzw ein solches Gutachten auch von Amts wegen nicht eingeholt worden sei. Sonstige Fehler des 1. Finanzamts werden mit Ausnahme der noch zu behandelnden örtlichen Unzuständigkeit des 1. Finanzamts nicht geltend gemacht. Angesichts der Tatsache, dass der Erlass des BMF nicht an die Finanzämter, sondern ausdrücklich nur an die Abgabenbehörden zweiter Instanz gerichtet ist - nach dem Inhalt des Erlasses ist die Einholung derartiger Gutachten nur im zweitinstanzlichen Ermittlungsverfahren vorgesehen - kann die unterlassene Einholung eines derartigen Gutachtens der Kommission jedenfalls nicht als unvertretbar beurteilt werden. Die Frage, ob dieser Erlass des BMF gesetzwidrig war, wie im Rechtsmittel behauptet wird, ist hier nicht relevant, kommt es doch nur darauf an, ob die Betriebsprüfer des 1. Finanzamts angesichts dieses Erlasses annehmen durften, zur Einholung eines Gutachtens dieser Kommission nicht in jedem Fall verpflichtet zu sein. Aus diesem Grund ist auch der Anregung des Klägers, einen Antrag auf Aufhebung der Verordnung (dieses Erlasses des BMF) gemäß Art 89 Abs 2 B-VG an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, nicht näher zu treten.
Nach der Rspr des Verwaltungsgerichtshofs sind Werbe- und Gebrauchsgraphiker in der Regel kunstgewerblich tätig. Die Eignung eines Gegenstands zum Gebrauch schließe aber keineswegs aus, dass die in der Herstellung des Gegenstands bestehende Tätigkeit eine künstlerische sei, d.h., der Gebrauchswert könne einem Objekt nicht die Eigenschaft eines Kunstwerks nehmen. Dies treffe auch für den Bereich der Graphik zu. Sei die Abgrenzung zwischen Kunst und Kunstgewerbe strittig, so sei je nach Art der zu beurteilenden Arbeiten nicht schon in jedem Fall, sondern nur in Zweifelsfällen ein Sachverständigengutachten einzuholen (VwGH Zl. 89/14/0068 = ÖStZB 1991, 198; Zl. 90/14/0035 = ÖStZB 1991, 220 ua). Wären aber im vorliegenden Fall die Betriebsprüfer - zwar zu Unrecht - der Ansicht, sie seien in der Lage, die Frage, ob der Kläger angesichts der Beschaffenheit seiner Werke eine bloß werbe- und gebrauchsgrafische und somit lediglich eine (kunst-)gewerbliche und nicht eine künstlerische Tätigkeit entfaltet habe, im Zuge der amtswegigen Erforschung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Abgabepflicht und die Einhebung der Abgaben wesentlich sind (§ 115 Abs 1 BAO), selbst, also ohne Einholung eines Gutachtens zu klären, so muss dieser allfällige Verfahrensmangel des erstinstanzlichen Abgabenverfahrens (Betriebsprüfung) jedenfalls als vertretbar angesehen werden. Das Abgabenverfahren zweiter Instanz wird nicht vom Neuerungsverbot beherrscht. Dass die Tätigkeit des Kläger Jahre vorher von der Abgabenbehörde zweiter Instanz (FLD) als künstlerisch beurteilt wurde, kann deshalb keine besondere Bedeutung haben, weil diese Frage wohl für jeden Abgabenzeitraum eigenständig beurteilt werden muss, ist es doch ohne weiteres denkbar, dass sich das Tätigkeitsfeld des Klägers änderte.
