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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des S in S, geboren 1982, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den am 2. November 2005 verkündeten und am 14. März 2006 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 222.782/11-VII/20/05, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 17. März 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte zunächst bezogen auf seine Mutter Erstreckung des dieser zu gewährenden Asyls. Nach rechtskräftiger Abweisung des Asylerstreckungsantrages beantragte der mittlerweile volljährig gewordene Beschwerdeführer am 26. April 2001 schriftlich Asyl. In seinem Asylantrag brachte er vor, er sei vom moslemischen Glauben zum Christentum übergetreten und am 29. Juni 2000 in Österreich getauft worden. Es habe schon während seines Aufenthaltes im Iran eine Verfolgungsgefahr "mit religiösem Hintergrund" bestanden. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 1. Juni 2001 gab der Beschwerdeführer an, er habe im Iran nicht mehr studieren können, was damit zusammenhänge, dass Regierungspersonen seinen Vater unter Druck hätten setzen wollen. Sein Vater habe vorgehabt, Künstler im Rahmen des Projektes "Größter Koran der Welt" zu unterstützen, wobei die beiden größten religiösen Bücher der Welt -
der Koran und die Bibel - als kalligraphisches Kunstwerk hätten geschrieben werden sollen. Dieses Projekt habe zu Problemen seiner Familie im Iran geführt, wodurch auch der Beschwerdeführer in Gefahr gewesen sei. Er habe auch einmal Probleme mit den Pasderan (Revolutionswächtern) gehabt, weil er vor einer Mädchenschule gewartet habe. Im Iran habe er keine Probleme wegen seiner Religion gehabt, nunmehr sei er aber Christ und es sei "im Iran absolut verboten, dass man eine andere Religion wählt". Er könne "nicht ausschließen, dass die iranischen Behörden davon erfahren haben".
Mit Bescheid vom 5. Juni 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran fest.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Die belangte Behörde führte am 2. November 2005 eine Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer angab, er sei zwar römisch-katholisch getauft, habe sich aber vor etwa zwei Jahren den Zeugen Jehovas zugewendet, weil diese "wirklich von Tür zu Tür (gingen) und missionierten"; er habe sich aber noch nicht im Rahmen dieser religiösen Bekenntnisgemeinschaft neu taufen lassen. Laut Verhandlungsschrift wurde am Ende der Berufungsverhandlung "das gesamte Länderdokumentationsmaterial" verlesen, in der Folge das Beweisverfahren geschlossen und der nunmehr angefochtene Bescheid verkündet.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7, 8 AsylG ab. Sie stellte zur "Situation im Iran" fest, dass aus der Sicht der iranischen Machthaber ein Glaubensübertritt vom Islam zum Christentum nicht möglich sei. Ein im Ausland vollzogener Glaubenswechsel werde prinzipiell als "technische", auf die Asylanerkennung ausgerichtete Handlung angesehen, sofern nicht ein wirklicher Glaubenswechsel vorliege, sodass der Betreffende, wenn er in sein Heimatland zurückgeschickt werde, nicht Gefahr laufe, ernsthaft beeinträchtigt zu werden. Die im Iran weit verbreitete Praxis der "Taqieh", nach der die Täuschung zur Erreichung eines Zwecks erlaubt sei, zeige sich sehr großzügig gegenüber einer Täuschung, um zum Beispiel in einem westlichen Land Asyl zu bekommen. Iranische Staatsangehörige, die also bloß zum Schein vom Islam zu einer anderen Religion konvertieren würden, hätten mit keinen Problemen im Falle ihrer Rückkehr zu rechnen. Im Iran bestehe keine Sippenhaftung. Zur Person des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde fest, er sei im Iran islamischen Glaubensbekenntnisses gewesen und habe in seinem Heimatland keine Schwierigkeiten wegen seines Vaters zu befürchten. Der vom Vater des Beschwerdeführers gestellte Asylantrag sei abgewiesen worden, wobei dem Vater die Glaubwürdigkeit abgesprochen worden sei. Der Beschwerdeführer sei in Österreich zum Schein vom Islam zum Christentum konvertiert. Obwohl er sich den Zeugen Jehovas zugewendet habe, sei er noch nicht aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten. Als Scheinkonvertit habe er jedoch "keinerlei Verfolgungssituation im Falle der Rückkehr in den Iran zu gewärtigen".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Zunächst ist zum Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend (angebliche) Probleme im Zusammenhang mit seinem Vater darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde des Vaters gegen den ihn betreffenden Bescheid der belangten Behörde vom 29. September 2005, Zl. 226.191/0-VII/20/02, mit hg. Beschluss vom 23. November 2006, Zl. 2005/20/0601, abgelehnt hat. Soweit die Beschwerde geltend macht, dass dem Beschwerdeführer wegen der Aktivitäten seines Vaters Verfolgung drohe, zeigt sie nicht konkret auf, woraus sich nach Ansicht des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit einer ihn betreffenden Verfolgungsbehauptung ergeben sollte.
2. Die Beschwerde bemängelt jedoch mit Erfolg die von der belangten Behörde in Bezug auf den Nachfluchtgrund der Apostasie des Beschwerdeführers vom Islam getroffene Annahme, er sei nur zum Schein zum Christentum konvertiert und die iranischen Behörden würden ihm deshalb keine Probleme bereiten.
2.1. Die belangte Behörde bleibt jede Begründung dafür schuldig, weshalb davon ausgegangen werden könne, dass die iranischen Behörden den Glaubenswechsel des Beschwerdeführers als bloße "Scheinkonversion" ansehen würden. Davon, dass die iranischen Behörden vom Glaubenswechsel des Beschwerdeführers und seinem religiösen Engagement bei einer Rückkehr in den Iran keine Kenntnis erlangen werden, ist die belangte Behörde aber nicht ausgegangen (siehe zu einem insoweit vergleichbaren Beschwerdefall das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2006, Zl. 2004/20/0288), sondern hat eine solche Kenntnisnahme mit ihrem Hinweis auf die Praxis der "Taqieh" - die auch auf "der offiziellen Website von Großayatollah Lenkarani und im Bericht des Bundesasylamtes vom Juni 2001 angeführt" werde - vielmehr sogar angenommen.
2.2. Ein weiterer Begründungsmangel besteht darin, dass sich die belangte Behörde zur Stützung der Feststellungen über die Folgenlosigkeit einer bloß zum Zwecke der Asylerlangung vorgenommenen Konversion lediglich ganz allgemein auf näher angeführte Länderberichte stützte, ohne die konkreten Stellen näher zu bezeichnen oder deren Inhalt wiederzugeben. Die in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung, das "angeführte Länderdokumentationsmaterial" weise in Bezug auf die "gegenständlich entscheidende Frage der Konvertierung" keine Widersprüche auf, ist an Hand der vorliegenden Bescheidbegründung nicht überprüfbar. Überdies ergibt sich aus der Verhandlungsschrift vom 2. November 2005 lediglich der allgemeine Hinweis darauf, dass das "gesamte Länderdokumentationsmaterial" verlesen wurde, eine Protokollierung einer diesbezüglichen Stellungnahme des Beschwerdeführers findet sich in der Niederschrift jedoch nicht (auch insoweit ist der dem schon genannten Erkenntnis vom 29. Juni 2006 zugrunde liegende Beschwerdefall mit dem vorliegenden vergleichbar).
2.3. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde sich nicht damit auseinander gesetzt hat, ob der Beschwerdeführer infolge seiner behaupteten Zuwendung zur Bekenntnisgemeinschaft der Zeugen Jehovas (sei es auch noch ohne vollzogene Taufe) wegen seiner religiösen Einstellung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer asylrelevanten Verfolgung im Iran zu rechnen hätte. Sollte die belangte Behörde eine solche Auseinandersetzung deshalb unterlassen haben, weil sie das Engagement des Beschwerdeführers im Rahmen der Zeugen Jehovas für unglaubwürdig gehalten hat, so fehlt diesbezüglich im angefochtenen Bescheid eine nachvollziehbare Beweiswürdigung. Sollte die belangte Behörde hiefür aber den Umstand, dass noch keine Taufe von Seiten dieser religiösen Bekenntnisgemeinschaft erfolgt war, für entscheidend gehalten haben, so hat sie übersehen, dass es nicht darauf ankommt, ob eine solche schon vorgenommen wurde, sondern darauf, ob die religiöse Einstellung des Beschwerdeführers (sei es auch ohne vollzogene Taufe) im Heimatstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer asylrelevanten Verfolgung führen wird (vgl. dazu in Bezug auf eine Konversion zum Christentum das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2005, Zl. 2003/20/0544).
3. Nach dem Gesagten leidet der angefochtene Bescheid an Begründungsmängeln und war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 21. Dezember 2006
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005200624.X00Im RIS seit
05.02.2007