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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art99Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte einer Gemeinde durch die Versagung der aufsichtsbehördlichen Genehmigung der Auflassung einer Gemeindestraße; keine Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlagen für die Erforderlichkeit einer solchen Genehmigung aufgrund des Vorliegens auch überörtlicher Interessen bei Auflassung einer GemeindestraßeSpruch
Die beschwerdeführende Gemeinde ist durch den angefochtenen Bescheid weder in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten noch wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die beschwerdeführende Gemeinde durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Tiroler Landesregegierung versagte als Aufsichtsbehörde der Gemeinde Fulpmes mit Bescheid vom 6. August 1999 gemäß §15 Abs7 Tiroler Straßengesetz 1989 (idF TStG 1989) die Genehmigung der mit Gemeinderatsbeschluss vom 18. Mai 1998 verordneten Auflassung der Gschnalsgasse Gp. 2077/8, KG Fulpmes, als Gemeindestraße. Da die Gschnalsgasse bis zur Gemeindegrenze mit der Gemeinde Mieders führt und dort als Gemeindestraße von Mieders weiter verläuft, hat die Gemeinde Fulpmes um die Genehmigung dieser Verordnung gemäß §15 Abs7 erster Satz TStG 1989 angesucht. Die Aufsichtsbehörde stützte ihren Bescheid auf Gutachten der Abteilungen Gesamtverkehrsplanung, Raumordnung und Stellungnahmen der Gemeinde Fulpmes, der Nachbargemeinde Mieders und der Innsbrucker Verkehrsbetriebe, wonach die Versorgung durch den Linienbusverkehr - unter Berücksichtigung zumutbarer Fußwege - für die Gemeinde Mieders nur über die aufzulassende Gemeindestraße gewährleistet sei. Die Gemeindestraße diene auch der Erschließung eines künftigen Gewerbeparks (ca. 200 Beschäftigte) zwischen Mieders und Fulpmes, der auf dem Gemeindegebiet Mieders bei bestehender ausreichender Zufahrtmöglichkeit errichtet werden solle. Die Behörde nahm aufgrund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens eine erhebliche Beeinträchtigung des überörtlichen Verkehrs durch die Auflassung der Gemeindestraße an und versagte die Genehmigung.
Die nunmehrige Gemeindestraße sei als ehemalige Bundesstraße den Gemeinden Fulpmes und Mieders übergeben worden, nachdem die Umfahrung Mieders durch die B 183 Stubaital Straße in Betrieb genommen und den Gemeinden auch Geld für die letztmalige Instandsetzung bereitgestellt worden sei.
2. Die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde behauptet die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG), auf Selbstverwaltung (Art118 B-VG) und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§15 Abs7 TStG 1989, Art74 Abs4 TLO). Die Gemeinden Mieders und Fulpmes seien durch die neue Bundesstraße ausreichend erschlossen. Das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft durchgeführt worden.
Zu den Bedenken gegen §15 Abs7 TSTG 1989 wird ausgeführt, dass nach der relativen Verfassungsautonomie der Länder diesen nur das Recht zukomme, Landesverfassungsgesetze zu erlassen, insoweit dadurch die Bundesverfassung nicht berührt werde. Es stehe dem Landesverfassungsgesetzgeber (Art72 bis 74 Tiroler Landesordnung 1989 über die Gemeinden) jedenfalls nicht zu, das, was in der Bundesverfassung (Art116, 118, 119a B-VG) geregelt ist, selbst noch einmal, in welcher Weise inhaltlich auch immer, zu regeln. Art74 Abs4 Tiroler Landesordnung 1989 derogiere aber nun - verfassungswidrigerweise - Art119a B-VG; somit stütze sich §15 Abs7 TStG 1989 auf eine verfassungswidrige Rechtsgrundlage.
Über die verfassungswidrige Derogation hinaus liege jedoch auch eine nunmehrige Landesverfassungswidrigkeit darin, dass aufgrund der bis zu einer Aufhebung wirksamen Derogation des Art119a B-VG Art74 Abs4 Tiroler Landesordnung 1989 allein die Aufsichtsmittel des Landes zu Gänze regle und mangels Geltungsvorbehalt für bundesverfassungsrechtliche Bestimmungen das Aufsichtsmittel des Genehmigungsvorbehaltes gemäß §15 Abs7 TStG 1989 nicht vorgesehen sei.
Gemäß Art118 Abs3 Z4 B-VG müsse die Angelegenheit der Verwaltung von Verkehrsflächen der Gemeinde von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich besorgt werden.
Selbst wenn Art119a Abs8 B-VG nicht derogiert worden sei, so sei der Genehmigungsvorbehalt des §15 Abs7 TStG 1989 wesentlich umfassender als jener des Art119a Abs8 B-VG, da der überörtliche Verkehr nicht zwingend im überörtlichen Interesse liegen müsse bzw. "überörtliche Interessen im besonderen Maße berührt werden" müssten. Die Differenzierung des Art119a Abs6 ("gesetzwidrig") und Abs8 ("Berührung überörtlicher Interessen in besonderem Ausmaß") sei auch bei der Auslegung heranzuziehen, sodass von dem Genehmigungsvorbehalt nur ein kleiner Bereich der Selbstverwaltung betroffen sein könne.
§15 Abs7 TStG 1989 enthalte jedoch jedenfalls eine zu pauschalierte Genehmigungspflicht. Wenn eine Straße nur der Deckung des Verkehrsbedürfnisses eines bestimmten Benutzerkreises diene, so wäre auch eine Erklärung zur Interessentenstraße nach §16 TStG 1989 möglich. §15 Abs7 TStG 1989 hätte aber auch dahingehend enger gefasst werden müssen, als die Genehmigung zu versagen sei, wenn die Auflassung den in §13 Abs2 iVm §15 Abs1 TStG 1989 angeführten Tatbestandsmerkmalen nicht genüge.
Die Regelung verstoße aber auch gegen den Gleichheitssatz, da es unsachlich sei, zuerst eine Angelegenheit dem eigenen Wirkungsbereich zuzuordnen und durch zu weiten Genehmigungsvorbehalt so auszuhöhlen, dass die Ausübung der Selbstverwaltung trotz Kostenbelastung der Gemeinde nicht mehr möglich sei. Es sei auch nicht zu übersehen, dass die Beschränkung der Selbstverwaltung in diesem Fall in einem Missverhältnis zu den die Gemeinde belastenden Regelungen des Finanzausgleichs stehe.
3. Die Tiroler Landesregierung erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
Art 119a Abs1 und 8 B-VG:
"(1) Der Bund und das Land üben das Aufsichtsrecht über die Gemeinde dahin aus, daß diese bei Besorgung des eigenen Wirkungsbereiches die Gesetze und Verordnungen nicht verletzt, insbesondere ihren Wirkungsbereich nicht überschreitet und die ihr gesetzlich obliegenden Aufgaben erfüllt.
[...]
(8) Einzelne von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu treffende Maßnahmen, durch die auch überörtliche Interessen in besonderem Maß berührt werden, insbesondere solche von besonderer finanzieller Bedeutung, können durch die zuständige Gesetzgebung (Absatz 3) an eine Genehmigung der Aufsichtsbehörde gebunden werden. Als Grund für die Versagung der Genehmigung darf nur ein Tatbestand vorgesehen werden, der die Bevorzugung überörtlicher Interessen eindeutig rechtfertigt."
Art 74 Abs4 Tiroler Landesordnung 1989, LGBl. Nr. 61/1988, idF TLO 1989:
"Das Land Tirol hat gegenüber der Gemeinde bei der Besorgung der Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches aus dem Bereich der Landesvollziehung das Aufsichtsrecht. Dieses ist dahin auszuüben, daß die Gemeinde die Gesetze und die Verordnungen des Bundes und des Landes nicht verletzt, insbesondere ihren Wirkungsbereich nicht überschreitet, und ihre auf Gesetzen und Verordnungen des Bundes und des Landes beruhenden Aufgaben erfüllt. Das Land Tirol hat ferner das Recht, die Gebarung der Gemeinde auf ihre Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu prüfen. Die Aufsicht des Landes Tirol ist so auszuüben, daß die Rechte der Gemeinde und die Rechte Dritter möglichst geschont werden."
§15 Abs7 Tiroler Straßengesetz, LGBl. Nr. 13/1989 idF TStG 1989:
"Eine Verordnung über die Auflassung einer Gemeindestraße bedarf der Genehmigung der Landesregierung, wenn die aufzulassende Straße bis zur Gemeindegrenze führt und dort an eine andere öffentliche Straße anschließt. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die Auflassung dieser Gemeindestraße eine erhebliche Beeinträchtigung des überörtlichen Verkehrs zur Folge hätte. Eine Verordnung über die Auflassung einer Gemeindestraße ist binnen einer Woche nach dem Einlangen der Genehmigung der Landesregierung durch öffentlichen Anschlag während zweier Wochen und in sonst ortsüblicher Weise kundzumachen. Eine solche Verordnung tritt mit dem Ablauf der Kundmachungsfrist in Kraft."
