TE OGH 2000/10/30 3Ob128/00w

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.10.2000
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Oliver Pilat, geboren am 1. Juni 1989, über den Revisionsrekurs des Vaters Herbert K*****, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. Dezember 1999, GZ 43 R 1014/99g-52, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals vom 18. Oktober 1999, Gz 2 P 3450/95x-47, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die monatliche Unterhaltsleistung vom 1. Februar 1999 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes, auf S 300 herabgesetzt wird.

Text

Begründung:

Der Vater des am 1. 6. 1989 geborenen Minderjährigen, der sich in Pflege und Erziehung der Mutter in Wien befindet, ist deutscher Staatsbürger; er wurde am 29. 7. 1944 in Katowice, Polen, geboren.

Mit dem am 22. 1. 1999 beim Erstgericht eingelangten Schreiben ON 28, ergänzt mit Schreiben ON 30 und ON 33, teilte er dem Erstgericht mit, dass er ab November 1998 in Polen lebe; seine Bemühungen, hier eine Arbeit zu finden, seien bisher ohne Erfolg geblieben. Nach längerer Arbeitslosigkeit und wegen der Aussichtslosigkeit, in Österreich wieder eine Beschäftigung zu finden, sei er wieder zu seiner Frau, von der er längere Zeit getrennt gelebt habe, gezogen. Er habe kein eigenes Einkommen und werde von seiner Frau erhalten. Der Vater beantragte die Herabsetzung des von ihm zu leistenden Unterhalts auf S 300 ab 1. 2. 1999.

Das durch das Amt für Jugend und Familie als besonderer Sachwalter vertretene Kind sprach sich gegen die Herabsetzung aus, weil der Umstand, dass sich der Vater nunmehr in seinem Heimatland aufhalte, die Herabsetzung nicht rechtfertige. Die Lebensverhältnisse des Vaters seien als gut zu bezeichnen.

Das Erstgericht setzte den Unterhalt ab 1. 2. 1999 von S 2.300 auf S

1.500 herab und wies das Mehrbegehren, den Unterhalt um weitere S

1.200 monatlich herabzusetzen, ab. Es stellte im Wesentlichen fest:

Der Vater hat keine weiteren Sorgepflichten. Er ist seit November 1994 arbeitslos. Vorher war er in Wien als Oberkellner beschäftigt. Zuletzt bezog er bis 7. 2. 1999 Notstandshilfe von S 275,60 täglich inklusive eines Familienzuschlags für das Kind, somit durchschnittlich rund S 8.400 netto monatlich.

Im November 1998 zog der Vater zu seiner Ehefrau nach Polen, wo er nach längerer Trennung mit ihr wieder zusammenlebt.

Für eine erfolgreiche Vermittlung des Vaters in Österreich sind seine fehlende Berufsausbildung als Kellner, seine gesundheitlichen Einschränkungen und vor allem sein Alter erschwerend.

Das Erstgericht bezeichnete es als allgemein bekannt, dass der durchschnittliche Lebensstandard in Polen weit schlechter, die Arbeitsmarktlage zumindest nicht besser als in Österreich sei.

Ausgehend davon, dass der Vater in Österreich weiterhin ein Einkommen von rund S 8.400 monatlich aus Notstandshilfe beziehen könnte, vertrat das Erstgericht die Ansicht, es könne im Sinn der Anspannungstheorie von diesem fiktiven Einkommen ausgegangen werden. Es wäre dem Vater zumutbar gewesen, in Österreich zu bleiben, wo er jahrelang gelebt und gearbeitet habe. Er sei deutscher Staatsbürger und sei von seiner in Polen lebenden Frau lange getrennt gewesen, sodass keine so starken Verbindungen nach Polen bestünden, welche die Übersiedlung dorthin unbedingt gerechtfertigt erscheinen ließen. Der Notstandshilfebezug in Österreich sei noch immer weit höher als ein mögliches Einkommen in Polen.

Die Behauptungen des Kindes, dass die Verhältnisse des Vaters in Polen als gut situiert zu bezeichnen seien, seien durch nichts bewiesen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss infolge Rekurses des Vaters und sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil, soweit überblickbar, eine höchstgerichtliche Judikatur zu der Frage fehle, ob einem Unterhaltspflichtigen, der ausländischer Staatsbürger ist und seinen Lebensmittelpunkt jahrelang in Österreich hatte, unterhaltsrechtlich verwehrt werden könne, in ein Drittland zu ziehen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht aus, es sei zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass ein ausländischer Unterhaltspflichtiger nicht gehindert werden könne, in seine Heimat zurückzukehren, auch wenn er für ein Kind in Österreich zu sorgen habe. Im konkreten Fall sei jedoch zu betonen, dass der Unterhaltspflichtige deutscher Staatsbürger und nach Polen zurückgekehrt sei, nachdem er seinen Lebensmittelpunkt jahrelang in Österreich gehabt habe. Die konkreten Erwerbsmöglichkeiten des Vaters seien der Notstandshilfebezug in Österreich.