Im Verfahren vor dem letztlich unzuständigen 1. Finanzamt stellt auch die Tatsache, dass dessen Organe ihre Unzuständigkeit nicht von Amts wegen wahrnehmen, kein unvertretbares, somit schuldhaftes Behördenhandeln dar: Gemäß § 50 Abs 1 BAO haben die Abgabenbehörden ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen. Der Sinn der Zuständigkeitsverteilung liegt darin, dass durch eine klare, vorausbestimmte und voraussehbare Arbeitsteilung die Erfüllung der Verwaltungsaufgaben gewährleistet ist und eindeutige Verantwortlichkeiten begründet sind. Die Zuständigkeit einer Behörde ist keine Befugnis, die die Behörde nach subjektivem Belieben ausüben kann oder nicht, sie ist vielmehr Recht und Pflicht (Stoll, BAO, I 573 mwN). Der Regelfall im abgabenrechtlichen Verfahren ist der, dass in antragsgebundenen oder mit Abgabenerklärungen verbundenen Angelegenheiten Einbringungs- und Entscheidungszuständigkeit zusammenfallen. Der das Verfahren auslösende Parteiantrag oder das dem Verfahren dienende Anbringen ist also bei der Behörde einzubringen, die auch zur Entscheidung berufen ist (Stoll aaO I 580 f). Die Abgabenbehörde hat nach § 50 Abs 1 BAO sowohl am Beginn als auch während des Verfahrens von Amts wegen anhand der Aktenlage, vor allem aufgrund der Angaben in den Steuererklärungen und ähnlicher Informationen zu prüfen, ob sie zur Durchführung dieses Verfahrens (noch) zuständig ist. Im vorliegenden Fall brachte der Kläger seine Abgabenerklärungen wie auch in den Jahren zuvor beim 1. Finanzamt ein, als Wohnsitz und Zustelladresse gab er eine im örtlichen Zuständigkeitsbereich dieser Behörde gelegene Adresse an. Für die Betriebsprüfer des 1. Finanzamts ergaben sich somit weder aus den Steuererklärungen noch aus dem sonstigen Akteninhalt ausreichende Anhaltspunkte, an ihrer örtlichen Zuständigkeit (§§ 53 ff BAO; Sitz der Geschäftsleitung [Betriebsfinanzamt iSd § 53 Abs 1 lit b BAO] oder bei freien Berufen das Finanzamt, in dessen örtlichen Bereich die Berufstätigkeit vorwiegend ausgeübt wird [§ 53 Abs 1 lit c BAO]) zu zweifeln. Anlässlich der Betriebsprüfung und insbesondere auch bei der in deren Rahmen stattfindenden Schlussbesprechung wies der Steuerberater als fachkundiger Vertreter des Klägers unbestrittenermaßen nicht auf eine fehlende örtliche Zuständigkeit des 1. Finanzamts hin. Allein aufgrund der Tatsache, dass die Betriebsprüfung zum Teil auch in außerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereichs des 1. Finanzamts gelegenen Räumlichkeiten durchgeführt wurde, musste die Abgabenbehörde noch keine von Amts wegen zu klärenden Zweifel an ihrer Zuständigkeit haben, zumal in nicht zwingend ortsgebundenen Branchen selbstständig tätige Personen erfahrungsgemäß ihre Tätigkeit nicht selten an verschiedenen Orten ausüben und es darauf ankommt, wo sie diese Tätigkeit "vorwiegend" ausüben. Dass sogar der Kläger selbst während des erstinstanzlichen Abgabenverfahrens von der Zuständigkeit des 1. Finanzamts ausging, ergibt sich aus der Aussage des Steuerberaters des Klägers vor dem Erstgericht, die mangelnde Zuständigkeit sei ihm erst nach Abschluss des Verfahrens als "zusätzliches Argument" zur Bekämpfung der Bescheide eingefallen. Der Behörde kann demnach keine amtshaftungsrechtlich relevante Verletzung ihrer Pflicht zur amtswegigen Wahrnehmung ihrer Unzuständigkeit vorgeworfen werden.
Auf die Frage, ob dem Kläger ein Mitverschulden (vgl dazu SZ 64/126 uva; Schragel aaO Rz 155; Mader in Schwimann2 § 1 AHG Rz 69) zur Last fiele, weil es insbesondere seinem rechtskundigen Vertreter hätte bekannt sein müssen, dass die Geltendmachung der Unzuständigkeit erst in der Berufung nach den Bestimmungen des Verfahrensrechts nur zur Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheids, nicht aber zu einer Entscheidung in der Sache selbst durch die Oberbehörde führen kann (vgl Stoll aaO I 588), kommt es deshalb ebensowenig an wie auf die Frage, ob die unterlassene Geltendmachung der örtlichen Unzuständigkeit des die Betriebsprüfung durchführenden 1. Finanzamts der Vorschrift des § 2 Abs 2 AHG unterstellt werden könnte.Auf die Frage, ob dem Kläger ein Mitverschulden vergleiche dazu SZ 64/126 uva; Schragel aaO Rz 155; Mader in Schwimann2 Paragraph eins, AHG Rz 69) zur Last fiele, weil es insbesondere seinem rechtskundigen Vertreter hätte bekannt sein müssen, dass die Geltendmachung der Unzuständigkeit erst in der Berufung nach den Bestimmungen des Verfahrensrechts nur zur Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheids, nicht aber zu einer Entscheidung in der Sache selbst durch die Oberbehörde führen kann vergleiche Stoll aaO I 588), kommt es deshalb ebensowenig an wie auf die Frage, ob die unterlassene Geltendmachung der örtlichen Unzuständigkeit des die Betriebsprüfung durchführenden 1. Finanzamts der Vorschrift des § 2 Abs 2 AHG unterstellt werden könnte.
Das Berufungsgericht hat zu Recht eine Ersatzpflicht der beklagten Partei für diesen Verfahrensabschnitt abgelehnt.
b) Zur Revision der beklagten Partei:
Nach § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rspr des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rspr fehlt oder uneinheitlich ist. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision ist das Revisionsgericht an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Im vorliegenden Fall wird von der beklagten Partei eine erhebliche Rechtsfrage weder aufgezeigt noch ist eine solche ersichtlich.Nach § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rspr des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rspr fehlt oder uneinheitlich ist. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision ist das Revisionsgericht an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Ziffer 3, ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Im vorliegenden Fall wird von der beklagten Partei eine erhebliche Rechtsfrage weder aufgezeigt noch ist eine solche ersichtlich.
Die beklagte Partei macht unter den weitwendig ausgeführten Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit und der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens in Wahrheit einen in dritter Instanz nicht bekämpfbaren Mangel der erstgerichtlichen Beweiswürdigung zur Feststellung geltend, das 2. Finanzamt habe seine Bescheide ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und ohne Begründung erlassen. Insoweit ist dem Obersten Gerichtshof ein Eingehen auf diese Ausführungen versagt. Beide Revisionsgründe liegen somit, wie der Oberste Gerichtshof prüfte (§ 510 Abs 3 ZPO) nicht vor.
Die Ausführungen der beklagten Partei, den Abgabenbehörden - somit beiden Finanzämtern - sei in keinem Verfahrensstadium eine unvertretbare Vorgangsweise anzulasten, sind nicht ganz verständlich, hat der beklagte Partei die Nichteinholung eines Gutachtens der Kommission durch das 2. Finanzamt doch selbst sowohl im Aufforderungsverfahren als auch noch im erstinstanzlichen Verfahren (ON 5 AS 19, ON 6 AS 27) als unvertretbar anerkannt. Dem Kläger erhielt deshalb auch bereits 9.200 S an - von der beklagten Partei als angemessen beurteilte - Kosten seiner Berufungen gegen die Abgabenbescheide des 2. Finanzamts ersetzt. Bestritten wurde von der beklagten Partei in diesem Zusammenhang nur die Höhe des Ersatzanspruchs. Dazu finden sich in der Revision der beklagten Partei aber keine Ausführungen mehr. Die Entscheidung des Berufungsgerichts weist auch insoweit keinen für den Verfahrensausgang erheblichen groben Auslegungs- oder krassen Denkfehler auf, den der Oberste Gerichtshof selbst in einem Fall, in dem der zur Lösung anstehenden Rechtsfrage keine über den konkreten Sachverhalt hinaus gehende allgemeine Bedeutung beizumessen ist, schon zur Wahrung der Rechtssicherheit aufgreifen müsste.
Die Revision der beklagten Partei ist demnach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die klagende Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.Die Kostenentscheidung fußt auf den Paragraphen 41 und 50 ZPO. Die klagende Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.
Textnummer
E59571European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2000:0010OB00098.00V.1006.000Im RIS seit
05.11.2000Zuletzt aktualisiert am
28.02.2011