2. Der von der Beschwerde behauptete Widerspruch zwischen dem Tiroler Straßengesetz, der Tiroler Landesordnung 1989 und dem B-VG liegt nicht vor.
Die Beschwerde übersieht, dass dem Begriff "Berührt - Werden" in Art99 B-VG nicht der Sinn beizumessen ist, dass es schon bundesverfassungswidrig ist, Regelungen der Bundesverfassung in einer Landesverfassung zu wiederholen. Das "Berührt -Werden" ist nach herrschender Lehre nicht im Sinne einer wie immer gearteten Abschirmung der Bundesverfassung im Vorfeld echter Konflikte, sondern in dem des "Einander-Widersprechens" zu verstehen (vgl. Novak, Art99 B-VG, RZ 5 in Korinek/Holoubek, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht). In Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre hat auch der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Landesverfassungen "nichts enthalten dürfen, was mit dem B-VG nicht vereinbar ist" (vgl. VfSlg. 5676/1968, 9547/1982). Auch findet sich kein vernünftiger Grund für die Annahme, dass die Regelung des Art119a B-VG dadurch eine Einschränkung erfahren sollte, dass die Landesverfassung nur teilweise die Bestimmungen des B-VG - insbesondere allgemeine Grundsätze des Aufsichtsrechtes gemäß Art119a Abs1 und 8 B-VG - wiederholt, aber die Aufsichtsmittel des Art119 Abs8 B-VG im konkreten nicht erwähnt. Denn schließlich besteht auch keine Verpflichtung des Landesverfassungsgesetzgebers zur - wenn auch überflüssigen - Wiederholung bundesverfassungsrechtlicher Bestimmungen. Art74 Abs4 TLO 1989 widerspricht daher nicht den Bestimmungen des B-VG über die Gemeindeaufsicht.
Gemäß Art119a Abs8 B-VG können einzelne von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu treffende Maßnahmen, durch die auch überörtliche Interessen im besonderen Maß berührt werden, insbesondere solche von finanzieller Bedeutung, durch die zuständige Gesetzgebung an eine Genehmigung der Aufsichtsbehörde gebunden werden. Als Grund für die Versagung darf nur ein Tatbestand vorgesehen werden, der die Bevorzugung überörtlicher Interessen eindeutig rechtfertigt. Die Regelung des §15 Abs7 TStG 1989, die eine aufsichtsbehördliche Genehmigung der Auflassung einer Gemeindestraße vorsieht, wenn diese bis zur Gemeindegrenze führt und dort an eine andere öffentliche Straße anschließt, ist deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich, da durch die Auflassung eines Teiles einer Straße, die über das Gebiet zweier Gemeinden führt, potentiell überörtliche Interessen der Verkehrserschließung von Gemeinden in besonderem Maß berührt werden (vgl. zur Genehmigungspflicht von Flächenwidmungsplänen VfSlg. 13.277/1992, 13.633/1993). §15 Abs7 TStG 1989 knüpft die Versagung an eine "erhebliche Beeinträchtigung des überörtlichen Verkehrs". Der Verfassungsgerichtshof hat auch keine Zweifel, dass dieser Versagungsgrund die Bevorzugung überörtlicher Interessen im Sinne des Art119a Abs8 B-VG eindeutig rechtfertigt.
Schließlich ist für den Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar und von der Beschwerde auch nicht näher ausgeführt, inwiefern durch §15 Abs7 TStG 1989 die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Gemeinden (§4 F-VG) überschritten werden.
3. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides würde eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Die Versagung der Genehmigung der Auflassung der Gemeindestraße würde das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Selbstverwaltung nur dann verletzen, wenn der belangten Behörde der Vorwurf gemacht werden müsste, dass sie das Recht auf Selbstverwaltung in einer konkreten Angelegenheit schlechthin verneint (vgl. VfSlg. 9156/1981, 11.633/1988).
Die beschwerdeführende Gemeinde bringt zur Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte im Rahmen der Vollziehung jedoch nichts vor und eine solche Verletzung ist in dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof auch nicht hervorgekommen.
Ob der bekämpfte Bescheid in jeder Hinsicht rechtmäßig ist, insbesondere ob der Versagungstatbestand tatsächlich erfüllt ist, ist eine Frage einfachgesetzlicher Natur. Die Beschwerde war daher abzuweisen und gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abzutreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Gemeinderecht, Aufsichtsrecht, Genehmigung, Selbstverwaltungsrecht, Landesverfassung, Straßenverwaltung, GemeindestraßeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B1571.1999Dokumentnummer
JFT_09979077_99B01571_00