Der Revisionsrekurs des Vaters ist deshalb zulässig, weil das Rekursgericht mit seiner Entscheidung die Grundsätze der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Anspannungstheorie in einer die Rechtssicherheit gefährdenden Weise verletzt hat; er ist daher auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen.Gemäß Paragraph 140, Absatz eins, ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen.

Bestehen Anzeichen dafür, dass der Unterhaltspflichtige weniger verdient, als seiner Leistungsfähigkeit entspricht, so muss er sich unter bestimmten Voraussetzungen an jenem Einkommen messen lassen, das er bei zumutbarer Ausschöpfung seiner Möglichkeiten zu erzielen in der Lage wäre. Dieser von der Rechtsprechung schon seit Jahrzehnten befolgte und nunmehr auch gesetzlich in § 140 Abs 1 ABGB ("nach ihren Kräften") festgeschriebene Anspannungsgrundsatz geht von der Obliegenheit des Unterhaltsschuldners aus, für die Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten im zumutbaren Rahmen alle seine "Kräfte anzuspannen", alle seine persönlichen wie finanziellen Mittel und Möglichkeiten so gut wie möglich zur Einkommenserzielung zu nutzen. Wenn der Unterhaltsverpflichtete diese Obliegenheit schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) verletzt, wird der Unterhaltsbemessung jenes Einkommen zugrunde gelegt, das er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit nach den konkreten Umständen tatsächlich erzielen könnte. Wer - aus welchen Gründen immer - zu einer Erwerbstätigkeit nicht in der Lage ist, dem kann wegen der fehlenden Leistungsfähigkeit kein potientelles Einkommen unterstellt werden (Schwimann in Schwimann, ABGB**2 § 140 Rz 59 f mit Hinweisen auf die Rsp).Bestehen Anzeichen dafür, dass der Unterhaltspflichtige weniger verdient, als seiner Leistungsfähigkeit entspricht, so muss er sich unter bestimmten Voraussetzungen an jenem Einkommen messen lassen, das er bei zumutbarer Ausschöpfung seiner Möglichkeiten zu erzielen in der Lage wäre. Dieser von der Rechtsprechung schon seit Jahrzehnten befolgte und nunmehr auch gesetzlich in Paragraph 140, Absatz eins, ABGB ("nach ihren Kräften") festgeschriebene Anspannungsgrundsatz geht von der Obliegenheit des Unterhaltsschuldners aus, für die Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten im zumutbaren Rahmen alle seine "Kräfte anzuspannen", alle seine persönlichen wie finanziellen Mittel und Möglichkeiten so gut wie möglich zur Einkommenserzielung zu nutzen. Wenn der Unterhaltsverpflichtete diese Obliegenheit schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) verletzt, wird der Unterhaltsbemessung jenes Einkommen zugrunde gelegt, das er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit nach den konkreten Umständen tatsächlich erzielen könnte. Wer - aus welchen Gründen immer - zu einer Erwerbstätigkeit nicht in der Lage ist, dem kann wegen der fehlenden Leistungsfähigkeit kein potientelles Einkommen unterstellt werden (Schwimann in Schwimann, ABGB**2 Paragraph 140, Rz 59 f mit Hinweisen auf die Rsp).

Im vorliegenden Fall bestehen keine Anhaltspunkte für ein schuldhaftes Verhalten des Vaters, das die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes rechtfertigen würde. Der Vater ist in Katowice, Polen, geboren und ist zu seiner Ehegattin, mit der er seit vielen Jahren verheiratet war, nach Katowice zurückgekehrt. In Österreich war er früher als Oberkellner tätig gewesen, hat jedoch schlechte Chancen, hier wieder eine Beschäftigung zu finden; er hat bisher vor seiner Rückkehr nach Polen in Österreich Notstandshilfe bezogen.

Es kann somit überhaupt nicht die Rede davon sein, dass der Vater - wie das Rekursgericht meint - "in ein Drittland" verzogen wäre. Die Rückkehr zu seiner Ehegattin nach Polen ist in seiner Lebenssituation in jeder Weise gerechtfertigt; die Forderung der Vorinstanzen, er müsse in Österreich, wo er früher beschäftigt war, bleiben und hier Notstandshilfe beziehen, ist im Gegenteil unzumutbar.

Dem Antrag des Vaters, der nunmehr weder Vermögen noch Einkommen hat, auf Reduktion der Unterhaltszahlungen auf S 300 ist somit stattzugeben.

Anmerkung

E59808 03A01280

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2000:0030OB00128.00W.1030.000

Dokumentnummer

JJT_20001030_OGH0002_0030OB00128_00W0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten